Der Klinikarzt 2008; 37(12): 607
DOI: 10.1055/s-0028-1114289
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Typ-2-Diabetes und vaskuläre Komplikationen - Blutzucker konsequent und früh einstellen - aber nicht um jeden Preis

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08 April 2009 (online)

 
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"Dass es sich lohnt, Diabetiker gut zu behandeln, wissen wir schon seit Jahren", konstatierte Prof. Petra-Maria Schumm-Draeger, München - eine Erkenntnis, die einmal mehr durch die UKPDS[1]-Studie untermauert wird: Denn obwohl sich die Blutzuckerwerte der beiden Studiengruppen während der inzwischen 10-jährigen Nachbeobachtungsphase innerhalb eines Jahres angeglichen hatten, blieben die Unterschiede an Spätkomplikationen, die aus der zurückliegenden 10-jährigen Interventionsphase resultierten, auch in einem 10-jährigen Follow-up weiter bestehen [1].

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"Blutzuckergedächtnis" der Gefäße hält länger als gedacht

Überraschenderweise hatte die bessere Blutzuckereinstellung 10 Jahre nach dem Abschluss der Studie sogar einen positiven Effekt auf makrovaskuläre Ereignisse - Vorteile, die in der eigentlichen UKPDS-Studie [2] noch nicht zu erkennen waren: Die Herzinfarktrate war in der Follow-up-Auswertung um relative 15 % niedriger als in der konventionell behandelten Gruppe (p = 0,014). 1997, also bei Studienende, war die relative Risikoreduktion mit 16 % zwar ähnlich ausgefallen, hatte damals aber das Signifikanzniveau noch verfehlt (p = 0,059). Signifikant geringer blieb auch die Gesamtsterberate der während der Studienphase intensiv therapierten Patienten (-13 %; p = 0,007). Zum Vergleich: 1997 betrug die relative Risikoreduktion für diesen Studienendpunkt 6 % (p = 0,44).

Diese Studiendaten zeigen klar, dass "ein Gedächtnis für eine gute Blutzuckerkontrolle besteht, das über Jahre und Jahrzehnte hält", so Schumm-Draeger. Und natürlich stimmen Daten positiv, die eine kardiovaskuläre Risikoreduktion bei Diabetikern versprechen, die bekanntermaßen ein besonders hohes vaskuläres Risiko aufweisen.

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Nicht zu aggressiv therapieren

Zu einem vollkommen anderen Ergebnis kam jedoch die ACCORD[2]-Studie [3]. In ACCORD hatte man versucht den HbA1c-Wert mit bis zu 5 Medikamenten in hohen Dosierungen und einer intensivierten Insulintherapie mit 4-5 Insulininjektionen täglich unter 6,0 % zu senken. Hatte man doch nach den ursprünglichen UKPDS-Studiendaten vermutet, dass erst eine aggressivere Blutzuckersenkung die Rate makrovaskulärer Komplikationen senken könnte.

Doch der Preis für diese "Hammertherapie" war hoch: Die Studie wurde nach 3,5 Jahren wegen einer erhöhten Mortalitätsrate bei den intensiv therapierten Patienten abgebrochen. Unter der aggressiven Therapie traten 3-mal mehr schwere Hypoglykämien auf, und bei 28 % der Patienten kam es zu Gewichtszunahmen um mehr als 10 kg. "Die Gründe für diese hohe Sterblichkeitsrate sind noch nicht bis ins Letzte geklärt", sagte Schumm-Draeger. Problematisch waren sicher die recht rasche Absenkung des HbA1c-Werts von einem hohen Ausgangswert (8,1 %) und die große Zahl an Hypoglykämien, konstatierte die Diabetologin.

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Früh initiieren und früh kombinieren

Was bedeuten diese Studienergebnisse aber nun für die alltägliche Therapie der Typ-2-Diabetiker? "Machen Sie genau das, was Sie in Ihrer klinischen Praxis wahrscheinlich schon seit Langem klug überlegt tun", riet Schumm-Dräger. "Therapieren Sie rasch und effektiv, immer abhängig davon, in welchem Stadium der Erkrankung sich Ihr Patient befindet."

Klar ist, die Intervention muss so früh wie möglich beginnen, um die Gefäße möglichst lange "zu schonen". Die notwendigen Lebensstilinterventionen sollten nach den eben aktualisierten Leitlinien der Deutschen Diabetes-Gesellschaft frühzeitig durch eine orale antiglykämische Therapie ergänzt werden - in der Regel mit Metformin. Reicht dies nicht aus, ist eine frühe orale Kombinationstherapie indiziert, bei hohen HbA1c-Werten (≥ 7,5 %) auch eine Kombination mit Insulin. "Eine ‚Vieltabletten-Therapie' sollten wir nicht anstreben", sagte Schumm-Dräger.

Bei all diesen Maßnahmen ist darauf zu achten, Hypoglykämien und wesentliche Gewichtszunahmen zu vermeiden - auch wenn dies bedeutet, dass der HbA1c-Zielwert nicht ganz erreicht werden kann. "Nur Patienten mit einer noch nicht so lange bestehenden Erkrankung profitieren von einer strengen glykämischen Kontrolle - auch im Hinblick auf die kardiovaskulären Ereignisse", so Schumm-Dräger. "Wenn Sie zu einem späten Zeitpunkt aggressiv den Blutzucker senken, haben Sie eher Probleme als Vorteile für den Patienten."

sts

Quelle: Satellitensymposium "DPP-4-Hemmung - Neuigkeiten und praktische Erfahrungen" im Rahmen der Herbsttagung der Deutschen Diabetes-Gesellschaft (DDG), veranstaltet von der MSD Sharp & Dohme GmbH, Haar

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Pathophysiologisch orientiertes Therapiekonzept

Eine sehr elegante und sichere Therapieop tion zur Behandlung eines Typ-2-Diabetikers, dessen Blutzucker mit Lebensstilinterventionen und einer Metforminbehandlung nicht ausreichend kontrolliert ist, sind Substanzen, die in das Inkretinsystem eingreifen, meinte Prof. Petra-Maria Schumm-Dräger, München. Denn diese Substanzen sind ein sinnvolles, pathophysiologisch orientiertes Behandlungskonzept mit positiven Effekten auf die Betazelle auf funktioneller und morphologischer Ebene, ergänzte Dr. Robert Ritzel, Heidelberg.

Sitagliptin (Januvia®) beispielsweise, ein Hemmstoff der Dipeptidylpeptidase (DPP) 4, verbessert die Insulinfreisetzung aus den Betazellen, während die Glukagonausschüttung aus den Alphazellen des Pankreas vermindert wird. Damit ist die Substanz ein idealer Kombinationspartner für Metformin, das vor allem die Glukoseproduktion und die periphere Insulinresisitenz senkt. "Metformin scheint zudem die Freisetzung von GLP-1, dem ‚glukagon-like peptide 1' zu fördern", fügte Ritzel hinzu. In Kombination mit einem DDP-4-Hemmer, der die Degradation dieses Inkretinhormons inhibiert, ergibt sich so ein komplexes Wirkungsprinzip (z. B. Janumet®).

Dementsprechend hat auch die Deutsche Diabetes-Gesellschaft (DDG) Inkretinmimetika und DPP-4-Inhibitoren neben Acarbose, Glitazonen und Sulfonylharnstoffen auf die 2. Behandlungsstufe ihrer Leitlinien zur Therapie des Typ-2-Diabetes gestellt.

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Literatur

  • 01 Holmann RR . et al . N Engl J Med. 2008;  359 873-753
  • 02 No authors listed.  Lancet. 1998;  352 873-753
  • 03 ACCORD Study Group.  N Engl J Med. 2008;  358 2545-2559

01 United Kingdom Prospective Diabetes Study

02 Action to Control Cardiovascular Risk in Diabetes

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Literatur

  • 01 Holmann RR . et al . N Engl J Med. 2008;  359 873-753
  • 02 No authors listed.  Lancet. 1998;  352 873-753
  • 03 ACCORD Study Group.  N Engl J Med. 2008;  358 2545-2559

01 United Kingdom Prospective Diabetes Study

02 Action to Control Cardiovascular Risk in Diabetes