Pneumologie 2009; 63(10): 582-584
DOI: 10.1055/s-0028-1119517
Historisches Kaleidoskop

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Zur Geschichte der Internationalen Union gegen Tuberkulose und Lungenkrankheiten[1]

History of the IUATLDD.  A.  Enarson1 , A.  Rouillon1
  • 1Internationale Union gegen Tuberkulose und Lungenkrankheiten, Paris
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Dr. med. Robert Kropp

Das Deutsche Tuberkulose-Archiv e. V.

Liegnitzer Straße 5
36100 Petersberg

Email: dr.robert.kropp@gmx.de

Publication History

Publication Date:
19 February 2009 (online)

Table of Contents

Die Internationale Union gegen Tuberkulose und Lungenkrankheiten (offizielle Kurzbezeichnung „The Union”), ist die einzige internationale nicht-staatliche Organisation, die sich speziell mit der Tuberkulose befasst. Sie ist in ihrer Struktur, der Zusammensetzung ihrer Mitglieder und der Vielfältigkeit ihrer Aktivitäten außergewöhnlich.

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Die Wurzeln der Union, 1867 – 1914

Die Tuberkulose als Infektionskrankheit war Thema auf der ersten internationalen Konferenz medizinischer Fachkräfte 1867 in Paris. Weitere Konferenzen, die sich speziell mit der Tuberkulose beschäftigten, folgten 1888, 1891, 1892 und 1898 in Paris. 1899 wurde die Konferenz in Berlin ausgerichtet, und erstmals waren offizielle Vertreter sowohl von Regierungen als auch von nicht-staatlichen Organisationen anwesend. Die voneinander unabhängigen Entwicklungen der Heilstätten (1854), der Entdeckung des Tuberkuloseerregers (1882), der Gründung von Tuberkulosefürsorgestellen (1887), der Entwicklung der Freiwilligen-Bewegung (1890) und der wiederkehrenden Durchführung von Konferenzen riefen nach einer zentralen Institution zur Koordination und Verbindung. Das internationale Zentralbüro zur Bekämpfung der Tuberkulose wurde 1902 in Berlin eingerichtet, und das Lothringer Kreuz wurde als sein Symbol angenommen. Regelmäßige internationale Konferenzen, die klinische, Forschungs- und soziologische Aspekte der Tuberkulose zur Diskussion stellten, wurden bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges 1914 abgehalten.

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Gründung und Aufbau der Union, 1920 – 1939

1920 wurde eine Tuberkulosekonferenz nach Paris einberufen, an welcher 31 Staaten teilnahmen, darunter Australien, Bolivien, Brasilien, Chile, China, Kolumbien, Kuba, Guatemala, Japan, Panama, Paraguay, Iran und Thailand, neben denen aus Europa und Nordamerika. In einer beeindruckenden Prozession verpflichteten sich die Delegierten, einer nach dem anderen, „den Maßnahmen zur Bekämpfung der Tuberkulose zuzustimmen, eine Übereinkunft für die Strategie zu erreichen, vereint die wirksamsten Waffen einzusetzen, um diesen gemeinsamen Feind zu bekämpfen”; damit wurde die „International Union Against Tuberculosis” (damalige Abkürzung IUAT) in ihrer jetzigen Form konstituiert. Sie wurde als eine Föderation nationaler Vereinigungen konzipiert (130 bis 1999). Zehn internationale Konferenzen wurden bis 1939 abgehalten.

Zur Ergänzung der üblichen Konferenzprotokolle wurde 1923 ein formales Publikationsorgan initiiert. Während dieser Vorkriegszeit wurden im „Bulletin” Verwaltungsberichte und Statistiken (später von der Weltgesundheitsorganisation erstellt) veröffentlicht, gleichfalls Informationen über die Strategie und die Grundsätze des Kampfes gegen die Tuberkulose sowie Ergebnisse zahlreicher Erhebungen über spezifische Aspekte der Krankheit und ihrer Bekämpfung. Das Bulletin erschien bis Mitte 1940, die letzten Ausgaben enthielten die wesentlichen Berichte, die für die 11. Konferenz vorgesehen waren, welche im September 1939 in Berlin stattfinden sollte, in eben dem Monat, in dem der Zweite Weltkrieg begann.

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Der Wiederaufbau der Union, 1946 – 1961

1946, auf der ersten Zusammenkunft des Executive Committee nach dem Krieg, empfahl die Union den Planern der zukünftigen Weltgesundheitsorganisation (WHO) die „Errichtung einer durchsetzungsfähigen Tuberkulose-Abteilung”. Mit der WHO wurden dann offizielle Kontakte geknüpft, die bis heute bestehen.

Der ersten Konferenz nach dem Kriege 1950 in Kopenhagen, an der 43 Staaten teilnahmen, folgte eine Serie weiterer Konferenzen, bis zur 29. Weltkonferenz 1998 in Bangkok mit einer Beteiligung von 105 Ländern. Tagungen außerhalb Nordamerikas und Europas wurden 1952 in Brasilien, 1957 in Indien und 1959 in der Türkei abgehalten. Zusätzlich fand während dieses Zeitraumes eine Reihe internationaler Symposien statt, meist in Paris, auf denen verschiedene Themenkreise besprochen wurden, so unter anderen die Tuberkulose in Afrika, unterschiedliche Variabilität von BCG-Stämmen, Röntgenuntersuchungen auf Tuberkulose, neue Tuberkulosemedikamente und die Bedeutung von Freiwilligen-Organisationen.

Um die Verwaltung der wachsenden Organisation zu stärken, wurde 1952 die Vollzeitstelle eines „Executive Director” eingerichtet. Ein System für die anteiligen Mitgliedsbeiträge wurde beschlossen. Die US-amerikanische Vereinigung hat mit einem besonders hohen Anteil über Jahrzehnte einen bedeutenden Beitrag geleistet. Auch von den individuellen Mitgliedern wurden Beiträge erhoben. 1951 wurden wissenschaftliche Komitees gegründet; sie trafen sich jährlich für intensive Beratungen der sich entwickelnden Strategie zur Bekämpfung der Tuberkulose. 1953 wurden geographische Regionen eingerichtet, um in unmittelbarer Nähe der Probleme zu sein. 1958 wurde erstmals in der Geschichte der medizinischen Therapie eine internationale klinische Studie durchgeführt. Sie umfasste insgesamt 17 391 Patienten aus 17 Ländern, die auf eine Medikamentenresistenz untersucht wurden. Als nächstes begann 1960 eine kooperative kontrollierte klinische Studie zur Ermittlung der Wirksamkeit der Chemotherapie bei zuvor unbehandelten Patienten. In dieser Zeit wirkte die Union bei den jährlichen internationalen Kursen der WHO zur Tuberkulosebekämpfung in Istanbul, Prag, Rom und Caracas mit.

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Eine globale Perspektive, 1961 – 1978

1961 wurde auf Anregung von Executive Director Dr. Johannes Holm das „Mutual Assistance Program” in Gang gesetzt, um den Transfer von technischem Wissen, Hilfsmitteln und Informationen von industrialisierten zu kürzlich unabhängig gewordenen Ländern mittels der nationalen Vereinigungen in den Entwicklungsländern zu unterstützen. Später folgten „Wanderseminare” in Afrika, Ostasien und dem Mittleren Osten sowie, neben vielem anderem, Feldstudien in Mali, Sri Lanka, Peru und Indien.

In dieser Zeit konzentrierten sich die wissenschaftlichen Komitees weiterhin auf die Strategie zur Tuberkulosebekämpfung. Einige Beispiele dieser Aktivitäten werden im Folgenden genannt: 1961 untersuchten zwei internationale kooperative Studien die Testcharakteristiken des Lesens von 1099 Röntgenfilmen, die von 90 Spezialisten aus 7 Ländern und der WHO beurteilt wurden. Eine weitere Studie bewertete die mikroskopische Untersuchung von Sputumausstrichen. Seit 1965 untersuchte eine internationale kooperative Studie über Tuberkulin-Hauttestung 75 000 Kinder in 21 Ländern. Weitere kontrollierte klinische Untersuchungen hatten zum Thema Probleme bei vorbehandelten Patienten und den Vergleich täglicher nicht überwachter mit intermittierender überwachter Medikamentengabe. 1968 befasste sich eine Prüfung mit ungünstigen Reaktionen auf die BCG-Impfung, dabei wurden mehr als 10 000 Ereignisse analysiert. Gleichfalls wurde 1968 ein technischer Leitfaden für die Mikroskopie von Sputumausstrichen publiziert; die fünfte Auflage erschien 1999.

1965 wurde die „Tuberculosis Surveillance Research Unit” unter der Leitung von Dr. Karel Styblo etabliert. Sie erarbeitete einen Indikator der tuberkulösen Infektion und ihres Verlaufs über die Zeit in der Gesellschaft, trug zum Verständnis der Entwicklungstendenzen (unter Einschluss der Übertragungswahrscheinlichkeiten und der Risikofaktoren) bei und untersuchte die Bedeutung und Wirksamkeit verschiedener Bekämpfungsmaßnahmen. 1969 wurde in Zusammenarbeit mit dem damaligen „Communicable Disease Center” (CDC) der USA und mit sieben Mitgliedsländern in Osteuropa eine internationale Studie zur präventiven Chemotherapie fibrotischer Läsionen der Lunge mit einer Nachbeobachtungszeit von fünf Jahren bei 25 000 Individuen an die Hand genommen. 1973 wurde vorgeschlagen, den Auftrag der Union auf andere Lungenkrankheiten auszudehnen. Der Name der Organisation wurde allerdings erst 13 Jahre nach dieser Erweiterung geändert.

1975 erkannte Dr. Halfan Mahler, Generaldirektor der WHO, die entscheidende Bedeutung der Union bei der Bekämpfung der Tuberkulose öffentlich an. Zu Beginn des Jahres 1976 nahmen 18 nicht-staatliche Organisationen die Einladung der Union an, gemeinsam die Rolle zu erwägen, die sie bei primären Gesundheitsvorsorge-Programmen spielen könnten und sollten. Die hieraus resultierende Stellungnahme wurde 1978 auf der gemeinsamen internationalen UNICEF/WHO-Konferenz über Gesundheitsvorsorge im Gesundheitswesen in Alma Ata vorgestellt.

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Die Entwicklung eines Modells zum weltweiten Kampf gegen die Tuberkulose, 1978 – 1991

Auf ein Ersuchen des Gesundheitsministers von Tansania regte die Union 1978 die Einsetzung eines nationalen Tuberkulose-Programms an, unter der Leitung der Regierung und mit Unterstützung und Koordination der Union. Dieser Vorschlag war die Basis eines neuen Technical Assistance Programms der Union und wurde 1979 die Grundlage der ersten Auflage des Tuberkulose-Leitfadens. Diese Art der Unterstützung wurde nach und nach auf neun arme Länder ausgedehnt und bildete die Basis der derzeitigen DOTS-Strategie der WHO.

1981 entschied die Union als erste Organisation, ihre Zusammenkünfte als Nichtraucher-Konferenzen einzurichten. 1982 wurde die Jahrhundertfeier von Robert Kochs Entdeckung der Ätiologie der Tuberkulose während der 25. Konferenz in Buenos Aires gefeiert und die Koch-Medaille an Dr. Johannes Holm und Dr. Wallace Fox verliehen. Im selben Jahr wurde nach einem Vorschlag der Tuberkulose-Vereinigung von Mali der Welt-Tuberkulose-Tag für den 24. März jeden Jahres eingeführt. 1984 wurde die Union offiziell bei USAID registriert, ein sehr seltenes Privileg für eine Organisation außerhalb der USA. Die Union änderte 1986 offiziell ihren Namen in „International Union Against Tuberculosis and Lung Disease” (IUATLD), um die Einbeziehung anderer Lungenkrankheiten in ihren Aufgabenkatalog zu dokumentieren. 1987 traf sich eine Delegation der Union mit Vertretern der WHO, um anzuregen, sich mit den negativen Auswirkungen der Ausbreitung von HIV auf die Tuberkulosesituation auseinanderzusetzen, die sich in den von der Union technisch unterstützten nationalen Bekämpfungsprogrammen zunehmend bemerkbar machen. 1989 war die „Burden of Health”-Studie, die von der Harvard Universität durchgeführt wurde, von zentraler Bedeutung, um die günstige Kosten-Nutzen-Relation des Union-Modells zu zeigen; dies war hilfreich, Planer und Politiker zu überzeugen, die Strategie als Teil der allgemeinen Gesundheitsdienste zu akzeptieren.

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Ein weltweiter Kampf, 1991 – heute

Die Grundsätze des Modells „Nationales Tuberkulose-Programm”, die 1991 anlässlich der Pensionierung Dr. Styblos beschrieben wurden, wurden in der Folge als die „DOTS”-Strategie spezifiziert und zur offiziellen Strategie der WHO. Im selben Jahr wurde der internationale Tuberkulose-Ausbildungslehrgang der Union erstmals in Arusha, Tansania, abgehalten, um den Teilnehmenden die Prinzipien des Tuberkulose-Bekämpfungsmodells praktisch nahe zu bringen. Zwischen 1993 und 1996 wurden die Aktivitäten der Union für Schulung und technische Hilfe von einer großenteils afrikanischen zu einer weltweiten Aufgabe erweitert.

So fanden beispielsweise bereits um 1998 Feldprojekte in 10 ostasiatischen, 10 afrikanischen, 15 europäischen, 8 lateinamerikanischen, 2 nordamerikanischen Ländern und 5 Staaten im Nahen Osten statt. Das Netz der Grundkurse der Union in der wissenschaftlichen Basis der Tuberkulosebekämpfung für Manager in nationalen Tuberkuloseprogrammen umfasste Tansania, Benin, Nikaragua und Vietnam, und Kurse über Forschungsmethoden wurden in der Türkei, Kenia, Südafrika, Mexiko, Chile, Argentinien, Brasilien, Peru, Malaysia und China gehalten. Während dieser Periode wurden mehr als eine Million Tuberkulosepatienten nach den kooperativen Programmen der Union versorgt. 1998 verband sich die Union mit der WHO und anderen internationalen Partnern, um die „Stop TB”-Initiative zu entwerfen, in der Hoffnung, die Prinzipien der modernen Tuberkulosebekämpfung auf alle Länder der Welt ausdehnen zu können.

Diese Aktivitäten wurden durch Geldmittel ermöglicht, die der Union von wohlhabenderen Organisationen und von Regierungen mehrerer industrialisierter Staaten anvertraut worden waren.

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Charakteristika der Union

Die kennzeichnenden Merkmale der Union sind, neben ihrer Universalität, ihrer solidarischen Haltung und ihrer Toleranz, ihr kontinuierliches Streben nach Qualität und ihre Unabhängigkeit. Dank dieser Eigenschaften schenkt sie der internationalen Gemeinschaft einen unschätzbaren Wert, nämlich ihre führende Rolle bei der Planung, Förderung und Prüfung neuer Entwicklungen. Sie bietet eine neutrale Plattform für internationale Kooperation, Informationsaustausch, Freundschaft, gegenseitige Achtung und Ausbildung und einen Abbau von Vorurteilen. Sie unterhält nicht nur ein Programm wissenschaftlicher Konferenzen und Publikationen, sondern auch ein Aktionsprogramm für Gesundheit in der Gesellschaft, welches technische Hilfe, Schulung und Forschung zum Inhalt hat. Die damalige Generaldirektorin der WHO, Dr. Gro Harlem Brundtland, umriss die Zukunft in der folgenden Erklärung an die 51. Sitzung der WHO 1998 in Genf: „Wir müssen uns aktiv um die Zusammenarbeit mit der Gemeinschaft der nicht-staatlichen Organisationen bemühen. Deren Reichweite geht oft über die jeder offiziellen Behörde hinaus. Wo wäre unser Kampf gegen Lepra, Tuberkulose oder Erblindung ohne die nicht-staatlichen Organisationen?”

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1 Dieser Artikel erschien zuerst in Centers for Disease Control and Prevention, TB Notes 2000; 1: 33 – 37.
Den Autoren sei für die Erlaubnis zum Nachdruck ihres Artikels herzlich gedankt.
Die Übersetzung aus dem Englischen besorgten Dr. med. Robert Kropp und PD Dr. med. Hans L. Rieder, MD, MPH.

Dr. med. Robert Kropp

Das Deutsche Tuberkulose-Archiv e. V.

Liegnitzer Straße 5
36100 Petersberg

Email: dr.robert.kropp@gmx.de

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1 Dieser Artikel erschien zuerst in Centers for Disease Control and Prevention, TB Notes 2000; 1: 33 – 37.
Den Autoren sei für die Erlaubnis zum Nachdruck ihres Artikels herzlich gedankt.
Die Übersetzung aus dem Englischen besorgten Dr. med. Robert Kropp und PD Dr. med. Hans L. Rieder, MD, MPH.

Dr. med. Robert Kropp

Das Deutsche Tuberkulose-Archiv e. V.

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36100 Petersberg

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