Dtsch Med Wochenschr 2009; 134(5): 201
DOI: 10.1055/s-0028-1123979
Kommentar | Commentary
Geburtshilfe, Hypertonologie
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Hypertensive Schwangerschaftserkrankungen

Eine bedrohliche Erkrankung für Mutter und Kind von interdisziplinärer BedeutungHypertension in pregnancyA serious disease of interdisciplinary impactW. Rath1
  • 1Gynäkologie und Geburtshilfe, Medizinische Fakultät der RWTH Aachen
Further Information

Publication History

eingereicht: 18.11.2008

akzeptiert: 27.11.2008

Publication Date:
29 January 2009 (online)

Dank einer intensiven Schwangerenvorsorge, Verbesserung der antenatalen Diagnostik und einer engen interdisziplinären Kooperation konnte die mütterliche und kindliche Morbidität und Mortalität hypertensiver Schwangerschaftskomplikationen (HES) in den letzten 20 Jahren deutlich gesenkt werden. Am Beispiel des HELLP-Syndroms wird deutlich, dass eine intensive Bewusstseinsprägung („HELLP needs help!”) aller Fachdisziplinen die Prognose von Mutter und Kind verbessert hat. Insbesondere bei persistierenden Oberbauchschmerzen in der Schwangerschaft wird heute früher an das HELLP-Syndrom gedacht, dies ermöglicht eine rasche Diagnosestellung durch ein laborchemisches Screening und eine unverzügliche Therapie, die vielen Müttern und Kindern das Leben gerettet hat.

Die Beratung und Betreuung risikobelasteter Frauen beginnt heute bereits vor der Schwangerschaft. Vorbestehende kardiovaskuläre, renale oder Autoimmunerkrankungen sowie sekundäre Hypertonieformen sollten bereits präkonzeptionell internistisch abgeklärt und im Hinblick auf den Verlauf der Schwangerschaft beurteilt werden; die daraus resultierenden Befunde und Empfehlungen sind für den behandelnden Geburtshelfer unverzichtbar. Im Mittel einer „antizipierenden” Schwangerenvorsorge stehen: das frühzeitiges Erfassen von Risikofaktoren (Eigen- und Familienanamnese) mit der Abschätzung des Wiederholungsrisikos nach vorangegangener HES, die Berücksichtigung begleitender Grunderkrankungen (u. a. chronische Hypertonie, Diabetes) sowie befundeter Schwangerschaftsrisiken (z. B. Geminigravidität), eine sorgfältige Bewertung spezifischer Symptome, gezielte Labordiagnostik (u. a. Hämoglobin, Hämatokrit, Thrombozytenzahl) sowie die apparative Überwachung der Schwangerschaft durch Sonographie und Dopplersonographie (Früherkennung einer intrauterinen Wachstumsrestriktion, IUGR).

Als derzeit zuverlässigstes prognostisches Kriterium für die spätere Entwicklung einer Präeklampsie/IUGR gilt die Dopplersonographie der uterinen Arterien spätestens in der 22. – 24. SSW (bilateraler Notch: Sensitivität 95 %, Spezifität: 69 %). Ca. 60 % der Schwangeren mit pathologischem Uterinadoppler entwickeln eine Präeklampsie und/oder IUGR. Die orale Gabe von 100 mg Aspirin pro Tag ab der Frühschwangerschaft (bis ca. 36. SSW) gilt als einzig sinnvolle Präventionsoption bei Risikofaktoren für eine Präeklampsie, nicht aber bei allen Schwangeren: Senkung des Präeklampsierisikos um ca. 20 % und der perinatalen Mortalität um 16 %.

Die Frage, ob eine ambulante Betreuung hypertensiver Schwangerer möglich oder eine stationäre Abklärung nötig ist, bedarf einer sorgfältigen und individuellen Risiko-Nutzen-Abwägung unter Berücksichtigung der „Compliance” der Schwangeren. Die Indikationen zur stationären Abklärung/Aufnahme sollten jedem Frauenarzt in der Praxis bekannt sein, da eine unterlassene oder zu späte stationäre Zuweisung zunehmend Gegenstand medico-legaler Auseinandersetzungen ist. Jede geburtshilfliche Klinik, die präeklamptische Schwangere behandelt, muss über ein Schema der Diagnostik und Therapie von HES verfügen, das jedem Arzt und jeder Hebamme bekannt ist (z. B. Kreißsaalmanual, gängige Leitlinien).

Das Dilemma der antihypertensiven Therapie ist einerseits die bisher nicht Evidenz-basierte Definition, ab welchen Blutdruckwerten eine antihypertensive Therapie eingeleitet werden sollte und die bisher unzureichend untersuchten Auswirkungen (Langzeitfolgen) antihypertensiver Maßnahmen auf das Kind, andererseits die Tatsache, dass seit mehr als 30 Jahren keine neuen innovativen Antihypertensiva für die Behandlung des Schwangerschaftshochdrucks zugelassen wurden und offenbar von Seiten der Industrie auch kein Interesse daran besteht. Dementsprechend ergibt sich für den Geburtshelfer das Problem des Off-label-use und dessen Folgen insbesondere beim Einsatz potenter Antihypertensiva wie Nifedipin und Urapidil. Gegenstand derzeitiger Diskussion ist, ob auch bei milder Präeklampsie die Gabe von Magnesiumsulfat zur Konvulsionsprophylaxe zu empfehlen ist. Eine klinische Orientierungshilfe gibt die kürzlich erschienene Leitlinie AWMF 015/018, 2007.

Im Wochenbett sollte bei schwieriger Blutdruckeinstellung ein versierter Internist zu Rate gezogen werden. Bei Schwangeren mit Präeklampsie ist nach Abschluss des Wochenbettes eine internistische (nephrologische) Nachuntersuchung zu fordern, um eine über die Schwangerschaft hinaus gehende Hypertonie sowie Nieren- und kardiovaskuläre Erkrankungen rechtzeitig zu erkennen. Aufgrund des erhöhten Risikos für spätere zerebrokardiovaskuläre Erkrankungen (z.B. 51% chronische Hypertonien 15 Jahre nach Präeklampsie im Vergleich zu 14% nach normotensiven Schwangerschaften) sollten betroffene Frauen systematisch Präventionsprogrammen zugeführt werden, ein lohnenswertes Ziel zukünftiger Medizin. Die Bedeutung der Präeklampsie der Mutter und/oder der IUGR für das Leben des Kindes ist Gegenstand intensiver Forschung.

Prof. Dr. med. Werner Rath

Gynäkologie und Geburtshilfe, Medizinische Fakultät /Universitätsklinikum Aachen

Wendlingweg 2

52074 Aachen

Phone: 0241/808-0884

Fax: 0241/808-2711

Email: wrath@ukaachen.de

    >