Einleitung
Der Lichen ruber (planus) (LR) ist eine subakute bis chronisch entzündliche papulöse
Dermatose mit typischer Klinik und Histologie unbekannter Genese. Eine immunologische
hypergische Reaktion gegen unbekannte Antigene auf Keratinozyten, die teilweise solchen
auf viral induziert veränderten Hepatozyten gleichen könnten, wird als möglicher Pathomechanismus
vermutet [1 ]. Eine erhöhte Prävalenz von 6 % bei Patienten mit Hepatits-C-Virus (HCV)-Infektion
wurde berichtet. Diese erhöht sich auf 17 % bei Patienten unter Interferon (IFN)-Therapie
dieser Infektion [2 ]
[3 ]. Dagegen wurde nur in Einzelfällen das Auftreten eines LR unter IFN-Therapie ohne
gleichzeitige HCV-Infektion beobachtet [4 ].
Wir berichten hier über einen HCV-negativen Patienten mit einem Malignen Melanom im
Stadium II b, bei dem drei Monate nach Beginn einer adjuvanten Low-dose-Interferon-Therapie
mit IFN-alpha 2a (Roferon A® ) ein exanthematischer LRP des oberen Stammes auftrat.
Kasuistik
Wir berichten über einen 73-jährigen Patienten, bei dem eine adjuvante Low-dose-Therapie
mit 3 × wöchentlich 3 Mio. IE IFN-alpha 2a (Roferon A® ) s. c. wegen eines zwei Monate zuvor außerhalb primär und nachexzidierten Malignen
Melanoms Stadium II b begonnen wurde. Der Tumor war am linken Unterarm lokalisiert,
die Tumordicke nach Breslow betrug 2,6 mm mit Mikroulzeration, der Invasionslevel
nach Clark wurde mit IV angegeben. Eine Sentinel-Lymphknotenbiopsie wurde wegen des
zu großen Zeitabstandes zur Exzision und des großen Sicherheitabstandes von allseits
2 cm nicht mehr durchgeführt.
Etwa drei Monate nach Beginn der IFN-Terapie kam es zum exanthematischen Auftreten
juckender monomorpher erythematöser etwas hyperkeratotischer Papeln von bis zu 1 mm
Durchmesser am vorderen und hinteren oberen Stamm. Einige einzelne Herde wiesen eine
spiegelnde Oberfläche auf oder waren angedeutet polygonal ([Abb. 1 ]). Das sonstige Integument und die Übergangsschleimhäute fanden sich frei.
Abb. 1 Lichen ruber exanthematicus, der sich bei einem 73-jährigen Patienten ca. 3 Monate
nach Beginn einer adjuvanten Low-dose-IFN-alpha 2a-Therapie wegen eines Malignen Melanoms
entwickelte. Im Bereich der oberen Flanke finden sich disseminiert multiple erythematöse
hyperkeratotische Papeln von meist unter 1 mm Durchmesser, z. T. mit spiegelnder Oberfläche
und angedeutet polygonaler Konfiguration. Nebenbefundlich finden sich multiple, typische
bräunliche und hyperkeratotisch breit aufsitzende seborrhoische Keratosen mit bis
zu 1 cm Durchmesser.
Auch zum Ausschluss einer Psoriasis punctata, deren Auftreten unter einer IFN-Therapie
nicht ungewöhnlich wäre [5 ], sowie eines Morbus Darier führten wir eine Probebiopsie vom oberen Rücken durch.
Die Epidermis fand sich unregelmäßig verschmälert und von sägezahnartiger Konfiguration
mit Hyperorthokeratose. Das Stratum granulosum fand sich teilweise prominent, das
Stratum basale fast vollständig aufgehoben mit zahlreichen Zytoidbodys. Im angrenzenden
Korium stellte sich ein lockeres bandförmiges lichenoides lymphohistiozytäres Infiltrat
sowie Pigmentinkontinenz dar ([Abb. 2 ]). Zusammenfassend wurde die histologische Diagnose eines teilweise atrophen Lichen
ruber gestellt.
Abb. 2 Histologisches Präparat (HE-Färbung, 100-fache Vergrößerung) von klinisch typischem
Herd: Die Epidermis findet sich unregelmäßig verschmälert und von sägezahnartiger
Konfiguration mit Hyperorthokeratose. Das Stratum granulosum ist teilweise prominent,
das Stratum basale fast vollständig aufgehoben mit zahlreichen Zytoidbodys. Im angrenzenden
Korium stellt sich ein lockeres bandförmiges lichenoides lymphohistiozytäres Infiltrat
sowie Pigmentinkontinenz dar. Diagnose: teilweise atropher Lichen ruber.
Serologisch konnte eine frühere bzw. bestehende Hepatitis A-, B- oder C-Virus-Infektion
ausgeschlossen werde (HAV-IgM-, HBc- IgM, HCV-Antikörper, HBs-Antigen jeweils negativ).
Die Hauterscheinungen sprachen unter fortgesetzter adjuvanter IFN-Therapie des Malignen
Melanoms auf topische Kortikosteroide über neun Monate kaum an. Bei Staging-Untersuchungen
in dreimonatigen Abständen fand sich kein Anhalt für ein Rezidiv des Malignen Melanoms.
Diskussion
Das Neuauftreten eines LR unter einer IFN-Therapie wurde mit Ausnahme von Patienten,
die diese wegen einer Virus-Hepatitis erhielten, nur in wenigen Fällen mit meist hämatologischen
Neoplasien berichtet. Unseres Wissens ist bislang nur ein einziger Fall eines LR unter
adjuvanter IFN-Therapie eines Malignen Melanoms beschrieben worden. Dieser Patient
erhielt wegen einer axillären Lymphknotenmetastasierung (Stadium III) nach operativer
Ausräumung eine IFN-Hochdosistherapie nach Kirkwood mit IFN-alpha 2b (Intron A® ) in einer Dosis von 10 Mio. IE fünf bzw. dreimal wöchentlich. Drei Monate nach Therapiebeginn
entwickelte der Patient disseminierte pruritische erythematöse Papeln an den Handwurzelgelenken,
den Unterarmen und Fußrücken sowie eine retikuläre weißliche Zeichnung der Wangenschleimhaut.
Die Diagnose eines LR wurde histologisch gesichert. Virusserologien (HBV, HCV, EBV,
CMV) waren negativ. Unter einer systemischen Kortikosteroidtherapie kam es trotz fortgesetzter
IFN-Therapie zu einer weitgehenden Besserung der Hautveränderungen. Trotz planmäßiger
Beendigung der Hochdosis-IFN-Therapie nach 12 Monaten Dauer kam es danach noch zum
Neuauftreten einzelner, weitgehend asymptomatischer LR-Herde [4 ].
Unser Fall stellt unseres Wissens den ersten publizerten Fall des Neuauftretens eines
LR unter einer adjuvanten Low-dose-IFN-Therapie wegen Malignen Melanoms dar. Das erstmalige
Auftreten der LR-Hautveränderung lag ebenfalls etwa 3 Monate nach Therapiebeginn.
Im Unterschied zum vorbeschriebenen Fall fand sich jetzt keine klassische Lokalisierung
der LR-Herde an den Prädilektionsstellen, sondern ein exanthematischer Befall des
oberen Stamms. Eine Schleimhautbeteiligung fand sich ebenfalls abweichend hiervon
in unserem Fall nicht.
Eine topische Kortikosteroidtherapie erwies sich in unserem Fall als wenig effektiv,
während systemische Steroide im vorbeschrieben Fall – zumindest vorübergehend – gut
wirksam waren. Wir verzichteten aber wegen der Tumorerkrankung auf eine systemische
immunsuppressive oder eine PUVA-Therapie. Auf eine systemische Retinoidtherapie verzichteten
wir wegen Leberenzymerhöhungen unter der IFN-Therapie.
Das Neuauftreten oder die Exazerbation von vermutlich teilweise autoimmunologisch
induzierten entzündlichen Hauterkrankungen wie Psoriasis vulgaris [6 ] und Vitiligo [7 ] unter adjuvanter IFN-Therapie des Malignen Melanoms ist bekannt und nicht selten.
Dagegen erscheint die Induktion eines LR hierunter ein deutlich selteneres Ereignis
zu sein, an das jedoch gedacht werden sollte und das gegebenenfalls durch eine Probebiopsie
gesichert bzw. ausgeschlossen werden sollte.