Einleitung
Einleitung
Allergische Alveolitiden durch Impfungen (oder Impfstoffe) sind noch nicht lange bekannt
und große Raritäten. Erste Fallberichte über eine allergische Alveolitis nach intravesikaler
BCG (Bacille Calmette-Guerin)-Applikationen erfolgten 1987 und 1992 [1]
[2]. Später folgten je eine Beschreibung einer Alveolitis durch Impfung mit Hepatitis-B-Impfstoff
[3], Masern-Impfstoff [4] und Anthrax-Impfstoff [5].
Eine exogen-allergische Alveolitis (EAA) nach Influenza-Impfung wurde bisher erst
ein einziges Mal beschrieben [6]. Wir präsentieren hier einen zweiten, weitaus schwereren Fall, bei dem erstmalig
gezeigt wird, dass diese Immunreaktion mit einem IgG-Antikörper im Serum gegen das
Grippevirus selbst assoziiert ist.
Fallbericht
Fallbericht
Bei einer 59-jährigen Patientin wurde vor 12 Jahren eine exogen-allergische Alveolitis
auf Sittiche (Vogelhalterlunge) diagnostiziert.
Trotz weitgehender Allergenkarenz und wechselnder Kortisonmedikationen kam es klinisch,
lungenfunktionell und auch computertomografisch zu einem langsamen Progress der Erkrankung
im Sinne einer chronischen EAA.
Begleitende serologische Untersuchungen vor Evaluation zur Lungentransplantation ergaben
eine chronische Hepatitis-B-Infektion mit niedriger Viruslast. Die Leberwerte waren
unauffällig. Die Lebersyntheseleistung der Patientin war komplett erhalten. Medikamentös
bestand eine Prednisolon-Dauertherapie mit 10 mg/d.
Eine Sauerstofflangzeit-Therapie (LTOT) wurde seit 2007 durchgeführt. Entsprechend
den Empfehlungen der DGP erfolgten jährliche Grippeschutzimpfungen. Nur 2007 hatte
die Patientin auf die Impfung verzichtet, da sie im Jahr 2006 vorübergehend über Arthralgien
und Unwohlsein nach der Impfung gelitten hatte.
Sechs Tage nach der diesjährigen Grippeschutzimpfung mit Begrivac® traten zunächst Gelenkschmerzen, dann Atemnot und Fieber um 38 °C auf. Wegen zunehmender
klinischer Verschlechterung erfolgte nach zehn Tagen die stationäre Aufnahme. Die
Patientin war inzwischen zyanotisch und ikterisch. Beidseits über den Lungen war inspiratorisch
Knistern auskultierbar. Die Leukozyten waren mit 12,6/nl erhöht. Das CRP stieg auf
maximal 232,5 mg/l. Weiter pathologisch erhöht waren GOT mit 51 U/l, GPT mit 90 U/l,
Gamma-GT mit 417 U/l, AP mit 472 U/l, Bilirubin mit 5,7 mg/dl und LDH mit 520 U/l.
Als Marker der Herzinsuffizienz erfasste man eine vorübergehende Erhöhung des ProBNP
auf maximal 10606 pg/ml (normal bis 220 pg/ml).
Es bestand eine schwere respiratorische Partialinsuffizienz mit einem pO2 von 45 mmHg trotz Gabe von 8 l O2/min über eine Nasensonde.
Das computertomografische Bild war gekennzeichnet durch ausgedehnte milchglasartige
Infiltrate mit sowohl zentraler als auch peripherer Verteilung unter Freilassung einzelner
landkartenartiger regelrecht transparenter Lungenareale ([Abb. 1 a]). Alveoläre Infiltrate fanden sich betont in den Lungenober- und unterfeldern ([Abb. 1 b]).
Abb. 1 a Das computertomografische Bild zeigt ausgedehnte milchglasartige Infiltrate mit sowohl
zentraler als auch peripherer Verteilung unter Freilassung einzelner landkartenartiger
regelrecht transparenter Lungenareale. b Alveoläre Infiltrate fanden sich betont in den Lungenober- und unterfeldern.
CT-Thorax und Echokardiographie wiesen auf eine pulmonale Hypertonie hin. Im Rahmen
der Rechtsherzdekompensation fanden sich beidseits geringe Pleuraergüsse. Die linksseitigen
Herzhöhlen waren normal groß, sodass ein kardiales Ödem ausgeschlossen schien. Auf
eine bronchoalveoläre Lavage wurde aufgrund der Schwere des Krankheitsbildes verzichtet.
Die Patientin musste über ca. eine Woche nicht-invasiv beatmet werden. Zusätzlich
verordneten wir hochdosiert Prednisolon 100 mg/d, eine Antibiotikatherapie mit Tazobactam® (3 × 4,5 g pro Tag) sowie niedrig dosiert Diuretika. Hierunter kam es sowohl klinisch
als auch computertomografisch innerhalb von 2 Wochen zu einer Besserung. Die Milchglastrübungen
waren deutlich rückläufig, die Pleuraergüsse nicht mehr nachweisbar. Die Laborparameter
waren kontinuierlich rückläufig und normalisierten sich mit Ausnahme der alkalischen
Phosphatase (105 U/l) und Gamma-GT (110 U/l). Die LTOT konnte auf den prästationären
Bedarf von 3 l/min reduziert werden. Die Entlassung erfolgte mit einer Prednisolondosis
von zunächst 20 mg/d.
Techniken der Antikörpernachweise
Techniken der Antikörpernachweise
Die IgG-Antikörper der Patientin und der Kontrollpersonen wurden in üblicher Weise
mittels Festphasen-ELISA nachgewiesen [7]. Der Grippeimpfstoff Begrivac® wurde 1 : 1000 mit Coating-Puffer (0,1 molarer Na-Carbonat-Puffer pH 9,6) verdünnt.
Je eine Probe dieser Verdünnung wurde in MaxiSorpTM–Näpfchen in Mikrotiterplatten (Fa. Thermo Fisher Scientific, Schwerte) gefüllt, damit
sich der Grippeimpfstoff bei einer Inkubationszeit von 24 Stunden an die Wände dieser
Gefäße bindet (coating). Überschüssiges Antigen wurde anschließend mit PBS dreimal
ausgewaschen. Die Antigen beschichteten Näpfchen wurden im üblichen IgG-Festphasen-ELISA
mit Peroxidase im Allercoat-System® bei 37 °C verwendet. Als Kontrollen wurden jeweils 12 Seren von Grippe geimpften
und nicht Grippe geimpften Personen verwendet.
Die IgG-Antikörper gegen Nymphensittich- und Wellensittichserum wurden mit derselben
Technik nachgewiesen.
Die IgE- und IgG-Antikörper gegen Hühnerei-Eiweiß wurden mittels CAP FEIA der Fa.
Phadia gemessen.
Ergebnisse der Antikörperuntersuchungen
Ergebnisse der Antikörperuntersuchungen
Bei der ersten Untersuchung im Jahre 1996 wurden bei einer klinisch manifesten Vogelhalterlunge
mit Sittichen stark positive IgG-Antikörper-Spiegel sowohl gegen Nymphensittichserum
als auch gegen Wellensittichserum nachgewiesen. Eine Kontrolluntersuchung im Jahr
2000, nach inkonsequenter Allergenkarenz (die Patientin gab Kontakt zu anderen Sittichhaltern
an), ergab mittelstark positive IgG-Antikörper gegen Nymphensittich und schwach positive
IgG-Antikörper gegen Wellensittich sowie gegen die Schimmelpilze Aspergillus fumigatus
und Aspergillus terreus, Aureobasidium pullulans, Cephalosporium acremonium und Cryptostroma
corticale.
Jetzt, nach weitgehender Vogelkarenz, waren nur noch fraglich positive Antikörper
gegen Nymphensittichserum nachweisbar. Gegen Huhnserum und Hühner-Ei waren weder IgG-
noch IgE-Antikörper nachweisbar, sodass keine Hühnereiweiß-Allergie vorlag.
Im IgG-ELISA auf den Grippeimpfstoff (Begrivac®) reagierte das Serum der Patientin eindeutig stark positiv im Vergleich zu den Kontrollen
([Abb. 2]).
Abb. 2 IgG-Antikörper gegen Influenza-Impfstoff der Patientin, geimpften und nicht-geimpften
Kontrollpersonen.
Diskussion
Diskussion
Die Diagnosekriterien einer exogen-allergischen Alveolitis sind bei der Patientin
bei einem eindeutigen Zusammenhang mit einem kausalen Antigen, der charakteristischen
klinischen Symptomatik, mit Rasselgeräuschen, den typischen Laborbefunden einer Leukozytose
und einem erhöhten CRP, einem typischen Röntgenbefund mit Milchglastrübung (s. [Abb. 1]) und einer schweren Diffusionsstörung sowie dem Nachweis stark positiver IgG-Antikörper
eindeutig erfüllt [8].
Die respiratorische Insuffizienz war bei unserer Patientin noch ausgeprägter als bei
der Erstbeschreibung [6], sodass in beiden Fällen eine hochdosierte Sauerstoffgabe, in unserem Fall sogar
die nicht-invasive Beatmung, erforderlich wurde.
Die Ursache für die Pleuraergüsse, den Anstieg der Leberparameter und des ProBNP ist
im Rahmen der akuten massiven Rechtsherzdekompensation zu sehen.
Bei der Erstbeschreibung einer EAA nach Grippeschutzimpfung traten die Symptome bei
dem Patienten erst 10 Tage nach der Impfung auf [6] und nicht wie bei unserer Patientin bereits nach 6 Tagen. Auch bei einer allergischen
Pneumonitis auf eine Hepatitis-B-Impfung trat die pulmonale Reaktion erst zwei Tage
nach der Impfung auf [3]. Diese langen Latenzzeiten zwischen Antigenkontakt und dem Beginn der Symptome sind
bei der exogen-allergischen Alveolitis durch inhalative Antigene nicht bekannt. Hier
beträgt die Latenzzeit in der Regel 4 – 6 Stunden bis maximal 12 Stunden [9]. Von medikamentös ausgelösten allergischen Alveolitiden wie bei der Amiodaron-Lunge
ist der Zeitpunkt der Sensibilisierung nie bekannt. Erst die einsetzende Atemnot und
die Kenntnis eines möglichen derartigen Zusammenhangs lenkt den Verdacht auf eine
Immunreaktion durch Medikamente. Bei der bekannten chronischen Vogelhalterlunge der
Patientin war das Immunsystem der Lunge zum Zeitpunkt der Impfung hochreguliert und
damit wahrscheinlich empfänglich für eine neuerliche Sensibilisierung nach mehrfachen
Grippeimpfungen gegen das Grippevirus. Dass eine allergische Alveolitis die Immunzellen
der Lunge langfristig verändert, dafür spricht die meist zu beobachtende persistierende
Lymphozytose in der bronchoalveolären Lavage. Selbst unter Allergenkarenz bleibt die
Lymphozytose noch über viele Jahre bestehen und schwächt sich nur langsam ab [10], abhängig von der Expositionsprophylaxe.
Selbst asymptomatische Personen mit IgG-Antikörpern gegen EAA-Antigene weisen oft
eine, wenn auch weniger stark ausgeprägte BAL-Lymphozytose auf [9]
[10]. Interessanterweise wies der Patient der bislang einzigen Beobachtung einer Grippeschutzimpfung
induzierten Alveolitis einen IgG-Antikörper gegen Taubenprotein auf, ohne dass bei
ihm vor der Impfung EAA-Symptome existiert hätten. Somit ist auch bei ihm von einem
hochregulierten pulmonalen Immunsystem auszugehen, das auf die Impfung in der genannten
Weise reagieren kann.
Aus der Literatur ist auch das Auftreten einer Autoimmunerkrankung nach Grippeimpfung
wie der ANCA assoziierten mikroskopischen Polyangiitis bekannt. Die Immunreaktion
erfolgte erst 7 Tage nach der Impfung [11], ein weiterer Beleg für die benötigte Zeit bei hämatogener Sensibilisierung durch
den Grippeimpfstoff.
Bei einer Latenzzeit von über einer Woche wird vom diagnostizierenden Arzt sicherlich
selten ein Zusammenhang zwischen der Impfung und den pulmonalen Krankheitssymptomen
vermutet. Man darf deshalb spekulieren, dass eine beachtenswerte Dunkelziffer bei
den von Impfungen hervorgerufenen allergischen Alveolitiden existiert. In Kenntnis
dieses Zusammenhangs scheint es wichtig, auf die Möglichkeit derartiger unerwünschter
Immunreaktionen von Impfstoffen aufmerksam zu machen. Die EAA-Arbeitsgemeinschaft
wird sich im nächsten Jahr dieses Themas annehmen.
Das ursächliche Antigen für die allergische Reaktion unserer Patientin auf den Grippeimpfstoff
war das Grippevirus selbst, da IgE- und IgG-Antikörper gegen das Hühnereiweiß in dem
Grippeimpfstoff nicht nachweisbar waren. Die IgG-Antikörper gegen das verwandte Nymphensittichserum
waren zur Zeit der allergischen Reaktion nur noch schwach nachweisbar.
Bei der Erstbeschreibung durch Johnston waren keine Untersuchungen auf Influenza-Antikörper
erfolgt. Somit bleibt unklar, ob sich die Immunreaktion der ersten Fallbeschreibung
gegen Hühnereiweiß oder gegen das Influenzavirus gerichtet hatte.
Der Nachweis von IgG-Antikörpern gegen Vogelproteine in beiden Fallbeschreibungen
scheint ein zusätzlicher Risikofaktor für das Auftreten von Alveolitiden nach Grippeschutzimpfungen
zu sein.
Die Erstbeschreiber der Grippeimpfstoff-Alveolitis berichten, dass den britischen
Gesundheitsbehörden zwei weitere, nicht publizierte Fälle bekannt seien [6]. Das deutsche Paul Ehrlich Institut teilte uns nach unserer Nebenwirkungsmeldung
mit, dass dem Institut bisher in Deutschland kein einziger gemeldeter Fall einer interstitiellen
Pneumonie nach Grippeimpfung bekannt sei.
Weitere Untersuchungen von Patienten mit Vogelhalterlunge auf die Verträglichkeit
der Grippeimpfung sind nach der Kenntnis dieser beiden mitgeteilten lebensbedrohlichen
Lungenreaktionen von großer Bedeutung für die Arzneimittelsicherheit.
Interessanterweise reagierte unsere Patientin auf die vorhergehende Impfung bereits
mit Gelenkbeschwerden. Da bei anderen Impfungen wie beispielsweise der Tetanus-Impfung
erhöhte IgG-Antikörpertiter gegen den Impfstoff (hohe Impftiter) mit Unverträglichkeiten
auf Impfungen assoziiert sind, ist zu vermuten, dass auch hier die Bestimmung des
Impftiters vor einer Grippeimpfung einen Beitrag zur Arzneimittelsicherheit liefern
könnte, d. h. bei hohem Impftiter müsste von der Grippeimpfung abgesehen werden.
Der hier vorgestellte Fall zeigt, dass derartige Impfreaktionen an der Lunge nach
Grippeschutzimpfungen nicht nur durch eine Hühnereiweißallergie, sondern auch durch
das Virus selbst induziert werden können. Es gilt diese Nebenwirkung zu kennen, um
bei ähnlich gelagerten Fällen klinisch richtig zu entscheiden. Darüber hinaus sollte
durch eine Studie bei grippeschutzgeimpften Patienten mit EAA das mögliche Risiko
einer derartigen Reaktionsweise geklärt werden.
Interessenkonflikte
Interessenkonflikte
Keine angegeben.