Aktuelle Dermatologie 2009; 35(11): 453-456
DOI: 10.1055/s-0029-1215170
Von den Wurzeln unseres Fachs

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

„Dem Leiden war er, war dem Tod vertraut” Friedrich Schiller aus Anlass seines 250. Geburtstages – Der Einfluss von Krankheit und Leiden auf sein Leben und Schaffen[1]

„He was Familiar with Suffering, was Familiar with Death” Commemorating the 250th Anniversary of Friedrich Schiller’s Death – The Influence of Diseases and Sorrows on Life and Works of Friedrich SchillerH.-D.  Göring1
  • 1Tumorzentrum Anhalt am Städtischen Klinikum Dessau e. V., Dessau
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Prof. Dr. med. Hans-Dieter Göring

Tumorzentrum Anhalt am Städtischen Klinikum Dessau e. V.

Auenweg 38
06847 Dessau

eMail: tzd@klinikum-dessau.de

Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
30. Oktober 2009 (online)

Inhaltsübersicht #

Zusammenfassung

Am 10. November 2009 begehen wir den 250. Geburtstag des größten deutschen Dramatikers, bedeutenden Dichters, idealistischen Philosophen und Historikers Friedrich Schiller. Sein Leben und Schaffen wurde durch Krankheit und Leiden in nahezu unerträglicher Weise beeinträchtigt. Viele Jahre seines früh vollendeten Lebens hat er sein gewaltiges Werk seinem leidenden Körper förmlich abgerungen. Schiller hat seine Krankheiten nicht nur als Patient erlitten, sondern gleichermaßen auch als Arzt erlebt, der er nach seinem Medizinstudium an der Carlsschule in Stuttgart gewesen ist.

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Abstract

On the 11th of November we are going to commemorate the 250th anniversary of the death of the grand German playwright, the famous poet, the idealistic philosopher and the historian Friedrich Schiller. His life and his works were affected by suffering and illness in an unbearable manner. Many years of his life, which ended early, he wrested his giant works from his suffering body. Schiller has not only had to face diseases and other woes as a patient, but also as a physician, who worked after Medical School at the Carls School in Stuttgart.

Im Jahr 2009 gedenken wir des 250. Geburtstages Friedrich Schillers, des größten deutschen Dramatikers, des bedeutenden Dichters, Autors grundlegender historischer und philosophischer Schriften und einflussreichen Herausgebers. Wie kein zweiter Autor von vergleichbarem Rang hat Schiller sein gigantisches Werk über viele Jahre seines früh vollendeten Lebens seinem kranken Körper förmlich abgerungen ([Abb. 1]).

Am 10. November 1759 wurde Johann Christoph Friedrich Schiller in Marbach/Neckar geboren und wegen seines schwächlichen Zustandes am nächsten Tag notgetauft [1]. Aus seiner Kindheit gibt es keine verlässlichen Berichte über seinen Gesundheitszustand. Als Friedrich Schiller, der eigentlich Theologie studieren wollte, am 16. 1. 1773 auf Geheiß des Herzogs Carl Eugen von Württemberg in die „Militär-Pflanzschule” (Carlsschule, Herzogliche Militärakademie) auf der Solitude bei Stuttgart eintreten musste, stellte der Hofarzt und Medicus der Solitude, Dr. Stoer, einen „aufgebrochenen” Kopf (Ekzem?) und „etwas verfrörte Füße” fest [2]. Von Januar 1774 bis November 1775 studierte Friedrich Jura, nach Verlegung der Akademie nach Stuttgart und Einrichtung einer Medizinischen Fakultät 1775, dann ab 1776 Medizin. Nach Annahme der 3. Dissertation „Versuch über den Zusammenhang der thierischen Natur des Menschen mit seiner geistigen” am 17. 11. 1780 wurde Friedrich Schiller am 15. 12. 1780 aus der Militärakademie in den Dienst als Militärarzt des Grenadierregiments Augé in Stuttgart entlassen [1] [3]. Aus den noch vorhandenen Krankenjournalen der Carlsschule geht hervor, dass Schiller mehrere Male während seiner Studienzeit in der Krankenstube lag. Die Diagnosen lauteten: geschwollener Hals, Drüsen- und Mandelschwellungen, Durchfall, Übelkeit, Zahnweh, Kopfweh und Knieverrenkung. Sie wurden sämtlich als „ohne Bedeutung” eingestuft [2] [4]. Es wird angenommen, dass Schiller diese Krankenzimmeraufenthalte v. a. in den Jahren 1777 bis 1780 zur Niederschrift seines ersten Dramas „Die Räuber” genutzt und deshalb bewusst in die Länge gezogen hat [2]. Im Hinblick auf Schillers spätere, 1791 einsetzende schwere Erkrankung wird u. a. darüber spekuliert, dass sich Schiller als Student mit Tuberkulose infiziert haben könnte [2] [5] [6]. Fest steht, dass er am 10. 10. 1778 das Protokoll über die Sektion seines an Lungenschwindsucht verstorbenen Kommilitonen Johann Christian Hiller unterschrieben hat [5] und sein ehemaliger Zimmergenosse Johann Christian Weckherlin 1781 an Lungentuberkulose verstarb [7]. Nach dem Besuch einer Aufführung der „Räuber” in Mannheim unterrichtete Schiller am 4. 6. 1782 den Mannheimer Theaterintendanten Heribert von Dalberg darüber, dass er „Russische Grippe” habe, die damals Europa heimsuchte [2]. Schwerwiegender war ab 31. 8. 1783 eine Erkrankung Schillers an Malaria, die er mit hohen Dosen Chinarinde sowie Brech- und Abführmitteln selbst behandelte und die er durch Hunger- und Durstkuren quasi „aushungern” wollte [2]. Schillers spätere Ehefrau Charlotte bezeichnete diese „Rosskur” im Hinblick auf seine späteren Erkrankungen als einen der beiden schlimmsten Einflüsse auf den Körper ihres Mannes [2].

In den Jahren von 1783 bis 1789 erkrankte Schiller immer wieder an fieberhaften Katarrhen, hartnäckigem Schnupfen und Kopfschmerzen, die sein dichterisches Schaffen zeitweise beeinträchtigten und sich auch auf seine Vorlesungstätigkeit als unbesoldeter Geschichtsprofessor in Jena ab 26. 5. 1789 auswirkten [1] [2] [3]. Erholung fand Schiller ab 1785 durch Besuche bei seinem Freund und Gönner Gottfried Körner in Dresden und Leipzig, der ihm auch oft aus seiner lebenslangen finanziellen Misere heraushalf [1] [3]. 1786 schrieb Schiller an den Verleger Göschen: „Ich bin gesund, arbeitsam, im ganzen genommen heiter …” [2]. Demgegenüber existieren briefliche Äußerungen Schillers von Anfang Januar und April 1787, in denen er einen „fatalen Schnupfen” beklagte, der ihm „den Kopf verdirbt” und den er auf eine seiner häufigen Erkältungen zurückführte [2]. Er fürchtete nach einer Kette von Erkältungen, Schnupfen und starkem Katarrh, dass er diese Leiden „wohl aus dem ledigen Stand in den Ehestand hineinnehmen” müsse, in den er am 22. 2. 1790 mit Charlotte von Lengefeld trat [1] [2] [3]. Trotz der häufigen Infekte war Schiller in diesen Jahren sehr produktiv. Neben seinen Vorlesungen an der Universität Jena schrieb er eine „Geschichte des Abfalls der Niederlande von Spanien” (1788) und die „Geschichte des Dreißigjährigen Krieges”, die aber erst 1792 fertiggestellt wurde. Das Drama „Fiesco” war schon 1783 und „Kabale und Liebe” 1784 entstanden [1]. Die Buchausgabe des „Don Karlos” erschien 1787, im gleichen Jahr fand die Uraufführung in Hamburg statt. 1787 lernte Schiller Wieland, Herder, Charlotte von Stein und Gottfried August Bürger kennen. 1788 begegnete Schiller erstmals Goethe im Lengefeldschen Hause in Rudolstadt. Im Dezember 1789 begann die lebenslange Freundschaft Schillers mit Wilhelm von Humboldt [1] [3].

Das Jahr 1791 brachte eine Zäsur im Leben des Friedrich Schiller. Nach einem Konzertbesuch am 3. 1. 1791 in Erfurt befiel ihn ein „heftiges Katarrhfieber” mit schwerem Krankheitsgefühl, er musste nach Hause getragen werden und Bettruhe einhalten. Am 12. 1. 1791 kamen zu den Schmerzen in der rechten Brustseite Husten, blutiger und später eitriger Auswurf hinzu. Schillers Arzt Dr. Stark in Weimar ließ „vomieren und purgieren”, setzte Blutegel und „Vesicatorien” an. Am 9. Tag setzte unter deliranten Zuständen Entfieberung („Deferveszenzdelirien”) ein, die von Veil retrospektiv als Ausdruck einer rasch verlaufenden kruppösen Pneumonie gedeutet wurden [4]. Am 8. Mai 1791 kam es zu einem Rezidiv, diesmal aber durch heftige Koliken im Bauch kompliziert. Schiller selbst sah ihre Ursache „wahrscheinlich in heftigen Krämpfen im Zwerchfell, auf das sich eine Schärfe geworfen” hatte” (Brief an Körner vom 24. 5. 1791). Die in Salzburg erscheinende „Oberdeutsche allgemeine Literaturzeitung” meldete am 8. 6. 1791 aus Jena bereits Schillers Tod, in Kopenhagen fand eine Trauerfeier für ihn statt [2] [8]. Im Juli 1791 weilte Schiller zu einem Kuraufenthalt in Karlsbad. Die Koliken waren hier weniger heftig, verließen ihn aber nie völlig. Schiller nannte sie sein „Malum domesticum” [2] [4] [7]. Im Sommersemester 1791 ließ sich Schiller aus gesundheitlichen Gründen von seinen Vorlesungen in Jena beurlauben. Er fasste in dieser Zeit den Plan zu seinem Drama „Wallenstein”. Die eigene konkrete Begegnung mit dem Tod führte Schiller ab Februar 1791 zum Studium der Philosophie Kants. Es richtete ihn offenbar auf, als ihm seine Schwägerin Caroline von Wolzogen die Passagen aus Kants „Kritik der Urteilskraft” vorlas, die auf Unsterblichkeit deuten [8]. Schillers Philosophieren unter dem Eindruck seiner Krankheit im Januar und Mai 1791 hat seinen Ausdruck in seinen großen Abhandlungen „Ueber Anmuth und Würde” bis zu „Ueber naive und sentimentalische Dichtung” gefunden. Es war auch Voraussetzung für sein dramatisches Werk in seinem „klassischen Jahrzehnt” [8]. Einen vierwöchigen Aufenthalt von Mai bis April 1792 bei Körner in Dresden empfand Schiller als wohltuend, erkrankte aber bereits auf der Rückreise nach Jena wieder. An seinen Freund und ehemaligen Studienkollegen von der Carlsschule, Friedrich Wilhelm von Hoven, schrieb Schiller im Oktober 1792: „Schwer hat mich die Hippokratische Kunst für meine Apostasie bestraft. Da ich nicht mehr ihr Jünger seyn wollte, so hat sie mich unterdessen zu ihrem Opfer gemacht. Sie hat mich gezwungen zu ihr zurückzukehren, aber leider nur, um ihre schwere Hand zu empfinden” [2].

Ende Januar 1793 schrieb Schiller an Körner: „… Und doch ist es das beßte, was ich vernünftig wünschen kann, noch lange so zu bleiben, denn die ganze Veränderung, die ich zu erwarten habe, ist, daß es zum Schlimmern geht” [2]. Goethe sagte am 20. 12. 1829 zu Eckermann rückblickend: „Schiller war auch beständig krank. Als ich ihn zuerst kennen lernte glaubte ich, er lebte keine vier Wochen. Aber auch er hatte eine gewisse Zähheit; er hielt sich noch die vielen Jahre und hätte sich bey gesünderer Lebensweise noch länger halten können” [2]. Schillers rezidivierende Infekte – aus heutiger Sicht vielleicht Ausdruck eines Immundefektes –, seine Hast, Rastlosigkeit, Nachtarbeit, körperliche Überanstrengungen, unzweckmäßige Kleidung, Kaffee- und Tabakabusus, zehrten an seinen Kräften. Im Januar 1796 schrieb Karl Wilhelm Ferdinand von Funck an Körner über Schiller: „Man sieht, in welcher ununterbrochenen Spannung er lebt und wie sehr der Geist bei ihm den Körper tyrannisiert, weil jeder Moment geistiger Erschlaffung bei ihm körperliche Krankheit hervorbringt” [2].

Am 20. 6. 1794 beginnt die Freundschaft zwischen Goethe und Schiller anlässlich eines Gespräches über die Urpflanze in der „Naturforschenden Gesellschaft” in Jena. Schiller hatte auf diesen Augenblick sechs lange Jahre sehnlichst gewartet [8]. Beide Dichter vereinte nun eine produktive Zusammenarbeit an der „Neuen Thalia”, den „Horen” und den „Xenien” sowie dem „Musen-Almanach”. Goethe sandte im Dezember 1794 an Schiller Druckbogen von „Wilhelm Meisters Lehrjahren” zur Beurteilung, im April 1796 bearbeitete Schiller Goethes „Egmont” für eine Aufführung mit Iffland in Weimar. Im „Balladenjahr” 1797 entstanden gleichsam im Wettstreit mit Goethe Schillers berühmte Balladen „Der Taucher”, „Der Handschuh”, „Der Ring des Polykrates”, „Die Kraniche des Ibykus”, „Ritter Toggenburg” und „Der Gang nach Eisenhammer” [3] [1]. Am 12. 10. 1798 wurde „Wallensteins Lager” uraufgeführt, die Fertigstellung hatte sich durch Schillers Erkrankungen immer wieder verzögert. Die Uraufführung von „Piccolomini” und „Wallensteins Tod” folgten am 30. 1. 1799 und am 20. 4. 1799 mit großem Erfolg [1] [3]. „Das Lied von der Glocke” erschien im „Musen-Almanach” des Jahres 1800. Am 14. 6. 1800 wurde „Maria Stuart” in Weimar uraufgeführt. Es folgen am 11. 9. 1801 die umjubelte Uraufführung der „Jungfrau von Orleans” in Leipzig und der „Braut von Messina” am 19. 3. 1803 im Weimar. Gleichzeitig bearbeitete Schiller Werke anderer Dramatiker für die Bühne in Weimar: „Macbeth” von Shakespeare (1800), Lessings „Nathan der Weise” (1801), „Turandot” von Gozzi (1802) und „Iphigenie” von Goethe (1803). Daneben schrieb er in einem halben Jahr etwa 200 Briefe. Schließlich wurde am 17. 3. 1804 Schillers letztes vollendetes Drama „Wilhelm Tell” mit großem Beifall in Weimar uraufgeführt, den „Demetrius” hat er nicht mehr beenden können [3] [1]. Schillers letzte vollendete Dichtung war das Festspiel „Die Huldigung der Künste” zum Empfang des Weimarer Erbprinzenpaares Karl Friedrich und Maria Pawlowna am 12. 11. 1804. In der Zeit einer Schaffenskrise, die Goethe zwischen 1800 und 1805 durchmachte, drängte ihn Schiller immer wieder zur Weiterarbeit am „Faust” [3]. 1792 war Schiller Ehrenbürger der Französischen Republik und 1797 Mitglied der Schwedischen Akademie der Wissenschaften geworden. Die Ernennungsurkunde aus Frankreich, die an „Le Sieur Giller, Publiciste allemand” adressiert war, erreichte den Dichter aber erst drei Jahre später. 1802 wurde Schiller durch Kaiser Franz II. in den erblichen Adelsstand erhoben [1] [3].

Die Kinder des Ehepaares Schiller wurden in den Jahren 1793 (Karl Friedrich Ludwig), 1796 (Ernst Friedrich Wilhelm), 1799 (Karoline Henriette Luise) und 1804 (Emile Henriette Luise) geboren. Einen Tag vor der Geburt seiner jüngsten Tochter erkrankte Friedrich Schiller am 24. 7. 1804 schwer. Eine in dieser Dramatik bisher nicht erlittene Bauchkolik ließ Schiller aufschreien: „Ich halte es nicht mehr aus, wenn es nur schon aus wäre.” Dr. Stark gab ihm keine halbe Stunde mehr zu leben [2] [7]. Doch der Patient erholte sich nach mehreren Klistieren und Stuhlentleerungen von diesem – wie er es nannte – „ersten Stoß”. Sofort begann er wieder am „Demetrius” zu arbeiten, bis ihn Anfang Februar 1805 ein „zweiter Stoß” ereilte. Gegenüber Heinrich Voß, der ihn zeitweilig pflegte, äußerte Schiller: „Die verwünschten Verstopfungen! Sie bringen mich alle Jahre um ein Trauerspiel” [7]. Um sich durch Reiten körperlich zu kräftigen, kaufte Schiller im April 1805 ein Pferd, nachdem die Krankheitsattacke vorüber war. Er erschien auch wieder bei Hofe und besuchte am 1. Mai 1805 eine Theateraufführung in Weimar. Als Voß ihn am Ende des Stückes abholen wollte, hatte Schiller Schüttelfrost, Husten und Schmerzen in der linken Brustseite. Dr. Stark verordnete unter anderem Rizinusöl und Opiate. Schiller wurde dilirant. Am 8. 5. 1805 ließ er sich sein jüngstes Kind bringen. Auf die Frage seiner Frau am Abend des 8. 5., wie es ihm ginge, antwortete Schiller: „Immer besser, immer heiterer.” Am 9. 5. 1805 gegen 17.30 Uhr starb er im Alter von 45 Jahren und 6 Monaten [4]. Einen Tag später fand die Obduktion statt, die Dr. Huschke, Leibarzt des Herzogs Carl August, im Beisein von Dr. Gottfried Herder, Sohn des Johann Gottfried Herder, vornahm. In einem Bericht vom 17. 5. 1805 teilte Huschke dem Herzog das Ergebnis der Obduktion mit:

  • „Die Rippenknorpel waren durchgängig und sehr stark verknöchert.

  • Die rechte Lunge mit der Pleura von hinten nach vorn und selbst mit dem Herzbeutel ligamentartig so verwachsen, daß es kaum mit einem Messer gut zu trennen war. Die Lunge war faul und brandig, breiartig und ganz desorganisiert.

  • Die linke Lunge besser, marmoriert und mit Eiterpunkten.

  • Das herz stellte einen leeren Beutel vor und hatte sehr viele Runzeln, war häufig ohne Muskelsubstanz. Diesen häutigen Sack konnte man in kleine Stücke zerflocken.

  • Die Leber natürlich, nur die Ränder brandig.

  • Die Gallenblase noch einmal so groß als in natürlichem Zustande und strotzend vor Galle.

  • Die Milz um ⅔ größer als sonst.

  • Der vordere konkave Rand der Leber mit allen naheliegenden Teilen bis zum Rückgrat verwachsen.

  • Die rechte und linke Niere in ihrer Substanz aufgelöst und völlig verwachsen.

  • Auf der rechten Seite alle Därme mit dem Peritonäum verwachsen.

  • Urinblase und Magen waren allein natürlich.”

Huschke schreibt am Schluss: „Bei diesen Umständen muß man sich wundern, wie der arme Mann so lange hat leben können” [2] [4] [7].

Die Sektionsergebnisse vom 10. 5. 1805 lassen sich nur bedingt und auch nur unter Hinzuziehung literarischer Dokumente, v. a. von Schillers Briefen und Äußerungen von Personen seiner Umgebung sowie den äußeren Beobachtungen seiner Ärzte deuten, d. h., wenn man im Sinne Rokitanskys „das klinische Krankheitsbild vom anatomischen Befund her rückwärts konstruiert” [7]. Eine Pathologie im heutigen Sinne gab es zu Schillers Zeit noch nicht. Es existierten auch noch keine heute üblichen Diagnosen wie z. B. Bronchitis und Bronchopneumonie. Schillers Lungenleiden wurde mit verschiedenen damaligen Bezeichnungen beschrieben: heftiges Katarrhfieber, hitzige Brustkrankheit, Brustzufall, Nervenfieber (!), Asthma. Gelegentlich hieß es auch Lungenentzündung und Schwindsucht. Seitenstich stand wahrscheinlich für Rippenfellentzündung [2] [4] [7]. Krankheiten erschienen in den literarischen Dokumenten, die Schiller betreffen, eher in ihrer schicksalsmäßigen und nicht in ihrer allgemein-medizinischen Bedeutung [4].

Zu Lebzeiten Friedrich Schillers kannte man in Deutschland objektive Untersuchungsmethoden, die gerade in seinem Falle zur Diagnosefindung im heutigen Sinne unverzichtbar erscheinen, nicht. Das betrifft v. a. die exakte Messung der Körpertemperatur, die Perkussion und Auskultation. Zwar hatte Auenbrugger die Perkussion 1761 beschrieben, die Schrift war aber verloren gegangen und wurde erst später von Corvisart-Desmaret, Leibarzt Napoleons I., wiederentdeckt. Die Auskultation wurde erst 1819 von Laënnec beschrieben [4] [2]. Der „fieberhafte Katarrh” am 3. Januar 1791 und das Rezidiv 9 Tage später sprächen dafür, dass es sich um eine rechtsseitige Pneumonie und möglicherweise Rippenfellentzündung gehandelt haben könnte [4] [7]. Die plötzliche Attacke 4 Monate später im Mai 1791 war neben der Lungensymptomatik erstmals durch Bauchkoliken gekennzeichnet. Veil hat dies als subphrenischen Abszess infolge eines durch das Zwerchfell zur Leber hin durchgebrochenen Pleuraempyems gedeutet. In der Folgezeit habe dieser Prozess zu Verwachsungen der Leberoberfläche und von Darmabschnitten geführt. Seit dieser Zeit bestanden bei Schiller Brust- und Bauchbeschwerden gleichzeitig [4] [7]. Die zwei „harten Stöße” im Juli 1804 und Februar 1805 sind damals als Koliken durch einen zeitweise aufgetretenen Darmverschluss infolge eines „Verwachsungsbauches” zu interpretieren [4] [7]. Damit würden auch die hartnäckigen Obstipationen und die passagere Linderung nach Defäkation durch Klistiere erklärt [4] [7]. Eine von manchen Autoren vermutete sekundäre Darmtuberkulose [2] [6] wäre eher durch schlecht zu beeinflussende Durchfälle charakterisiert gewesen [4] [7]. Auch hätte Schiller mit einer seit 1791 bestehenden Darmtuberkulose nicht noch 14 Jahre gelebt. Sie hätte auch nicht die immer wieder beobachteten Phasen relativen Wohlbefindens mit Arbeitsfähigkeit erlaubt, sondern zu schleichendem progredientem Siechtum geführt [4] [7]. Als die zum Tode führende Krankheit Friedrich Schillers ist nach überlieferter Symptomatik und Sektionsbefund am ehesten eine akut verlaufende Bronchopneumonie links mit Herzversagen anzusehen und nicht das langsame, gleichsame „Verlöschen” eines Tuberkulosekranken [4] [7]. Völlig abwegig dagegen erscheint die von Mathilde von Kemnitz-Ludendorff und von Hugo Meyer (Pseudonym: Ernst Hellwig) in ihren Büchern behauptete Ermordung Friedrich Schillers durch eine Verschwörung, der groteskerweise auch Goethe und Schillers Ärzte angehört haben sollen [2] [4].

War Schillers „Lebenswerk ein Leidenswerk” [7], nach Thomas Mann abgerungen dem „zarten Zustand seines Körpers” [9]? Verdankt Schiller dieser „Kränklichkeit” die „seelische Verfeinerung” [10]? Schiller hatte ja selbst bekannt: „Die Kränklichkeit ist zu was gut, ich habe ihr viel zu verdanken” [7]. Oellers behauptet: „Schiller konnte nur ein Dichter von Rang (eben ein „klassischer” Dichter) werden, weil er auf entsetzliche Weise ein kranker Mensch war” [8]. Goethe hat als Reaktion auf Schillers Tod in seinem Gedicht „Epilog zu Schillers Glocke” den leidenden und siegreich kämpfenden Idealisten gerühmt, der sich über die physischen Gefährdungen der eigenen Existenz erhebt. Es heißt dort: „Dem Leiden war er, war dem Tod vertraut.” In seinem „Wallenstein” hatte Schiller bekannt: „Es ist der Geist, der sich den Körper baut.” Friedrich Schiller hat seinen körperlichen Mühsalen seine andere Wirklichkeit, die der Kunst, entgegengesetzt [8]. Unter dem Druck seiner körperlichen Leiden, aber auch durch Goethes Einfluss, zeigte sich Schiller in seinem letzten Jahrzehnt zunehmend kritischer und distanzierter gegenüber seinem eigenen hochfliegenden Idealismus, wie er noch in seinen Schriften „Ueber Anmuth und Würde” und „Ueber die ästhetische Erziehung des Menschen” sowie den Gedichten „Die Macht des Gesanges” und „Das Ideal und das Leben” aus dem Jahr 1795 seinen Ausdruck gefunden hatte [8]. Seine Sicht auf den Gang der Welt wurde immer kritischer und skeptischer, wie sich auch durch eine Analyse seiner Dramen in Abhängigkeit von der Zeit ihrer Entstehung zunehmend von „Wallenstein” bis zur „Braut von Messina” feststellen lässt. Eine gewisse Ausnahme macht hier vielleicht sein „Wilhelm Tell” [8]. Andererseits bekennt Schiller zuletzt in einem Brief vom 2. 4. 1805 an Wilhelm von Humboldt: „… am Ende sind wir ja beide Idealisten und würden uns schämen, uns nachsagen zu lassen, daß die Dinge uns formten und wir nicht die Dinge” [3].

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Abb. 1 Friedrich Schiller. Zeichnung von H.-D. Göring nach einem Gemälde von Ludovike Simanowiz, etwa 1794.

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Literatur

  • 1 Safranski R. Schiller oder die Erfindung des Deutschen Idealismus. Biographie. München; dtv 2007
  • 2 Ebstein E. Schillers Krankheiten.  In: Jahrbuch der Sammlung Kippenberg. Leipzig; Insel 1926 6: 128-239
  • 3 Damm S. Das Leben des Friedrich Schiller. Eine Wanderung. Frankfurt am Main/Leipzig; Insel 2004
  • 4 Veil W H. Schillers Krankheit: eine Studie über das Krankheitsgeschehen in Schillers Leben und über den natürlichen Todesausgang. Leipzig; Barth 1936
  • 5 Bankl H. Ein Sektionsprotokoll aus der Hand Friedrich Schillers.  Pathologe. 1986;  7 118-121
  • 6 Schwarzacher W. Friedrich Schillers Krankheit und Schaffen. Anzeiger der phil.-hist. Kl. der Österr. Akad. der Wiss. 1951: 19
  • 7 Jansen H H. Schillers Krankheit und Tod aus pathologisch-anatomischer und klinischer Sicht.  Pathologe. 1988;  9 187-191
  • 8 Oellers N. Mein Kopf ist ganz wüste: der kranke Klassiker Schiller. Vortrag Marbach: Dt. Literaturarchiv; 1996
  • 9 Mann T. Schwere Stunde.  In: Erzählungen. Frankfurt; Fischer 1905: 317-379
  • 10 Mann T. Versuch über Schiller.  In: Burgin H (Hrsg). Schriften und Reden zur Literatur, Kunst und Philosophie. 3 Bd. Frankfurt; Fischer 1955: 312-374

1 Herrn Dr. med. Klaus Holzegel zum 75. Geburtstag gewidmet.

Prof. Dr. med. Hans-Dieter Göring

Tumorzentrum Anhalt am Städtischen Klinikum Dessau e. V.

Auenweg 38
06847 Dessau

eMail: tzd@klinikum-dessau.de

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Literatur

  • 1 Safranski R. Schiller oder die Erfindung des Deutschen Idealismus. Biographie. München; dtv 2007
  • 2 Ebstein E. Schillers Krankheiten.  In: Jahrbuch der Sammlung Kippenberg. Leipzig; Insel 1926 6: 128-239
  • 3 Damm S. Das Leben des Friedrich Schiller. Eine Wanderung. Frankfurt am Main/Leipzig; Insel 2004
  • 4 Veil W H. Schillers Krankheit: eine Studie über das Krankheitsgeschehen in Schillers Leben und über den natürlichen Todesausgang. Leipzig; Barth 1936
  • 5 Bankl H. Ein Sektionsprotokoll aus der Hand Friedrich Schillers.  Pathologe. 1986;  7 118-121
  • 6 Schwarzacher W. Friedrich Schillers Krankheit und Schaffen. Anzeiger der phil.-hist. Kl. der Österr. Akad. der Wiss. 1951: 19
  • 7 Jansen H H. Schillers Krankheit und Tod aus pathologisch-anatomischer und klinischer Sicht.  Pathologe. 1988;  9 187-191
  • 8 Oellers N. Mein Kopf ist ganz wüste: der kranke Klassiker Schiller. Vortrag Marbach: Dt. Literaturarchiv; 1996
  • 9 Mann T. Schwere Stunde.  In: Erzählungen. Frankfurt; Fischer 1905: 317-379
  • 10 Mann T. Versuch über Schiller.  In: Burgin H (Hrsg). Schriften und Reden zur Literatur, Kunst und Philosophie. 3 Bd. Frankfurt; Fischer 1955: 312-374

1 Herrn Dr. med. Klaus Holzegel zum 75. Geburtstag gewidmet.

Prof. Dr. med. Hans-Dieter Göring

Tumorzentrum Anhalt am Städtischen Klinikum Dessau e. V.

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Abb. 1 Friedrich Schiller. Zeichnung von H.-D. Göring nach einem Gemälde von Ludovike Simanowiz, etwa 1794.