Hartmut Schmidt
Hugo Van Aken
Bereits 1954 transplantierte Joseph Murray in Chicago die Niere eines eineiigen Zwillings
dessen Zwillingsbruder. Der Patient verstarb 8 Jahre später an den Folgen eines Herzinfarktes.
Seit Einführung des 1. Immunsuppressivums Cyclosporin vor ca. 40 Jahren hat sich die
Transplantationsmedizin dynamisch weiterentwickelt. Zurzeit werden routinemäßig Transplantationen
der Organe Niere, Leber, Pankreas, Lunge und Herz durchgeführt. Nach anfänglichen
Schwierigkeiten setzen sich jetzt auch mehr und mehr Dünndarm- sowie Multiviszeraltransplantationen
durch. Je nach Auswahl der Allokationsregeln und der Patienten, die transplantiert
werden, können Einjahresüberlebensraten für unterschiedliche Organe bis zu über 90 %
erzielt werden. Genetische Erkrankungen wie z. B. bestimmte Formen der hereditären
Amyloidose können durch eine Lebertransplantation im Sinne einer Gentherapie die Krankheitsprogression
aufhalten. Während früher Patienten mit Hepatitis B nach Lebertransplantation eine
eher deutlich eingeschränkte Prognose aufwiesen, ist durch die zusätzliche Einführung
von verschiedenen Medikamenten z. B. im Rahmen einer Lebertransplantation eine Heilung
der Hepatitis B heutzutage möglich. Die neuerdings eingeführten Immunsuppressiva mit
antiproliferativen Eigenschaften werden sowohl in der Transplantationsmedizin zur
Immunsuppression als auch in der Onkologie als Chemotherapeutikum eingesetzt. Das
wird zukünftig völlig neue therapeutische Optionen in der Betreuung onkologischer
Patienten ermöglichen. So können bereits jetzt Patienten mit einem Leberzellkarzinom
unter Einhaltung bestimmter Kriterien selbst in fortgeschritteneren Stadien oftmals
erfolgreich lebertransplantiert werden. Die Transplantationschirurgie birgt somit
die Chance auch zukünftig zunehmend in der Therapie onkologischer Erkrankungen eine
Rolle zu spielen. Auch bestehen mittlerweile bereits die ersten Erfahrungen mit sog.
Composite-Transplantationen (Transplantationen von Gewebe und Organen). Allein in
Deutschland wurden im Jahre 2008 über 2000 Nieren- sowie über 1000 Lebertransplantationen
durchgeführt. Insgesamt wurden im Jahre 2008 ungefähr 4000 Organtransplantationen
durch hirntote Organspender ermöglicht.
Diese medizinischen Erfolge können jedoch nur gelebt werden, wenn Spenderorgane zur
Verfügung stehen. Für die Organspende und die Transplantationsmedizin wurde 1997 in
Deutschland erstmalig durch Einführung des Transplantationsgesetzes (TPG) ein juristischer
Rahmen festgelegt. Die Lebendspende ist ebenfalls im TPG geregelt. So gilt in Deutschland
die erweiterte Zustimmungslösung, sprich, der Spender hat seine Willenserklärung dokumentiert
oder in gesetzlicher Reihenfolge dürfen Angehörige im Sinne des mutmaßlichen Willens
des Verstorbenen entscheiden. Verschiedene Umfragen in Deutschland zeigen, dass 8 – 17 %
der Bevölkerung einen Organspendeausweis ausgefüllt hat. Auch im Falle eines ausdrücklichen
Wunsches für die Organspende ist gesetzlich eine Organspende nur bei ca. 1 % der Verstorbenen
umsetzbar. Dies liegt daran, dass nur im Falle eines Hirntods unter kontrollierten
Bedingungen auf einer Intensivstation durch Dokumentation von 2 qualifizierten Ärzten
unabhängig voneinander ein Hirntod feststellbar und nur in diesem Falle eine Organspende
zulässig ist. Die Praxis der Feststellung des Hirntods (§ 16 Absatz 1 Nummer 1 TPG)
ist allgemein akzeptiert und hat sich auch in den letzten Jahren bewährt.
Auf den Wartelisten für eine Organtransplantation sterben zurzeit je nach Transplantationszentrum
und Organ über 25 % der Patienten. Das heißt, die Mortalität auf einer Transplantationswarteliste
ist derzeit höher als das operative Risiko im Rahmen der Transplantation zu sterben,
unabhängig von dem zu transplantierenden Organ.
Zur Erhöhung der Organspendezahlen werden verschiedenste Aktivitäten aktuell verfolgt.
So gibt es je nach Bundesland Ausführungsgesetze zum TPG, die unter anderem die Einführung
von sogenannten Transplantationsbeauftragten festlegen. Der Aufgabenbereich ist teilweise
sehr dezidiert festgelegt (Dokumentation interner Verfahrensabläufe der Organspende,
Ermittlung von Spenderpotenzial, Unterstützung und Führung von Aufklärungs- und Einwilligungsgesprächen,
etc.). Sichergestellt werden sollte, dass diese Tätigkeit als Transplantationsbeauftragter
nicht wie viele sonstige ärztliche Tätigkeiten noch zusätzlich durchgeführt wird,
sondern hierfür Freiräume in der Ausübung garantiert werden. Auch wird zurzeit über
mögliche Sanktionen diskutiert, wenn Krankenhäuser ihrer Meldepflicht nicht nachkommen.
Aber wie sieht die Praxis aus? Ein auf einer Intensivstation eingelieferter Patient
mit intracerebraler Blutung und konsekutiver, progredienter, irreversibler Hirnschädigung,
mit dilatierten und nicht lichtreagiblen Pupillen, bedarf einer Hirntoddiagnostik.
Darf der Intensivmediziner die Angehörigen bezüglich des Willens des Sterbenden ansprechen?
Das TPG wird in der Regel so ausgelegt, dass erst im Falle des festgestellten Hirntods
sich der Intensivmediziner gemäß dem TPG bei den Angehörigen erkundigen darf. Im Falle
einer vorliegenden Patientenverfügung wäre es jedoch sehr nahe liegend das Thema der
Organspende zu klären, um die gesamte Tragweite des Willens des Patienten erfassen
zu können. Sollte bei diesem Patient während der noch laufenden Hirntoddiagnostik
z. B. eine Asystolie auftreten, müssten weitere medizinische Maßnahmen eingestellt
werden. Der Patient stirbt am Herztod, eine Organspende – auch wenn es der Patient
gewollt hätte – findet nicht statt. Es besteht aber auch die Option, den Hirntod als
den endgültigen Tod zu sehen und damit Maßnahmen zu ergreifen, um z. B. durch eine
pharmakologische Reanimation, dem Patienten die Herzfunktion aufrechtzuerhalten. Die
Feststellung des Hirntods im Verlaufe könnte damit ermöglicht werden, die Frage nach
dem festgelegten oder mutmaßlichen Willen für die Organspende wäre dann eruierbar.
Es besteht in dieser Behandlungsstrategie jedoch auch die geringe Chance, dass der
Patient mit einer irreversiblen hirnorganischen Schädigung mit verbleibender Stammhirnfunktion
noch Monate oder Jahre weiterlebt. Letzteres wird vermutlich nicht dem Willen der
meisten Menschen in der Bevölkerung entsprechen und widerspräche dem Recht auf würdevolles
Sterben (Sterben in Würde, Grundsätze der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung:
www.aerzteblatt.de/plus0108). In der Stellungnahme der Bundesärztekammer zum Sterben in Würde ist die ärztliche
Verpflichtung aufgeführt, Sterbenden „so zu helfen, dass sie unter menschenwürdigen
Bedingungen sterben können”. Weitere Zitate lauten: „Der Arzt kann auch Angehörige
des Patienten und diesem nahe stehende Personen informieren, wenn er annehmen darf,
dass dies dem Willen des Patienten entspricht.” und „Bei Patienten, die sich zwar
noch nicht im Sterben befinden, aber nach ärztlicher Erkenntnis aller Voraussicht
nach in absehbarer Zeit sterben werden, weil die Krankheit weit fortgeschritten ist,
kann eine Änderung des Behandlungsziels indiziert sein, wenn lebenserhaltende Maßnahmen
Leiden nur verlängern würden und die Änderung des Therapieziels dem Willen des Patienten
entspricht”. Diese Zitate bedürfen einer Kommentierung der Bundesärztekammer inwieweit
dies auch die Situation der Organspende reflektiert. Den Willen des Sterbenden zu
respektieren mit ggf. der Konsequenz einer Änderung des Behandlungsziels bei infauster
cerebraler Prognose erfordert, dass der Intensivmediziner auch Zugang zu diesen Informationen
hat. Das bedingt die Ermittlung des Willens des Patienten für die Organspende ggf.
zu einem früheren Zeitpunkt als das das TPG vorgibt. Die Änderung des Behandlungsziels
wäre die Sicherung der Organfunktionen für die Organspende und die damit auch unter
Umständen erforderlichen stabilisierenden Maßnahmen infolge des Ausfalls der Hirnfunktionen.
Wenn ein Patient sich zu Lebzeiten für die Organspende im Falle des Eintretens eines
Hirntods entschieden hat, dann ist ihm auch zu unterstellen, dass er den Organempfängern
bestmögliche Organfunktionen ermöglichen möchte.
Die Fortführung der Beatmung sowie eventuell auch die zusätzliche Gabe von Medikamenten,
um den Herzkreislauf zu stabilisieren, entsprechen bereits zum Zeitpunkt vor dem Hirntod
nicht mehr einer patientenzentrierten Therapie. Der Gesetzgeber hat die realitätsnahe
Umstellung von der patientenzentrierten zur organspendezentrierten Therapie nicht
berücksichtigt. Es besteht die Befürchtung, dass zu frühzeitig ein möglicher Organspender
als hirntot erklärt wird.
Das Vertrauen der Bevölkerung in der Ärzteschaft wird durch die in den Medien geführten
Diskussionen zunehmend in Frage gestellt. Dies verschärft auch die Situation in den
Entscheidungsprozessen auf der Intensivstation. Ein schriftlich dokumentierter Wille
aller Patienten wäre wünschenswert. Aber wie sieht die Situation der Entscheidungsgrundlagen
für die Organspende aus? Die Deutsche Stiftung für Organspende (DSO, www.dso.de) hat als Entscheidungsgrundlage für eine Organspende für das Jahr 2007 ermittelt,
dass ein schriftlicher Wille in 6,2 %, ein mündlicher Wille in 18,4 % und ein vermuteter
Wille in 66,6 % der Fälle vorlag. Die Entscheidungsgrundlage für eine Ablehnung der
Organspende war in 0,4 % der schriftliche Wille, in 22,9 % der mündliche Wille und
in 47,5 % der Fälle der vermutete Wille. Nur bei 6,6 % lag somit 2007 ein schriftlicher
Wille vor! Hieraus wird klar ersichtlich, dass auf der Intensivstation in der Regel
ausführliche Aufklärungs- und Einwilligungsgespräche für die Organspende geführt werden
müssen und zwar zu einem Zeitpunkt, der mit der Überbringung der Todesmitteilung zusammenfällt.
In dieser tiefen Trauerarbeit sollte man auf der Intensivstation eine Gesprächssituation
schaffen, die es den Angehörigen ermöglicht, sich im Sinne des mutmaßlichen Willens
des Verstorbenen zu entscheiden. Bei der Frage, welche Person diese Gespräche führen
sollte, ist es sicherlich sinnvoll zu entscheiden, dass der erfahrenste Kollege dafür
verantwortlich ist. Koordinatoren der DSO können gemeinschaftlich, aber auch alleine
diese Gespräche mit den Angehörigen führen. Ziel sollte sein, dass der betreuende
Arzt, der meist bereits Kontakte zu den Angehörigen im Behandlungsprozess auf der
Intensivstation hatte, die Bezugsperson für das Gespräch mit den Angehörigen ist.
Die hier geschilderte Situation ist nicht ungewöhnlich. Deshalb bedarf es einer Diskussion
in unserer Gesellschaft sowie einer juristischen Neuregelung, um Klarheiten im Prozess
Organspende zu schaffen. Es bestehen verschiedene Optionen:
-
Der betreuende Arzt muss eine Einwilligung von den Angehörigen einholen, um die Maßnahmen
einer endgültigen Hirntoddiagnostik durchführen zu können. Im Falle des Eintretens
und der Bestätigung des Hirntods kann dann der Arzt im Sinne des TPG das Gespräch
zur Aufklärung und Einholung der Einwilligung zur Organspende mit den Angehörigen
führen.
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Ärzte dürfen bereits vor Eintreten des Hirntods die Frage der Organspende bei den
Angehörigen ansprechen.
-
Man geht von einem presumed consent aus, um Maßnahmen durchführen zu können, die eine endgültige Hirntodfeststellung
ermöglichen.
Darüber hinaus muss die Änderung des Behandlungsziels in Reflexion der Organspende
diskutiert werden. Letztlich ist auch die Erfahrung und Schulung in der Gesprächsführung
der behandelnden Ärzte auf der Intensivstation von besonderer Bedeutung. Die persönliche
Interaktion zwischen dem behandelnden Arzt und den Angehörigen steht im Mittelpunkt
und ist eine Grundlage, um in dieser schwierigen Trauerphase klare Entscheidungen
gemeinschaftlich treffen zu können.