Einleitung
Die Kalziphylaxie ist eine seltene, schwerwiegende Erkrankung, die Patienten mit dialysepflichtiger
Niereninsuffizienz betrifft und durch Ischämien und Nekrosen der Haut, des subkutanen
Fettgewebes, der Muskulatur und selten auch innerer Organe gekennzeichnet ist. Sie
tritt bei 1 – 4 % der terminal niereninsuffizienten Patienten auf, wobei eine deutliche
Gynäkotropie besteht. Prädilektionsstellen der Erkrankung sind die Haut der proximalen
Extremitäten, das Abdomen, die Nates sowie die Mammae [1]. Weitere Organe sind fakultativ involviert. Zunächst zeigen sich einzeln oder multipel
sehr schmerzhafte, teils livedoartige Erytheme und subkutane Knoten. Später kommt
es zur raschen Ausprägung von Nekrosen und tiefen schmerzhaften Ulzera mit Superinfektion
[1]
[2]. Die Mortalität ist hoch. Typischerweise sind Patienten mit langjähriger Dialysepflichtigkeit
von einer Kalziphylaxie betroffen.
Fallbericht
Anamnese
Berichtet wird über eine 69-jährige Patientin mit seit 6 Wochen dialysepflichtiger
terminaler Niereninsuffizienz mit Mikro- und Makroangiopathie bei Langzeitdiabetes.
Es erfolgten drei Hämodialysen wöchentlich. Eine Woche vor stationärer Aufnahme entwickelten
sich, beginnend an den proximalen Oberschenkeln, sehr schmerzhafte Nekrosen von Haut
und Unterhaut mit rascher Progredienz.
Körperlicher Untersuchungsbefund bei Aufnahme
Bei Aufnahme sahen wir eine Patientin in deutlich reduziertem Allgemeinzustand mit
ausgedehnten, bizarr begrenzten, an den proximalen Extremitäten und den Nates betonten,
aber auch an den Unterschenkeln auftretenden Nekrosen und tiefen, nekrotisch belegten
Ulzera bei Z. n. partieller chirurgischer Nekrektomie mit ausgeprägter Livedozeichnung
in der Wundumgebung. Die Patientin klagte über starke Schmerzen in den betroffenen
Gebieten ([Abb. 1]).
Abb. 1 Ausgedehnte Nekrosen und nekrotisch belegte Ulzera bei Z. n. partieller Nekrektomie.
Betonung der proximalen Extremitäten.
Histologien
Mehrere Biopsien wurden im Bereich der die Ulzerationen umgebenden Livedozeichnung
entnommen. Die Histologien zeigten ein fibrös-septiertes reifes Fettgewebe mit subtotaler
Nekrose, venolären Thromben und granulozytärer Durchsetzung insbesondere der Septen.
Mehrerenorts fanden sich Mediaverkalkungen kleinkalibriger arterieller Blutgefäße,
teilweise korrespondierend mit Verschlüssen der Gefäßlichtung. In zwei weiteren Präparaten
wurden auch total nekrotische Epidermis und Koriumanteile mit granulozytärer Durchsetzung
gesehen, auch hier zeigte das anhängende subkutane Fettgewebe eine nahezu totale Nekrose
und Kalkpräzipitate in der Wand arterieller Gefäße ([Abb. 2]; Befund von Dipl.-Med. Ellen Bartholdt, Institut für Pathologie, Klinikum Chemnitz
GmbH, Chefarzt: PD Dr. J. O. Habeck).
Abb. 2 Multiple okkludierte Gefäße mit interstitieller Ablagerung von Kalziumsalzkristallen.
Weitere Diagnostik
Bei den Laborbefunden vom Aufnahmetag waren pathologisch (Normbereich): Hämoglobin
5,4 mmol/l (7,5 – 9,5 mmol/l); Kreatinin 598 umol/l (< 80 umol/l); Harnstoff 21,2 mmol/l
(< 8,3 mmol/l); C-reaktives Protein 198,2 mg/l (< 6,0 mg/l); Parathormon 175,6 ng/l
(15,0 – 65,0 ng/l); Phosphat 2,2 mmol/l (0,87 – 1,45 mmol/l); Procalcitonin 1,5 µg/l
(≤ 0,5 µg/l); Albumin i. S. 20 g/l (34 – 48 g/l). Die Ulkusabstriche zeigten über
die Zeit einen wechselnden Nachweis von Escherichia coli, Enterococcus faecalis, Proteus
mirabilis, Proteus vulgaris und Staphylococcus aureus.
Therapie und Verlauf
Die Patientin wurde zunächst unter dem Verdacht auf arterielle Embolien bei vorbekannter
peripherer arterieller Verschlusskrankheit in eine chirurgische Klinik eingewiesen.
Nach deren angiografischem Ausschluss erfolgte die dermatologische Vorstellung, bei
der die Verdachtsdiagnose einer Kalziphylaxie gestellt und histologisch bestätigt
werden konnte. Nach einer ausgedehnten Nekrektomie in Allgemeinnarkose wurde die Patientin
in die Hautklinik verlegt, wo eine befundadaptierte Lokaltherapie mit antiseptischen
Umschlägen, Schaum- und Hydrokolloidverbänden, aktivkohlehaltigen Wundauflagen und
enzymatischer Wundreinigung erfolgte. Die intravenöse Antibiose musste mehrfach an
das aktuelle Keim- und Resistenzspektrum angepasst werden. Es erfolgte eine intensive
Schmerztherapie. Der bereits initial stark eingeschränkte Allgemeinzustand verschlechterte
sich kontinuierlich über wenige Wochen weiter. Die Patientin wurde beatmungspflichtig
und auf die Intensivstation verlegt. Der Diabetes mellitus entgleiste. Nach zwischenzeitlicher
Stabilisierung des Allgemeinzustandes verstarb die Patientin acht Wochen nach der
Erstmanifestation der Kalziphylaxie im Multiorganversagen.
Diskussion
Der dargestellte Fall ist ein Beispiel für eine foudroyant verlaufende Kalziphylaxie,
die bereits wenige Wochen nach Beginn der Hämodialyse aufgetreten ist. Dies ist ein
ungewöhnlich kurzer Zeitraum, da sich in der Literatur mittlere Dialysezeiten von
bis zu 76 Monaten bis zum Auftreten einer Kalziphylaxie finden [3]. Allerdings sind auch wenige Einzelfälle bekannt, in denen eine Kalziphylaxie ebenfalls
nach kurzzeitiger Dialyse entstand [1]
[4]. Hierfür scheinen massiv erhöhte Harnstoffwerte einen besonderen Risikofaktor darzustellen
[4]. Unsere Patientin hatte zu Beginn der Dialyse Harnstoffwerte von bis zu 42,8 mmol/l,
bei stationärer Aufnahme noch 21,2 mmol/l (NW: < 8,3). Ob zusätzliche Faktoren diesen
raschen Krankheitsverlauf beeinflussten, ist spekulativ. Möglicherweise ist, wie in
unserem Fall, eine vorbestehende ausgeprägte arterielle Verschlusskrankheit von Bedeutung.
Insgesamt ist die Pathogenese der Kalziphylaxie nur ungenügend verstanden. Zunächst
wurde dem im Rahmen der terminalen Niereninsuffizienz auftretenden sekundären Hyperparathyreoidismus
mit gestörter Homöostase des Kalzium-Phosphatstoffwechsels und Freisetzung ossärer
Nukleationskomplexe eine zentrale Rolle zugesprochen [1]
[2]
[5]. Zudem werden eine entkoppelte endotheliale Stickstoffmonoxid-Synthetase mit verminderter
Produktion des Antioxidans Stickstoffmonoxid und vermehrter Produktion von reaktiven
Sauerstoffspezies sowie ein vermehrter Zelltod diskutiert [1]
[6]. In den letzten Jahren zeigte sich jedoch, dass offenbar der Verlust von Mineralisationsinhibitoren
wie Fetuin-A und Matrixprotein Gla für die Kalzifikation der kutanen Arteriolen von
besonderer Relevanz ist [7]
[8]. Hierdurch wird einer ektopen Kalzifikation außerhalb von Zähnen und Knochen Vorschub
geleistet. Darüber hinaus scheint zusätzlich eine fehlende Hemmung von NF-κB in das
Konzept der vermehrten extraossären Mineralisation eingebunden zu sein [7].
Eine kausale Therapie der Erkrankung ist nicht bekannt. Ziel der Behandlung ist eine
Normalisierung des Kalzium-Phosphat-Produkts (Übersicht in [1]). Zu einer suffizienten Behandlung gehören häufig auch Nekrektomien, die auch zu
einem verbesserten Überleben führen sollen [9]. Andererseits lehrt die klinische Erfahrung, dass auch schon kleine Traumen, wie
die Entnahme von Biopsien zur Diagnosesicherung, ein rasches Krankheitsfortschreiten
bewirken können. Der therapeutische Effekt einer Parathyreoidektomie ist umstritten.
Neben kompletten Remissionen, die vor allem bei Patienten mit sehr hohem Parathormon-Serumspiegel
gesehen wurden, sind auch Parathyreoidektomien ohne Einfluss auf das Krankheitsbild
beschrieben [9]. In den letzten Jahren wird Natrium-Thiosulfat mit einigem Erfolg eingesetzt. Der
genaue Wirkmechanismus ist unbekannt. Diskutiert werden antioxidative Effekte sowie
die höhere Löslichkeit von Kalzium- im Vergleich zu Natrium-Thiosulfat. Über die erfolgreiche
Behandlung einer Kalziphylaxie mit dem Bisphosphonat Pamidronat wurde berichtet, wobei
der therapeutische Effekt unabhängig von der Nierenfunktion und von Schwankungen des
Kalzium-Phosphat-Produkts sein soll [10]. Im Vordergrund stehen jedoch eine symptomatische Therapie der Ulzera und eine suffiziente
Schmerztherapie. Ein weiteres Ziel ist die Prävention einer Sepsis. Trotz aller Bemühungen
liegt die Mortalitätsrate bei bis zu 80 % [1], wobei die meisten Patienten, wie in unserem Fall auch, an septischen Komplikationen
versterben.
Der Fall zeigt, dass eine Kalziphylaxie auch nach kurzen Dialysezeiten auftreten kann.
Eine Kalziphylaxie muss daher bei allen Patienten mit terminaler Niereninsuffizienz
und schmerzhaften Ulzera in die Differenzialdiagnose einbezogen werden.