Der Klinikarzt 2009; 38(4): 166-167
DOI: 10.1055/s-0029-1223254
MEDICA e. V.

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Interdisziplinäre Betreuung von Schwangeren prä– und postnatal – Was macht ein Perinatalzentrum aus?

Matthias W. Beckmann, Susanne Cupisti
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Korrespondenz

Prof. Dr. med. Matthias W. Beckmann
PD Dr. med. Susanne Cupisti

Frauenklinik Universitätsklinikum Erlangen

Universitätsstraße 21–23

91054 Erlangen

Fax: 09131/85-33456

Email: fk-direktion@uk-erlangen.de

Publication History

Publication Date:
30 April 2009 (online)

Table of Contents

Laut Landes– sowie Bundesregierung ist das Perinatalzentrum definiert als eine interdisziplinäre Einrichtung mit dem Schwerpunkt Geburtshilfe und Neonatologie zur Überwachung, Diagnostik und Therapie bei Mutter und Kind während der Schwangerschaft, der Geburt und der Neonatalperiode. Es sollte in einem Krankenhaus der Maximalversorgung angesiedelt sein. Ziel der Struktur ist die Senkung der Morbidität und Mortalität von Mutter und Kind. Die definierende Fachgesellschaft ist die Deutsche Gesellschaft für Perinatalmedizin (DGPM). Hierüber erfolgt die Zentrums–Zertifizierung mit Qualitätsmanagement. Dazu besteht nach SGB V §135a ein grundsätzlicher Anspruch Erkrankter. Diesem hohen Anspruch tragen bestimmte Strukturen eines Perinatalzentrums Rechnung. Diese umfassen verschiedene Fachdisziplinen, sowie die sie verbindende Koordination. Im Einzelnen sind dies die Frauenklinik mit dem Schwerpunkt Spezielle Geburtshilfe und Perinatalmedizin, sowie Pränataldiagnostik (Ultraschall–Diagnostik der DEGUM–Stufe II und III sowie invasive Diagnostik und Therapie), ferner interdisziplinäre konservative und operative Betreuung von Hoch–Risikoschwangeren. Des Weiteren gehören dazu die Kinderklinik mit Intensivstation (mindestens 6 Betten; 50 Beatmungsfälle pro Jahr), Kinderchirurgie, –neurochirurgie, –neurologie, –radiologie und bildgebende Diagnostik, Kinderkardiologie, –pneumologie und –infektiologie. Kooperationsmöglichkeiten sollten ferner bestehen zur Humangenetik, Anästhesie, Paidopathologie, Labormedizin sowie Anbindung an psychosoziale und psychosomatische Versorgung.

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Breites Spektrum der Risikoschwangerschaften

Die geburtshilfliche Betreuung von Schwangeren mit zusätzlichen Erkrankungen sowie schwangerschaftsassoziierten Erkrankungen, die ein hohes Risiko für Komplikationen für Mutter und Kind aufweisen, sowie die Betreuung von Frühgeburten stellen die Hauptaufgabe eines Perinatalzentrums dar. Häufige maternale Erkrankungen sind: Diabetes mellitus, hypertensive Schwangerschaftserkrankungen, thromboembolische Erkrankungen, spezifische Infektionen (HIV, Hepatitis), höhergradige maternale Herzfehler, gastrointestinale Erkrankungen, Autoimmunopathien, nephrologische und neurologische Erkrankungen.

Häufige fetale Probleme, und damit Kriterien zur Entbindung im Perinatalzentrum, stellen Probleme der Mehrlingsschwangerschaften dar, die drohende Frühgeburt < 32 + 0 SSW, Frühgeburten 32 + 0 bis 34 + 0 SSW mit zusätzlichem Risiko, z. B. Amnioninfektionssyndrom, intrauterine Infektionen, Morbus hämolyticus fetalis, fetale Brady– und Tachyarrhythmien, intrauterine Mangelentwicklung < 5. Perzentile gestationsaltersabhängiger Ultraschall–Schätzgewichtskurven, pränatal diagnostizierte, versorgungsrelevante Fehlbildungen (z. B. Hydrozephalus, Myelomeningozele), schwere schwangerschaftsassoziierte Erkrankungen, wie schwere Präeklampsie, HELLP–Syndrom, chronische Infektionen der Mutter, wenn sie den Feten bedrohen (z. B. Toxoplasmose, HSV, CMV, HIV), insulinbedürftiger Diabetes mellitus, chronische Erkrankungen der Mutter, wenn sie den Feten bedrohen (z. B. schwere Erkrankungen einzelner Organsysteme, PKU, Hypo–/Hyperthyreose, Z. n. Transplantation, Autoimmunopathie) oder Drogenabhängigkeit.

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Versorgungsgebiet eines Perinatalzentrums

Bei einer Frühgeburtsrate von 7–8  % bundesweit wollen die durch Frühgeburtlichkeit bzw. mütterlich oder fetale Erkrankung bedrohte Patientinnen an Perinatalzentren konzentriert werden. So kann über eine höhere Fallzahl die Behandlungsroutine wie auch die Aus–lastung gesichert werden. Ein Einzugsgebiet von 6 000–10 000 Geburten ergibt die typische Auslastungsgröße für ein solches Zentrum. Notwendige Ressourcen sind eine optimale Verkehrsanbindung, ein Hubschrauberlandeplatz sowie geografisch idealerweise eine Lage im Zentrum des Versorgungsgebietes. Notwendige Ressourcen (in 24–Stunden–Bereitschaft) sind Anästhesie, Intensivmedizin (Betreuung der Mutter), Radiologie, Klinische Chemie mit Kapazität in Mikroanalysemethoden, Kinderchirurgie, Kinderkardiologie sowie Konsiliardienste in Neurologie, Innere Medizin, Onkologie und Transplantationsmedizin.

Entsprechend der Vereinbarung des gemeinsamen Bundesausschusses 2006 über Maßnahmen zur Qualitätssicherung der Versorgung von Früh– und Neugeborenen wurde ein Stufenkonzept entwickelt für die neonatologische Versorgung und Regelung der Anforderungen an die Struktur–, Prozess– und Ergebnisqualität der versorgenden Einrichtungen. Diese sieht vor, die Versorgung von Risikoschwangeren und/oder Risikoneugeborenen nur in spezialisierten Zentren anzustreben. Im Einzelnen werden verschiedene Ebenen der Versorgung definiert. Das Perinatalzentrum des Levels 1 fordert die Kooperation von Geburtshilfe und Neonatologie „Wand an Wand”. Dazu sind mindestens 2 Geburtshelfer mit dem Schwerpunkt „Spezielle Geburtshilfe und Neonatologie”, 2 Neonatologen mit Schwerpunkt „Neonatologie” nötig sowie 6 Intensivplätze, 24–Stunden–Neonatologischer Dienstarzt ohne Zusatzaufgaben und mindestens 40  % der Schwestern mit Zusatz „Pädiatrische Intensivpflege”. Das Perinatalzentrum Level 2 bietet mindestens einen Geburtshelfer mit Schwerpunkt „Spezielle Geburtshilfe und Pränatalmedizin”, einen Neonatologen mit Schwerpunkt „Neonatologie”, 4 Intensivplätze, 24–Stunden–Neonatologischer Dienstarzt ohne Zusatzaufgaben und mindestens 30  % Schwestern mit Zusatz „Pädiatrische Intensivpflege”.

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Spezielle Weiterbildung

Die (Muster–)Weiterbildungsordnung trägt dieser Entwicklung Rechnung durch die Formulierung bestimmter Schwerpunktkompetenzen, die nach der Facharztweiterbildung an einem entsprechenden Zentrum erworben werden können.

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Problem des aktuellen Versorgungsansatzes

Das Prinzip des Perinatalzentrums hofft einen Lösungsansatz für die diversen aktuellen Probleme der Versorgung zu sein. Diese Probleme umfassen epidemiologische Aspekte, so das steigende Alter bei der ersten Geburt, die hohe Anspruchshaltung und das Sicherheitsbedürfnis der Patientinnen bei gleichzeitig niedrigerer Toleranz, ferner Verpflichtung zur Bereitstellung von Ausbildungsstrukturen. Weitere Probleme sind Veränderungen des Gesundheitssystems, z. B. die Verlagerung stationärer Leistungen nach ambulant, die Verringerung der Vergütung, die Haftung und Rückzahlung bei Fehlfällen, die Europäisierung der Gesetzes– und Versicherungssysteme. Diese Aspekte fördern eine zunehmende Zentralisierung und Spezialisierung von Kompetenzzentren zur Sicherung von Qualität bei gleichzeitiger Kosteneffizienz, wie sie durch das Prinatalzentrum gewährleistet weden soll.

Problemtisch erscheint durch die Zentralisierung die daraus resultierende begrenzte Kapazität für Ausbildungsplätze. Wenn Krankenhäuser zukünftig zunehmend dazu angehalten sind, anspruchsvolle Behandlungsfälle an Perinatalzentren zu verweisen, so wird die Erfahrung des Einzelnen mit solchen Problemsituationen an Häusern, die diese nicht behandelt, immer geringer. Zu berücksichtigen ist hierbei unter anderem auch eine geografische Verteilung der Perinatalzentren, die eine flächendeckende Versorgung ermöglichen müssen.

Die Problematik des Kompetenzverlustes in der Ausbildung, der hochrangigen flächendeckenden Versorgung und der Kosteneffektivität im Gesundheitssystem kann nur durch Kommunikation zwischen verschiedenen Disziplinen, beziehungsweise auch innerhalb der Einzeldisziplin verbessert werden.

Rotationsmodelle zwischen verschiedenen Fachbereichen können zukünftig unterstützen, dass eine flächendeckende Versorgung von Risikopatientinnen und Risikokindern möglich ist. Hierbei gewinnt der Grundsatz der wohnortfernen Behandlung, aber wohnortnahen Betreuung zunehmend an Bedeutung.

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Prof. Dr. med. Matthias W. Beckmann
PD Dr. med. Susanne Cupisti

Frauenklinik Universitätsklinikum Erlangen

Universitätsstraße 21–23

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Email: fk-direktion@uk-erlangen.de

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