Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2009; 44(6): 404-411
DOI: 10.1055/s-0029-1225747
Fachwissen
Anästhesiologie
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Intraoperative Beatmung – Welches Tidalvolumen sollte bei lungengesunden Patienten angewandt werden? Eine qualitativ–systematische Übersichtsarbeit

Which Perioperative Tidal Volume for Patients with Healthy Lungs undergoing Elective Surgery? A Qualitative Systematic Review of Current EvidenceJulian Kuestermann, Peter Kranke, Jörg Brederlau, Norbert Roewer, Ralf Michael Muellenbach
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
12. Juni 2009 (online)

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Zusammenfassung

Die Anwendung einer lungenprotektiven Beatmungsstrategie mit reduziertem Tidalvolumen bei Patienten mit akutem Lungenversagen (ALI/ARDS) gilt heute als Methode der Wahl. Dadurch konnte sowohl die Mortalität als auch die pulmonale Entzündungsreaktion verringert werden.

Aber wie sollte der lungengesunde Patient beatmet werden, der sich einer elektiven Operation unterzieht? Wir durchsuchten die gängigen Literaturdatenbanken hinsichtlich relevanter Publikationen zur perioperativen Beatmungsstrategie. Insgesamt fanden und analysierten wir zehn Studien zu diesem Thema. Dabei handelte es sich hauptsächlich um Studien, die an Patienten mit großen Allgemein–, Thorax–, oder Kardiochirurgischen Eingriffen durchgeführt wurden.

Insgesamt existieren nur wenige Studien, die die perioperative Beatmungsstrategie an Patienten, die zu Studienbeginn nicht kritisch krank sind, untersuchen. Die Ergebnisse dieser Studien sind jedoch sehr heterogen und unterstützen nicht alle ein lungenprotektives Beatmungsregime. Jedoch gibt es, abgesehen von experimentellen Daten, auch klinisch Hinweise darauf, dass die Anwendung einer lungenprotektiven Beatmung bei Patienten, die sich großen Eingriffen unterziehen müssen, vorteilhaft sein kann, auch wenn zu Beginn der Operation noch kein ALI oder ARDS vorliegt.

Abstract

Background: Lung–protective ventilation strategies for patients suffering from acute lung injury (ALI/ARDS) are well– accepted measures to improve outcome including mortality.

But what tidal volume is the best for the patient with non–injured lungs undergoing elective surgery? Methods: We searched the literature for studies that analysed perioperative tidal volume in patients not suffering from ALI/ARDS. Results: 10 studies were detected that matched our query. Mostly on patients undergoing major or cardiac surgery.

Conclusion: Only a few studies exist which examine the effect of protective ventilation settings on healthy lungs of patients not being critical–ill. The reported results are very heterogeneous and do not strongly support a lung– protective ventilation strategy. However, apart from reasoning based on pre–clinical experimental data, there is some clinical evidence, that suggests using lower tidal volumes in patients undergoing major or cardic surgery, even if the patient does not present with an ALI/ARDS and is not critically ill at the time when the surgical procedure is performed.

Kernaussagen

  • Eine lungenprotektive Beatmung mit niedrigen Tidalvolumina von 6 ml/kg idealisiertem Körpergewicht und geringen Spitzendrücken von < 30 cm H2O ist nach heutigem Wissen bei akutem Lungenversagen (ALI/ARDS) das Standardbeatmungsverfahren im multimodalen Behandlungsansatz.

  • Die Frage nach dem optimalen perioperativen Tidalvolumen in der Beatmung des nicht kritisch kranken Patienten (ASA I–III) ist hingegen noch nicht endgültig beantwortet.

  • Sicher ist: Jede Allgemeinanästhesie beeinträchtigt die Oxygenierung.

  • Ursächlich für die VALI im Tierexperiment ist die Beatmung mit hohen VT und hohem end–inspiratorischem Volumen – weniger die Ventilation mit hohem Spitzendruck.

  • Hohe VT schädigen die Lunge – bei Beatmung mit niedrigem VT kommt es zu Veränderungen der Compliance und Störungen im Gasaustausch, aber nicht zu schwerwiegenden Lungenschäden [14] [16] [17].

  • Insgesamt sprechen die Daten für die konsequente Anwendung einer lungenprotektiven Beatmungsstrategie mit reduziertem Tidalvolumen unter Berücksichtigung des idealisierten Körpergewichtes.

  • Dies gilt umso mehr, als die Patienten diversen Risiken (Massivtransfusion, ventilatorassoziierte Pneumonie, Immobilisation etc.) ausgesetzt sind, während des Krankenhausaufenthalts ein Lungenversagen zu entwickeln.

  • Obsolet sollten „lungenschädigende” Beatmungsregimes mit Tidalvolumina > 10 ml/kg KG sein: Sie entsprechen auch keineswegs den physiologischen Tidalvolumina unter Spontanatmung.

  • Die gegenwärtige Datenlage lässt keine Definition einer „idealen” perioperativen Beatmung zu.

Literaturliste

Julian Kuestermann
PD Dr. med. Peter Kranke
PD Dr. med. Jörg Brederlau
Prof. Dr. med. Norbert Roewer
Dr. med. Ralf Michael Muellenbach

eMail: kuesterman_j@klinik.uni-wuerzburg.de

eMail: peter.kranke@mail.uni-wuerzburg.de

eMail: anaesthesie@klinikum-hanau.de

eMail: muellenbac_r@klinik.uni-wuerzburg.de