Der Klinikarzt 2009; 38(6): 269
DOI: 10.1055/s-0029-1233402
Medizin & Management

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Ärztetag für Priorisierung im Gesundheitssystem

Die Politik muss endlich Farbe bekennen
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Publication Date:
29 June 2009 (online)

 
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Der 112. Deutsche Ärztetag Mitte Mai in Mainz hat sich für Priorisierung im Gesundheitssystem ausgesprochen, um Rationierung zu vermeiden. Die 250 Delegierten bekräftigten die schon 2008 im Ulmer Papier geforderte Einrichtung eines Gesundheitsrates.

Der Präsident der Bundesärztekammer, Prof. Jörg D. Hoppe, erläuterte im Rahmen des 112. Deutschen Ärztetags in Mainz den Unterschied zwischen Rationierung und Priorisierung. Priorisierung angesichts der fehlenden Ressourcen bedeute, dass diejenigen, die es am nötigsten haben, an die erste Stelle rücken und die anderen etwas warten müssen. Die Ärzte in Deutschland wollen eben keine Rationierung, keine Streichung von medizinischen Leistungen, aber sie wollen auch nicht weiter für den staatlich verordneten Mangel in den Praxen und den Kliniken verantwortlich gemacht werden.

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Mut zu unbequemer Wahrheit

Hoppe will die Zeit vor der Bundestagswahl nutzen, um eine Diskussion anzustoßen, in der die Politik Farbe bekennen muss. Die Gesellschaft soll befragt werden, wie viel sie bereit ist, für Gesundheit auszugeben. Die Öffentlichkeit, so Hoppe, sei lange genug geblendet worden. Wer heute hingehe und behaupte, die umfassende Gesundheitsversorgung sei sicher, der sage schlicht und einfach nicht die Wahrheit.

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Bild: Landesärztekammer Rheinland-Pflaz

Mut zu unbequemen Wahrheiten fordert er von der Politik: "Sagen Sie den Menschen die Wahrheit, übernehmen Sie endlich Verantwortung und lassen Sie uns Ärzte nicht länger im Regen stehen."

Um Missverständnissen vorzubeugen, erläuterte Hoppe ausführlich, wie Priorisierung funktioniert: Darunter ist die ausdrückliche Feststellung einer Vorrangigkeit bestimmter Indikationen, Patientengruppen oder Verfahren vor anderen zu verstehen. Dabei entsteht eine mehrstufige Rangreihe, in der nicht nur Methoden, sondern auch Krankheitsfälle, Kranken- und Krankheitsgruppen, Versorgungsziele und vor allem Indikationen in einer Rangfolge angeordnet werden. Am Ende dieser Rangreihe finden sich dann solche Verfahren wieder, die keine messbar nachweisbare Wirkung mehr haben.

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Arztberuf muss freier Beruf bleiben

Vor dem Hintergrund zunehmender Verstaatlichung des Gesundheitswesens kommt es zu einer weitreichenden Verschlechterung der Rahmenbedingungen ärztlicher Berufsausübung, heißt es in einem Beschluss des Ärztetags. Eine zunehmende Trivialisierung und Diskreditierung des Arztberufes sowie eine überbordende Regulierungsdichte mit einer stetig steigenden Bürokratisierung bei gleichzeitig wachsendem ökonomischem Druck schränken die ärztliche Therapiefreiheit immer mehr ein. Freiheit bei der ärztlichen Entscheidung ist jedoch wesentliche Voraussetzung für die nachhaltige Sicherung einer hochwertigen und an den individuellen Bedürfnissen der Patienten orientierten Gesundheitsversorgung.

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Möglichst gerechte Verteilung

Priorisierung könne dazu beitragen, die knappen Mittel nach gesellschaftlich konsentierten Kriterien möglichst gerecht zu verteilen. Der BÄK-Präsident schlägt deshalb vor, einen Gesundheitsrat zu errichten, in dem Ärzte gemeinsam mit Ethikern, Juristen, Gesundheitsökonomen, Theologen, Sozialwissenschaftlern und Patientenvertretern Empfehlungen für die Politik entwi-ckeln, wie es zu einer gerechteren Verteilung der knappen Mittel kommen kann.

Längst gibt es nach seinen Worten eine heimliche, verdeckte, verschwiegene Rationierung: Wir haben unzureichende Investitionen in moderner Medizintechnik, Personalabbau sowie den Einsatz von überfordertem Personal, zunehmende Wartezeiten und durch Kosteneinsparungen auch reduzierte Hygienequalität.

Diese Form der Rationierung wird aber politisch nicht zur Kenntnis genommen, wird verschwiegen oder verschleiert, die sich daraus ergebenden Probleme in die sogenannte Mikroebene, also in die Patient-Arzt-Beziehung, verlagert. So entsteht der Eindruck, die Verantwortung für das Vorenthalten von Leistungen liege bei den Leistungserbringern, also den Ärzten.

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Regeln für den Umgang mit der Knappheit

Der Jurist Prof. Christian Katzenmeier vom Institut für Medizinrecht der Universität zu Köln erklärte auf dem Ärztetag: "Es lässt sich nicht mehr leugnen, dass letzten Endes Rationierungen unumgänglich sind, wobei diese ethisch stets bedenklich bleiben, da sie immer einen Verzicht auf effektive Leistungen bedeuten." Der Gesetzgeber habe dies bislang nicht eingestanden. Für ihn sei die Budgetierung ein eleganteres Mittel zur Kostendämpfung, denn sie lasse die Leistungsansprüche des Patienten unberührt. Den Konflikt haben die Leistungserbringer auszutragen und auszuhalten.

Letztlich, meinte Katzenmeier, werde es dem Staat nicht erspart bleiben, Regeln für den Umgang mit der Knappheit aufzustellen.

Klaus Schmidt, Planegg

 
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Bild: Landesärztekammer Rheinland-Pflaz