Der Klinikarzt 2009; 38(6): 306
DOI: 10.1055/s-0029-1233404
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Offene Diskussion von Sparzwängen notwendig - Kein Bett frei: Versteckte Rationierung auf Intensivstationen

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29 June 2009 (online)

 
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Knappe finanzielle Mittel zwingen viele Kliniken dazu, auch auf ihren Intensivstationen zu sparen. In einer Befragung von Intensivmedizinern äußerten zwei Drittel, dass bereits heute eine Rationierung von Leistungen stattfinde. Diese erfolgt jedoch oft versteckt und ohne klare Richtlinien. Wie viel Intensivmedizin kosten darf und nach welchen Regeln gespart werden kann, diskutierten Ärzte und Wissenschaftler auf dem Deutschen Anästhesiecongress (DAC) im Mai in Leipzig.

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Wie viel darf Intensivmedizin kosten?

Für die Umfrage schrieb das Forscherteam 1000 Intensivstationen in Deutschland an. Mehr als die Hälfte davon beantwortete den Fragebogen. "Die hohe Beteiligung zeigt, welche große Bedeutung das Thema im klinischen Alltag hat", sagt Prof. Joachim Boldt, Kongresspräsident und Direktor der Klinik für Anästhesiologie, Schmerztherapie und Operative Intensivmedizin am Klinikum Ludwigshafen. Neue Geräte und Medikamente haben die intensivmedizinische Versorgung in den letzten Jahren deutlich verbessert. Ärzte können heute selbst schwer kranke Patienten behandeln. "Häufig fehlt jedoch das Geld für solche aufwendigen Therapien. Dann stellt sich die Frage, wo man anfängt, medizinische Leistungen einzuschränken", so Boldt.

67% der Befragten sind überzeugt, dass es bereits heute Rationierungen auf Intensivstationen gibt. Über feste Regeln zum Begrenzen oder Abbrechen einer Therapie verfügen jedoch die wenigsten Kliniken: So haben 88 % keine Altersgrenze für den Einsatz sehr teurer Medikamente. Für 83 % ist ein unheilbares Krebsleiden prinzipiell kein Grund, eine kostenintensive Dialysebehandlung abzulehnen.

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Beschränkung medizinischer Leistung offen diskutieren

Angesichts der Umfrageergebnisse fordert Boldt, die Beschränkung medizinischer Leistungen offen zu diskutieren: "Kein Gesundheitswesen funktioniert ohne Rationierung. Auch eine effektive Intensivmedizin wird ohne die Begrenzung von Therapiemaßnahmen künftig nicht mehr möglich sein. Das Thema zum Tabu zu erklären, hilft keinem." Er warnt in diesem Zusammenhang vor einer versteckten Rationierung. Hierbei halten Kliniken beispielsweise die Zahl der Betten auf Intensivstationen niedrig, um Kosten zu sparen. In der Umfrage gaben immerhin 35 % an, dass sie gelegentlich oder häufig Patienten wegen fehlender freier Betten ablehnen würden. "Es darf nicht sein, dass Krankenwagen mit einem Schwerverletzten von Klinik zu Klinik fahren, weil keine Intensivstation ein Bett frei hat." Ohne feste Regeln zur Rationierung würde dann ausgerechnet den Patienten die Hilfe versagt, die sie am dringendsten brauchen.

Quelle: Boldt J, Schöllhorn T. Ethik und Monetik: Einfluss ökonomischer Aspekte auf Entscheidungsprozesse in der Intensivmedizin. Der Anaesthesist 2008; 5: 1075-1082