Der Klinikarzt 2009; 38(7/08): 318-319
DOI: 10.1055/s-0029-1237475
MEDICA e. V.

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Neue Strategien zur MRSA-Eindämmung

Können Kliniknetzwerke und grenzüberschreitende Zusammenarbeit das Problem lösen?
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Publication Date:
07 September 2009 (online)

 
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Die MRSA-Besiedlung von Patienten und die Häufung in Kliniken haben in den letzten Jahren zugenommen. Dies ist zu einem erheblichen Problem geworden, weswegen die klinischen Hygienestandards immer wieder verbessert wurden. Aktuell geben die weit geringeren Besiedlungsdaten in den Niederlanden Anlass für gemeinsame Strategien. Und aktuell gibt es neue Verdächte und Erkenntnisse, aber auch aussichtsreiche Strategien, um die Folgen zurückzudrängen. Bestimmte Tierkontakte beim Patienten, aber auch mit Risiken für das medizinische Personal, scheinen das Problem zu vergrößern. In einem grenzüberschreitenden EUREGIO-Netzwerk Münsterland/Niederlande wurde intensiv begonnen, die niederländischen Erfahrungen einzubringen und zugunsten besserer Daten umzusetzen. Daraus sind erste Kliniknetzwerke entstanden, um das Thema "Eindämmung der MRSA" mehr und mehr strategisch anzugehen.

Die Gründe für den Anstieg der Besiedlung mit Methicillin-resistenten Staphyloccus-aureus-Keimen sind nicht vollständig bekannt, zumal ein hoher Hygienestandard und eine ständige Kontrolle in Kliniken schon seit Jahren gegeben sind. Wasserleitungen und Lüftungskanäle, für andere nosokomiale Folgen ursächlich, wurden inzwischen erkannt und entfallen nach und nach durch bauliche Veränderung; diese waren aber für den MSRA-Anstieg eher nicht von Bedeutung. Ob "neue Einflussfaktoren", wie vereinzelt behauptet, heute tatsächlich schon eine Rolle spielen, etwa die Klimanordwanderung und Nanopartikel als schnellere Risikoüberträger, darf eher bezweifelt werden. Keime haben es gelernt, regional heimisch zu werden und sich Nischen zur Vermehrung zu suchen. Und auch gesunde Menschen sind in hohem Maße MRSA-besiedelt, ohne dass dies zu medizinischen Folgen führt. Aber Wunden, Operationen und ein notwendiger Krankenhausaufenthalt sowie die Vernachlässigung der Hygienestandards in Heimen, bei Menschengruppen und Großveranstaltungen und insbesondere getriggert durch die bekannte demografische Entwicklung, haben sowohl die Risikogruppen, wie auch deren Einflussfaktoren vergrößert.

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Gründe für die steigende MRSA-Besiedlung

Heute wird in Deutschland von jährlich gut 50 000 Neuinfektionen in Kliniken gesprochen, wobei die Gründe für den Anstieg nicht vollständig bekannt sind. Der genannte Hauptgrund, ein unkritischer Einsatz von Antibiotika, lässt sich nicht wirklich quantifizieren, und die zudem genannten Gründe der unzureichenden prophylaktischen Hygiene und fehlende Schulung des Personals, sind in den Kliniken längst umgesetzt.

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Bild: CD 85 Global Spin

Das "Methicillin", eines der ersten Antibiotika nach dem Penicillin, wurde in den 60er Jahren häufig verwandt. Das MRSA-Bakterium ist seit Jahren gegen dieses Antibiotikum resistent, meist verknüpft mit Resistenzen zu anderen Antibiotika, sodass für die wirksame Behandlung nur noch wenige Antibiotika übrig bleiben. Von einer Kolonisation spricht man dann, wenn das Bakterium beim Patienten die Schleimhäute in großer Zahl besiedelt hat. Die Ursache, das kugelförmige Bakterium Staphylococcus aureus, ist überall in der Natur anzutreffen, sodass eine Infektion des Menschen über Nahrung, Wäsche, Türklinken, Fußboden und Händedruck leicht möglich ist, zumal das Bakterium ohne Nahrung bis zu 7 Monate überlebensfähig ist.

Heute sind 30-40 % aller Menschen besiedelt, überwiegend im Nasen- und Rachenraum. Eine solche Besiedlung führt zwar bei Gesunden zu keinen Beschwerden; gelangt das Bakterium jedoch über Wunden unter die Haut, entsteht die klassische schlecht heilende, eiternde Hautwunde. Bei immungeschwächten Patienten können Lungenentzündung und Blutvergiftung hinzukommen, sodass der Heilungsprozess nach einer OP gestört ist, Begleitkrankheiten aufleben und Liegetage verlängert werden. Weit höhere Risiken bestehen bei schwer kranken und geriatrischen Patienten: bei diesen sind Morbidität und Mortalität erhöht, Klinikaufenthalte verlängert und das klinische Management wird erheblich belastet. Der typische geriatrische Patient wird künftig zunehmend zum MRSA-Überträger und Risikopatient zugleich.

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Tierkontakte ernster nehmen

In einer aktuellen Studie in 5 großen Kliniken in den Niederlanden wurde die MRSA-Besiedlung bei Studienteilnehmern untersucht, die Tierkontakte hatten. Dabei gaben 4,4 % der Teilnehmer einen Kontakt mit Schweinen und Kälbern an, 15,8 % hatten Kontakt mit anderen Tieren. Es zeigte sich, dass eine MRSA-Besiedlung bei der Gruppe mit Nutztierkontakten 11-mal höher war als bei Kontakten mit anderen Tieren. Die sich daraufhin entwickelnde Diskussion über die Risikoerhöhung bei medizinischem Personal (Veterinärmedizin, medizinische Einrichtungen im ländlichen Bereich, Belegärzte in Kliniken) ist noch nicht abgeschlossen [1].

Interessant ist die Feststellung, dass heute in der Anamnese die Frage "Tierkontakt der Patienten" nicht gestellt wird. Hier besteht dringender Verbesserungsbedarf im Ersterhebungsbogen. Eine epidemiologische Studie dürfte notwendig sein, wobei auch Fragen zu häuslichen Hygienestandards im Bereich der Landwirtschaft und zur Identifizierung etwaiger Risikogruppen notwendig werden (größere Wahrscheinlichkeit oberflächlicher Wunden bei Handarbeit in der Landwirtschaft, ständiger Tierkontakt). Eine gute Begründung für die derzeit diskutierte Korrelation mit nur bestimmten Nutztieren wird noch gesucht. Eventuell müssten Mitarbeiter in Zoologischen Gärten und Pferdeställen, häusliche Kleintierhalter, Taubenzüchter usw. in die Diskussion einbezogen werden. Kürzlich wurde die Anatomie der Schweinenase als "spezielles Keimreservoir" bezeichnet, zumal dies von der Rhinitis atrophicans (sog. "Schnüffelkrankheit" des Schweins) bekannt ist.

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EUREGIO MRSA-net Twente/Münsterland

Nach Feststellung der Landesregierung Nordrhein-Westfalen ist der Anteil einer MRSA-bedingten Blutvergiftung mit Staphylococcus aureus beim Menschen in Deutschland bis zu 20-mal höher als in den Niederlanden [2]. In dem angelaufenen MRSA-net Twente-Münsterland wurden inzwischen die Daten der Landwirtschaftskammern beidseits der EU-Binnengrenze im Bereich Emsland, Münsterland mit denen der holländischen Region Overijssel verglichen. Dabei konnten in 60 % der untersuchten Betriebe gesunde Schweine mit MRSA-Besiedlung nachgewiesen werden. Bis zu 23 % der Landwirte und 10 % der Tierärzte waren mit MRSA besiedelt, aber nicht erkrankt. Daraus könnten sich neue Fragestellungen hinsichtlich der MRSA-Epidemiologie zur Entwicklung von Präventionsstrategien ergeben.

Ausgehend von diesen neuen Erkenntnissen fand im März 2009 eine gemeinsame Tagung von Tier- und Humanmedizinern der EUREGIO in Münster statt, an der die Kammern, die wissenschaftlichen Institute, mikrobiologische Laboratorien und die für Verbraucherschutz, Lebensmittelsicherheit und Veterinärmedizin zuständigen Landesbehörden teilgenommen haben. Ebenfalls einbezogen waren das "Zoonose-Netzwerk FBI-Z00", das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) und das RKI Berlin. Als nächste Schritte wurden folgende epidemiologische und analytische Erweiterungen beschlossen:

  • Ausdehnung von Untersuchungen der MRSA-Häufigkeit bei Mensch und Tier auch auf Lebensmittel,

  • Ausdehnung von Untersuchungen der MRSA-Häufigkeit beim Menschen auf Kontakte zur landwirtschaftlichen Tierhaltung,

  • Charakterisierung des Keimspektrums regional und beidseits der deutsch-niederländischen Grenze mittels genetischem Fingerprinting, zumal etwaige Unterschiedlichkeiten im Keimspektrum neue Erkenntnisse liefern könnten,

  • Verbesserung des "Frühwarnsystems" durch grenzüberschreitenden schnelleren Austausch der Labordaten.

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Kliniknetzwerk Gesundheitsregion Osnabrück

Ausgehend von diesen neuen Strategien, einerseits die niedrigeren niederländischen MRSA-Werte anzustreben und andererseits im grenzüberschreitenden Netzwerk Erkenntnisse zu harmonisieren und schneller umzusetzen, macht die bereits seit 8 Jahren installierte "Gesundheitsregion Osnabrück" soeben den nächsten Schritt. In der aktuellen Gesundheitskonferenz im Mai 2009 in Osnabrück vereinbarten alle Kliniken der Region eine gemeinsame MRSA-Präventionsstrategie, die auch auf das gesamte Land Niedersachsen ausgedehnt werden soll. Es ist zu wünschen, dass weitere Krankenhausverbünde ähnliche Wege gehen. Aktuell sind 2 Analytikautomaten ("GeneXpert" und "LightCycler® MRSA Advanced Test") auf den Markt gekommen, die eine Feststellung der MRSA-Besiedlung beim Patienten binnen 70-90 Minuten, also parallel zur Aufnahmeprozedur, erlauben. Erste Erfahrungen von Kliniken in Köln und Coesfeld zeigen, dass hiermit eine mehrtägige Isolation der Verdachtspatienten vermeidbar ist.

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Was bringt die Zukunft?

Ob Antibiotika insgesamt, bzw. immer neue Antibiotika das Problem letztlich eindämmen können, wenn doch zugleich die Eindämmung der steigenden Antibiotikaresistenz durch die angestrebte restriktive Verordnungspraxis gerade bei MRSA nicht angewandt werden kann, bleibt abzuwarten.

Im Moment scheint die frühzeitige und möglichst vollständige Identifizierung des Befalls sowie strikte Isolierung der befallenen Patienten eine erste Lösung zur Eindämmung im Krankenhaus zu sein. In den Niederlanden werden Neupatienten in den Kliniken prophylaktisch isoliert, bis die sofort eingeleitete Analytik "Entwarnung" gegeben hat, andernfalls erfolgt die Aufnahme in spezielle Stationen mit erhöhtem Hygieneaufwand. Der nächste Schritt dürfte daher sein, in regionalen Kliniknetzwerken oder Datenverbünden zwischen Arztpraxen, Kliniken und Rehaeinrichtungen zulässige Regelungen zwischen Datenschutz und Ökonomie zu finden, um die frühzeitige Identifizierung von Risikopatienten und Weitergabe der Daten an die jeweiligen Träger medizinischer Intervention zu ermöglichen.

Ob in Zukunft ganz neue Wege beschritten werden können, die neben MRSA auch gleichzeitig weitere Probleme lösen - etwa eine Antwort zur Antibiotikaresistenz zu finden und künftige mikrobiologische Folgen der Erwärmung in Mittel- und Nordeuropa einzudämmen - bleibt abzuwarten.

Aufmerksamkeit beim Verfasser dieses Beitrags hat aber die Information erregt, dass Mitarbeiter des russischen Forschungsinstitutes für Bakteriophagen zunehmend in US-Einrichtungen abwandern. Ob letztlich eine Phagentherapie ein Weg aus der Antibiotikakrise sein kann, wird der Beitrag in einer der nächsten Ausgaben des klinikarzt ansprechen. In diesem Fall gäbe es nach Sulfonamiden und Antibiotika möglicherweise eine dritte Möglichkeit, gegen MRSA vorzugehen.

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Korrespondenz

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Claus Schroeter

Nationales Netzwerk Seltener Krankheiten EURADEAG (European Rare Disorders Agency) BAG-MarfanHilfe-e.V.

Borbergstraße 2

59065 Hamm

Fax: 03212/627-3264

Email: claus.schroeter@rare-diseases.de

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Literatur

  • 01 Schwarz F . MRSA durch Tierkontakt.  gynäkologie + geburtshilfe. 2009;  1
  • 02 Hammer M . MUNLV NRW. Zum ersten Mal: Tier- und Humanmediziner aus der EUREGIO-Region diskutieren über MRSA bei Tier und Mensch, 09.03.2009. 
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Literatur

  • 01 Schwarz F . MRSA durch Tierkontakt.  gynäkologie + geburtshilfe. 2009;  1
  • 02 Hammer M . MUNLV NRW. Zum ersten Mal: Tier- und Humanmediziner aus der EUREGIO-Region diskutieren über MRSA bei Tier und Mensch, 09.03.2009. 
 
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Bild: CD 85 Global Spin

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