veterinär spiegel 2009; 19(04): 215-220
DOI: 10.1055/s-0029-1240608
nutztiere
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Über einige reproduktionsmedizinische Probleme bei der Ziege

Hartwig Bostedt
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Publication Date:
15 December 2009 (online)

Physiologische Daten zum Zyklus und dessen funktionelle Störungen

Ziegen weisen einen saisonabhängigen, polyöstrischen Zyklus auf. Die Zuchtsaison erstreckt sich in unserem Breitengrad von August bis Ende Dezember, zuweilen bis Februar. Ziegen werden als „short day breeder“ bezeichnet. Die Änderung des Tag-Nacht-Rhythmus mit Abnahme der Tageslichtlänge wird neurohormonal adaptiert (Epiphysen-Hypothalamus-Hypophysen-Achse) und umgesetzt. Die hohe Sensibilität der Epiphyse mit ihrer chronisch-rhythmischen und zirkadianen Melatoninsynthese stellt den Zeitgeber dar. Sie vermag die Modifikation des Verhältnisses zwischen Tageslichtlänge, Dämmerungsperiode und Dunkelzeit im August wahrzunehmen, wodurch es zur Induktion der sexualaktiven Periode kommt. Gleiches gilt für die Zeit nach dem 21. Dezember. Aber erst wenn sich in der Umkehr der Verhältnisse zwischen Tageslichtlänge und Finsternis eine markante Änderung ergeben hat, läuft die Sexualaktivitätsperiode allmählich aus. So kommt es, dass Ziegen auch noch in den Monaten Januar/Februar östrisch werden können. Die intensivste Sexualaktivität besteht in den Monaten Oktober bis Dezember, in der Zeit also, in der eine scharfe Zäsur zwischen der Tag- und Nachtlänge mit ihren Vorläuferphasen (Dämmerungsperioden) besteht.

Die Zyklusdauer schwankt zwischen 17–23 Tagen. Im Mittel beträgt sie 19 ± 2 Tage, in einigen Publikationen werden dafür auch 20 ± 2 oder sogar 21 ± 2 Tage angegeben (Harrison 1948, Lyngset 1968, Thorburn und Schneider, 1971, Chemineau et al. 1982, Bostedt und Dedié 1996). Insgesamt ist aber davon auszugehen, dass Ziegen zum einen eine hohe individuelle Variation in der Zykluslänge aufweisen können (Camp et al. 1983), zum anderen aber auch die Lichtverhältnisse in der Haltungsform (strenge Stallhaltung ohne oder mit ausreichender Lichtexposition, kombinierte Freiauslauf-Stallhaltung) eine wesentliche Rolle dabei spielen.

Äußerlich erkennbare Östrusanzeichen sind für 18, maximal bis zu 24 Stunden zu registrieren. Geprägt sind diese von plötzlichem Milchrückgang, einer Reduktion der Nahrungsaufnahme und typisch meckernden Lautäußerungen. Intermittierender Harnabsatz dient der Verbreitung der östrusassoziierten Pheromone. Die Vulva ist ödematisiert und wird fortlaufend durch Schwanzbewegungen bestrichen. Dadurch kommt es zu einem Rötungsgrad, der auch die Vestibularschleimhaut erfasst. Eine stärkere vestibulovaginale Sekretion besteht bei der Ziege nicht. Bei einer Vaginoskopie ist jedoch zu erkennen, dass sich ein kleiner Schleimsee präzervikal gebildet hat. Dieser Mukus ist anfänglich glasklar und geruchsneutral. Gegen Östrusende hin wird er rauchig-trüb und hat eine leicht gelbliche Farbe. Die Ovulation findet erst nach Abklingen der äußeren Östrusanzeichen statt (≤ 12 h). Sie kann singulär, vor allem aber multipel sein. Ziegen neigen zu Mehrfachovulationen, was sich in der Lämmerzahl (Zwillings- und Drillingsgeburten) niederschlägt.

Am Anfang und gegen Ende der sexualaktiven Periode kommt es gehäuft zu zyklischen Abweichungen in Form von Aberrationen in der Zykluslänge, schwacher Östrusausbildung und ungenügendem Sexualkontakt. Es können sich aber auch krankhafte Prozesse dahinter verbergen. Aberrationen, also Abweichungen in milder Form, oder echte Störungen im Zyklusablauf können folgende Ursachen haben:

Saisonale Einflüsse

Anfang und Ende der sexualaktiven Periode sind geprägt von Kurzzyklen, aber auch von größeren Abständen zwischen den Östren. Entscheidend ist der Nacht-Tag-Rhythmus in seiner scharfen Abgrenzung. Längere Zeit mit künstlicher Lichtexposition mit unterschwelligen Luxzahlen kann die Zyklusregelmäßigkeit bei dauerhaft im Stall gehaltenen Zuchttieren negativ beeinflussen.

Dagegen vermögen Lichtprogramme mit korrekt eingestellten Hell-, Dämmerungs- und Dunkelzeiten die Östrusintensität und die Zyklusregelmäßigkeit zu regulieren.


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Alterseinfluss

Pubertäre Ziegen weisen häufig einen verkürzten Zyklus auf (< 12 Tage). Bei älteren Ziegen (> 10 Jahre) können die Abstände zwischen den Östren verlängert sein. Dies wäre als Hinweis für eine morphologische Erschöpfung der Ovarkapazität und der zentralen Steuerungsorgane im Sinne eines Präklimakteriums zu deuten.


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Corpus-luteum-Insuffizienz

Diese tritt individuell auf. Die Gestagenphase ist zu kurz und das Maximum der Progesteronkonzentration wird nicht erreicht. So kommt es zu Zyklusunregelmäßigkeiten. Zu diagnostizieren wäre dieser Zustand mittels eines Progesteronprofils (Blutprobe aller 2–3 Tage über eine Zykluslänge hinweg und Messung der jeweiligen Progesteronkonzentration). Die Behandlung bestünde in einer Zyklusregulierung durch Einlage eines gestagengetränkten Tampons (in Deutschland zurzeit nicht zugelassen) in den Vaginalkanal für 12–14 Tage. Am Tage des Entzugs werden 300–600 I. E. PMSG verabreicht.


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Mangelnde olfaktorische Reize durch den Bock

Der sogenannte Bockeffekt („male effect“) besteht aus einer Pheromonausschüttung, die die sexualinduktiven Prozesse beim weiblichen Individuum verstärkt. Diese Pheromone werden im Kopfbereich des Bockes gebildet (Glandula cornualis). Die Drüse liegt kaudomedial an der Hornbasis. Die von ihr gebildeten Pheromone reizen Nervenendigungen, die im Organum vomeronasale, auch als Jacobson'sches Organ bezeichnet, liegen. Das vomeronasale Organ ist paarig auf dem Boden der Nasenöffnungen der Ziege angeordnet und liegt unter der Riechschleimhaut. Der N. vomeronasale leitet die von den Pheromonen in den Rezeptoren ausgelösten Impulse in das Gehirn und weiter in die Schaltstellen. Die sezernierten Pheromone lösen so innerhalb weniger Minuten eine Hypothalamusreaktion aus.

Durch verstärkte Freisetzung von GnRH erhöhen sich im Hypophysenvorderlappen die LH-Basalwerte und führen zur Steigerung der LH-Pulsfrequenzen (Claus et al. 1990). Dies wiederum induziert bedingt das Wachstum, vor allem aber die Reife der Follikel. Damit in Zusammenhang steht die Erhöhung der Östrogensynthese, wodurch die exogenen Östrusanzeichen an Ausprägung zunehmen und sich neben LH förderlich auf die Ovulationsvorgänge auswirken.

Fehlt der unmittelbare Kontakt zu einem Bock in der periöstralen Zeit – dies wäre bei monosexueller Ziegenhaltung der Fall – entwickelt sich bei ihnen mitunter ein nur suboptimales Östrusgeschehen. Schlechte Brunstmarkierung und ‒erkennung sind die Folge.

Kopfhaare eines sexualaktiven Bockes, dem weiblichen Tier in der Nähe der Nasenöffnungen (hier ist das vomeronasale Organ = Jacobson'sche Organ existent) offeriert, lösen eine Intensivierung der Hypothalamus-Hypophysenvorderlappen-Ovar-Aktivität aus. Artifiziell könnte dieser Effekt auch durch GnRH-Gaben initiiert werden, jedoch besteht der subjektive Eindruck, dass die natürliche Reaktion stärker und nachhaltiger verläuft.


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Ovarialzystensyndrom (OZS), Ovarialtumor

Wechselnde Zykluslängen sprechen für das Vorhandensein eines Ovarialzystensyndroms oder eines östrogenaktiven Ovarialtumors. Diese Zustände können sonografisch erfasst werden. Die Ziege ist dafür auf den Rücken zu legen und in eine Schräglage (ca. 45 °) zu bringen.

Der Schallkopf (5 MHz) wird kranial des Euters auf einer haarlosen Stelle positioniert. Orientierungspunkt ist die Blase (Bostedt und Dedié 1996, Jung und Bostedt 2007). Geeignet ist auch eine laparoskopische Untersuchung, falls keine wirtschaftlichen Bedenken dagegen stehen. Zu behandeln wären Ovarialzysten mit GnRH (0,008 mg Buserelin) oder hCG (1500–2000 I. E.). Bei Verdacht eines oestrogenbildenden Ovarialtumors käme nur die Ovarektomie in Betracht. Ob bei der Ziege Luteinzysten vorkommen, ist bisher noch nicht belegt. Luteinzysten würden eine Anöstrie verursachen.


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Anöstrie in der sexualaktiven Periode

Eine über längere Zeit zu beobachtende anöstrische Periode in der zyklusaktiven Zeit kann verschiedene Gründe haben. Sie kann durch eine nicht registrierte Gravidität und des dabei bestehenden Corpus luteum graviditatis bedingt sein. Bei der Ziege tritt jedoch auch nicht selten ein Corpus luteum persistens auf. Durch Störungen im PGF-Steuerungsmechanismus wird die Lysis des Corpus luteum unterdrückt. Es besteht aber auch die Möglichkeit, dass die Ovarien afunktionell sind (Azyklie).

Der Zustand einer Anöstrie kann entweder kombiniert als uteroovarieller Prozess auftreten oder ein isoliertes ovarielles Geschehen darstellen. Bei Registration einer länger andauernden anöstrischen Periode in der sexualaktiven Zeit ist daher zuerst die Uterussituation mittels Ultraschall (5-MHz- oder 7,5-MHz-Schallkopf) zu überprüfen (Jung und Bostedt 2007). Im Wesentlichen sind es 5 Zustände, die mit einer verlängerten Corpus-luteum-Periode oder einer Afunktionalität der Ovarien in Zusammenhang stehen können:

  • Gravidität (Corpus luteum graviditatis)

  • Hydrometra (Corpus luteum persistens)

  • Endometritis/Pyometra (Corpus luteum persistens, Luteinzysten?)

  • unauffälliger Uterus bei adulten Tieren (C. l. persistens, Luteinzysten oder ovarielle Afunktionalität)

  • unauffälliger Uterus oder uterine Entwicklungsstörungen bei pubertären Tieren

Die Ovarien lassen sich bei der Ziege nur schwer ultrasonografisch darstellen, sodass keine Möglichkeit besteht, deren Funktionslage auf diese Weise eindeutig zu bestimmen. Nur wenn sie krankhaft vergrößert sind (OZS, Tumor), lassen sie sich ultrasonografisch lokalisieren.

Die weiteren tierärztlichen Maßnahmen hängen vom gynäkologischen Gesamtbefund ab.

Handelt es sich um einen Fall des ausbleibenden Östrus bei einer adulten Ziege und konnte US-gestützt eine Gravidität, Hydrometra oder Pyometra ausgeschlossen werden, ist vor Diagnosestellung „Corpus luteum persistens“ oder „ovarielle Afunktionalität“ noch eine Vaginoskopie und die wiederholte Messung der Progesteronkonzentration im Blut vorzunehmen.

Die Vaginoskopie erbrächte eine wenig durchblutete Vaginalschleimhaut mit Erscheinungen der Adhärenz. Diagnosestützend ist dann allein eine wiederholte Progesteronmessung (im Abstand von 4 Tagen) im Blut, wobei mindestens eine Zykluslänge einzuhalten wäre. Dies bedeutete aber die Durchführung von 5, besser 7–8 Messungen. Fortdauernd hohe Progesteronwerte sprechen für ein C. l. persistens. Werden fortlaufend Basiswerte (< 1 ng/ml Plasma) gemessen, ist von einer ovariellen Afunktionalität auszugehen. Deutet sich ein zyklisches Hormonprofil (an- und absteigende P4-Werte) an, so könnte es sich um den Fall einer „stillen“ (übersehenen) Brunst gehandelt haben.

Für die Behandlung einer Corpus-luteum-persistens-Situation im Sinne einer isoliert ovariellen Funktionsstörung kommt PGF (75 µg Cloprostenol Gesamtdosis) in Betracht. Oftmals genügt nicht eine Gabe. Eine Wiederholung der PGF-Injektion ist zu empfehlen, wenn nicht innerhalb von 2–4 Tagen in der sexualaktiven Zeit ein Östrus eintritt. Dann ist zu vermuten, dass noch Restgelbkörpergewebe besteht.

Wurde durch die Ultraschall-Kontrolle festgestellt, dass ein Endometritis-Pyometra-Komplex gegeben ist, wird die Lysis des C. l. persistens durch PGF ebenso provoziert, die Behandlung jedoch durch eine Antibiose ergänzt.

Konnte eine Afunktionalität der Ovarien (Azyklie) diagnostiziert werden, so wäre an eine Gestagengabe über 12–14 Tage (gestagengetränkter Vaginaltampon) (Synchro-Part, Fa. Ceva, Frankreich, nicht zugelassen in Deutschland) zu denken. Durch den abrupten Entzug der Gestagenwirkung am 12. oder 14. Tag kommt es zur Induktion hypothalamischer Reaktionen, die wiederum den HVL und somit die Ovarien stimulieren (Abbruchphänomen). Um die direkte Wirkung auf die Ovarien zu verstärken, werden am 12. oder 14. Tag 300–600 I. E. PMSG verabreicht.

Anders ist der Zustand einer Anöstrie bei Jungziegen innerhalb der Saison zu bewerten. Hier sind das Alter und die körperliche Entwicklung zu berücksichtigen. Früh im Jahr geborene Ziegen können bereits ihre Geschlechtsreife in der Saison ihres Geburtsjahrs erreichen. Eine Anöstrie bei ihnen spräche eventuell für eine Gravidität. Aber noch ein anderer Umstand ist bei Jungziegen mit Zyklusstörungen zu berücksichtigen. Dies betrifft die Intersexualität. Sie tritt bei Ziegen relativ häufig in Erscheinung ([Abb. 1]). Angegeben werden 2–15 %. Weibliche Lämmer aus heterosexuellen Zwillingsgeburten können Fehlbildungen des Reproduktionstrakts aufweisen. Sie entstehen aus Anastomosen der beiden fetalen Blutkreisläufe, wodurch ein Austausch des H–Y-Antigens möglich wird. Das Antigen ist ein zellgebundenes Transplantationsantigen. Zellen des männlichen Individuums wandern über die Anastomose in die Plazenta des weiblichen Organismus. Sie werden vom noch undifferenzierten Ovargewebe adaptiert und deregulieren dessen Funktion über den Anti-Muellerian-Factor. Dadurch wird die Ausprägung des Müller-Gang-Systems beeinträchtigt.

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Abb. 1 Vulvahypoplasie bei einer Jungziege mit Ovardefekt (Intersexualität).

Es gibt Ziegenlämmer aus einer heterosexuellen Zwillingsgeburt, die die Ovaranlage tragen, bei denen aber das Individuum teilmaskulinisiert ist. Die Vagina ist bei ihnen zu kurz und mit auffälligen Strikturen ausgestattet. Die Vagina wird vorsichtig mit einer Besamungspipette exploriert. Ist sie verkürzt, spricht dies für eine genitale Missbildung. In den Fällen, in denen nur der Uterus, die Salpingen und die Ovarien vom Missbildungsgeschehen betroffen sind, wird die einfache klinische Diagnostik erschwert. Hier hilft eventuell die Laparoskopie weiter. Ist eines der beiden Ovarien maskulinisiert, dann bedingt die fortwährende Testosteronbildung ein Wachstum der Klitorisanlage. Diese hängt vergrößert aus der Rima vulvae. Das Verhalten dieser Jungtiere entspricht dem eines Bockes.


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