Flugmedizin · Tropenmedizin · Reisemedizin - FTR 2009; 16(3): 141-142
DOI: 10.1055/s-0029-1241118
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Kongress der "International Society of Travel Medicine" - Budapester Notizen

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Publication Date:
25 September 2009 (online)

 
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Im Mai fand in Budapest der Kongress der "International Society of Travel Medicine" statt - unter starker deutscher Beteiligung: Prof. Frank von Sonnenburg, München, und Prof. Hans-Dieter Nothdurft, München, aus unserer Gesellschaft waren bestimmende Mitgestalter dieser großen, wirklich internationalen Veranstaltung und haben bis zu seiner letzten Minute hart für den Erfolg dieses Kongresses gearbeitet.

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Zum Umgang mit der Pharmaindustrie

Ich hatte Gelegenheit, die gesamte Zeit über an diesem Kongress teilzunehmen ("Thanks to the German Army no sponsoring was necessary!") und war von der Fülle der Themen und der Qualität der Vorträge genauso beeindruckt wie von der Präsenz der Industrie und der Bereitwilligkeit der internationalen Ärzteschaft, sich mit gesponserten Lunchpaketen knisternd in Mittagssymposien über neue Impfstoffe oder alte Zeckenfragestellungen zu begeben.

Der Eintrittspreis für den Besuch eines solchen Kongresses ist hoch und eigentlich prohibitiv - "honi soit qui mal y pense" könnte man dazu sagen. Und es ist meiner Meinung nach schon ein Problem, wenn die Teilnahme etwa 500-600 Euro zuzüglich Logis und Anreise kostet. Damit werden Ärzte vielleicht doch in die Arme von Sponsoren getrieben. Eine Website gibt dazu gute Hinweise und sollte jedem vertraut sein: www.nofreelunch.org, genau wie die Internetseite der Initiative unbestechlicher Ärztinnen und Ärzte www.mezis.de ("mein Essen zahl ich selbst").

Ich frage mich manchmal, ob man nicht gerade als Tropenmediziner bewusst Abstand von bestimmten Aktivitäten der Pharmaindustrie halten müsste. In Budapest zumindest war davon wenig zu spüren: Die Organisatoren titulierten die zu den Lunchpaketen drängenden Ärzte schon als hungrige Raubtiere ("hungry beasts"). Und wenn dann auf solchen Kongressen von Pharmafirmen organisierte Expertentreffen stattfinden, die Empfehlungen für bestimmte Maßnahmen aussprechen, wird es dann nicht doch grenzwertig? (Dies ist die persönliche Meinung des Autors, keine Stellungnahme der DTG. Conflict of interest: Der Autor hat Honorare verschiedener Firmen für Fortbildungsvorträge erhalten und zahlt sein Essen auch nicht immer selbst ...) Vielleicht lässt sich hier eine Diskussion unter unseren Mitgliedern in Gang setzen.

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Medizingeschichte von der Antike bis zur Jahrhundertwende

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Ignaz Semmelweis.

Budapest ist eine schöne, nur noch wenig sozialistischgammelig anmutende Stadt mit Pariser Flair, nicht zuletzt wegen der Architektur von Eiffel und seinen Zeitgenossen. Markthalle und stählerne Hängebrücke, Mansardenhäuser, großzügige Boulevards als Hauptachsen sowie die Promenade an der Donau entlang geben einen französischen Touch, der durch anspruchsvolle Kunstmuseen und lebhafte Straßencafés noch ergänzt wird. Intime und große Plätze, oft von internationaler Studentenschaft belebt, touristisch anmutende Fußgängerzonen mit Zigeunermusikkneipen, kleine Weinstuben und auch ambitionierte Restaurants (Babel, Costes) runden das Bild ab. Der immer besser werdende ungarische Wein ist eine längere Verkostung wert, nicht nur der berühmte Tokajer. In der schönen alten Markthalle konnte man fabelhaftes Paprikapulver kaufen - Welten trennen es von dem bei uns erhältlichen roten Mehl ... immer mal wieder sind übrigens interessanterweise Salmonellenausbrüche auf kontaminiertes Paprikapulver zurückzuführen.

Ein kleines Museum hat mich besonders beeindruckt. Im Geburtshaus von Ignaz Phillip Semmelweis (1818-1865) auf dem Budaer Ufer zu Füßen der Burg ist eine rührend altmodische medizingeschichtliche Ausstellung in diesem vom Smog und Verkehr mitgenommenen kleinen Barockhaus mit hübschem Innenhof eingerichtet. Im Obergeschoß befindet sich eine kuriose Sammlung, die versucht, die Traditionen und technischen und klinischen Entwicklungen der Heilkunst von den Anfängen über die Antike bis zur Jahrhundertwende in Semmelweis personifiziert darzustellen.

Man wird von liebenswerten älteren Herrschaften empfangen, nach der Heimatsprache gefragt und bekommt dann einen Ordner mit Erläuterungstexten zu den zahlreichen Vitrinen in die Hand, mit dem man dann stillvergnügt von Schatz zu Schatz und von Kuriosität zu Kuriosität wandern kann. Es ist die Entwicklung chirurgischer Instrumente von grobschlächtigen Klingen und grausam anmutenden Brenneisen bis hin zu feinen ziselierten Skalpellen und Häkchen zu sehen. Kunstvolle Wachsmoulagen, darunter eine fast lebensgroße Frauengestalt, deren Blutkreislauf in blau und rot anatomisch richtig nachgebildet ist, lassen einen an Gunther von Hagen denken, der dazu allerdings ja mehr als Wachs verwendet. Eine frühe Röntgeneinrichtung erinnert an die entsprechende Szene im Zauberberg und eine stattliche Sammlung von teils hochdekorativen und künstlerisch gedrechselten Toilettenstühlen zeigt, wie schön und liebevoll auch anrüchige Gebrauchsgegenstände vor unserer Moderne hergestellt wurden.

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Bild: MEV

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Pionier der Hygiene

Schließlich finden sich in diese Technikgeschichte eingebettet Dokumente und Erläuterungen zum Leben und zur Lebensleistung von Semmelweis, diesem Pionier der Hygiene und modernen antiseptischen Geburtshilfe. Diese belegen, wie unmenschlich - aus Konkurrenzgründen, aus Ignoranz und aus politischen Gründen - seine Kollegen mit ihm umgegangen sind, was ihn letztlich in den Irrsinn und die Irrenanstalt Döblin getrieben hat. Es ist ein tragisches Detail, dass er dort an der Infektion einer Wunde starb, die ihm ein brutaler Pfleger zugefügt hatte (nach anderer Lesart hat sich Semmelweis im Furor in einen anatomischen Hörsaal begeben und sich dort an einer Leiche infiziert), nachdem er selbst doch schon 1847 geschrieben hatte: "Nicht bloß die an der Hand klebenden Kadaverteile (von Sektionen), sondern Jauche, vom lebenden Organismus herrührend, erzeugen das Kindbettfieber. Es müssen daher die Hände des Untersuchenden nicht bloß nach der Beschäftigung mit Kadavern, sondern nach der Untersuchung von Individuen, bei welchen die Hand mit Jauche verunreinigt werden kann, in Chlorwasser gewaschen werden, bevor zur Untersuchung eines zweiten Individuums geschritten werden kann."

Es gelang so, die Wöchnerinnensterblichkeit in der von Semmelweis geleiteten Klinik von 12 auf 2,45 % zu senken - andere sprachen zu dieser Zeit noch von gutem und lobenswertem Eiter ("pus bonum et laudabile"). Dr. Joseph Lister (1827-1912) konstatierte später verwundert, dass weder 1865 noch 1885 bei seinen Besuchen in Budapest der Name Semmelweis auch nur einmal erwähnt worden sei. Interessanterweise hat der antisemitische, aber bedeutende Schriftsteller und Armenarzt L. F. Céline über ihn, den Juden, 1924 promoviert, 1937 erscheint seine Arbeit als Buch. Es schließt mit dem Satz: "Er war ein großes Herz und ein medizinisches Genie". Es mag Semmelweis ein kleiner, später Trost sein, dass die Frauenklinken in Budapest nach ihm benannt sind, teils graue und triste, noch von Einschüssen gezeichnete Gebäude mit lärmenden Klimaanlagen in den Fensternischen.

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Bemerkenswerte Vorträge, anschauliche Kasuistiken ...

Zurück zum wissenschaftlichen Kongress und den Vorträgen. Besonders im Gedächtnis sind mir einige Vortragende geblieben, die entweder zu sehr persönlichen Erfahrungen Stellung nahmen, wie es Prof. D. A. Warrell in "Discovering Africa" als Eröffnungsredner tat, oder die zu medizingeschichtlichen, politisch-sozialen Zusammenhängen referierten, wie Prof. D. Patrick aus Vancouver, der in einem auch didaktisch sehr gut aufbereiteten Vortrag zum Thema "Impact of Early European Travelers on Aboriginal Populations" sprach (kein Ruhmesblatt für uns Europäer, besonders was die Pockenimpfung indigener Bevölkerungen anging).

Ein Thema des letzten Tages, was mich in Ermangelung eigener Kinder eigentlich gar nicht interessierte, wurde zu einem der Höhepunkte aller Vorträge: Die Organisatoren hatten Dr. D. Shlim - jetzt USA, früher Arzt in Kathmandu - gebeten, zum Thema "Adventurous Travel for Adventurous Kids" zu sprechen. Wie er dieser nicht leichten Aufgabe unter Heranziehen seiner eigenen Erfahrungen mit Sprösslingen, unter Einsatz einer großen Portion angelsächsischen Humors und der Darlegung von harten Fakten zum Thema gerecht wurde, war fabelhaft. Ein Redner, den man sich merken muss.

Sehr anschauliche Kasuistiken post- and pre-travel und einige sehr informative Darstellungen von Reiseländern, viele auch klinisch interessante Poster und die oben schon genannten Industriesymposien vor allem zum Thema Rifaximin und Japan-B-Impfung rundeten das Programm ab, das auch für die Standards und "how-to-do-it"-Sitzungen genügend Platz bot.

Dr. Hinrich Sudeck, Hamburg

 
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Ignaz Semmelweis.

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Bild: MEV