Diabetes aktuell 2009; 7(6): 292
DOI: 10.1055/s-0029-1242889
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Neue Leitlinien bei Symptomen des unteren Harntrakts - Urologen empfehlen Anticholinergika bei "Male LUTS"

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Publication Date:
20 November 2009 (online)

 
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In den von der European Association of Urology (EAU) erarbeiteten neuen Leitlinien zu Symptomen des unteren Harntrakts beim Mann nimmt die benigne Prostatahyperplasie (BPH) keine zentrale Stellung mehr ein. Der neue Terminus lautet "Male LUTS". Als weitere Neuheit empfehlen die Leitlinien Anticholinergika zur Therapie.

BPH bezeichnet lediglich die histologische Veränderung der Prostata, sagte Dr. Matthias Oelke, Hannover. Die Ursache für LUTS (lower urinary tract symptoms) muss nicht unbedingt eine Prostatavergrößerung sein. Deshalb der neue Oberbegriff "Male LUTS", unter dem die Symptome überaktive Blase, Blasenauslassobstruktion mit vermindertem maximalen Harnfluss oder Restharnbildung und die Blasenmuskelschwäche (Detrusorhypoaktivität) subsummiert werden.

Die epidemiologische EPIC-Studie[1] räumte mit dem Vorurteil auf, dass die Symptome einer überaktiven Blase wie Pollakisurie, Nykturie und imperativer Harndrang vor allem bei Frauen vorkommen. Der Studie zufolge sind die Beschwerden bei Männern und Frauen unter 70 Jahren in Europa etwa gleich häufig verbreitet, beispielsweise bei den 60-69-Jährigen mit 14,8 bzw. 13,2 %. Bei Männern über 70 Jahre steigt die Prävalenz stärker an als beim weiblichen Geschlecht (32,3 vs. 23,9 %), betonte PD Dr. Christian Hampel, Mainz.

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Sicherheitsaspekte berücksichtigen

Da die Symptome des unteren Harntrakts bei Männern nicht unbedingt mit einer gutartigen Prostatavergrößerung (BPE) verbunden sind, empfehlen die neuen Leitlinien als Alternative zu α-Blockern mit dem Evidenzgrad 1b Anticholinergika als Monotherapie oder in Kombination mit α-Blockern, so Hampel.

Anticholinergika sollten jedoch nicht bei Patienten mit einer Blasenauslassobstruktion verordnet werden, da als Nebenwirkung die Gefahr eines Harnverhalts oder einer Zunahme des Restharnvolumens besteht. Laut Hampel besteht diese Gefahr nicht bei Patienten ohne Obstruktion.

Bei der Verordnung von Anticholinergika sind noch andere Sicherheitsaspekte zu berücksichtigen, welche vor allem die überwiegend älteren Patienten betreffen. Dabei ist insbesondere die negative Wirkung nicht selektiver, auch den Muskarinrezeptor M1 im Zentralnervensystem blockierenden Substanzen auf die kognitive Funktion zu beachten. Diese und besonders die Leistungsfähigkeit des Kurzzeitgedächtnisses sind bei älteren Patienten bereits oft eingeschränkt, so Hampel. Außerdem werden infolge mehrerer zu behandelnder Krankheiten häufig mehrere anticholinergisch wirkende Substanzen verordnet, wobei sich der Effekt auf die kognitive Funktion verstärken kann.

Vorzuziehen sind laut Hampel deshalb Anticholinergika ohne antimuskarine Wirkung am ZNS. So konnte für Darifenacin (Emselex®) gezeigt werden, dass dieses Anticholinergikum im Vergleich zu anderen antimuskarinen Substanzen die höchste relative Selektivität zum M3-Rezeptor hat [3], [4]. Dieser Rezeptor ist für die Kontraktion der Harnblasenmuskulatur verantwortlich.

Inwieweit Darifenacin die zerebrale Leistungsfähigkeit beeinflusst, wurde im randomisierten, doppelblinden Gruppenvergleich gegen ratardiertes Oxybutynin und Placebo an insgesamt n = 150 mindestens 60-jährigen Probanden geprüft. Darifenacin bewirkte in der therapeutischen Dosis von zunächst 7,5 mg, dann obligat 15 mg pro Tag keinen Unterschied in der Gedächtnisleistung zu Placebo, wohingegen sich das Kurzzeitgedächtnis unter Oxybutynin retard deutlich verschlechterte (statistisch signifikanter Unterschied zu Darifenacin und Placebo) [5].

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Wirksamkeit bei älteren Patienten

Da die Prävalenz der überaktiven Blase mit dem Alter steigt und die Komorbiditäten zunehmen, ist die Wirksamkeit und Sicherheit der Therapie wichtig. Dies belegte eine Metaanalyse[6] der Daten von 317 Patienten im Alter über 65 Jahre. Die Ergebnisse weisen darauf hin, dass Darifenacin genauso wirksam und verträglich ist wie bei jüngeren.

So kam es unter der Therapie zu einem signifikanten Rückgang der Inkontinenzepisoden im Vergleich zu Placebo. Die Verringerung betrug bei der Therapie mit Darifenacin 7,5 mg im Vergleich zu Placebo 66,7 vs. 34,8 % und mit Darifenacin 15 mg im Vergleich zu Placebo 75,9 vs. 44,8 %. Darüber hinaus verbesserten sich die Parameter Miktions- und Drangfrequenz sowie die Blasenkapazität signifikant gegenüber Placebo.

In den klinischen Studien waren Mundtrockenheit und Obstipation die am häufigsten genannten Nebenwirkungen. Sie wurden von den Patienten meist als leicht oder mittelgradig eingestuft.

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PDE-5-Inhibitoren bei irritativen Symptomen

Nach den neuen Leitlinien werden bei "Male LUTS" auch Phosphodiesterase-5-Hemmer empfohlen, sagte Prof. Christian Stief, München. Diese sind allerdings bisher nur für die Therapie der erektilen Dysfunktion (ED) zugelassen. In prospektiven, placebokontrollierten Studien hatten PDE-5-Inhibitoren einen signifikanten Effekt auf LUTS. Dieser betrifft laut Stief die irritative Komponente der Symptomatik. Dagegen blieb die Obstruktion unbeeinflusst. In einer eigenen Untersuchung belegte Stief bei der täglichen Gabe von Vardenafil zweimal täglich 10 mg günstige Effekte auf die erektile Funktion und auf die irritativen LUTS-Symptome.

Als potenziell sinnvolle Kombinationen sieht Stief einen PDE-5-Inhibitor plus α-Blocker bei Vorliegen einer ED, Antimuskarinika plus α-Blocker, wenn die überaktive Blase die dominierende Symptomatik ist, sowie α-Blocker plus 5-α-Reduktaseinhibitor bei hohem Progressionsrisiko.

Dr. Ralph Hausmann, Frankfurt

Mit freundlicher Unterstützung von Bayer Vital. Quelle: Pressekonferenz: "BPH gibt es nicht mehr! Behandlungsmöglichkeiten von "Male LUTS mit Anticholinergika", 17.9.2009 in Dresden. Der Autor ist freier Journalist.

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Literatur

  • 01 Irwin D . et al . Eur Urol Suppl. 2006;  5 157
  • 02 Tune LE . et al . Am J Psychiatr. 1992;  149 1393-1394
  • 03 Napier C . et al . Neurourol Uradyn. 2002;  21 abstract 445
  • 04 Ikeda K . et al . Arch Pharmacol. 2002;  366 97
  • 05 Kay G . et al . European Urol. 2006;  50 317-326
  • 06 Foote JE . J Am Geriatr Soc. 2004;  52
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Literatur

  • 01 Irwin D . et al . Eur Urol Suppl. 2006;  5 157
  • 02 Tune LE . et al . Am J Psychiatr. 1992;  149 1393-1394
  • 03 Napier C . et al . Neurourol Uradyn. 2002;  21 abstract 445
  • 04 Ikeda K . et al . Arch Pharmacol. 2002;  366 97
  • 05 Kay G . et al . European Urol. 2006;  50 317-326
  • 06 Foote JE . J Am Geriatr Soc. 2004;  52