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DOI: 10.1055/s-0029-1245024
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart ˙ New York
Alternative Antikoagulation bei HIT II - Welches Antikoagulans eignet sich für Nierenkranke besonders?
Publikationsverlauf
Publikationsdatum:
05. Januar 2010 (online)
- Diagnose mithilfe der 4 Ts
- Das ideale Antikoagulans
- Argatroban ist das einzige Antikoagulans, das nicht renal eliminiert wird
- Besonders gleichmäßige Antikoagulation bei kontinuierlicher Infusion
- Bei kritisch Kranken Dosis deutlich reduzieren
- Literatur
Heparin setzt die Gerinnungsfähigkeit des Blutes herab und wird bei Patienten mit einem erhöhten Thromboserisiko eingesetzt. Auch bei Dialysepatienten kommt Heparin zum Einsatz. Denn durch den Kontakt des Blutes mit den künstlichen Oberflächen des extrakorporalen Dialysekreislaufs wird das Gerinnungssystem aktiviert und die Gefahr einer Thrombenbildung steigt.
Die heparininduzierte Thrombozytopenie Typ II, kurz HIT II genannt, ist mit einer Häufigkeit von 1-5 % eine seltene, aber schwerwiegende Komplikation bei Heparingabe [1], die auch chronische Dialysepatienten treffen kann. Am häufigsten sind dialysepflichtige Intensivpatienten betroffen.
Bei der immunvermittelten HIT II bilden sich Antikörper gegen den Komplex aus Heparin und Plättchenfaktor 4, die als Antigen-Antikörper-Komplex Thrombozyten aktivieren und zu einer massiven Thrombinfreisetzung führen können. Die Thrombozytenzahl sinkt und die Gefahr für thromboembolische Komplikationen steigt. Typischerweise tritt eine HIT II zwischen dem 5. und 23. Tag nach Beginn einer Heparintherapie auf. Lebensbedrohliche Komplikationen wie Lungenembolien, Schlaganfall und Herzinfarkt können die Folge sein.
Diagnose mithilfe der 4 Ts
Die Diagnose wird unter Zuhilfenahme des 4-T-Scores anhand klinischer Symptome gestellt, erläuterte Dr. Andreas Link, Homburg/Saar (Abb. [1]). Das Scoring-System basiert auf einem Symptomkomplex der 4 wichtigsten klinischen Kriterien für eine HIT II, der Thrombozytopenie, dem zeitlichen Zusammenhang des Thrombozytenabfalls mit einer Heparintherapie ("timing of onset"), der Thrombose und dem Ausschluss anderer Ursachen einer Thrombozytopenie ("oTher causes"). Jedes einzelne Kriterium kann mit 0, 1 oder 2 Punkten bewertet werden. Ein Screening auf HIT-Antikörper mittels ELISA-Test (ELISA: "Enzyme-linked Immunosorbent Assay") ist Link zufolge kein geeignetes Instrument zur Identifizierung von HIT-II-Patienten. Aufgrund der relativ niedrigen Spezifität ist das Risiko für falsch positive Ergebnisse hoch.


Abb. 1 Der 4-T-Score zur Diagnose einer HIT II.
Das ideale Antikoagulans
Liegt eine HIT II vor oder besteht auch nur der Verdacht darauf, muss Heparin sofort abgesetzt werden. Als alternatives Antikoagulans stehen verschiedene Präparate zur Verfügung. Wenn PD Karl-Georg Fischer, Freiburg, sich das ideale alternative Antikoagulans zusammenstellen könnte, hätte es folgende Eigenschaften:
-
kurze Halbwertszeit
-
nachgewiesene Effektivität
-
keine Abhängigkeit von Kofaktoren
-
adäquate Sicherheit
-
verlässliches Monitoring mit Routinetests
Neben dem Heparinoid Danaparoid, kommen die direkten Thrombininhibitoren Lepirudin und Argatroban zum Einsatz. Grundvoraussetzung für eine gute alternative Antikoagulation ist laut Fischer eine genaue Kenntnis der einzelnen Substanzen, nur auf dieses Weise könne das individuell beste Risiko-Nutzen-Profil für die Patienten erzielt werden.
Bei Danaparoid kann die lange Eliminationshalbwertszeit von 25 Stunden mit zunehmender Niereninsuffizienz auf bis zu 48 Stunden ansteigen und eine Dosisanpassung erforderlich machen [4]. Problematisch kann die Kreuzreaktivität mit den HIT-Antikörpern sein, erläuterte Fischer [3]. Das Blutungsrisiko ist mit 46 % deutlich erhöht [5]. Das Monitoring ist aufwendig, weil es ausschließlich über die Messung der anti-Xa-Aktivität (Xa: Blutgerinnnungsfaktor) erfolgt. Die anti-Xa-Halbwertszeit ist bereits beim Nierengesunden hoch und beim Nierenkranken entsprechend noch einmal erhöht. Eine ganz praktische und sehr gewichtige Einschränkung: Danaparoid ist aktuell nicht verlässlich verfügbar.
Lepirudin erfordert viel Erfahrung vom Therapeuten. Da die Elimination stark von der Nierenfunktion abhängig ist, sollte man bei Niereninsuffizienz extrem vorsichtig sein, betonte Fischer. Bei anurischen Patienten kann Lepirudin bis zu 50 h im Körper bleiben und so zu einer deutlichen Überdosierung führen. Unter Therapie mit Lepirudin entwickeln rund die Hälfte aller Patienten anti-Hirudin-IgG-Antikörper, die durch Komplexbildungen dessen Wirksamkeit verstärken können, gab Link zu bedenken [6]. Das Blutungsrisiko ist bei einer Antikörperbildung aufgrund der verlängerten Eliminationshalbwertszeit erhöht. Dies ist besonders für die Zeitperiode zwischen den Dialysesitzungen von großer klinischer Bedeutung, da hier in der Regel keine ärztliche Kontrolle der Antikoagulation erfolgt. Danaparoid und Lepirudin werden renal eliminiert, was deren Einsatz bei nierenkranken Patienten also von vornherein einschränkt - anders Argatroban.
Argatroban ist das einzige Antikoagulans, das nicht renal eliminiert wird
Argatroban wird hauptsächlich über die Leber verstoffwechselt. Es bindet spezifisch und reversibel an das katalytische Zentrum des Thrombins. Argatroban hemmt neben freiem auch fibringebundenes Thrombin und reduziert dadurch auch das Wachstum bereits bestehender Thromben.
Durch die kurze Halbwertszeit von 45-60 min und die reversible Bindung an Thrombin ist es gut zu steuern und damit für die Hämodialyse geeignet. Bereits 1 bis maximal 3 Stunden nach der intravenösen Gabe ist das "steady state" erreicht, nach Therapieende klingt die gerinnungshemmende Wirkung rasch ab.
Klinischen Untersuchungen zufolge werden keine Antikörper gebildet und auch Kreuzreaktionen mit heparininduzierten Antikörpern sind nicht zu erwarten. Das Monitoring der Antikoagulation erfolgt über Routinetests wie die aPTT (aktivierte partielle Thromboplastinzeit). Der Zielbereich für die aPTT im Gleichgewichtszustand ("steady state") beträgt das 1,5-2,5-Fache des Ausgangswertes vor Therapiebeginn, sollte jedoch nicht länger als 100 Sekunden sein. Noch besser ist Fischer zufolge die indirekte Spiegelmessung über den pharmakodynamischen Effekt mittels Ecarinzeit (ECT: "Ecarin clotting time").
Besonders gleichmäßige Antikoagulation bei kontinuierlicher Infusion
Die ersten prospektiven Studienergebnisse zum Einsatz von Argatroban bei Patienten unter Nierenenersatztherapie sind vielversprechend [7]. Murray et al. untersuchten 3 Therapieregime (Abb. [2]): Im 1. Therapiearm erhielten die Patienten einen Bolus von 250 µg/kg zu Beginn der Hämodialyse und einen weiteren Bolus von 250 µg/kg nach 2 Stunden, wenn die aktivierte Gerinnungszeit (ACT: "activated clotting time") unter 140 % des Ausgangswertes gesunken war. Im 2. Therapieregime erhielten die Patienten neben dem Bolus eine kontinuierliche Infusion mit 2 µg/kg/min bis eine Stunde vor Ende der Dialyse. Beim 3. Dosierungsschema wurde 4 Stunden vor Beginn der Dialyse eine kontinuierliche Infusion mit 2 µg/kg/min begonnen, um eine stabile Argatroban-Plasmakonzentration vor Beginn der Dialyse zu erreichen.


Abb. 2 Vergleich der ACT bei Hämodialysepatienten unter 3 verschiedenen Dosierungsschemata mit Argatroban. ACT = Gerinnungszeit ("activated clotting time") nach [7]
Eine besonders gleichmäßiger antikoagulativer Effekt wurde in den beiden Dosierungsschemata mit der kontinuierlichen Infusion erzielt. Das Sicherheitsprofil war in allen Therapiearmen gut, thrombotische oder andere ernsthafte unerwünschte Wirkungen traten unter der Argatrobantherapie nicht auf.
Bei kritisch Kranken Dosis deutlich reduzieren
Bei hospitalisierten Patienten mit Verdacht auf eine HIT II ist es sinnvoll, von der Standarddosierung mit 2 µg/kg/min abzuweichen. Wie Koster et al. in einer Untersuchung herausfanden, war beispielsweise die initiale Argatrobandosis von 1 µg/kg/min bei dialysepflichtigen Patienten nach einem herzchirurgischen Eingriff deutlich zu hoch [8]. Bei Patienten mit einer milden bis mäßigen Leberfunktionseinschränkung sollte ebenfalls die Argatrobandosierung auf 0,5 µg/kg/min herabgesetzt werden.
Die genaue Argatrobandosierung bei Intensivpatienten ist abhängig von der Schwere der Erkrankung, die über die Anzahl der betroffenen Organe mit Dysfunktion bestimmt werden kann (SOFA-Score: "sequential organ failure assessment score system"). Diese lässt sich, führte Link aus, mithilfe verschiedener Score-Systeme ermitteln. Je nach Höhe des Child-Pugh-Score, der das Maß der Leberschädigung angibt, des SAPS-II-Score ("simplified acute physiology II Score) oder des SOFA-Score kann teilweise eine Reduktion auf bis zu 0,1 µg/kg/min erforderlich sein [9].
Auch wenn Argatroban hauptsächlich hepato-biliär eliminiert wird, ist Fischer zufolge auch ein Einfluss der Nierenfunktion auf die Eliminierung nicht ganz auszuschließen. Besonders bei einer Kombination aus Leber- und Niereninsuffizienz ist daher eine deutlich reduzierte Dosis angebracht.
Birgit Kleinlein, Stuttgart
Dieser Beitrag entstand mit freundlicher Unterstützung der Mitsubishi Pharma Deutschland GmbH, Düsseldorf Die Beitragsinhalte stammen vom Symposium "Wenn Heparin Probleme macht - Alternative Antikoagulation bei HIT II", veranstaltet von der Mitsubishi Pharma Deutschland GmbH, Düsseldorf, im Rahmen des Nephrologiekongresses 2009 Die Autorin ist Mitarbeiterin des Georg Thieme Verlags KG, Stuttgart |
Literatur
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Abb. 1 Der 4-T-Score zur Diagnose einer HIT II.


Abb. 2 Vergleich der ACT bei Hämodialysepatienten unter 3 verschiedenen Dosierungsschemata mit Argatroban. ACT = Gerinnungszeit ("activated clotting time") nach [7]