Zusammenfassung
Röntgen hat über die Umstände, die ihn zu seiner Entdeckung der „neuen Strahlen” führten,
wenig mitgeteilt. Damit waren Spekulationen und Vermutungen Tür und Tor geöffnet.
Als Beitrag zu einer seriösen wissenschaftshistorischen Analyse wird hier ein bisher
unbeachtet gebliebener Brief vorgestellt. Es handelt sich um eine Bestellung sehr
dünner Kristallschliffe. Datiert vom 15.11.1895 muss der Brief als die früheste dokumentierte
Äußerung Röntgens unmittelbar nach der ersten Wahrnehmung der neuen Strahlen am 8.11.1895
gelten. Er scheint auf eine herausgehobene Rolle der von Philipp Lenard, Nobelpreisträger
von 1905, entworfenen und von Louis Müller-Unkel geblasenen Kathodenstrahlröhre bei
der Entdeckung der neuen Strahlen zu verweisen. Das stünde zumindest teilweise im
Widerspruch zu einer auf die Würzburger Bestellkorrespondenz Röntgens gestützten Analyse,
die der Autor et al. vor einigen Jahren veröffentlichten. So erlaubt die nunmehr vervollständigte
(?) Bestellkorrespondenz Röntgens einen einigermaßen verlässlichen Schluss auf Röntgens
Intentionen in dieser folgenreichen Zeit. Der Autor fand das Autograf als Bestandteil
der Sammlung Darmstaedter in der Handschriftenabteilung der Staatsbibliothek Berlin.
Abstract
Due to the fact that Röntgen never reported the details of the discovery of his ”new
rays”, he left the door open for speculative interpretations. As a contribution to
a serious analysis of the history of Röntgen’s discovery, this paper presents a previously
unnoticed letter relating to an order of a number of very thin crystalline absorbers.
The addressee is unfortunately unknown. The letter is dated November 15, 1895. Therefore,
this letter must be considered to be the first well documented remark made by Röntgen
after seeing the earliest indications of the new rays only one week earlier. The order
seems to emphasize the role of a particular type of cathode ray tube developed by
Philipp Lenard, Nobel Prize winner of 1905, and manufactured by the glassblower Louis
Müller-Unkel in the discovery of the new radiation. It partly contradicts an analysis
based on Röntgen’s order book from Würzburg made by the author et al. some years ago.
Completed by the document presented here, Röntgen’s order correspondence allows some
insight into Röntgen’s intentions during this productive period. The autograph was
found at Staatsbibliothek Berlin, Sammlung Darmstaedter, by the author.
Key words
history - cathode ray tubes - gas discharge experiments - Hittorf tubes - Philipp
Lenard - Louis Müller-Unkel
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Prof. Günter Dörfel
Forschungstechnik, Leibniz-Institut für Festkörper- und Werkstoffforschung Dresden
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