Rofo 2010; 182(1): 93-94
DOI: 10.1055/s-0029-1246261
DRG-Mitteilungen
Radiologie und Recht
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Keine Bedarfsprüfung und Unzulässigkeit der Drittanfechtung bei Zweigpraxisgenehmigung

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Rechtsanwälte Wigge

Dr. Peter Wigge RA, Fachanwalt für Medizinrecht

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Publication Date:
18 January 2010 (online)

 
Table of Contents

Das Bundessozialgericht (BSG) hat mit Urteil vom 28.10.2009 (Az.: B 6 KA 42/08 R) entschieden, dass bei der Genehmigung einer Zweigpraxis keine Bedarfsprüfung stattfindet und dass bereits zugelassene Vertragsärzte nicht berechtigt sind, die einem Konkurrenten erteilte Genehmigung anzufechten. Die Urteilsgründe liegen bisher, bis auf einen kurzen Terminbericht, nicht vor, sodass nachfolgend auf die wesentlichen Kernaussagen der Entscheidung eingegangen wird.

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Zweigpraxis und Zulassungsbeschränkungen

Seit dem Inkrafttreten des VÄndG am 01.01.2007 steht es Vertragsärzten gemäß § 24 Abs. 3 Ärzte-ZV explizit frei, Zweigpraxen zu gründen. Vertragsärztliche Tätigkeiten außerhalb des Vertragsarztsitzes an weiteren Orten sind danach zulässig, wenn und soweit

1. dies die Versorgung der Versicherten an den weiteren Orten verbessert und

2. die ordnungsgemäße Versorgung der Versicherten am Ort des Vertragsarztsitzes nicht beeinträchtigt wird.

Im Gegensatz zu der Rechtslage vor Inkrafttreten des VÄndG ist nach dem Wortlaut des § 24 Abs. 3 Ärzte-ZV die Feststellung eines entsprechenden Versorgungsbedarfs zur Genehmigung einer Zweigpraxis nicht erforderlich. Voraussetzung ist allerdings eine "Verbesserung der Versorgung" der Versicherten an dem weiteren Tätigkeitsort und dass die ordnungsgemäße Versorgung der Versicherten am Ort des Vertragssitzes nicht beeinträchtigt wird.

An welchen Kriterien eine "Verbesserung der Versorgung" an dem weiteren Tätigkeitsort gemessen werden muss, war bisher nicht geklärt, da es sich bei dieser Formulierung um einen unbestimmten Rechtsbegriff handelt, der weder in der Ärzte-ZV, noch in den Bundesmantelverträgen (BMV-Ä/EKV) näher konkretisiert wird. Auch aus den Gesetzesmaterialien ist lediglich zu entnehmen, dass die Anforderungen an eine Zweigpraxis "geringer" sein sollen, als dies nach altem Recht der Fall war.

Das Bayerische Landessozialgericht hatte als Berufungsinstanz in einer Entscheidung vom 23.07.2008 (Az.: L 12 KA 3/08) festgestellt, dass es in sich widersprüchlich erscheine, eine Verbesserung der Versorgung allein aufgrund der Tätigkeit eines weiteren Arztes an einem Ort anzunehmen, etwa weil jedes zusätzliche Leistungsangebot die Versorgung verbessere. Denn dann hätte es der Einfügung des Tatbestandsmerkmals der Verbesserung in § 24 Abs. 3 Ärzte-ZV nicht bedurft. Zur Vermeidung eines Regelungswiderspruchs zur bestehenden Bedarfsplanung sei es erforderlich, eine Verbesserung hinsichtlich eines Leistungsangebots nicht anzunehmen, wenn eine Überversorgung mit der Leistung bestehe. Im Ergebnis bedeutete dies, dass die Genehmigung für eine Zweigpraxis nur hätte erteilt werden können, wenn in der betreffenden Fachgruppe an diesem Ort die Voraussetzungen eines "besonderen lokalen Sonderbedarfs" im Sinne des § 101 Abs. 1 Nr. 3a SGB V erfüllt sind.

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Keine Bedarfsprüfung

Das BSG hat diese einschränkende Auslegung der Tatbestandsvoraussetzungen in § 24 Abs. 3 Satz 1 Ärzte-ZV durch das Bayerische LSG nicht geteilt. Nach Auffassung des BSG findet bei der Genehmigungserteilung einer Zweigpraxis eine Bedarfsprüfung durch die Zulassungsgremien wie bei Ermächtigungen und Sonderbedarfszulassungen nicht statt. Der Gesetzgeber des VÄndG habe die Versorgung der Versicherten optimieren und die Möglichkeit des Betriebs von Zweigpraxen, im Unterschied zum früher geltenden Recht, nicht auf Fälle der Behebung von Versorgungsengpässen beschränken wollen. Erforderlich, aber auch ausreichend ist es nach Ansicht des BSG, wenn das bestehende Leistungsangebot zum Vorteil für die Versicherten in qualitativer - unter Umständen auch in quantitativer - Hinsicht erweitert wird. Danach ist es für die Genehmigung einer Zweigpraxis zukünftig unerheblich, ob an dem "weiteren Ort" für das Fachgebiet des antragstellenden Vertragsarztes Zulassungsbeschränkungen bestehen. Als ausreichend zur Verbesserung der Versorgung ist es danach anzusehen, wenn längere Wartezeiten für Versicherte an dem zusätzlichen Standort vermieden werden. Für Radiologen bedeutet dies, dass bereits die Auslastung der Geräte radiologischer Praxen an dem Standort, für den die Zweigpraxis beantragt worden ist, einen Anspruch auf Genehmigung und die Möglichkeit der Aufstellung eigener Geräte begründet.

Allerdings verpflichtet das BSG die KV und die Zulassungsgremien die in einem überversorgten Planungsbereich bestehende Versorgungssituation an dem "weiteren" Ort nicht außer Betracht zu lassen. Insbesondere sollen die Zulassungsgremien von dem ihnen im Rahmen von Entscheidungen nach § 24 Abs. 3 Sätze 1 und 2 Ärzte-ZV zustehenden Beurteilungsspielraum Gebrauch machen. Damit wird die Beurteilung der Verbesserung der Versorgung weitgehend in die Hände der KV und der Zulassungsgremien gelegt, deren Entscheidungen nur in begrenztem Umfang gerichtlich überprüfbar sind.

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Kein Anfechtungsrecht für Vertragsärzte

Die bisher nicht geklärte Rechtsfrage, ob niedergelassene Vertragsärzte gegen eine Zweigpraxisgenehmigung (Dritt-)Widerspruch und anschließend eine sog. defensive Konkurrentenklage erheben dürfen, hatte in der Vergangenheit dazu geführt, dass Antragsteller durch entsprechende Widersprüche und Klagen, aufgrund der aufschiebenden Wirkung nach § 96 Abs. 4 Satz 2 SGB V, § 86a Abs. 1 SGG, von ihrer Genehmigung bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung keinen Gebrauch machen konnten. Das BSG hat nun entschieden, dass vertragsärztliche Konkurrenten nicht berechtigt sind, die Erteilung der Genehmigung für eine Zweigpraxis anzufechten.

In seiner Begründung knüpft das BSG an die Grundsätze an, die es - der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG vom 17.8.2004, Az.: 1 BvR 378/00) folgend - in mehreren Urteilen herausgestellt hat. Das BVerfG hatte in seiner Entscheidung festgestellt, dass einem Vertragsarzt die Berechtigung zuzusprechen ist, die einem anderen Arzt erteilte Genehmigung zur Teilnahme an der ambulanten Versorgung anzufechten, wenn der Status des anfechtenden Vertragsarztes Vorrang vor demjenigen des durch den Verwaltungsakt begünstigten Arztes habe und der Anfechtende im selben räumlichen Bereich die gleichen Leistungen wie der Begünstigte anbiete. Es muss danach zwischen beiden Ärzten ein Vorrang-Nachrang-Verhältnis bestehen. Nach der Rechtsprechung des BSG bestehen 3 Voraussetzungen für die Anerkennung einer Drittanfechtungsberechtigung, nämlich

1. dass der Kläger und der Konkurrent im selben räumlichen Bereich die gleichen Leistungen anbieten, weiterhin,

2. dass dem Konkurrenten die Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung eröffnet oder erweitert und nicht nur ein weiterer Leistungsbereich genehmigt wird und ferner,

3. dass der dem Konkurrenten eingeräumte Status gegenüber demjenigen des Anfechtenden nachrangig ist. Letzteres ist der Fall, wenn die Einräumung des Status an den Konkurrenten vom Vorliegen eines Versorgungsbedarfs abhängt, der von den bereits zugelassenen Ärzten nicht abgedeckt wird.

Die Genehmigung einer Zweigpraxis gemäß § 24 Abs. 3 S. 1 und 2 Ärzte-ZV begründet jedoch nach Ansicht des BSG für den begünstigten Arzt, im Gegensatz zu einer Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung, einer Sonderbedarfszulassung oder einer Ermächtigung gem. § 116 SGB V keinen Status, sondern erweitert lediglich in tatsächlicher Hinsicht die bereits bestehenden Behandlungsmöglichkeiten des begünstigten Arztes. Die Zweigpraxisgenehmigung betrifft daher nicht den Zugang zur vertragsärztlichen Versorgung, sondern erschließt einem bereits zugelassenen Vertragsarzt lediglich einen weiteren räumlichen Leistungsbereich. Die dem begünstigten Arzt gewährte Berechtigung, einen 2. Standort zu unterhalten, ist daher nicht nachrangig gegenüber dem Status der an diesem Ort bereits tätigen Ärzte.

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Kritik an der Entscheidung

An diesem Ergebnis der Entscheidung mag man Zweifel anmelden, wenn man bedenkt, dass den gesetzlichen Vorgaben der vertragsärztlichen Bedarfsplanung die Annahme zugrunde liegt, dass jeder weitere Zustrom von ärztlichen Leistungserbringern in einen überversorgten Planungsbereich zu unterbleiben hat und durch die Genehmigung von Zweigpraxen ohne Bedarfsprüfung gegen diese gesetzlichen Vorgaben verstoßen wird. Insofern wird jeder bereits niedergelassene Vertragsarzt durch die Genehmigung einer Zweigpraxis in einem für das betreffende Fachgebiet gesperrten Planungsbereich, zusätzlich durch diese weiteren vertragsärztlich tätigen Ärzte in ihrer beruflichen Entfaltung eingeschränkt. Die damit verbundenen wirtschaftlichen Belastungen begründen nach der Auffassung des BVerfG das Recht zur Drittanfechtung. Eine abschließende Entscheidung dürfte in dieser Frage jedoch nur durch eine erneute Anrufung des BVerfG zu erwarten sein.

Allerdings fordert das BSG von den Zulassungsgremien, bei der Genehmigung die vor Ort bestehende Versorgungssituation nicht außer Betracht zu lassen. Dem Terminbericht zu dem Urteil ist nur diese allgemeine Aussage zu entnehmen. Ergänzend können jedoch die Aussagen des BSG aus einem Urteil vom 05.11.2008 (Az.: B 6 KA 56/07 R) zum Umfang der Bedarfsermittlung bei Sonderbedarfszulassungen herangezogen werden. Danach müssen sich die Zulassungsgremien ein möglichst genaues Bild der Versorgungslage im betroffenen Planungsbereich machen und selbst ermitteln, ob die in der Zweigpraxis angebotenen Leistungen zur Verbesserung der Qualität der vertragsärztlichen Versorgung erforderlich sind.

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Ergebnis

Die Entscheidung des BSG führt zu einer spürbaren Erleichterung der materiellen und prozessualen Anforderungen bei der Gründung von Zweigpraxen. Insbesondere die nach § 24 Abs. 3 Satz 4 und 5 SGB V eingeräumte Möglichkeit, Zweigpraxen auch mit angestellten Ärzten zu betreiben, erleichtert das Vorhaben, radiologische Filialpraxen zukünftig auch an Standorten außerhalb des eigenen Planungsbereichs zu eröffnen. Hinsichtlich der Annahme der Genehmigungsvoraussetzungen besteht für die Zulassungsgremien weiterhin ein gerichtlich nur beschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum, sodass es in der Konsequenz auf die Handhabung durch die jeweilige KV ankommt, ab wann bereits von einer Verbesserung der Versorgung auszugehen ist. Für niedergelassene Vertragsärzte hat die Entscheidung des BSG allerdings die formale Konsequenz, dass sie auch fehlerhafte Entscheidungen unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt gerichtlich überprüfen lassen können. Dieses Ergebnis ist unter der Weitergeltung der Bedarfsplanung bedenklich, auch wenn damit für die Antragsteller frühzeitig Rechtssicherheit geschaffen wird.

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