NOTARZT 2010; 26(4): 165-166
DOI: 10.1055/s-0030-1248490
Fortbildung
Der toxikologische Notfall
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Schwerer Verkehrsunfall

K.  Knoll1 , F.  Martens1
  • 1Charité – Universitätsmedizin Berlin, Campus Virchow Klinikum, Klinik für Nephrologie und internistische Intensivmedizin (komm. Direktoren: Prof. Dr. A. Jörres und Prof. Dr. R. Schindler)
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Publication Date:
13 August 2010 (online)

Der Fall

Lautes Klirren. Dadurch werden Passanten auf einen Kleinwagen aufmerksam, der mit geringer Geschwindigkeit gegen eine Hausecke gerollt und dann stehengeblieben war. Der Fahrer des Wagens rührt sich nicht. Alarmierung von Polizei und Rettungsdienst. Die Rettungsassistenten sehen einen etwa 30 Jahre alten Mann, schweißig, etwas Schaum vor dem Mund, geöffnete Augen, rhythmisches Zucken im Gesicht und an beiden oberen Extremitäten. Die pulsoxymetrische Sättigung ist normal, der Blutdruck mit 160 / 100 erhöht, ebenso wie die Herzfrequenz mit 130 Schlägen pro Minute. Der Blutzuckerschnelltest ergibt einen Wert von 125 mg%. Da den Rettungsassistenten nicht klar ist, ob die beobachtete Unruhe Folge eines Traumas ist, versuchen sie eine Halskrawatte anzulegen, was ihnen wegen der motorischen Unruhe des Patienten jedoch nicht gelingt. Daher wird der Notarzt nachalarmiert.

Aus den Schilderungen der Passanten, einem nur geringfügigen Blech- und Lampenschaden sowie den nicht ausgelösten Airbags lässt sich eine nur geringe Geschwindigkeit des Fahrzeugs beim Anprall an die Hauswand vermuten. Ein ernsteres Trauma scheint somit eher unwahrscheinlich. Die noch immer bestehenden Zuckungen des Gesichts und beider Arme lassen die Notärztin daher eher an ein Krampfgeschehen denken, das dem Fahrer die Kontrolle über sich und sein Fahrzeug entzogen hat.

Mithilfe der Rettungsassistenten gelingt es im zweiten Anlauf, eine Venenverweilkanüle zu legen und darüber fraktioniert 7 mg Midazolam zu applizieren. Danach sistieren die Zuckungen und jetzt kann auch ohne Gegenwehr des Patienten ein Stifneck angelegt werden.

Unter dem Verdacht eines Krampfanfalles wird der Patient dann nach Voranmeldung in ein nahegelegenes Krankenhaus transportiert. Bei der Übergabe dort öffnet er nach Schmerzreiz die Augen und bewegt seitenentsprechend die Arme, reagiert jedoch nicht auf Ansprache. Die hinzugezogenen Unfallchirurgen finden beim „Body check” keine offensichtlichen Traumafolgen, wollen jedoch eine umfänglichere Diagnostik mit Computertomografie vornehmen. Da der Patient – möglicherweise als Folge des von der Notärztin verabreichten Midazolams – intermittierend Atempausen und Sättigungsabfälle bietet, wird er vom Anästhesisten übernommen und zur Diagnostik narkotisiert, intubiert und beatmet.

Spiral-CT und Kopf-CT ergeben keine pathologischen Befunde. Nach Verlegung auf die Aufwachstation und abklingender Anästhesie erwacht der Patient und wird etwa 4 Stunden nach dem morgendlichen Ereignis extubiert.

Inzwischen sind die Ergebnisse der toxikologischen Analytik eingetroffen und ergeben hochtherapeutische Konzentrationen von Flunitrazepam und Doxepin, therapeutische Konzentrationen von Venlafaxin sowie Spuren von Gammahydroxybuttersäure (GHB).

Im psychiatrischen Konsil ergibt sich eine langjährig bestehende Polytoxikomanie insbesondere mit GHB und Gammabutyrolakton (GBL) sowie Flunitrazepam und Doxepin. Verordnet sei die abendliche Einnahme von Venlafaxin, Truvada® und Viramune®. Fremdanmnestisch ist vom Lebenspartner des Patienten eine seit wenigen Tagen bestehende Unruhe mit deutlicher Aggressivität erfahrbar. Der psychopathologische Befund ergibt Halluzinationen, eine deutliche Störung des Zeitgitters sowie einen deutlich gesteigerten Antrieb. Unter der psychiatrischen Diagnose eines GHB-Delirs mit Eigen- und Fremdgefährdung erfolgt die Einweisung in eine psychiatrische Klinik.

Literatur

  • 1 Iten P X, Oestreich A, Lips R. et al . Eine neue Droge erreicht die Schweiz: Koma nach Einnahme von Gamma-Hydroxybuttersäure.  Schweiz Med Wochenschr. 2000;  130 356-361
  • 2 Mason P E, Kerns W P. Gamma Hydroxybutyric Acid (GHB) Intoxication.  Acad Emerg Med. 2002;  9 730-739
  • 3 Craig K, Gomez H F, McManus J L. et al . Severe gamma-hydroxybutyrate withdrawal: a case report and literature review.  J Emerg Med. 2000;  18 65-70
  • 4 Dyer J E, Roth B, Hyma B A. Gamma-hydroxybutyrate withdrawal syndrome.  Ann Emerg Med. 2001;  37 147-153

Priv.-Doz. Dr. Frank Martens

Charité, Campus Virchow Klinikum, Klinik für Nephrologie und internistische Intensivmedizin

Augustenburger Platz 1

13353 Berlin

Email: frank.martens@charite.de

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