Rofo 2010; 182(4): 369-370
DOI: 10.1055/s-0030-1249448
DRG-Mitteilungen
Radiologie und Recht
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Lokale Versorgungsituation maßgeblich für Verlegung des Vertragsarztsitzes

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Rechtsanwälte Wigge

René T. Steinhäuser Rechtsanwalt

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Publication Date:
14 April 2010 (online)

 
Table of Contents

Im Laufe des Berufslebens eines vertragsärztlich tätigen Radiologen kann aus privaten und beruflichen Gründen das Bedürfnis entstehen, den Vertragsarztsitz zu verlegen. Grundsätzlich sieht die Zulassungsverordnung für Ärzte (Ärzte-ZV) das Recht des Arztes vor, dass dieser den Vertragsarztsitz auf Antrag bei dem Zulassungsausschuss seiner Kassenärztlichen Vereinigung verlegen kann. Der Zulassungsausschuss darf die Verlegung nur verweigern, wenn Gründe der vertragsärztlichen Versorgung dieser entgegenstehen. Den Nachweis der Ablehnungsgründe, die maßgeblich aber nicht ausschließlich in der lokalen Versorgungssituation liegen können, hat der Zulassungsausschuss zu erbringen, gelingt dies nicht, muss er die Verlegung genehmigen.

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Fallbeispiel eines niedersächsischen Radiologen

In einem Eilverfahren entschied das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen (Az. L 3 KA 73/09 B ER) am 15.10.2009 über einen Antrag eines Radiologen, der innerhalb eines Planungsbereiches die Verlegung seines Vertragsarztsitzes beim Zulassungsausschuss der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen beantragt hatte. Nachdem das Klinikum, mit dem der Radiologe einen Mietvertrag über die Nutzung von Untersuchungsgeräten abgeschlossen hatte, von diesem verlangte, dass er seinen Vertragsarztsitz in ein noch von dem Klinikum zu gründendes Medizinisches Versorgungszentrum einbringt, entschied sich der Radiologe seinen Vertragsarztsitz in ein anderes Krankenhaus zu verlegen. Seinen Verlegungsantrag lehnte der Zulassungsausschuss mit der Begründung ab, dass das aktuelle Einzugsgebiet des Radiologen 90 000 Einwohner umfasse, während das Einzugsgebiet des beantragen Vertragsarztsitzes rund 41 000 Einwohner umfasse. Die restlichen Einwohner des Planungsbereiches würden Ärzte in den angrenzenden Planungsbereichen aufsuchen. Die wohnortbezogene Fallstatistik wies 87 %der Patienten als Einwohner der Stadt aus, in der sich der Vertragsarzt niedergelassen hatte. Der Zulassungsausschuss stellte entsprechend fest, dass für den weitaus größeren Teil des bisherigen Patientenstammes sich eine Verschlechterung der Erreichbarkeit des Radiologen ergebe, wenn sein Verlegungsantrag genehmigt würde. Die Ablehnung erfolgte daher ausschließlich aufgrund eines lokalen Versorgungsbedarfs. Gegen den Beschluss erhob der Radiologe Klage vor dem Sozialgericht Hannover. Dieses verpflichtete den Zulassungsausschuss in einem einstweiligen Rechtsschutzverfahren, die Verlegung zu genehmigen, auch wenn eine Rückgängigmachung nur unter erschwerten Bedingungen möglich wäre. Die hiergegen bei dem Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen eingelegte Beschwerde bestätige den Antrag des Radiologen überwiegend. Das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen entschied, dass dem Arzt eine vorübergehende Genehmigung erteilt werden müsse, bis die Sachlage über etwaige Versagungsgründe endgültig ermittelt sei.

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Aus den Gründen des Landessozialgerichtes

Das Landessozialgericht rügte u.a. die fehlerhafte Anwendung des § 24 Abs. 7 Ärzte-ZV durch die Zulassungsgremien. Die Vorschrift lautet:

"Der Zulassungsausschuss hat den Antrag eines Vertragsarztes auf Verlegung seines Vertragsarztsitzes zu genehmigen, wenn Gründe der vertragsärztlichen Versorgung dem nicht entgegenstehen."

Der Jurist bezeichnet eine solche Vorschrift als sog. Erlaubnisnorm mit Verbotsvorbehalt. Dies bedeutet, dass grundsätzlich, hier also die Sitzverlegung zu genehmigen ist, es sei denn, dass dem Gründe entgegenstehen. Sinn und Zweck der Regelung ist nicht die Erhaltung bestehender Versorgungsstrukturen, sondern die Gewährung der Niederlassungsfreiheit für Vertragsärzte unter Berücksichtigung der Bedürfnisse der Bedarfsplanung und der Sicherstellung der medizinischen Versorgung. Gründe der vertragsärztlichen Versorgung konnte das Landessozialgericht indes nicht feststellen, weil der Sachverhalt von den Zulassungsgremien unvollständig ermittelt worden war. Dies sollen die Zulassungsgremien nun in dem Hauptsacheverfahren nachholen. Konkret fehlte es dem Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen an ausreichend erforschten und belegbaren Versagungsgründen. Die konkrete Versorgungslage kann zwar ein letztlich maßgeblicher Versagungsgrund sein, muss jedoch feststellbar und nachvollziehbar geprüft werden. Eine bloße theoretische Einschätzung anhand von Zahlen sei laut dem Landessozialgericht nicht ausreichend. Vielmehr müsse der von den Kassenärztlichen Vereinigungen im Einvernehmen mit den Landesverbänden der Krankenkassen anzufertigende Bedarfsplan herangezogen werden. Der Bedarfsplan hat nach der Ärzte-ZV Feststellungen zu enthalten, die die ärztliche Versorgung auch unter Berücksichtigung der Arztgruppen, die Bevölkerungsdichte und -struktur, den Umfang und die Art der Nachfrage nach vertragsärztlichen Leistungen, ihre Deckung sowie ihre räumliche Zuordnung im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung und die für die vertragsärztliche Versorgung bedeutsamen Verkehrsanbindungen betreffen. Die durch den Bedarfsplan gewonnenen Informationen müssen außerdem noch sorgfältig bewertet, ergänzt und so objektiviert werden, wofür es erforderlich werden kann, niedergelassene Vertragsärzte sowohl aus dem in Rede stehenden Bereich als auch eventuell den angrenzenden Bezirken über ihre Patienten und deren Gewohnheiten hinsichtlich Verkehrsmittelnutzung etc. zu befragen. Im vorliegenden Fall kam das Gericht zum Ergebnis, dass die Zulassungsgremien ihrer Pflicht, den Sachverhalt zu ermitteln, nicht in vollem Umfang nachgekommen waren. Damit sei eine umfassende Betrachtung der Lage nicht möglich, sodass es bei der grundsätzlichen Erlaubnisverpflichtung bleibe, da andernfalls dem generellen Anspruch des Radiologen auf Erteilung einer Genehmigung für eine Verlegung des Vertragsarztsitzes nicht entsprochen würde.

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Maßgeblichkeit des lokalen Versorgungsbedarfs

Die Betrachtungsweise der Zulassungsgremien, nach der ausschließlich auf die lokalen Versorgungsbedürfnisse in dem bereits mit 2 Radiologen ausreichend versorgten Planungsbereich abgestellt wurde, hielt das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen für unzulässig. Diese Betrachtungsweise würde darauf hinauslaufen, die bestehenden Versorgungsstrukturen unabhängig von der konkreten Versorgungslage im übrigen Planungsbereich zu festigen. Dies werde dem Anspruch auf Erteilung einer Verlegungsgenehmigung nicht ausreichend gerecht. Der Argumentation des Berufungsausschusses, allein die konkrete Versorgungssituation vor Ort (lokaler Versorgungsbedarf) entscheide über die Berechtigung zur Verlegung eines Vertragsarztsitzes, folgte das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen daher ausdrücklich nicht. In einem ersten Schritt komme es auf die tatsächliche Versorgungssituation in dem betreffenden Planungsbereich an, wie es das Bundessozialgericht zu der Frage einer Sonderbedarfszulassung bereits entschied. Die Zulassungsgremien müssen sich zunächst bei ihrer Entscheidung ein möglichst genaues Bild der Versorgungslage und der Versorgungsstrukturen im gesamten betroffenen Planungsbereich machen. In einem 2. Schritt seien dann planerische, die Sicherstellung der Patientenversorgung betreffende Umstände unter Beachtung der beabsichtigten Sitzverlegung zu berücksichtigen. Letztlich stellt sich der lokale Versorgungsbedarf gleichwohl als maßgeblich heraus, indes darf er nicht der einzige Grund der Ablehnung sein.

In dem Fall des niedersächsischen Radiologen hatte der Berufungsausschuss zwar die Patientenwohnorte eines Quartals im unmittelbar betroffenen Planungsbereich ermittelt, dessen Würdigung anhand der Bedarfsplanung oder der patientenbezogenen Wohnortverteilung angrenzender radiologischer Praxen unterließ der Berufungsausschuss.

In dem als Fallbeispiel dargestellten Sachverhalt war die einstweilige Regelung durch das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen erforderlich, weil der Radiologe mittlerweile über keine sachliche oder personelle Praxisausstattung mehr verfügte und er vor diesem Hintergrund dringend Klarheit darüber benötigte, an welchem Ort er bis zu einer abschließenden Entscheidung in der Hauptsache seiner vertragsärztlichen Tätigkeit nachkommen könne, ohne der Gefahr ausgesetzt zu sein, seine Zulassung aufgrund der entsprechenden gesetzlichen Bestimmung zu verlieren. Nach § 95 Abs. 7 Satz 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) kann eine ohne Genehmigung erfolgte tatsächliche Aufgabe des Vertragsarztsitzes mit gleichzeitiger Niederlassung an einem anderen Ort als Wegzug aus dem Bezirk des Kassenarztsitzes angesehen werden. In diesem Fall hätte der Radiologe seine vertragsärztliche Zulassung verloren.

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Fazit

Grundsätzlich steht einem vertragsärztlich tätigen Radiologen nach der Ärzte-ZV das Recht zu, seinen Vertragsarztsitz zu verlegen. Stehen Gründe der ärztlichen Versorgung einer Verlegung entgegen, darf der Zulassungsausschuss einer Kassenärztlichen Vereinigung der Verlegung widersprechen und den Verlegungsantrag ablehnen. Dabei ist die Betrachtungsweise der Zulassungsgremien, nach der ausschließlich auf die lokalen Versorgungsbedürfnisse in dem bereits ausreichend mit radiologischen Leistungen versorgten Planungsbereich abgestellt wird, nach dem Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen unzulässig. Zunächst müssen die Zulassungsgremien die Versorgungslage und die Versorgungsstrukturen im gesamten betroffenen Planungsbereich genau analysieren. Erst danach sind dann planerische, die Sicherstellung der Patientenversorgung betreffende Umstände unter Beachtung der beabsichtigten Sitzverlegung zu berücksichtigen. Die alleinige Heranziehung der Bedarfsplanung wiederum ist unzureichend. Es müssen daneben weitere Informationen z.B. über die Aktualität der Bedarfsplanung, Nachfragen bei den niedergelassenen Vertragsärzten des betroffenen Planungsbereichs und ggf. der angrenzenden Planungsbereichen nach deren konkreten Einzugsgebiet und Aufnahmekapazität erfolgen. Der Aufwand einer Ablehnung durch den Zulassungsausschuss ist daher beachtlich. Insbesondere Nachforschungen bei den niedergelassenen Vertragsärzten und die Prüfung der Aktualität der Bedarfsplanung können viel Zeit erfordern. Vor dem Hintergrund der Ärzte-ZV, also der grundsätzlichen Genehmigung der Verlegung des Vertragsarztsitzes und der durch Art. 12 Grundgesetz geschützten Berufsausübungsfreiheit ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Ablehnung eines Verlegungsantrages eines vertragsärztlich tätigen Radiologen zumindest in einem einstweiligen Rechtsschutzverfahren Bestand haben kann, gering.

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