Zeitschrift für Phytotherapie 2010; 31(1): 3
DOI: 10.1055/s-0030-1249585
Editorial
© Sonntag Verlag in MVS Medizinverlage Stuttgart GmbH & Co. KG

Erhaltet die Phytotherapie für Kinder!

Karin Kraft
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Publication Date:
16 March 2010 (online)

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    Das vor uns liegende Heft ist etwas ganz besonderes: Die meisten Beiträge befassen sich mit Phytotherapie bei Kindern, jedoch geht es (leider!) nur in einem Beitrag um neue wissenschaftliche Daten. Vielmehr widmet sich das Heft einem großen Problem: Seit vielen Jahren wurde immer wieder von der Gesellschaft für Phytotherapie und anderen in der Phytotherapie engagierten Institutionen, aber auch von behördlicher Seite auf das weitgehende Fehlen von klinischen Studien, die sich mit der Therapie von Kindern mit pflanzlichen Arzneimitteln befassen, hingewiesen. Dieser Mangel führte bekanntlich in den letzten Jahren zu 2 Sätzen, die sich auf den Packungsbeilagen des weit überwiegenden Teils der in Deutschland zugelassenen Phytopharmaka finden: »Zur Anwendung dieses Arzneimittels bei Kindern liegen keine ausreichenden Untersuchungen vor. Es sollte deshalb bei Kindern unter 12 Jahren nicht angewendet werden.«

    Diese relative Kontraindikation bedeutet zwar prinzipiell keine Einschränkung der Therapiefreiheit des Arztes, kann aber zu zeitaufwendigen Diskussionen mit den Eltern des kranken Kindes führen. Es resultierte daraus de facto eine deutliche Dämpfung der Verordnungsbereitschaft durch die gegenüber der Phytotherapie aufgeschlossenen Ärzte und eine Zurückhaltung der Eltern beim arztunabhängigen Einsatz entsprechender Phytopharmaka bei ihren Kindern, wie die entsprechenden Verkaufszahlen zeigen.

    Mit der EU-Verordnung Nr. 1901/2006 reagierte die Europäische Union auf das weitgehende Fehlen von Arzneimitteln, die für die Behandlung von Kindern zugelassen sind. Diese Verordnung bedeutet eigentlich für Phytopharmaka eine große Chance, denn sie können, da sie in der Regel patentfrei sind, den Artikel 30 (Genehmigung für die pädiatrische Verwendung, »PUMA«) nutzen. Außerdem sind Arzneimittel aus pflanzlichen Drogen, die infolge einer EU-Monografie den Status »well-established use« oder »traditional use« haben (Art. 9), grundsätzlich von der Pflicht, pädiatrische Daten aus kontrollierten klinischen Studien zur Wirksamkeit vorzulegen, befreit.

    Dennoch muss auch jeweils die Unbedenklichkeit belegt werden. Es darf nämlich von einer nachgewiesenen Unbedenklichkeit bei der Anwendung bei Erwachsenen wegen der Besonderheiten des kindlichen Organismus und einer dadurch eventuell abweichenden Pharmakokinetik nicht auf eine Unbedenklichkeit bei dieser Altersgruppe geschlossen werden. Deshalb enthält jede EU-Monografie einer pflanzlichen Droge, bei der die Unbedenklichkeit bei Kindern nicht belegt wurde, d.h. fast alle, den Satz »Because there is insufficient experience available, use is not recommended in children below the age of 12 years.« Für Kinder zwischen 0 und 4 Jahren gibt es deshalb keine einzige Monografie, in der die Unbedenklichkeit der Anwendung einer pflanzlichen Droge in dieser Altersgruppe gesichert wäre. Langfristig dürfte daraus folgen, dass fast alle pflanzlichen Drogen in Europa für die Behandlung von Kindern bis 12 Jahre kaum noch eingesetzt werden. Das Ausweichen auf andere Medikamente ist nicht in allen Fällen möglich, d.h. es existieren keine Behandlungsoptionen. Bei anderen Indikationen stehen als Alternative nur nebenwirkungsträchtige Medikamente zur Verfügung.

    Um auf diese Problematik aufmerksam zu machen, hat die Kooperation Phytopharmaka dankenswerterweise am 27.10.2009 in Bonn ein Seminar »Phytopharmaka für Kinder« organisiert. Die dort gehaltenen Vorträge finden Sie in diesem Heft. Die Kooperation Phytopharmaka hat sich auch bereit erklärt, eine Anwendungsbeobachtung bei Kindern zu organisieren. Anwendungsbeobachtungen (Kohortenstudien ohne Kontrollgruppe) sind für die Überprüfung der Unbedenklichkeit eines Arzneimittels besonders geeignet. Jetzt werden inhaltliche Vorschläge und Kooperationspartner gesucht. Wenn Sie sich beteiligen möchten, wenden Sie sich bitte umgehend an die Kooperation Phytopharmaka. Unsere Kinder brauchen Ihren Beitrag, damit sie auch morgen noch mit Phytotherapie behandelt werden können.