Feminisierung = Verweiblichung: Gesamtheit der körperlichen und psychischen Veränderungen
beim Mann…
Meyers Neues Lexikon
Schon alleine die semantische Bewertung dieses Begriffs bemüßigt mich zu uneingeschränkter
Zustimmung hinsichtlich der Ausführungen von Frau Bühren, dass dessen Verwendung im
Kontext zu Negativentwicklungen in der Medizin als obsolet anzusehen ist [4]. Frau Bühren thematisiert in ihrer Eröffnungsrede anlässlich des 31. Wissenschaftlichen
Kongresses des Deutschen Ärztinnenbunds vom 11. bis 13. 09. 2009 in Leipzig, der unter
dem Motto „Ärztin Macht Prävention – Generation Gesundheit – Investition in die Zukunft“
stand, die Frage, ob „Ärztinnen Sündenböcke, Lückenbüßerinnen – oder doch die Zukunftsperspektive
für die Medizin?“ seien [3]. Zur derzeitigen Realität der Diskussion um die sog. „Feminisierung“ führt sie aus,
dass wir nunmehr einen Normalisierungsprozess weg von der Maskulinisierung der Medizin
hin zur Erlangung eines überfälligen und auch notwendigen zahlenmäßigen Gleichgewichts
von Ärztinnen und Ärzten erleben würden. Es sei darüber hinaus Vorsorge zu treffen,
Ärztinnen nicht länger als Sündenböcke dafür anzusehen, dass einem in vieler Hinsicht
immer unattraktiver werdenden Beruf in Zukunft der Nachwuchs fehlt.
Lindhorst und Tempka [10] beleuchten 2005 in einem Aufsatz unter dem Titel „Unruhige Zeiten an deutschen Kliniken“
u. a. auch den Aspekt der zunehmenden Anzahl von Medizinstudentinnen. Sozialwissenschaftlich
sei dies ein Indikator für eine schlechte finanzielle Entlohnung bei gleichzeitig
hohem sozialem Engagement in diesem Beruf. Darüber hinaus halten die Autoren fest,
dass die Feminisierung der Medizin erhebliche Konsequenzen für die Patientenversorgung
habe. Ärztinnen müssten in Zukunft, noch mehr als bisher, fester Bestandteil auch
in den sog. Männerdomänen der Medizin sein, um die Patientenversorgung aufrecht erhalten
zu können.
Botzlar [1] geht 2009 in einem Vortrag zum Thema „Motivationskrise junger Ärztinnen und Ärzte“
auch auf den Umstand ein, dass die einem Arbeitgeber (!) zur Verfügung stehende Lebensarbeitsleistung
von 3 Frauen derjenigen von 2 Männern entspräche … Es werde behauptet, dass der steigende
Anteil von weiblichen Medizinstudierenden auf die sinkende ökonomische Attraktivität
des Arztberufs zurückzuführen sei; männliche Studierende würden sich Fächern mit besseren
Karrierechancen zuwenden.
Nüssler [12] führt 2009 zum Thema „Attraktivitätsverlust der Chirurgie – wie lässt sich gegensteuern?“
aus, dass sich das Nachwuchsproblem noch weiter verschärfen werde, da unter weiblichen
Medizinstudenten, die inzwischen die Mehrheit, nämlich mehr als 60 % der Studierenden
ausmachten, die Chirurgie als ganz besonders unattraktiv gelte … Die Balance zwischen
Arbeit und Privatleben, etwa mit Partnern und Kindern, gewinne übrigens keineswegs
nur für Frauen, sondern auch für Männer zunehmend an Bedeutung.
Leschber [7] berichtet 2007 über das Projekt „FiT – Frauen in der Thoraxchirurgie“ und stellt
angesichts des hohen Anteils weiblicher Studierender im Unterschied zu Nüssler fest,
dass immer mehr Frauen in ein chirurgisches Fach strebten, denn die Begeisterung für
die Chirurgie unterscheide sich bei Männern und Frauen initial nicht, ebenso wenig
wie handwerkliche Geschicklichkeit, Einsatzfreude und körperliche Belastbarkeit. Gleichwohl
beeinflussten verschiedene Faktoren die Entscheidung, dass Frauen eine chirurgische
Ausbildung auf Dauer nicht in Erwägung zögen. Dies sei umso bedauerlicher, als dass
in den nächsten Jahren mit einem deutlichen Nachwuchsmangel in der Chirurgie zu rechnen
sei, der sich jetzt bereits abzuzeichnen beginne [8], [9].
Beschäftigt man sich mit diesem drohenden Nachwuchsmangel in den chirurgischen Fächern
unter dem speziellen Aspekt der „Feminisierung der Medizin“, besser gesagt der „Frauenpower“
im Medizinstudium, so muss man zwischen genderspezifischen, d. h. alleine die zukünftigen
Ärztinnen betreffenden Ursachen und solchen unterscheiden, die den medizinischen Nachwuchs
ganz allgemein betreffen. Eine Umfrage von Weber [14] zur Situation von „Ärztinnen in der universitären Chirurgie – Situation im Jahr
2006“ nennt in abnehmender prozentualer Bedeutung nachfolgende Gründe für deren Laufbahnhindernisse:
80 % Dominanz der männlichen Strukturen, 70 % fehlendes Mentoring, 67 % zu geringe
operative Berücksichtigung, 60 % fehlende Chancengleichheit gegenüber männlichen Ärzten
und 49 % geschlechtsspezifische Vorurteile. Bühren [2] fordert angesichts der hierzulande ungenügenden Rahmenbedingungen für die Tätigkeit
einer Ärztin bei anhaltender Diskreditierung von Teilarbeitsstellen, unzureichenden
Angeboten von Serviceleistungen wie der Kinderbetreuung, fehlenden Hilfen bei privater
Haushaltsführung und praktisch nicht existenten Erleichterungen beim beruflichen Wiedereinstieg
nach einer Schwangerschaft eine Reihe struktureller Maßnahmen, die für einen anhaltenden
Attraktivitätsgewinn gerade auch für die chirurgischen Fächer unverzichtbar seien.
In einer Studie von Buxel [5], basierend auf einer 2008/2009 durchgeführten Befragung von 729 Assistenzärzten
beiderlei Geschlechts, wurde deren Zufriedenheit mit Arbeitsplatzmerkmalen eruiert.
Dabei wurde festgestellt, dass besondere Unzufriedenheit mit dem Stress am Arbeitsplatz,
der wenigen Freizeit, den Arbeitszeiten, der Bezahlung sowie dem Freizeitausgleich
von Überstunden und nicht zuletzt mit der Ausgestaltung und verlässlichen Umsetzung
der Weiterbildung besteht. Die besten Zufriedenheitswerte wurden in dieser Studie
bezüglich der Sicherheit des Arbeitsplatzes, der kollegialen Zusammenarbeit, des Klimas
im Krankenhaus und zum Standort des Arbeitsplatzes geäußert. Botzlar [1] stellt zu dieser Thematik fest, dass die von werdenden und jungen Ärztinnen und
Ärzten vorgefundene Arbeitswelt geprägt sei von kleinteiliger, meist nicht medizinischer
Bürokratie bei gleichzeitiger Nichtteilhabe an allen relevanten nicht medizinischen
Entscheidungen, von Arbeitsverdichtung als ideenloser Reaktion auf zunehmende Finanzknappheit
und von der Frustration der mittelalten ärztlichen Kolleginnen und Kollegen, die vielleicht
gerne etwas geändert hätten, sich aufgrund des Zuschnitts ihrer Generation aber nicht
getraut haben oder aufgrund der Rahmenbedingungen (Ärzteschwemme!) ohne berufliche
Suizidneigung über viele Jahre dazu schlicht nicht in der Lage gewesen sind und nunmehr
resigniert hätten. Ähnliche Ergebnisse beschreibt Sauer [13] unter dem Titel „Chirurg – ein Wunschberuf?“, dem die Auswertung einer deutschlandweiten
Umfrage unter Studierenden des Jahrgangs 2000/2001 zugrunde liegt. In diesem Artikel
wird u. a. darauf hingewiesen, dass sich der Imageverlust des chirurgischen Berufsstands
und der negative Einfluss der Medien nicht nur in Auswirkungen auf die Bevölkerung,
sondern auch auf den medizinischen Nachwuchs zeige.
Matthes [11] publiziert 2009 unter dem Titel „Ärzte in der Unfallchirurgie – unglücklich und
vom Aussterben bedroht?“ das Ergebnis einer Umfrage unter Mitgliedern der DGU, an
der sich zu 20 % auch Unfallchirurginnen beteiligt hatten. Der Attraktivitätsverlust
der Unfallchirurgie wird dabei auf eine ständig gestiegene Arbeitsbelastung, ungünstige
Arbeitszeiten und einen unzureichenden Ausgleich für Bereitschaftsdienste zurückgeführt.
Gleiches gelte für unter steigendem ökonomischem Druck entstandene Probleme wie Personalmangel,
fehlende Leistungsanreize und eine schlechte Bezahlung. Ungeachtet dessen würden 78 %
der Befragten wieder den Arztberuf ergreifen, 85 % gar dasselbe Fachgebiet wählen.
Dies deute auf eine Sicherung der inhaltlichen Zukunft der Unfallchirurgie hin, alleine
die Rahmenbedingungen müssten geändert werden. Diesem Thema widmet sich auch das gemeinsame
Junge Forum von Orthopädie und Unfallchirurgie, in dem Witte und Wölfel [16] unter dem Titel „ein Netzwerk für den orthopädisch-unfallchirurgischen Nachwuchs
in Deutschland“ Arbeitsschwerpunkte und Themen formulieren, die zu einer Verbesserung
der Situation von Weiterbildungsassistenten/-assistentinnen in Orthopädie und Unfallchirurgie
beitragen sollen.
Was muss also angesichts dieser Bestandsaufnahme getan werden, um einerseits dem hohen
Frauenanteil in der Medizin gerecht zu werden und andererseits deren während des Studiums
offenbar durchaus vorhandenes Interesse an unserem Fachgebiet nachhaltig zu fördern?
Neben entsprechender Motivation durch die Lehrenden an den Universitäten, speziell
während des Praktischen Jahres, müssen familienfreundliche Strukturen mit Möglichkeiten
der Kinderbetreuung (z. B. BG-Klinik Murnau), attraktiven Teilzeitangeboten und Erleichterungen
beim beruflichen Wiedereinstieg geschaffen werden. Diskriminierende Äußerungen oder
Verhaltensweisen, die von weiblichen Studierenden bzw. Chirurginnen immer wieder thematisiert
werden, dürften auch in einem männerdominierten Tätigkeitsfeld längst keinen Platz
mehr haben. Auf der Wunschliste junger Chirurginnen ganz oben stehen zudem die Einrichtung
eines Mentoring-Programms bei der Karriereplanung (z. B. FiT – Frauen in der Thoraxchirurgie)
und eine zunehmende Zahl von Frauen in Leitungspositionen aller chirurgischer Fächer,
die ihrerseits eine Vorbildfunktion ausüben können. Nach Haas und Tempka [6] dürfte ergänzend zu der Feststellung, dass die Medizin weiblich wird, für die kommenden
20 Jahre angenommen werden, dass auch die Unfallchirurgie zunehmend weiblich wird.
Erste zarte Ansätze in diese Richtung sind bereits zu erkennen, denn es gibt keinerlei
Gründe für die Annahme, dass Frauen, die ja bekanntlich auch Marathon laufen oder
sämtliche Achttausender besteigen können, nicht auch in einem operativen Fach wie
der Unfallchirurgie und Orthopädie hochkompetent tätig sein sollten.
Was zur Nachwuchsgewinnung in unserem Fachgebiet ganz allgemein getan werden muss,
ist in einem früheren Editorial bereits umfassend dargestellt worden [15]. Die dort aufgelisteten Forderungen bezüglich Weiterbildung, Arbeitsplatzbeschaffenheit,
Motivation und Anerkennung, Entlohnung und Entbürokratisierung sowie im Hinblick auf
die Work-Life-Balance gelten geschlechtsunabhängig. Halten wir also fest, dass es
eine „Feminisierung der Medizin“ schlichtweg nicht gibt und dass dieser Terminus schon
alleine im Sprachgebrauch absolut ungeeignet ist, dass vielmehr dem unbestrittenen
nummerischen Überwiegen weiblicher Studierender die erforderliche Beachtung geschenkt
werden muss und dass deren Motivation im Hinblick auf das Ergreifen wie auch das befriedigende
Ausüben eines chirurgischen Faches, in Sonderheit der Unfallchirurgie und Orthopädie,
höchste Priorität einzuräumen ist. Um auf das eingangs zitierte Vortragsthema von
Bühren zurückzukommen, ist es unabdingbar, Ärztinnen gerade auch in den chirurgischen
Fächern nicht als exotische Lückenbüßerinnen anzusehen, sondern diese vielmehr als
willkommenes, eine erfreuliche Zukunftsperspektive bietendes Potenzial erfolgreich
tätiger Mitarbeiterinnen und Kolleginnen wertzuschätzen.
K. Weise
F. Niethard