Der Klinikarzt 2010; 39(3): 112-113
DOI: 10.1055/s-0030-1253149
MEDICA e. V.

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Palliativbetreuung und Wirtschaftlichkeit

Ein Widerspruch?
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Korrespondenz

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Klara Graf

Verwaltungsleiterin

Elisabeth-Krankenhaus

Klosterstraße 4

49832 Thuine

Email: info@krankenhaus-thuine.de

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Publication Date:
29 March 2010 (online)

 
Table of Contents

Eine ganzheitliche Palliativbetreuung unter der Zielsetzung von wirtschaftlicher Effizienz und Effektivität stellt grundsätzlich keinen Widerspruch dar. Die Voraussetzung dafür ist jedoch, die jeweiligen regionalen Bedingungen darauf abzustimmen. Insbesondere die sektoren- und institutionsübergreifende Koordination aller stationären, ambulanten und ehrenamtlichen Angebote.

Man kann davon ausgehen, dass etwa 10 % der Sterbenden einen besonderen Versorgungsbedarf haben, der das Tätigwerden und die Koordination der verschiedenen Professionen und Institutionen erforderlich macht. Derzeit kann von einem flächendeckenden Angebot einer vernetzten ambulanten und stationären Palliativbetreuung in Deutschland noch nicht gesprochen werden. Eine spezialisierte Palliativbetreuung findet momentan stationär nur in einigen Palliativstationen bzw. -einheiten statt. Die spezialisierte Palliativbetreuung (SAPV) als flächendeckendes ambulantes Angebot befindet sich erst im Aufbau. Einige wenige Verträge mit unterschiedlichen Vergütungsstrukturen wurden geschlossen.

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Richtlinie zur Verordnung spezialisierter Palliativversorgung

Die Richtlinie zur Verordnung von SAPV (Richtlinie des gemeinsamen Bundesausschusses zur Verordnung von spezialisierter ambulanter Palliativversorgung vom 20. Dezember 2007) beinhaltet unter anderem die Problematik, die sich in der Beurteilung der Wirtschaftlichkeit einer Palliativbetreuung ergibt. Dies gilt auch für die stationäre Versorgung. In § 5 (2) wird ausgeführt "...Die Leistungen müssen ausreichend und zweckmäßig sein, sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten, sind wirtschaftlich zu erbringen...". In § 6 (4) heißt es "Bei der SAPV ist der ärztliche und pflegerisch erforderliche Entscheidungsspielraum für die Anpassung der Palliativversorgung an die Besonderheiten des Einzelfalles zu berücksichtigen".

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Bild: Fotolia, Erwin Wodicka - http://www.BilderBox.com

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Individuelle Besonderheiten nicht durch harte Fakten messbar

Parameter, die üblicherweise zu Wirtschaftlichkeitsbeurteilungen herangezogen werden, sind dafür nur bedingt oder gar nicht geeignet. Vielmehr ist in jedem Einzelfall die besondere Situation, die nicht nur durch harte Fakten gemessen werden kann, für die angemessene Betreuungsintensität wesentlich.

Beispiele dafür sind:

  • Die Abgrenzung ambulanter oder stationärer Betreuung

  • Die Dauer der einzelnen palliativmedizinischen- oder pflegerischen Leistungen

  • Wie lange ist eine psychosoziale Unterstützung angemessen?

  • Wie viele Konsultationen am Tag/in der Woche sind zweckmäßig?

  • Wann wird das Maß des Notwendigen überschritten?

  • Was ist ein wirtschaftliches Versorgungsgebiet?

Die unterschiedlichen Finanzierungskategorien (Stationäre Krankenhausbehandlung, SGB V und KHEntgG, stationäres Hospiz, SGB V und SGB XI, SAPV, SGB V) erschweren außerdem die Umsetzung einer sektoren- und instutionsübergreifenden Palliativbetreuung.

Die Beurteilung der Wirtschaftlichkeit wird daher in jedem Einzelfall unter Berücksichtigung der regionalen Bedingungen erfolgen müssen. Daten, wie die Zahl der im häuslichen Umfeld Verstorbenen, die Anzahl der Wiederkehrer in den Krankenhäusern bzw. die Vermeidung von Krankenhausaufnahmen sollten hierzu herangezogen werden.

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Beispiel einer sektorenübergreifenden Palliativversorgung

Im Folgenden soll am Beispiel einer ländlichen Region die derzeitige Situation einer ganzheitlichen sektorenübergreifenden Palliativversorgung aufgezeigt werden. Das Elisabeth-Krankenhaus Thuine, im südlichen Landkreis Emsland in Niedersachsen gelegen, ist ein Krankenhaus der Grund- und Regelversorgung mit 140 Betten.

Im Jahr 2005 wurde hier eine Palliativstation mit 8 Betten eingerichtet. Mit der Inbetriebnahme der Palliativstation wurden erste Kontakte zu den umliegenden Hospizvereinen und den niedergelassenen Palliativmedizinern aufgenommen. Im Jahr 2006 wurde der "Palliativ Stützpunkt Südliches Emsland" am Elisabeth-Krankenhaus eingerichtet und erhielt die Anerkennung vom Land Niedersachsen. Verbunden war diese Anerkennung mit einer Förderung zum Aufbau des Palliativnetzwerkes (Abb. [1]).

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Beratung und Koordination der an der Basis- und Spezialversorgung beteiligten Leistungserbringer.

Mit der Förderung und mit Eigeninitiative der Kooperationspartner wurden eine 24-Stunden-Hotline und ein ärztlicher und pflegerischer Rufdienst eingerichtet. Zusätzlich wurde im Jahr 2008 ein "Ambulanter Palliativdienst St. Hildegard" am Elisabeth-Krankenhaus gegründet. Im Laufe des Jahres 2009 konnten Vertreter der "Niedersächsischen Koordinierungs- und Beratungsstelle für Hospizarbeit und Palliativversorgung" mit allen Krankenkassen einen Rahmenvertrag über die Versorgung SAPV in Niedersachsen abschließen (Tab. [1]). Vorteilhaft dabei ist, dass dieser Vertrag von allen gesetzlichen Krankenkassen anerkannt ist und die Abrechnung jeweils nur durch einen Leistungserbringer erfolgt. Eine weitere Besonderheit ist, dass dieser Vertrag die Kooperation mit niedergelassenen Ärzten und ambulanten Pflegediensten ermöglicht.

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Tab. 1 Vergütungsbestandteile des Rahmenvertrages.

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Enge Verknüpfung stationärer und ambulanter Angebote

Das Versorgungsgebiet des "Palliativ Stützpunktes südliches Emsland" umfasst rund 200 000 Einwohner. Nach derzeitigen Hochrechnungen werden etwa 200 Schwerstkranke einen Betreuungsbedarf im Versorgungsgebiet im Rahmen der SAPV haben. Seit dem 0.11.2009 hat der "Palliativ Stützpunkt südliches Emsland" einen Versorgungsvertrag mit den Kostenträgern geschlossen. Die Erfahrungen mit der bisherigen Stützpunktarbeit seit dem Jahre 2006 zeigen, dass die enge Verknüpfung zwischen stationären und ambulanten Angeboten für die ländliche Region von Vorteil ist. Inwieweit die Vergütungen entsprechend des Vertrages kostendeckend sein werden, kann erst nach einem Jahr beurteilt werden. Problematisch sind die weiten Anfahrtswege im Emsland und die damit verbunden Kosten. Aus Sicht der Sozialleistungsträger wird sich die Wirtschaftlichkeit eines Palliativnetzwerkes bejahen lassen.

Die Statistik im Elisabeth-Krankenhaus Thuine zeigt, dass 29 % der Palliativpatienten seit dem Jahr 2006 2 oder mehr Krankenhausaufenthalte benötigten. Es ist anzunehmen, dass bei einer sicheren ambulanten Palliativversorgung die Zahl der Wiederaufnahmen deutlich verringert werden kann. Die Tabellen [2] und [3] zeigen, dass die ambulante Betreuung unter den derzeitigen Finanzierungsrahmen zu deutlich geringeren Kosten führen.

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Tab. 2 Fallkette 2008 inklusive Erlöse am Beispiel einer 70-jährigen Patientin mit bösartiger Neubildung der Brustdrüse.

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Tab. 3 Durchschnittliche Erlöse je Tag im Rahmen des SAPV, Umrechnung bei 28 Betreuungstagen.

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Fazit

Die Wirtschaftlichkeit der Palliativbetreuung ist auf Dauer kein Widerspruch. Hierfür ist erforderlich, dass die in diesem Netzwerk tätigen Menschen Wissen, Erfahrungen, Motivation, Engagement und Empathie in ihre Arbeit einbringen. Die bestehenden Institutionen (Krankenhäuser, niedergelassene Ärzte, ambulante und stationäre Pflegeeinrichtungen) müssen diese Angebote annehmen und aktiv unterstützen. Nicht zuletzt müssen die Kostenträger bereit sein, für ihre Versicherten ein entsprechendes Angebot aufbauen zu lassen und zu finanzieren.

Die Rückmeldungen der im "Palliativ Stützpunkt Südliches Emsland" bisher betreuten Patienten und Angehörigen bezeugen eine hohe Zufriedenheit mit der so angebotenen Betreuung.

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Email: info@krankenhaus-thuine.de

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Beratung und Koordination der an der Basis- und Spezialversorgung beteiligten Leistungserbringer.

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Tab. 1 Vergütungsbestandteile des Rahmenvertrages.

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Tab. 2 Fallkette 2008 inklusive Erlöse am Beispiel einer 70-jährigen Patientin mit bösartiger Neubildung der Brustdrüse.

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Tab. 3 Durchschnittliche Erlöse je Tag im Rahmen des SAPV, Umrechnung bei 28 Betreuungstagen.

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