Es ist der 27. Mai 2002. Eine Grundschullehrerin aus dem niedersächsischen Soltau
befindet sich mit ihren Drittklässlern auf einer Klassenfahrt. Während der Pausenaufsicht
im Wald bei Bad Fallingbostel, Landkreis Lüneburg, wird sie von einer Zecke gestochen.
Einige Monate später erkrankt die Lehrerin und muss für mehrere Tage stationär behandelt
werden. Aufgrund von Seh- und Gleichgewichtsstörungen muss sie in der Folge sogar
für 10 Monate krank geschrieben werden. Die Diagnose: Borreliose.
Die Lehrerin versuchte, den Stich und dessen Folgen als Dienstunfall geltend zu machen.
Vor dem Verwaltungsgericht erhielt sie Recht, doch unterlag sie mit Ihrer Klage vor
dem Oberverwaltungsgericht. Ende Februar 2010 - 8 Jahre nach dem eigentlichen Stich
- entschied das Bundesverwaltungsgericht schlussendlich zu ihren Gunsten.
Zecken übertragen nicht nur FSME
Zecken übertragen nicht nur FSME
Dieses aktuell durch die Presse gegangene Beispiel soll zweierlei zeigen: Zum einen
wird mit der neuen Zeckensaison in der Öffentlichkeit stark auf die Frühsommermeningoenzephalitis
(FSME) fokussiert. Die Borreliose wird als nicht impfpräventable Erkrankung eher beiläufig
genannt, obschon ihr Verbreitungsgebiet weit über das der FSME hinausgeht. Zudem werden
von Zecken auch hierzulande weitere Zoonosen übertragen, die den Sprung in die Tagespresse
nur selten schaffen.
Die Babesiose, deren Erreger mit dem Malariaparasiten verwandt sind, kommt weltweit
vor, auch bei uns. Die bakterielle Tularämie ist primär bei Kleinsäugern (Hasen, Nager)
verbreitet und kann außer durch Zeckenstiche auch durch infiziertes Fleisch und Wasser
sowie durch Aerosole auf den Menschen übertragen werden.
Die Anaplasmose ist, wie die mediterrane Ehrlichiose, vorwiegend dem Hundefreund bekannt.
In Süddeutschland wurde der Erreger bei 2,2 % der Zecken nachgewiesen [1], in Thüringen sogar bei 6,5 % [2]. Die Seropävalenz liegt bei circa 2 %, bei Risikogruppen wie Forstarbeitern und
Soldaten jedoch bei deutlich über 10 %.
Von Zecken übertragene Rickettsiosen, zu denen Infektionskrankheiten mit so klangvollen
Namen wie "Rocky Mountain spotted fever" oder "Fièvre boutonneuse" zählen, assoziieren
wir eher mit ferneren Reisezielen, doch erlangen sie in jüngerer Zeit auch in Mitteleuropa
zunehmend Beachtung. R. helvetica wurde in den letzten Jahren zunächst in unseren
Nachbarländern dokumentiert, in der Folge aber auch in Deutschland nachgewiesen. R.
slovaca, übertragen von Dermacentor-Zecken, wurde in den letzten Jahren in Frankreich
und Ungarn beschrieben. Interessant in diesem Zusammenhang ist die Isolierung von
R. monacensis, mit der "spotted fever group" verwandt, aus Zecken aus dem Englischen
Garten in München [3].
Bei der Reiseberatung auch Deutschland im Blick haben
Bei der Reiseberatung auch Deutschland im Blick haben
Das Beispiel macht aber zudem auch auf einen anderen Aspekt aufmerksam: Deutschland
bleibt weiterhin das Reiseziel Nummer eins der Deutschen, für 2010 wird sogar mit
einem weiteren Zuwachs gerechnet [4]. Auch die Nachbarländer liegen im Trend. Wir sollten unsere Aufmerksamkeit bei der
reisemedizinischen Beratung daher nicht nur auf ferne Reiseziele richten, sondern
auch die heimischen Gefilde im Fokus behalten.
Wie hoch ist das Zeckenrisiko?
Wie hoch ist das Zeckenrisiko?
Wie ist nun das Zeckenrisiko für dieses Jahr einzuschätzen? Hat der lange Winter nicht
dafür gesorgt, dass die Gliedertiere - so auch die Zecken - dezimiert wurden? Dies
trifft nur in Teilen zu. Zwar berichten vereinzelte Studien über einen gewissen Zusammenhang
zwischen tiefen Wintertemperaturen und dem verminderten Auftreten an FSME-Fällen im
Folgejahr [5]. Doch unsere einheimischen Arten sind durchaus an den Winter angepasst. Zudem hat
die vielerorts dichte und dauerhafte Schneedecke des schwindenden Winters den Boden
vor wirklich tiefen Frosttemperaturen bewahrt. Für eine zuverlässige Aussage werden
wohl weitere epidemiologische Studien nötig sein.
Prävention bleibt oberstes Gebot
Prävention bleibt oberstes Gebot
Wichtig bleibt also auch für die aktuelle Saison die 1. Schutzinstanz: Vermeidung
eines Zeckenstiches durch entsprechende Kleidung und Abwehrmittel bei einem Aufenthalt
in Zeckenbiotopen. Genauso wichtig ist es, zeitnah nach der Exposition den Körper
und auch die Kleidung nach Zecken abzusuchen. Insbesondere eine Borrelieninfektion
lässt sich dadurch effektiv vermeiden, da die Erreger im Darm der Zecke lokalisiert
sind und erst gegen Ende der Blutmahlzeit in den Menschen gelangen.
Bild: Image State
Der effektivste Schutz gegen FSME ist nach wie vor die Impfung. Um so verblüffender
ist, dass die Durchimpfungsrate in Deutschland eher gering ist (z. B. 25,5 % mit vollständiger
Grundimmunisierung in Baden-Württemberg und 30,7 % in Bayern) [6]. Auch der Anteil der Impfabbrecher ist erschreckend hoch (16,3 % in Baden-Württemberg
und 18,8 % in Bayern).
Es bleibt, wie so meist, hartnäckig Aufklärung zu betreiben sowie auf Risiken und
Vorbeugung hinzuweisen. Entsprechendes gilt für die Nachsorge, zu der die Erinnerung
des Patienten an noch ausstehende Impftermine gehört.
Dr. Patrick Petry, Düsseldorf
Informationen für Ihre Patienten
Informationen für Ihre Patienten
Das CRM Centrum für Reisemedizin, Düsseldorf, und der Gesundheitsdienst des Auswärtigen
Amtes haben einen Flyer "Zeckenalarm - Antworten auf die wichtigsten Fragen" aufgelegt.
Ein Paket mit 25 Stück zur Abgabe an Patienten können Sie unter: Email: kundenservice@crm.de Stichwort "25 Zeckenflyer" kostenlos anfordern.