ergopraxis 2009; 2(2): 16
DOI: 10.1055/s-0030-1254430
wissenschaft

Wissenschaft erklärt: Methodische Verfahren – Von der Frage zur Antwort

Jan Mehrholz
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Publication Date:
07 July 2010 (online)

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Kennen Sie das? Sie behandeln einen Klienten und wissen nicht, warum er keine Fortschritte macht. Jan Mehrholz erläutert auf dieser Seite, wie Sie eine Antwort darauf finden können, und erörtert, welche Studien für welche Fragen geeignet sind.

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Prof. Dr. Jan Mehrholz, Leiter des Wissenschaftlichen Instituts der Privaten Europäischen Medizinischen Akademie in Kreischa und in Gera Professor für Therapiewissenschaften

Ergotherapeutin Paula hat sich auf den Bereich Neurologie spezialisiert und behandelt hauptsächlich Klienten mit Hemiparese in ihrer Praxis. Diese haben meist seit Langem eine Armschwäche und machen kaum noch Fortschritte. Paula weiß nicht genau, woran das liegt. Therapiert sie nicht richtig? Sie formuliert ihr Problem genauer: Wie sieht die Funktionserholung von Klienten mit Hemiparese nach einem Schlaganfall aus? Und wie ist der natürliche Krankheitsverlauf ? Um Antworten auf ihre Fragen zu erhalten, beschließt sie, nach Literatur zu dieser Thematik zu suchen. Da sie seit ihrer Au-pair-Zeit in den USA sehr gut Englisch spricht, bereitet ihr die Recherche auf Datenbanken wie pubmed keine großen Schwierigkeiten. Hier wird sie auch schnell fündig und stößt auf Studien aus dem angloamerikanischen Raum.

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Am Anfang steht das Problem

Dieses Beispiel bietet die Gelegenheit, das methodische Vorgehen einer Forschung genauer zu beleuchten. Paula will eine Antwort auf ihre Fragestellung. Sie möchte wissen, wie sich die Körperfunktionen nach einem Schlaganfall erholen. Zu Studienbeginn steht somit ein klar umrissenes Problem, welches zu definieren ist. Zu diesem Problem gibt es eventuell Literatur, welche Paula sichten kann. Ihre Literaturrecherche sollte vor allem umfassend und systematisch sein.

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Die Forschung muss zur Frage passen

Im nächsten Schritt muss sich Paula entscheiden: Zu jeder Fragestellung passen unterschiedliche Forschungsmethoden und Studiendesigns [1]. Man unterscheidet klinische und sozialwissenschaftliche, Grundlagen-, Versorgungsforschung und noch viele mehr. Die Grundlagenforschung beispielsweise macht Basisannahmen und erzeugt damit Innovationspotenziale. Die epidemiologische Forschung hingegen untersucht, warum sich Krankheiten verbreiten und häufen und welche Risiken damit verbunden sind. Die klinische Forschung schafft Grundlagen zur Wirksamkeit von Behandlungsverfahren unter optimalen Bedingungen. Die Versorgungsforschung evaluiert unter Alltagsbedingungen, wann Therapien wirksam oder effizient sind. In systematischen Übersichtsarbeiten sammeln Forscher wiederum Literatur, fassen sie zum Beispiel in Metaanalysen zusammen und bewerten diese.

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Studie ist nicht gleich Studie

Klinische und epidemiologische Forscher unterscheiden darüber hinaus Studiendesigns. Wenn ein Forscher Therapien in einer Studie weder einteilt noch vorgibt oder bestimmt, dann spricht man von beobachtenden Studien [2]. Hier nehmen die Untersucher keinen Einfluss, sondern betrachten nur aufmerksam. Vergleicht eine beobachtende Studie zum Beispiel Männer und Frauen, dann spricht man von analytischen Studien. Ohne Vergleichsgruppe handelt es sich um deskriptive, das heißt beschreibende, Studien [3]. Die kleinste deskriptive Studie beschreibt einzelne Klientenverläufe. Man spricht hier von Einzelfallstudien oder Fallserien. Beispiele für analytische Studien sind Kohortenstudien, Fall-Kontroll-Studien und Querschnittsstudien.

Wenn Forscher die Therapie in einer Studie einteilen, vorgeben oder bestimmen, dann spricht man von experimentellen Studien [2]. Experimentelle Studien können randomisiert kontrolliert oder nicht randomisiert kontrolliert sein. Man spricht von Randomisierung, wenn Forscher ihre Probanden nach dem Zufallsprinzip in eine oder mehrere Gruppen einteilen.

Zum Weiterlesen

Sie interessieren sich für Studiendesigns? Dann freuen Sie sich auf die April-Ausgabe von ergopraxis, in der Jan Mehrholz dieses Thema ausführlicher behandeln wird.

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Ende gut, alles gut

Im Fall von Paula läuft alles gut. Sie hat sich mit ihrer Frage zum natürlichen Krankheitsverlauf eine wichtige Frage gestellt, welche sie durch ein Literaturstudium beantworten will und kann. Selbstverständlich muss sie nicht selbst solche Studien durchführen, die Literatur liefert bereits Antworten. Wichtige Informationen zum natürlichen Krankheitsverlauf findet sie zum Beispiel in den Ergebnissen aus epidemiologischen Kohortenstudien. Wenn Paula jedoch mehr zur Wirksamkeit spezifischer Behandlungen der oberen Extremität nach Schlaganfall wissen will, dann sollte sie sich eher mit randomisiert kontrollierten Studien und systematischen Übersichtsarbeiten aus dem Therapiebereich beschäftigen.

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