Fragestellung
Fragestellung
Was ist zur Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit von Patienten mit chronischen Rückenschmerzen
effektiver: eine spezifische Arbeitsplatzrehabilitation oder die Behandlung durch
einen Hausarzt, Arbeitsmediziner und/oder Therapeuten?
Hintergrund
Hintergrund
Bis zu 25 % aller Patienten mit Schmerzen in der LWS bleiben längerfristig arbeitsunfähig.
Aufgrund von Produktivitätseinbußen, Therapien und frühzeitigen Berentungen verursachen
sie hohe Kosten [1]. Interventionen, um die Betroffenen wieder in den Arbeitsprozess
zu integrieren, scheitern häufig. Die Gründe dafür liegen einerseits in der Vielschichtigkeit
des Krankheitsbilds und andererseits in der oft monodisziplinären Vorgehensweise bei
der Therapie [1].
Trainingsprogramme mit allmählicher Belastungssteigerung und dem Ziel, die körperlichen
Funktionen wiederherzustellen, helfen Patienten mit akuten Rückenschmerzen nicht,
wieder arbeitsfähig zu werden [1]. Auch mit kognitiven Verhaltenstherapien alleine
scheint man die Arbeitsfähigkeit nicht beeinflussen zu können [1]. Arbeitsplatzspezifische
Interventionen wirken sich zwar positiv auf die Arbeitsfähigkeit von Patienten mit
muskuloskeletalen Beschwerden aus, aber nicht auf deren Schmerzen und Funktionseinschränkungen
[2]. Mit anderen Worten: Die Patienten gehen wieder arbeiten, obwohl sie noch Beschwerden
haben.
Die Autoren dieser Studie untersuchten, wie sich die Kombination aus einer ergonomischen
Arbeitsplatzintervention und einem kognitiv-verhaltenstherapeutisch orientierten Trainingsprogramm
auf die Arbeitsfähigkeit von Patienten mit chronischen Rückenschmerzen auswirkt.
Einschlusskriterien
Einschlusskriterien
Teilnehmen konnten Patienten, die entweder angestellt oder selbstständig waren. Sie
mussten seit mindestens zwölf Wochen unter unspezifischen Rückenschmerzen leiden und
deswegen ganz oder teilweise krankgeschrieben sein.
Ausschlusskriterien
Ausschlusskriterien
Ausgeschlossen waren unter anderem Patienten, die unter spezifischen Rückenschmerzen
litten (Tumor, Entzündung), eine OP geplant oder in den vergangenen sechs Wochen eine
Rücken-OP gehabt hatten. Ebenfalls nicht teilnehmen konnten Betroffene, die nur eine
befristete Anstellung hatten, über eine Zeitarbeitsfirma vermittelt werden sollten,
seit mehr als zwei Jahren arbeitslos waren oder gegen ihren Arbeitgeber geklagt hatten.
Studiendesign
Studiendesign
Randomisierte kontrollierte Studie mit verblindetem Untersucher. Die Randomisierung
wurde für wichtige prognostische Faktoren stratifiziert: Die Autoren verteilten die
Patienten anhand der Dauer ihrer Arbeitsunfähigkeit und ihrer Arbeitsbelastung gleichmäßig
auf beide Gruppen.
Intervention
Intervention
134 Patienten nahmen an der Studie teil.
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Die „Integrated Care”-Gruppe (IC) erhielt eine rund zwölf Wochen lange, ambulante Rehabilitation, die ein Arbeitsmediziner
leitete und ein Arzt, ein Physio- und ein Ergotherapeut unterstützten. Das primäre
Ziel der Reha war die Rückkehr zur Arbeit, nicht die Verminderung der Schmerzen. Bei
der Intervention betrachtete und optimierte man den Arbeitsplatz der Probanden unter
ergonomischen Gesichtspunkten und bezog auch deren Arbeitgeber mit ein. Zusätzlich
absolvierten die Teilnehmer ein Trainingsprogramm, das nach kognitiv-verhaltenstherapeutischen
Prinzipien durchgeführt wurde. Dabei trainierten sie nicht schmerzorientiert, sondern
anhand von vorgegebenen Intensitäten. Das Programm beinhaltete unter anderem Bauchmuskelübungen,
Latissimusziehen und individuell ausgesuchte Übungen.
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Standardtherapie war die Betreuung durch den Hausarzt und beinhaltete eine mögliche Überweisung zu
anderen Gesundheitsberufen (inklusive Physiotherapie).
Ergebnisparameter
Ergebnisparameter
Das wichtigste Outcome war die Zeit bis zur Wiedererlangung der vollständigen Arbeitsfähigkeit
(arbeitsfähig für mindestens vier Wochen). Sekundäre Outcomes waren die Schmerzintensität
und die anhand des Roland-Morris-Fragebogens festgestellten Aktivitätseinschränkungen
der Probanden.
Zudem prüften die Autoren, ob die Arbeitszufriedenheit und -belastung Einfluss auf
den Zeitpunkt der Arbeitsrückkehr hatten.
Ergebnis
Ergebnis
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Nach einem Jahr konnte das primäre Outcome bei 93 % der Patienten bestimmt werden,
das sekundäre bei 87 %.
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Die IC-Gruppe war nach der Randomisierung im Schnitt 88 Tage arbeitsunfähig, die restlichen
Teilnehmer rund 208 Tage.
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Während des ersten Jahres nach der Intervention waren die Probanden der IC-Gruppe
für rund 82 Tage krankgeschrieben (inklusive der Krankheitsrückfälle), die Patienten
der Standardtherapiegruppe 175 Tage, also doppelt so lang.
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Andere Therapien und diagnostische Abklärungen wurden von der Standardtherapiegruppe
häufiger gebraucht und verursachten deutlich höhere Kosten.
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Schmerzintensität und Aktivitätseinschränkungen waren zunächst in beiden Gruppen gleich.
Erst nach zwölf Monaten hatte sich die IC-Gruppe gegenüber den restlichen Probanden
sowohl klinisch als auch statistisch signifikant verbessert.
Schlussfolgerung
Schlussfolgerung
Patienten mit chronischen Rückenschmerzen profitieren von einer multidisziplinären
Abreitsreha. Ihre Arbeitsfähigkeit hängt nicht von einer Veränderung ihrer Schmerzen
ab. Eine frühe Rückkehr an den Arbeitsplatz beeinflusst die Schmerzen der Betroffenen
weder negativ noch positiv.
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Lambeek LC, van Mechelen W, Knol DL, Loisel P, Anema JR. Randomised controlled trial
of integrated care to reduce disability from chronic low back pain in working and
private life. BMJ 2010; 340: c 350 Die Studie im Volltext finden Sie unter: http://dx.doi.org/10.1136/bmj.c1035
Die Interventionen stehen dort unter > „extra: Web Extra” > „Data Supplement”.
Kommentar
Die Studie von Ludeke Lambeek und Kollegen untersucht eine arbeitsspezifische Reha
erstmals bei Patienten mit chronischen Rückenschmerzen. Die Intervention fand ambulant
statt und ist daher auch aus finanzieller Sicht interessant.
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Die Ein- und Ausschlusskriterien werden klar beschrieben. Die Autoren schlossen unter
anderem die Patienten aus, die mehr als zwei Jahre arbeitslos waren, und diejenigen,
die sich in einem arbeitsrechtlichen Verfahren mit ihrem Arbeitgeber befanden – also
alle, die wahrscheinlich nicht von der Intervention profitieren.
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Die Interventionen sind genau nachvollziehbar und können im Internet detailliert nachgelesen
werden.
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Die Studie ist auf den deutschen Sprachraum übertragbar, da Teile des Rehabilitationsprogramms
wie das funktionelle Training, rehabilitative Zielvereinbarungen und Arbeitsplatzbesuche
auch hier tägliche Praxis sind. Der Arbeitgeber wurde in die Intervention mit einbezogen.
Das ist besonders positiv, da dieser enorm wichtig für eine erfolgreiche Reintegration
des erkrankten Arbeitnehmers ist.
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Die Probanden waren zu Beginn der Studie in den meisten Basisdaten vergleichbar. Bezüglich
des Bildungsniveaus unterschieden sie sich jedoch: 34 % der Patienten in der Kontrollgruppe
hatten ein niedriges Bildungsniveau, in der IC-Gruppe waren es nur 21 %. Zudem hatten
die Probanden in der IC-Gruppe zu Beginn der Studie eine um 10 % höhere Erwartung,
wieder an ihren Arbeitsplatz zurückkehren zu können, als die restlichen Probanden.
Diese Unterschiede könnten die Ergebnisse verzerrt haben. Die Verteilung der Selbstständigen
und Angestellten auf beide Gruppen geben die Autoren leider nicht an. Interessant
zu wissen wäre, wie lange die Patienten bereits unter Rückenschmerzen gelitten hatten.
Denn zwölf Wochen sind sicher nicht das Gleiche wie zehn Jahre.
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Bei den sekundären Outcome-Messungen wie dem Schmerz und dem funktionellen Status
verbesserten sich die Probanden anfangs nur unwesentlich. Erst nach zwölf Monaten
hatte sich die IC-Gruppe beim
funktionellen Status bedeutend verbessert (im Durchschnitt sieben Punkte im Roland-Morris-Fragebogen)
und damit auch einen signifikanten Unterschied zur Kontrollgruppe erzielt.
Fazit
Fazit
Eine gute Studie mit nur wenigen Schwächen. Die Autoren konnten zeigen, dass Arbeitsrehabilitation
sinnvoll ist, um die Betroffenen in der Rückkehr an den Arbeitsplatz zu unterstützen.
Der Arbeitgeber sollte möglichst in die Rehabilitation einbezogen werden. Ob Patienten
mit anhaltenden Beschwerden durch eine solche Intervention langfristig im Arbeitsprozess
gehalten werden können, muss sich noch zeigen. Die Resultate machen deutlich, dass
gerade bei so einem komplexen Problem wie der Arbeitsunfähigkeit nur multimodale Ansätze
mit Training, Beratung und Verhaltenstraining wirksam sind.