Patienten mit einem komplexen regionalen Schmerzsyndrom (Complex Regional Pain Syndrome,
CRPS) vom Typ I können ihre Funktion in der betroffenen Extremität verbessern, wenn
sie während der Therapie auftretende Schmerzen ignorieren.
Das ist das Ergebnis einer Fallstudie von Jan-Willem Ek und seinem Team vom Bethesda
Hospital Hoogeveen, Niederlande. Die Forscher untersuchten 106 Patienten, die seit
mehr als neun Monaten an einem CRPS Typ I der oberen oder unteren Extremität litten.
Sämtliche Therapien waren bisher erfolglos geblieben. Zu Beginn der Fallstudie klärte
der Arzt zusammen mit dem Physiotherapeuten den Patienten und seinen Angehörigen darüber
auf, dass der bei der Therapie auftretende, generalisierte Schmerz ein falsches Warnsignal
sei – im Gegensatz zu den lokalen Schmerzen, die vor Verletzung schützen. Diese Dysregulation
des Nervensystems sei jedoch reversibel. Nachdem der Therapeut das aktive und passive
Bewegungsausmaß der betroffenen Gelenke gemessen hatte, vereinbarte er mit dem Patienten,
den Schmerz während der Therapie zu ignorieren. Zu Beginn der Behandlung wurden die
betroffenen Gelenke mit Traktionen und Translationen mobilisiert. Dann folgten assistive
und aktive Bewegungen, die der Therapeut mit Stretching und, wenn nötig, mit intensiven
Friktionen von Tenderpoints kombinierte. Die Probanden sollten außerdem zu Hause üben
und die betroffene Extremität funktionell einsetzen. Die gesamte Intervention dauerte
fünfmal 45 Minuten und fand in einem Zeitraum von maximal drei Monaten statt. Die
Veränderungen der Hand- und Armfunktion ermittelten die Autoren mit dem Radboud Skills
Test, die bei der Bein- und Fußfunktion mit Gehtests.
Bei 50 % der Patienten war die Funktion der betroffenen Extremität nach der Intervention
wieder voll hergestellt. Bei insgesamt fünf Teilnehmern veränderte sich nichts. Die
übrigen Patienten gesundeten partiell. Auch die Schmerzen in den betroffenen Extremitäten,
gemessen mit einer visuellen Analogskala, nahmen bei 75 % der Patienten ab. 14 % der
Teilnehmer hatten mehr Schmerzen als zu Beginn der Studie. Die restlichen Teilnehmer
spürten keine Veränderung.
Die Wissenschaftler schlussfolgern, dass ihre Studienergebnisse zu einem neuen Therapieansatz
in der Behandlung von CRPS führen könnten.
hebe
Kommentar
Jan-Willem Ek und seine Kollegen beschreiben ihre therapeutischen Interventionen bei
der Behandlung von CRPS I sehr detailliert. Sie orientieren sich mit ihrem Konzept
der „Schmerzhaften Therapie” (pain exposure physical therapy) am zeitkontingenten
Üben. Dabei trainieren die Patienten über einen bestimmten Zeitraum – auch wenn sie
dabei Schmerzen haben. Im Gegensatz dazu steht das schmerzkontingente Üben, bei dem
der Schmerz das Signal zum Pausieren setzt. Schmerzkontingentes Üben verstärkt jedoch
gelerntes Schmerz- und Schonverhalten. Vermeidet der Therapeut die Schmerzen während
der Therapie, bestärkt er den Patienten in dessen Angst, dass sie die Erkrankung verschlimmern
könnten.
Die Forscher betonen, dass umfassende Aufklärung, Motivation und die Unterstützung
der Patienten durch einen Partner wichtige Voraussetzungen dafür sind, dass die „pain
exposure physical therapy” erfolgreich wird.
Clin Rehabil 2009; 23: 1059–1066