Einleitung
Einleitung
Auch wenn die Haut der Augenlider auf den ersten Blick wenig
Unterschiede zur übrigen Haut des Gesichtes und des Körpers aufweist,
so sollte man sich vor Entfernung eines Tumors im Lidbereich doch die
Besonderheiten dieser Region eindringlich vor Augen führen. Der
vorliegende Artikel soll einen Überblick über die wichtigsten Fakten
geben.
Funktionen des Lides
Funktionen des Lides
Die Augenlider haben essentielle Funktionen zum Erhalt des
Augenlichtes, ohne Augenlid erblindet das darunterliegende Auge. Im Vordergrund
stehen der mechanische Schutz des Bulbus und der Schutz vor Austrocknung der
Augenoberfläche durch Verdunstung des Tränenfilms. Gleichzeitig wird
der Tränenfilm bei jedem Lidschlag über die Oberfläche verteilt.
Dies dient der Säuberung und sorgt für einen gleichmäßigen
Tränenfilm auf der Hornhaut, welcher durch Ausgleich der Unebenheiten der
Hornhautoberfläche zur Verbesserung der Optik des Auges beiträgt.
Zudem führt eine Kontraktion des Musculus orbicularis oculi bei
Lidschluss zu einem Abfluss der Tränen über die Tränenwege
(aktive Tränenpumpe). Nicht zu vernachlässigen ist die Bedeutung der
Augenlider im interindividuellen sozialen Kontakt als Teil der mimischen
Muskulatur.
Aufbau des Lides
Aufbau des Lides
Die Hautschicht der Lider ist die dünnste des ganzen
Körpers und weist fast kein subkutanes Fettgewebe auf. Sie ist sehr leicht
verschieblich. Unter der Haut befindet sich der Musculus orbicularis oculi,
welcher durch seine ringförmige Struktur den aktiven Lidschluss
gewährleistet. Darunter liegt der Tarsus, eine Knorpelplatte, die für
die Stabilität der Lider von Bedeutung ist. Vom Tarsus des Ober- und
Unterlides zieht ein fibröses Blatt, das Septum orbitale, zu den
Rändern der Orbita und stellt mit ihnen die anatomische Begrenzung der
Orbita nach anterior dar. Am Tarsus des Oberlides inseriert der Musculus
levator palpebrae, der zusammen mit dem darunterliegenden sympathisch
innervierten Müller-Muskel die Lidöffnung bewirkt.
Die Innenseite der Lider ist von Bindehaut bedeckt, welche
Bestandteile des Tränenfilmes produziert und mit ihrem
gegenüberliegenden bulbären Anteil als Verschiebeschicht die
Lidbewegungen ermöglicht.
Unter chirurgischen Gesichtspunkten wird das Lid in zwei Einheiten
geteilt, nämlich in die vordere Lamelle, bestehend aus Haut und
Muskelschicht, und die hintere Lamelle aus Tarsus und Bindehaut.
Tumorspektrum
Tumorspektrum
Der mit Abstand häufigste maligne Tumor der Lider (ca.
86 %) ist das Basaliom, welches insbesondere am sonnenexponierten
Unterlid zu finden ist. Ebenfalls überwiegend dort zu finden ist das
Plattenepithelkarzinom mit ca. 7 % der malignen Lidtumoren sehr
viel seltener. Noch seltener sind die übrigen, ohne Prädilektion
für das Unterlid auftretenden, malignen Lidtumoren, wie das
Talgdrüsenkarzinom (ca. 3 %), das maligne Melanom (ca.
1 %) und das Merkelzellkarzinom [1].
Chirurgische Prinzipien der Lidrekonstruktion
Chirurgische Prinzipien der Lidrekonstruktion
Die Tumorchirurgie der Augenlider weist aufgrund des besonderen
anatomischen Aufbaus der Lider einige Besonderheiten auf, die bei der
Rekonstruktion nach Tumorexzision berücksichtigt werden müssen. So
ist insbesondere am Unterlid jede vertikale Traktion zu vermeiden, da diese zu
einem Abstehen der Lidkante vom Bulbus (Ektropium) und damit zu einer
Störung der Hornhautbenetzung führt. Ein Hornhautulkus mit
anschließender Erblindung kann die Folge sein. Die Nahtführung bei
direktem Verschluss von Defekten der vorderen Lamelle sollte daher immer
horizontal, also lidkantenparallel sein, auch wenn eine vertikale
Nahtführung den Defekt scheinbar besser verschließen würde.
Dies gilt insbesondere bei der Chirurgie am Unterlid, da am Oberlid die
Schwerkraft die Folgen einer leichten Traktion abmildert, indem das Lid an den
Bulbus gedrückt wird.
Beim Einsatz von freien Transplantaten bei Deckung
größerer Defekte muss beachtet werden, dass entweder die vordere
oder die hintere Lamelle durchblutet ist, damit eine Versorgung des
Transplantates erreicht werden kann.
Bei der Resektion des Tumors wird meist mehrzeitig in
„Salamitaktik” mit geringerem makroskopischen Sicherheitsabstand
vorgegangen, um möglichst viel Lidgewebe bei gleichzeitiger R0-Resektion
zu erhalten. Hierzu wird das Präparat im Eilschnitt auf tumorfreie
Schnittkanten untersucht und dann gezielt nachreseziert [2]. Im Gegensatz zur ursprünglich propagierten
Gefrierschnitttechnik bevorzugen wir den Eilschnitt, bei dem das Präparat
normal in Formalin fixiert und dann bevorzugt untersucht wird, sodass wir am
nächsten Tag das histologische Ergebnis bekommen. Die Planung der
Rekonstruktion erfolgt erst nach histologisch bestätigter
Tumorfreiheit.
Ziele der Rekonstruktion
Ziele der Rekonstruktion
Idealerweise sollte das nach Tumorexzision rekonstruierte Lid alle
oben angeführten Funktionen der Augenlider wieder übernehmen
können. Aufgrund der Größe des Resektionsausmaßes ist
dies nicht immer zu erreichen, sodass präoperativ mit dem Patienten ein
Gespräch über die realistisch erreichbaren Ergebnisse geführt
werden sollte. Vorrangiges Ziel jeder Rekonstruktion ist die Wiederherstellung
des Lidschlusses mit kompletter Bedeckung der Hornhaut und Vermeidung eines
Ektropiums, um den Schutz des Bulbus vor Austrocknung und damit den Erhalt des
Auges zu gewährleisten. Weiteres Ziel ist die Sicherstellung der Funktion
des Sehens, das heißt eine aktive Lidöffnung mit Freigabe der
optischen Achse.
Ebenfalls einen großen Stellenwert, insbesondere für den
Patienten, nimmt das kosmetische Ergebnis postoperativ ein.
Rekonstruktion von Defekten der vorderen Lamelle
Rekonstruktion von Defekten der vorderen Lamelle
Kleinere Tumoren ohne Lidkantenbeteiligung werden spindelförmig
exzidiert, sodass die Spindel senkrecht zur Lidkante zu liegen kommt. Je nach
Elastizität der Haut lassen sich kleinere Defekte dann, eventuell nach
Unterminieren der angrenzenden Wundränder, oft durch Anlage von horizontal
verlaufenden Nähten direkt verschließen. Bei größeren
Defekten können durch Anlage eines kosmetisch unauffälligen
Subziliarschnittes unterhalb der Wimpernreihe kleine Verschiebelappen nasal und
temporal des Defektes präpariert werden, die einen spannungsfreien
Wundverschluss ermöglichen ([Abb. 1]). Bei
größeren Defekten der vorderen Lamelle und vorhandener
Dermatochalasis (Hautüberschuss) des Oberlides kann auch ein gestielter
Hautlappen z. B. vom Oberlid in den Defekt des Unterlides geschwenkt
werden.
Abb. 1 Direkter Verschluss mit
Verschiebeplastik.a Basaliom.b
Z. n. Tumorexzision im Gesunden.c und
d Defektdeckung durch Veschiebeplastik des Unterlides
über Subziliarschnitt.
Ist der Defekt für einen Schwenklappen zu groß, wird ein
freies Vollhauttransplantat aufgenäht und durch mehrtätige
Kompression dort fixiert. Es empfiehlt sich als Entnahmestelle wieder das ipsi-
oder kontralaterale Oberlid, wenn dort ausreichend Haut zur Verfügung
steht. Ist dies nicht der Fall oder ist der Defekt zu groß, kann Haut
retroaurikulär, in der Fossa subclavia oder im Bereich der
Oberarminnenseiten entnommen werden.
Rekonstruktion von durchgreifenden Defekten
Rekonstruktion von durchgreifenden Defekten
Ein durchgreifender Defekt des gesamten Lides stellt eine
schwierigere Ausgangssituation dar. Beträgt sie nur bis zu einem Viertel
der horizontalen Lidausdehnung, ist bei älteren Patienten in der Regel ein
direkter Verschluss der Wunde möglich. Wichtig ist hier die dreischichtige
Nahtführung, bei der resorbierbare Intertarsal- und Muskelnähte sowie
nichtresorbierbare Hautnähte angelegt werden. Zusätzlich muss die
Lidkante stufenlos mit Einzelknopfnähten adaptiert werden, ohne dass diese
postoperativ an der Hornhaut reiben.
Bei Defekten bis maximal der Hälfte der horizontalen
Lidausdehnung kann ein Wundverschluss oft durch eine Kantholyse des lateralen
Lidbändchens und ein Hereinschwenken eines Haut-/Muskellappens von
temporal erreicht werden. Dieser kann halbmondförmig als Tenzellappen
[3] oder als modifizierte Z-Plastik nach McGregor
[4] präpariert werden ([Abb. 2]). Essenziell für das postoperative
Ergebnis ist die tiefe Fixation des Lappens im Bereich des lateralen
Lidwinkels, um ein Absinken und ein Abstehen vom Bulbus des rekonstruierten
temporalen Lides zu vermeiden.
Abb. 2 Subtotaler Defekt des
Unterlids. Defektdeckung durch Hughes-Plastik und Z-Plastik nach McGregor sowie
freies Vollhauttransplantat der Oberarminnenseite.a
Basaliom.b Z. n. subtotale Unterlidresektion.c intraoperativer Situs: *präpariertes
tarsokonjunktivales Transplantat, ** Z-Plastik.d
postoperativer Befund.
Ist der Defekt größer, muss bei der Rekonstruktion jede
Lamelle einzeln präpariert werden. Dabei wird eine Kombination aus jeweils
einem freien Transplantat und einem gestielten Lappen benutzt. Bei Defekten des
Unterlides bietet sich eine Rekonstruktion der hinteren Lamelle durch ein
gestieltes tarsokonjunktivales Transplantat vom ipsilateralen Oberlid nach
Hughes an [5]. Hierbei wird auf der Innenseite des
Oberlides der Tarsus mit der darunterliegenden Konjunktiva lidkantenparallel
geteilt und vorsichtig der aufliegende Musculus orbicularis abpräpariert.
Man erhält ein an der Konjunktiva nach kranial gestieltes
tarsokonjunktivales Transplantat, welches jetzt nach unten in den
Unterliddefekt geklappt und dort mit Intertarsal- und Lidkantenfäden
fixiert wird. Der Ersatz der vorderen Lamelle kann durch ein freies
Vollhauttransplantat oder einen gestielten Hautlappen erfolgen. Die
tarsokonjunktivale Brücke zwischen Unterlid und Oberlid kann in der Regel
nach ca. 6 Wochen durchtrennt werden ([Abb. 3]).
Abb. 3 Patient vor (a) und nach (b) der Durchtrennung der
konjunktivalen Brücke zum Oberlid.
Alternativ kann ein gestielter Hautlappen nach Hübner
[6] mit freien tarsomarginalen Transplantaten der
hinteren Lamelle kombiniert werden. Dabei werden, wenn notwendig aus allen drei
gesunden Lidern jeweils kleine Keile des gesamten Lides exzidiert, sodass die
Entnahmestellen sich noch spannungsfrei direkt verschließen lassen (nicht
mehr als ein Viertel der horizontalen Lidausdehnung!). Von den
Transplantaten wird dann die Haut und der Muskel entfernt, aber die Lidkante
mit den Wimpern belassen. Anschließend werden sie im Defekt spannungsfrei
mit Intertarsalnähten fixiert und von einem durchbluteten Hautlappen
gedeckt.
Vorteile dieses Verfahrens sind der Erhalt einer Wimpernreihe nach
Rekonstruktion sowie die Möglichkeit des Einsatzes am Oberlid. Ein
praktisch und psychologisch nicht zu unterschätzender Nachteil ist, dass
die Patienten auch am nicht betroffenen Auge Wundflächen mit den damit
verbundenen Einschränkungen und eventuellen Wundheilungsstörungen
haben. Bis auf die fehlende Wimpernreihe erhält man nach Hughes-Plastik
ebenfalls in der Regel ein gutes funktionelles und kosmetisches Ergebnis.
Psychologischer Vorteil ist hier, dass das gesunde Auge nicht
beeinträchtigt wird, ein Nachteil ist die sechswöchige funktionelle
Einäugigkeit der Patienten.
Zusammenfassung
Zusammenfassung
Durch die heute zur Verfügung stehenden Verfahren der
rekonstruktiven Lidchirurgie lassen sich die durch Tumorchirurgie der Lider
entstehenden Defekte sowohl in funktioneller als auch in kosmetischer Hinsicht
in der Regel gut rekonstruieren. Um für den Patienten das optimale
Ergebnis zu erzielen, sollten die Patienten bei größeren Tumoren den
darauf spezialisierten ophthalmologischen Zentren zugeführt werden.