Einleitung
Einleitung
Sekundäre Lymphödeme sind eine mögliche Komplikation
nach notwendigen Operationen und Bestrahlungen bei Brustkrebserkrankungen.
Diverse Studien geben Lymphödeminzidenzen zwischen
6 – 46,3 % an [1 ]
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Aktuellere Studien grenzen die Inzidenz zwischen 8,4 und 33 % ein
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Trotz einer jährlichen Brustkrebsneuerkrankungsrate in Deutschland von ca.
60 000 Frauen [11 ] und somit (bei einer
durchschnittlichen Inzidenzrate von 20,7) einer Rate von rund 16 200
Lymphödemneuerkrankungen pro Jahr liegen derzeit nur elf hochwertige
Studien [12 ]
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zum Thema einer effektiven Kurz- bzw. Langzeitbehandlung sekundärer
Lymphödeme vor. Von diesen untersucht lediglich die Studie von Andersen et
al. (2000) [23 ] die Erhaltungsphase (Phase 2) der
Komplexen Physikalischen Entstauungstherapie (KPE). Die Erhaltungsphase umfasst
Manuelle Lymphdrainage, das Tragen eines Kompressionsstrumpfes,
selbstdurchgeführte Bewegungsübungen und Hautpflege mit dem Zweck des
Ödemstatuserhalts. Diese Phase folgt einer vier- bis sechswöchigen
Entstauungsphase (Phase 1) des Lymphödems. Die mit dem Ziel der
Evidenzbasierung der KPE und deren einzelnen Komponenten (Kompression; Manuelle
Lymphdrainage; Hautpflege; Bewegung in Kompression) durchgeführten Studien
erreichen aufgrund „fehlerhafter Studiendesigns und kleiner
Fallzahlen” nur eine begrenzte Aussagefähigkeit [24 ]. Neben der Metaanalyse von Beckermann zeigen auch die
Metaanalyse von Schiller – Frühwirt (2007) [25 ] und ein Review von Devoogt et al. (2010)
[26 ] einen klaren Mangel im Bereich des
Effektivitätsnachweises der Manuellen Lymphdrainage auf. Im Gegensatz dazu
besteht eine eindeutige Validisierung der Effektivität für die KPE
(Kompression; Manuelle Lymphdrainage; Hautpflege; Bewegung in Kompression).
Hinsichtlich der vier einzelnen Behandlungskomponenten der KPE konnten bisher
die Kompression bezüglich einer Ödemreduktion [27 ]
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und die Bewegungsübungen (in Kompression) bezüglich einer
Schmerzreduktion und einer allgemeinen Gesundheitsverbesserung
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validiert werden. Belege, dass Bewegungsübungen zu einer signifikanten
Reduktion des Ödemvolumens führen, liegen derzeit nicht vor. Der
Mangel in der Evidenzbasierung der Manuellen Lymphdrainage und die RCT von
Andersen et al. 2000 [37 ], in der die Manuelle
Lymphdrainage in der Phase 2 der KPE keinen zusätzlichen Effekt aufwies,
führten bei Beckermann (2008) [38 ] zu der
Fragestellung, ob die Therapie sekundärer Lymphödeme mittels der MLD
in der Erhaltungsphase als Fehltherapie zu erachten ist. Dieses Problem
aufgreifend, war das Ziel dieser Pilotstudie mit prospektivem, randomisiertem
Design, die Effektivität der Manuellen Lymphdrainage in der
Erhaltungsphase der KPE an einseitig betroffenen Lymphödemerkrankten nach
Mammakarzinom zu prüfen. Die Prüfung der Effektivität wurde im
direkten Vergleich zur KPE, zum alleinigen Kompressionsstrumpf und zur neueren
Kinesio-Taping-Technik (Lymphtaping) durchgeführt.
Methode
Methode
In diese multizentrische Pilotstudie, welche zuvor von drei
Ethikkommissionen (Rheinland-Pfalz, Hessen, Universitätsklinikum Giessen)
freigegeben wurde, wurden 76 Patientinnen im Alter von durchschnittlich 62,9
Jahren (Altersbereich: 30 – 75) aufgenommen. Die
Rekrutierung der Patientinnen erfolgte über die Deutsche Lymphselbsthilfe.
Insgesamt wurden sechs Einschlusskriterien festgelegt ([Abb. 1 ]).
Abb. 1 Einschlusskriterien.
Aus der Studie ausgeschlossen wurden Patientinnen im Finalstadium,
mit Auftritt von Rezidiven, akuten Erysipelinfekten, kardialen
Grunderkrankungen und Patientinnen, die eine Range of motion (ROM) unter
90-Grad-Flexion und Abduktion aufwiesen. Die ROM wurde im Hinblick auf eine
funktionierende, nach Kase et al. (2006) [39 ] für
die Kinesio-Taping-Technik relevante, Muskelpumpentätigkeit
festgelegt.
Randomisierung und Studiendesign
Die Patientinnen wurden für drei Monate in eine von vier
möglichen Behandlungsgruppen randomisiert. Die Randomisierung erfolgte
extern. Die Behandlung der ersten Gruppe (KPE-Kontrollgruppe) bestand aus dem
Tragen einer Kompressionsbestrumpfung (nicht älter als sechs Monate) und
2-mal wöchentlicher Manueller Lymphdrainage (45 min.). Die zweite
Gruppe erhielt nur Manuelle Lymphdrainage (2-mal
wöchentlich/45 min.). Die dritte Gruppe trug einen
Kompressionsstrumpf (durchschnittliche Tragedauer 8,2 Stunden/d [Bereich:
6,7 – 10,75 Stunden]). In der vierten Gruppe wurden die
Teilnehmerinnen mittels der Kinesio-Taping-Technik behandelt. Alle 76
Patientinnen führten zweimal wöchentlich ein festgelegtes,
während des Aufklärungsgesprächs besprochenes und schriftlich
fixiertes Bewegungsprogramm sowie die Hautpflege selbstständig durch.
Störvariablen
Sechs mögliche Störvariablen wurden identifiziert,
welche durch Gegenmaßnahmen reduziert bzw. unterbunden wurden:
Unterschiede in der Behandlung der Patientinnen aufgrund
unterschiedlicher Fortbildungskonzepte im Bereich der Manuellen
Lymphdrainage/KPE
Unterschiede in der Behandlung der Patientinnen aufgrund
unterschiedlicher Fortbildungskonzepte im Bereich des Kinesio-Taping-Konzeptes
(Lymphtaping)
Die Compliance der Patientinnen
Kompressionsdruck und Sitz des Strumpfes
Durchführung der Eingangs- und Endmessung
Überprüfung der monatlichen Dateneingabe in Case
Report Forms.
Unterschiede hinsichtlich der Manuellen Lymphdrainage – und
der Kinesio-Taping-Fortbildung (Differenzen im praktischen Aufbau der
Behandlungen) wurden durch eine Schulung der Therapeuten aufgehoben.
Griffreihenfolge und Druckstärke wurden kontrolliert (handelsübliche
Druckmanschette zur Druckstärkenkontrolle) und schriftlich fixiert. Sowohl
die Manuelle Lymphdrainage als auch die Kinesio-Taping-Technik folgten einer
genau festgelegten Reihenfolge. Die Applikation der Streifen fand in maximaler
Hautdehnung ohne Zug (0 %) auf das Tape statt. Die Schulung
führte zu einer einheitlichen Durchführung sowohl der Manuellen
Lymphdrainage als auch der Kinesio-Taping-Einheiten. Die Compliance der
Patientinnen wurde mittels Patientinnentagebüchern geprüft.
Entscheidend waren in diesem Zusammenhang Aufklärungsgespräche, die
die Dringlichkeit der Compliance deutlich aufwiesen. Auch der
Kompressionsdruck, der Sitz und das Alter (maximal 6 Monate) des
Kompressionsstrumpfs wurden zu Beginn der Studie einer Prüfung unterzogen
(eine Untersucherin). Die Durchführung der Behandlungen, die
Datenerfassung in Case Report Forms (CRFs) und die Compliance der
Teilnehmerinnen wurden in zuvor extern randomisierten Kontrollbesuchen
überprüft. Diese Kontrolle erfolgte bei 25 % der
Teilnehmer. Die Datensätze wurden in insgesamt vier Messungen (Erstbefund
[U0], Messung nach einem Monat [U1], Messung nach zwei Monaten [U2] und
Endbefund [U3]) nach der 4 cm-Methode [40 ]
erhoben. Zur Objektivierung der Datensätze wurden die Umfangsmessungen U0
und U3 von derselben Therapeutin durchgeführt [41 ].
Vor der Durchführung der U3 hatte die Therapeutin nicht die
Möglichkeit der Einsicht in die bei der Eingangsmessung gewonnen Daten.
Die von den teilnehmenden Therapeuten durchgeführte U1- und U2-Messungen
dienten der Verlaufskontrolle. In diesem Zusammenhang wird darauf hingewiesen,
dass laut Seifart et al. (2010) [42 ] kein signifikanter
Unterschied bei Umfangmessungen mit standardisiertem Messband, welche bei einer
Patientin von mehreren messenden Therapeuten durchgeführt werden,
besteht.
Ergebnisse mit statistischer Analyse
Ergebnisse mit statistischer Analyse
Nach Beendigung der praktischen Studienphase konnten 60
Datensätze ausgewertet werden. In 16 Fällen kam es zum Abbruch der
Studie ([Abb. 2 ]).
Abb. 2 Studienabbruch;
Gründe und Teilnehmeranzahl. Grundgesamtheit
n = 76.
Die von November 2008 bis Mai 2010 erhobenen Datensätze wurden
mittels des Statistikprogramms IBM® SPSS®
Statistics 18 ausgewertet. Die im Zuge der ANOVA-errechneten Mittelwerte der
Ödemvolumina ([Abb. 3 ]) in den vier Gruppen
weisen auf, dass das Tragen des Kompressionsstrumpfs mit
– 177 ml (SD 201,99) Volumenreduktion die höchste
Effektivität aufweist.
Abb. 3 Ödemvolumina der
vier Behandlungsgruppen nach drei Monaten. KPE = Komplexe Physikalische
Entstauungstherapie; KTT = Kinesio-Taping-Technik; MLD = Manuelle
Lymphdrainage.
Die KPE als Kombinationstechnik folgt mit
– 38,60 ml (SD 164,53) Reduktion. Die KTT und die
Behandlung mittels der Manuellen Lymphdrainage weisen Volumenzunahmen mit
5,23 ml (SD 250,63) und 13,43 ml (SD 175,98) auf. Ein
signifikanter Unterschied im Vergleich der Gruppen konnte mit
p < 0,042 zugunsten der Kompression festgestellt werden. Die
Prüfung der Variablen innerhalb der vier Gruppen (Friedman-Test) ergab in
der Kompressionsstrumpfgruppe eine signifikante Reduktion
(p < 0,001). Kein signifikanter Unterschied konnte im
prä-post-Vergleich (Friedman-Test) in den Gruppen MLD, KTT und KPE
festgestellt werden.
Diskussion und Schlussfolgerungen
Diskussion und Schlussfolgerungen
Die Manuelle Lymphdrainage weist bezüglich des
Ödemvolumens mit + 13,43 ml eine
Ödemvolumenzunahme auf und unterstützt somit die von Andersen et al.
(2000) publizierten Werte. Die hohen Standardabweichungen der Studie von
210,5 ml (gesamt) decken sich mit den Standardabweichungen des Papers
von Andersen et al. 2000 (SD 209,3 ml) [43 ] und
liegen unter den Standardabweichungen von Meijer et al. (2004)
[44 ] mit Werten zwischen
606 – 467,3 ml und den Standardabweichungen von
Karges et al. (2003) [45 ] mit 613,5 ml. In diesem
Zusammenhang sollten der unterschiedliche Status der fibrosklerotischen
Veränderungen der jeweiligen Patientinnen zu Beginn der Studie sowie die
geringe Probandenzahl (n = 76) bedacht werden. Die
während der U0 und der U3 erfolgten Inspektions- und Palpationsbefunde
(eine Untersucherin) geben einen Hinweis darauf, dass in den Gruppen MLD, KTT
und KPE der Status der fibrosklerotischen Veränderungen verbessert werden
konnte. Eine Erklärung für diese Ergebnisse könnte die durch die
MLD und durch die KTT begünstigte Thixotropie sein, bei der es zu
„Veränderungen kolloidaler Systeme aus dem Gel- in den Solzustand,
aufgrund mechanischer Kräfte kommt” [46 ].
Die MLD und die KTT könnten somit über den verbesserten Abbau von
Substanzen entzündungsreduzierend wirken, was im Bereich der MLD
bezüglich der Oxysterole (entzündungsunterstützende Wirkung)
nachgewiesen scheint [47 ]. Davon abweichend konnte eine
Verschlechterungen (Verhärtung und Vergrößerung) der
fibrosklerotischen Veränderungen bei alleiniger Kompressionsbestrumpfung
beobachtet werden. Leduc et al. (1985) [48 ] und Partsch
et al. (1981) [49 ] unterstützen in ihren
Publikationen diese Beobachtung, indem sie darauf hinweisen, dass Drucktherapie
keine Aufnahme von Proteinen in das Lymphgefäßsystem
begünstigt. Leduc et al. ergänzten 1997 [50 ],
dass Druck lediglich den Abtransport bereits reabsorbierter Proteine
unterstütze. Dies fördert die Annahme, dass die MLD zwar im Bereich
der Ödemvolumenreduktion schlechte Langzeitdaten, jedoch im Bereich der
Lösung fibrosklerotischer Veränderungen gute Werte aufweist. Der
Aussage von Beckermann (2008) [38 ], dass die MLD eine
„Fehltherapie” sei, kann somit nur bedingt zugestimmt werden.
Weitere Studien werden benötigt, um einen gezielteren Einsatz der MLD in
der Komplexen Physikalischen Entstauungstherapie definieren zu können.