Aktuelle Dermatologie 2011; 37(10): 369-377
DOI: 10.1055/s-0030-1256695
Tagungsbericht

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

10. Leipziger Diagnostik-Tagung (LDT) Dermatologie 2011: Dermatologische Diagnostik – wissenschaftlich begründet, Praxis-relevant und wirtschaftlich

10th Leipzig Diagnostics Congress (LDT) Dermatology 2011: Dermatological Diagnostics – Scientifically Justified, Relevant for Practice, and EconomicP.  Nenoff1 , G.  Hamm2
  • 1Labor für medizinische Mikrobiologie, Mölbis
  • 2Hautarztpraxis Halle/Saale
Further Information

Prof. Dr. med. Pietro Nenoff

Haut- und Laborarzt/Allergologie, Andrologie
Labor für medizinische Mikrobiologie

Straße des Friedens 8
04579 Mölbis

Email: nenoff@mykologie-experten.de

Publication History

Publication Date:
09 August 2011 (online)

Table of Contents #

Einleitung

Am 15. Januar 2011 fand in Leipzig die bereits 10. Leipziger Diagnostik-Tagung Dermatologie – „Laboratoriumsdiagnostik – wissenschaftlich begründet, Praxis-relevant und wirtschaftlich” (früher unter dem Namen Leipziger Labor-Workshop) als Veranstaltung des Berufsverbandes Deutscher Dermatologen statt. Die Jubiläumsveranstaltung, welche von Herrn Prof. Dr. Uwe-Frithjof Haustein, Leipzig, moderiert wurde, hatte eine Rekordbeteiligung: Knapp 90 Hautärzte, aber auch Mikrobiologen und Laborärzte aus Sachsen und dem gesamten Bundesgebiet nahmen teil ([Abb. 1] und [2]).

Zoom Image

Abb. 1 Referenten und Organisatoren der Leipziger Diagnostik-Tagung Dermatologie 2011 (von links nach rechts): Priv.-Doz. Jörg Kleine-Tebbe (Berlin), Prof. Pietro Nenoff (Mölbis), Dr. med. Andreas Schlüter (Sangerhausen), Dr. med. Steffen Gass (Günzburg), Dr. med. Gudrun Hamm (Halle/Saale), Priv.-Doz. Kirsten Jung (Erfurt), Prof. Uwe-Frithjof Haustein (Leipzig) und Prof. Dr. med. Gottfried Wozel (Dresden).

Zoom Image

Abb. 2 Referent (Prof. Nenoff) und Moderator (Prof. Haustein) bei der Leipziger Diagnostik-Tagung Dermatologie 2011.

Der Termin für die 11. Leipziger Diagnostik-Tagung Dermatologie im nächsten Jahr ist bereits festgelegt, sie wird am Samstag, dem 21. Januar 2012, wiederum in Leipzig stattfinden!

#

Andrologische Diagnostik in der Dermatologie – praktikabel und praktiziert?

#

U. Paasch

Die Andrologie gehört zum Fach „Haut- und Geschlechtskrankheiten”, das in Deutschland medizinhistorisch die Mutterdisziplin dieses Spezialgebietes ist. Entsprechend wird in der neuen Musterweiterbildungsordnung der „Erwerb von Kenntnissen, Erfahrungen und Fertigkeiten in … der Erkennung andrologischer Störungen und Indikationsstellung zur weiterführenden Behandlung” gefordert. Die andrologische Diagnostik nur als Ejakulatanalyse aufzufassen, ist ärztlich nicht vertretbar. Die Infertilitätsdiagnostik umfasst immer die Anamnese, klinische Untersuchung, Ejakulatanalyse und Hormonbestimmungen sowie bedarfsweise erweiterte Labordiagnostik hinsichtlich Spermienfunktionen, Seminalplasma und Hodengewebe. Die Ejakulatdiagnostik beinhaltet die makroskopische und mikroskopische Spermaanalyse, biochemische, immunologische und mikrobiologische Untersuchungen sowie ggf. die Durchführung spezieller Spermatozoenfunktionstests und Sonderverfahren. Zur Standardisierung der Ejakulatanalyse hat die WHO ein Laborhandbuch herausgegeben, das mittlerweile in der 5. englischsprachigen Auflage – bei 4 deutschsprachigen Auflagen – zur Verfügung steht. In der Neuauflage des Handbuches sind Änderungen in vielen Referenzbereichen und auch der Nomenklatur berücksichtigt. Seit 2011 gelten die aktuellen Richtlinien der Bundesärztekammer, die insbesondere auf die Verfahren der Qualitätssicherung orientieren. Nach diesen Richtlinien ist eine Teilnahme an Maßnahmen zur Qualitätssicherung verpflichtend. Zum Aufbau einer internen Qualitätskontrolle finden sich ebenso Empfehlungen wie Handlungsanweisungen zur Fehlerbehebung. Die Organisation der externen Qualitätskontrolle ist einfach via Teilnahme z. B. am QuaDeGa-Programm der Deutschen Gesellschaft für Andrologie (DGA) zu realisieren. Wesentlicher Baustein einer qualitätsgesicherten Ejakulatanalyse ist die Dokumentation des Befundes und der Qualitätskontrollen sowie ggf. eingeleiteten Maßnahmen zur Sicherung der Qualität.

#

Generalisiertes bullöses fixes Arzneimittelexanthem: Analyse von 62 Fällen

#

U.-F. Haustein, T. Herb, Y. Liss, K. Bork, M. Mockenhaupt

Das generalisierte bullöse fixe Arzneimittelexanthem (GBFAE) stellt eine unerwünschte Reaktion der Haut dar, die in Form nummulärer, manchmal größerer erythematöser, oft violett-bräunlicher Flecken oder Infiltrate auftritt. Zwischen den Läsionen finden sich normale Hautareale, auf der das Nikolsky-Zeichen negativ ist. Manchmal sind die Schleimhäute eher leicht mit Blasen oder Erosionen beteiligt. Die Patienten mit GBFAE weisen Fieber oder Störungen des Allgemeinbefindens in geringer oder mäßiger Ausprägung auf. Manche Patienten erleiden das GBFAE häufiger als einmal, wobei die rekurrierende Episode zu größeren Hauterosionen führen kann, die an eine toxische epidermale Nekrolyse (TEN) erinnert. Die Histopathologie beider Erkrankungen ist durch eine subepidermale Blasenbildung mit nekrotischen Keratinozyten des Blasendaches charakterisiert. GBFAE und TEN wurden von Kauppinen 1972 auf der Grundlage ihres klinischen Erscheinungsbildes und der Ergebnisse des oralen Provokationstestes differenziert.

Die Populations-basierte Registrierung von schweren Hautreaktionen im Dokumentationszentrum für schwere Hautreaktionen der Univ.-Hautklinik Freiburg (DZH) hat Fälle von Stevens-Johnson-Syndrom (SJS) und TEN seit 1990 in Deutschland erfasst. Alle Fälle wurden durch ein unabhängiges Expertenkomitee validiert. Dabei wurde zwischen definitiven, wahrscheinlichen, möglichen und keinen Fällen von SJS/TEN unterschieden. Mögliche Fälle innerhalb des Registers beinhalten auch zahlreiche Fälle von GBFAE, die zunächst als TEN angesehen wurden.

64 Fälle von schweren GBFAE wurden validiert, von denen 62 Patienten mit relevanten klinischen und demografischen Daten analysiert werden konnten. 3 von ihnen waren Kinder, während das Durchschnittsalter der 59 Erwachsenen 75,6 Jahre betrug. 34 Patienten waren Männer, 28 Frauen. Der Allgemeinzustand der Patienten war gut, bei ungefähr 30 % der Fälle war er reduziert. Fieber trat bei 57 % der Patienten mit einer Durchschnittstemperatur von 39 °C auf. Der durchschnittliche Prozentsatz der Blasenbildung bezogen auf die Körperoberfläche (KOF) lag bei 9 %. Das Ausmaß der erythematösen Herde bezogen auf die KOF betrug 20 % mit Bevorzugung der Extremitäten, gefolgt von Stamm, Gesäß und Gesicht. Bei 77 % der Patienten waren die Schleimhäute mit Bevorzugung der Genitalien beim Mann (58 %) und bei der Frau (48 %) betroffen. In 62 % der Patienten konnten vorausgegangene Episoden ermittelt werden. Die am häufigsten assoziierten Medikamente (Auslöser) waren Cotrimoxazol (50 %) und Analgetika wie Paracetamol (20 %) und Metamizol (18 %). Die Gesamtmortalität innerhalb von 6 Wochen nach Beginn der unerwünschten Hautreaktionen belief sich auf 21 % (13/61); außer einem waren alle Patienten mit letalem Verlauf älter als 70 Jahre.

Im Vergleich zu den publizierten Daten über TEN waren die Patienten mit GBFAE signifikant älter und ihre Mortalität war niedriger. Allerdings haben die Patienten mit wiederholten und/oder extensiven GBFAE mit einem Alter über 70 Jahre ein höheres Risiko des tödlichen Verlaufes.

#

Diagnose und Differenzialdiagnose des Pemphigus vulgaris – neue Testmöglichkeiten und Fallbeispiele

#

G. Hamm, M. Mittag, P. Nenoff

Der Pemphigus vulgaris (Pv) ist eine relativ seltene, organspezifische, die Haut und/oder die angrenzenden Schleimhäute erfassende, u. U. lebensbedrohlich verlaufende, blasenbildende Autoimmun (AI-)Dermatose. Zur Gruppe der Pemphiguserkrankungen gehören neben dem Pv noch der Pemphigus foliaceus, der paraneoplastische Pemphigus und der IgA-Pemphigus. Die 4 Subtypen dieser Gruppe haben ein gemeinsames Merkmal: nachweisbare Auto-Antikörper (AAK) gegen verschiedene Desmosomen-Antigene/Strukturproteine der epidermalen Interzellularbrücken ([Abb. 3]).

Zoom Image

Abb. 3 Antigenstrukturen in der Epidermis (Desmosomen-Antigene/Strukturproteine) als Zielstrukturen für Autoantikörper (AAK) bei den Pemphigus-Erkrankungen.

Bei Verdacht auf eine blasenbildende AI-Dermatose stützt man sich in der Regel auf die Klinik – die Immunserologie – die Histologie und – seltener – auf die Immunhistologie.

Wirklich diagnosesichernd sind bei Pemphigus-Erkrankungen nur der direkte Nachweis gewebsgebundener Auto-AK im Gewebeschnitt (mit der direkten Immunfluoreszenz/DIF) und/oder der Nachweis von zirkulierenden hautspezifischen AAK.

Die technischen Voraussetzungen für zuverlässige Ergebnisse in der DIF sind:

  1. die Auswahl der richtigen Biopsiestelle (Gefahr „falsch negativer” Befunde);

  2. das sofortige Schockgefrieren des nativen Biopsie-Materials (flüssiger Stickstoff);

  3. die Bearbeitung an 5 µm dünnen, unfixierten Kryostatschnitten;

  4. bei erforderlichem Transport die Verwendung spezieller Transportmedien („Michel-Puffer”).

AAK gegen Desmosomen bei Pemphiguserkrankungen lassen sich in mehr als > 90 % der Fälle nachweisen (Ausnahme: IgA-Pemphigus in ca. 50 %).

Der Nachweis erfolgt mit der indirekten Immunfloreszenz (IIF) an Ösophagusschnitten. Die netzartige Fluoreszenz der epidermalen Interzellularräume ist als Muster charakteristisch und eindeutig. Dieser Test ist im fachärztlichen Speziallabor noch immer der diagnostische Goldstandard ([Abb. 4]).

Zoom Image

Abb. 4 Nachweis von Pemphigus-AK an Affenösophagus mittels indirekter Immunfluoreszenz (IIF).

Allerdings hat in den letzten 10 Jahren die Entwicklung und Anwendung molekularbiologischer Methoden bei den blasenbildenden AI-Erkrankungen neue Erkenntnisse und Fakten gebracht. Eine weitergehende Differenzierung der verschiedenen desmosomalen Antigene/Antikörper war bis vor kurzem nur wenigen wissenschaftlichen Zentren vorbehalten.

Jetzt stehen neue kommerzielle Testsysteme zur Verfügung, die auch dem kleinen Routinelabor eine verbesserte und weiterführende serologische Diagnostik erlauben. Durch die Zusammenarbeit der Lübecker Arbeitsgruppe um Professor Zillikens mit der Firma Euroimmun (Lübeck) sind zwei verschieden IIF-Tests auf den Markt gekommen, die diese Lücke für das spezialisierte dermatologische Routine-Labor schließen:

  1. Mit dem „Dermatologischen Mosaik” lassen sich jetzt sowohl anti-Desmosomen-AK wie Desmoglein 1 + 3 (zur Abgrenzung des Pemphigus foliaceus vom Pv) als auch BMZ-spezifische AK differenzieren.

  2. Das zweite Testsystem arbeitet mit Gewebsschnitten von Harnblasenepithel und erlaubt die Abgrenzung des paraneoplastischen Pemphigus.

Bei kleiner Probenzahl – die Häufigkeit des Pv wird auf 5 – 8 Fälle/Jahr und 1 Mio. Einwohner geschätzt – ist ein EIA bei seltenen Auto-AK sehr unwirtschaftlich.

Da die Sensitivität von IIF und EIA vergleichbar ist, kann mit den oben beschriebenen neuen Tests nun auch das vertragsärztlich tätige, spezialisierte Facharztlabor bei blasenbildenden Autoimmundermatosen schnell und qualitätsgesichert den diagnostischen Fortschritt umsetzen.

Anhand von 2 Kasuistiken wurde die diagnostische Vorgehensweise und die Ergebnisbewertung bei Verdacht auf Pemphigus vulgaris demonstriert.

#

Aktuelle gesundheitspolitische Entwicklungen

#

S. Gass

Dr. Steffen Gass – BVDD-Vorstandsmitglied – ging in seinem spannenden gesundheitspolitischen Vortrag u. a. auf die nach wie vor nicht ad acta gelegten Pläne der KBV zur Abschaffung des Eigenlabors ein. Er betonte, dass der BVDD dafür kämpft, diese Kompetenz zu erhalten. Eine Voraussetzung dafür ist der Nachweis der Expertise der Hautärzte auf diesem Gebiet, wozu letztlich auch die Leipziger Diagnostik-Tagung Dermatologie steht. Eine ausführliche Darstellung des Inhalts dieses Vortrages findet sich übrigens im Tagungsbericht des LDT, der im Heft 2, 2011, des „Deutschen Dermatologen” abgedruckt worden ist.

#

MRT-Diagnostik von Vaskulitiden des ZNS

#

A. Schlüter

Vaskulitiden des zentralen Nervensystems (ZNS) stellen für den behandelnden und den diagnostisch tätigen Arzt eine große Herausforderung dar. Auch wenn derartige Erkrankungen häufig eine schwere Beeinträchtigung des Patienten verursachen, sind die klinischen Symptome insbesondere bei nicht infektiösen Vaskulitiden unspezifisch und können andere Erkrankungsbilder vortäuschen. In Abhängigkeit vom Ausmaß der parenchymalen Schädigung werden als Krankheitszeichen ein großes Spektrum neurologischer Ausfälle oder Symptome wie beispielsweise Kopfschmerzen, Krampfanfälle, Psychosen, Paresen oder auch Spracheinschränkungen beobachtet. Es bedarf daher einer gezielten Diagnostik und raschen Therapie, da entzündliche Gefäßerkrankungen des ZNS unbehandelt foudroyant und letal verlaufen können.

Eine Beteiligung der hirnversorgenden Gefäße im Rahmen von systemischen Vaskulitiden ist möglich. Beispiele für derartige Erkrankungen sind die systemisch nekrotisierenden Vaskulitiden (Polyarteriitis nodosa; Riesenzellarteriitis u. a.) oder Vaskulitiden im Rahmen von Kollagenosen (Lupus erythematodes; Rheumatoide Vaskulitis u. a.). Eine Sonderstellung nimmt die primäre Angiitis des ZNS (PACNS) ein. Diese Erkrankung manifestiert sich ausschließlich im ZNS, weshalb sich die Diagnostik teilweise schwierig gestaltet ([Abb. 5] und [6]).

Zoom Image

Abb. 5 Primäre Angiitis des ZNS (PACNS) bei einer 42-jährigen Patientin. Die BSG betrug 30/55 mm, im Liquor cerebrospinalis fand sich eine Monozytose. Die Immunfluoreszenz mit Hep-2-Zellen wies ein gepunktetes Muster auf. Zur Behandlung der Vaskulitis kamen Steroide und Cyclophosphamid zur Anwendung. Der Pfeil markiert eine fokale arterielle Gefäßengstellung in der Angiografie.

Zoom Image

Abb. 6 PACNS bei derselben Patientin wie in [Abb. 5]. Im MRT des Zentralnervensystems sieht man ein fokales Ödem der Hirnsubstanz.

Bildgebende Verfahren liefern häufig wesentliche Beiträge bei der Diagnostik von Vaskulitiden des ZNS. Insbesondere die Magnetresonanztomografie (MRT) vermag die sekundären Komplikationen einer Vaskulitis des ZNS mit hoher Sensitivität darzustellen. Hierbei können beispielsweise Infarkte, Ödeme oder tumorähnliche Läsionen dargestellt werden. Mit Hilfe der Magnetresonanzangiografie (MRA) ist es zusätzlich teilweise möglich, pathognomonische Gefäßveränderungen (Stenosen; Kaliberschwankungen; Gefäßabbrüche) einer Vaskulitis nachzuweisen, auch wenn die Katheterangiografie (digitale Subtraktionsangiografie) aufgrund der höheren Sensitivität weiterhin als Goldstandard für die Detektion einer zerebralen Vaskulitis anerkannt wird. Trotz einer zum Teil kontroversen Diskussion über die Sensitivität bildgebender Verfahren bei der Vaskulitisdiagnostik, liefern diese regelmäßig ausreichende Hinweise, um eine immunsuppressive Therapie begründen zu können. Auf eine Biopsie wird häufig aufgrund möglicher Komplikationen verzichtet.

Einer Vaskulitis des ZNS müssen nicht entzündliche Gefäßveränderungen gegenübergestellt werden. Derartige Erkrankungen werden auch als benigne Angiopathien des ZNS (BACNS) bezeichnet. In der Regel handelt es sich hierbei um schwer ausgeprägte Gefäßspasmen, wie sie bei hypertensiven Krisen (posteriores hypertensives Enzephalopathiesyndrom), bei schweren Formen der Migräne, im Rahmen einer Eklampsie oder auch als Folge einer Subarachnoidalblutung beobachtet werden.

#

Therapie mit Dapson: Worauf muss ich achten?

#

G. Wozel

Dapson (Diaminodiphenylsulfon) ist das einzige in der Humanmedizin genutzte Sulfon-Medikament. Aus pharmakologischer und pharmakoökonomischer Sicht ist Dapson per se durch 6 einzigartige Charakteristika ausgezeichnet, die bei keiner anderen Substanzklasse in dieser Konstellation auftreten ([Tab. 1]).

Tab. 1 Einzigartige Charakteristika für Dapson.
Langzeittherapie
(z. B. Lepra)
Kombination von antibakteriellen und antiphlogistischen Effekten
(z. B. opportunistische Infektionen, Akne)
Krankheitsspezifische Wirkung
(z. B. Morbus Duhring)
Steroidsparender Effekt
(z. B. blasenbildende Autoimmunerkrankungen)
Lichtschutzeffekt
Pharmakoökonomie
(Medikamentenpreis)

Wurde im Zuge der erfolgreichen Sulfonamid-Ära zunächst die antimikrobielle Wirksamkeit von Dapson genutzt (z. B. mykobakterielle Infektionen wie Lepra oder Tuberkulose), führte später die Erkenntnis der nicht-steroidalen/immunmodulierenden Wirkmechanismen von Dapson zum zunehmenden Einsatz bei chronisch-entzündlichen Erkrankungen, insbesondere bei Dermatosen.

Bedauerlicherweise haftet Dapson bis in die Gegenwart der Makel einer besonders toxischen Substanz an, der angesichts pharmakodynamischer Gegebenheiten nicht zu rechtfertigen ist. Die antientzündlichen Wirkmechanismen von Dapson sind nur teilweise bekannt, vielfach durch In-vitro-Daten untersucht und kritisch auf In-vivo-Verhältnisse zu übertragen.

Es gibt Hinweise, dass der hydroxylierte Dapson-Metabolit (DDS-NOH) ([Abb. 7]) sowohl für die obligaten hämatologischen UAW als auch für bestimmte antientzündliche Mechanismen verantwortlich ist. Damit gehen Strategien, die auf eine reduzierte hepatische DDS-NOH-Produktion abzielen, möglicherweise mit Wirkeinbuße einher. Diese Frage ist gegenwärtig nicht endgültig zu beantworten.

Zoom Image

Abb. 7 Dapson (DDS, DADPS) – Strukturformel und Metabolisierung.

Im Hinblick auf die Arzneimittelsicherheit steht – wie bei allen medikamentösen Therapien – initial immer eine korrekte Indikationsstellung. Man kann für Dapson zwanglos zwei unterschiedliche Krankheitsgruppen definieren, bei denen das Sulfon zum Einsatz kommt: Die Indikationsgruppe 1 umfasst diejenigen Erkrankungen, bei denen Dapson erstes Mittel der Wahl ist (z. B. Dermatitis herpetiformis Duhring, subcorneale Pustulose, Erythema elevatum diutinum, Acropustulosis infantilis, Prurigo pigmentosa) und zunächst überwiegend als Monotherapie eingeleitet werden kann.

Bei einer zweiten Gruppe von Erkrankungen wird Dapson entweder als adjuvantes Medikament eingesetzt bzw. akzentuiert dann genutzt, sofern First-line-Medikamente unter Monotherapiebedingungen nicht den gewünschten Effekt zeigen, Verträglichkeitsprobleme eine Rolle spielen oder Laborabweichungen ein Absetzen/eine Reduktion der Dosis erforderlich machen ([Tab. 2]).

Tab. 2 Indikationsgruppe II für Dapson.
Bullöses Pemphigoid
Linear-IgA-Dermatose
Pemphigus vulgaris
Sweet’s Syndrom
Rekurrierende neutrophile Dermatosis der dorsalen Handflächen
Pyoderma gangraenosum
Relapsing Polychondritis
Leukozytoklastische Vaskulitis/Urtikaria-Vaskulitis
Eosinophile Follikulitis (Ofuji’s disease)
Kutaner Lupus erythematodes
Spinnenbiss (braune Einsiedlerspinne, loxoscelism)

Darüber hinaus wurde Dapson bei einem breiten Spektrum sehr unterschiedlicher Entitäten therapeutisch versucht. Gesicherte Studiendaten liegen nicht vor; einzelne kasuistische Mitteilungen berichten über Erfolg (der meist nicht definiert wurde) oder Misserfolg. Der Einsatz von Dapson bei all diesen Erkrankungen bringt das Sulfon eher in Misskredit und sollte deshalb nur unter streng definierten Bedingungen bzw. unter einer klaren wissenschaftlichen Hypothese erfolgen.

Der Einsatz von Dapson bei Schwangeren und Stillenden ist vor dem Hintergrund der Pharmakokinetik nicht zu empfehlen, da Dapson sowohl die Plazentaschranke passiert als auch über die Muttermilch ausgeschieden wird. Bei Lepra-Patienten ist das Auftreten von neonatalen Hämolysen beschrieben worden.

Als Kontraindikation (relativ bzw. absolut) zählen:

  1. Herzinsuffizienz/kardiale Dekompensation

  2. Pulmonale Erkrankungen

  3. Schwere Hepatopathien

  4. Anämien

  5. Glucose-6-Phosphat-Dehydrogenase-Mangel

  6. Co-Medikation mit Met-Hb-Bildnern

Vor Therapiebeginn sind routinemäßig die in [Tab. 3] aufgeführten Untersuchungen bzw. Laborwerte zur Bestimmung empfehlenswert.

Tab. 3 Untersuchungen vor Therapie.
Labordiagnostik Kardiopulmonales System
Großes Blutbild Anamnese
Bilirubin Klinischer Befund
ALAT
ASAT
AP
GGT
Creatinin
Met-Hb
Glucose-6-Phosphat-Dehydrogenese
Hepatitis-Serologie

Da Dapson das Potenzial zur Entwicklung von UAW hat ([Tab. 4]), sollten nachfolgend diskutierte Besonderheiten berücksichtigt werden:

Tab. 4 Unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAW).
Met-Hb-Produktion (obligat)
Hämolytische Anämie (obligat)
Agranulozytose
Hautreaktionen
Neuropathien
Hypersensitivitätssyndrom
  1. Vor allem der hydroxylierte Dapson-Metabolit DDS-NOH – aber nicht ausschließlich – ist für die Entstehung der Met-Hb-Produktion und die hämolytische Anämie verantwortlich. Beide UAW sind deshalb obligat und in Abhängigkeit von Dosis und Co-Medikation graduell unterschiedlich. Da die Kinetik der Met-Hb-Produktion pharmakologisch determiniert wird (punctum maximum ca. 4 – 6 h nach oraler Aufnahme), empfiehlt sich bei Patienten mit Tagesarbeiten die Dapson-Einnahme am Abend. Damit fällt der Met-Hb-Gipfel in die Nachtphase, in der weniger Sauerstoff für körperliche Aktivität notwendig ist. Um das Risiko für jeden einzelnen Patienten einzuschätzen, sollte deshalb parallel der jeweils höchste Met-Hb-Wert erfasst werden, d. h. entsprechende Analysen 4 – 6 h nach Tabletteneinnahme. Anderenfalls werden unterschiedlich hohe Werte erfasst, die zeitlich vor oder nach dem Met-Hb-Gipfel liegen. Damit ist objektiv keine korrekte Risikoeinschätzung möglich. Bei ansonsten gesunden Patienten, die keinen Leistungssport/Extremsport betreiben, sind Werte bis 10 % Met-Hb zu tolerieren, sofern keine subjektiven Beschwerden (z. B. Kopfschmerz, Abgeschlagenheit) und keinerlei Leistungseinschränkungen für Beruf und Freizeit resultieren. Eine Lippenzyanose tritt bereits bei sehr niedriger Dosierung auf (z. B. 25 – 50 mg Dapson/d) und ist kein Grund für ein Absetzen von Dapson. Met-Hb-Werte über 10 % bedürfen eines engen Monitorings.
    Eine meist nicht wahrgenommene Gefahr bei Dapson-Therapie resultiert bei Co-Medikation mit anderen Met-Hb-Bildnern ([Tab. 5]) – vor allem bei Nutzung bestimmter Lokalanästhetika (z. B. Benzocain, Lidocain).
    Es sind Fallberichte unter Dapson-Therapie bekannt, bei denen unter zusätzlicher Anwendung derartiger Lokalanästhetika in unterschiedlichen Applikationsformen (z. B. Spray, Creme) akut schwere Methämoglobinämien noch unter der Operation auftraten (z. B. bis 35 % Met-Hb). Vermeidbar sind diese Zwischenfälle, sofern der Patient auf eine Dapson-Einnahme vor Operation hinweist, ein Dapson-Pass vorliegt oder bei selektiven Eingriffen Dapson wenige Tage vor dem Eingriff abgesetzt wird. Sicherheitshalber sollte der Met-Hb-Spiegel vor einer geplanten Operation bestimmt werden.
    Zur Therapie eines Met-Hb-Anstieges, der behandlungspflichtig ist, stehen die in [Tab. 6] aufgeführten Maßnahmen zur Verfügung.

  2. Agranulozytose, Hautreaktionen, Neuropathie und das Hypersensitivitätssyndrom sind nicht obligate, wesentlich seltenere UAWs. Letzteres Syndrom tritt statistisch in einem Zeitraum bis 20 Wochen nach Therapiestart auf, ist mit Exanthem, Fieber, Lymphknotenschwellungen, Leukozytose und/oder Eosinophilie assoziiert. Die Letalität beträgt 10 %. Als Konsequenz bedürfen deshalb die ersten fünf Monate einer Dapson-Therapie einer besonderen regelmäßigen ärztlichen Kontrolle. Besonders tragisch sind Verläufe, bei denen Patienten in suizidaler Absicht Dapson in hohen Dosen eingenommen hatten, das Ereignis überlebten und durch die toxischen Sulfon-Effekte auf den Sehnerv bleibende Erblindungen resultierten.
    Aus dem bisher Gesagten ergibt sich das in [Abb. 8] aufgeführte Risikomanagement hinsichtlich Blutbild/Met-Hb-Spiegel-Bestimmungen. Aus der Praxis sind umgekehrt nicht selten aus falsch verstandenem Sicherheitsbedürfnis fehlende bzw. überflüssige Bestimmungen/Fallinterpretationen kritisch anzusprechen ([Abb. 9]). Als praktische Tipps zur Verminderung von UAWs können die in [Tab. 7] aufgeführten Maßnahmen hilfreich sein.
    Insgesamt ist Dapson für bestimmte entzündliche Dermatosen unverzichtbar, kann in Kombination zur Steroideinsparung genutzt werden und ist bei regelrechtem Einsatz/Monitoring ein sicheres und wertvolles Medikament.

Tab. 5 Met-Hb-Bildner (Auswahl).
Phenacetin
Amylnitrit
Sulfonamide
Lokalanästhetika
Nitrate, Nitrite
Zigarettenrauch
Tab. 6 Therapie der Met-Hb-Produktion.
Methylenblau (1 %): 1 – 2 mg/kg KG iv. über 5 min.
Aktivkohle
Austauschtransfusion
Hemodialyse
Sauerstoffgabe
Tab. 7 Praktische Tipps (zur Verminderung von UAWs).
Tabletteneinnahme abends
Vitamin E-Gabe 800 IU/d
Präoperativ bzw. bei Lokalanästhesie: Dapsonpause
Nach Absetzen von Dapson: Lichtschutz
Zoom Image

Abb. 8 Dapson: Untersuchungen während Therapie.

Zoom Image

Abb. 9 Dapson: Sinnvolles und Unsinniges – Welche Fehlerquellen treten auf?

#

Literatur

1 Wozel G. Innovative use of dapsone. Dermatol Clin 2010; 28: 599 – 610

2 Lorenz M, Schmitt J, Wozel G. Hypersensitivity syndrome to dapsone: a systematic review. Eur Ann Allergy Clin Immunol 2010; 42: 40

#

IgE-Bestimmung zwischen Pflicht und Kür: Vom Qualitätsmanagement zur klinischen Interpretation

#

J. Kleine-Tebbe

Laboranforderungen durch Regeln zum Qualitätsmanagement

Mittlerweile sind die Anforderungen an das Qualitätsmanagement (QM) für Labormethoden (Richtlinie der Bundesärztekammer; RiLiBÄK) in der Routine verankert. Dabei wird zwischen quantitativen und qualitativen Methoden unterschieden. Eine semiquantitative Angabe in Klassen, für das spezifische IgE nicht ungewöhnlich, entspricht einer qualitativen Auswertung.

QM für quantitative Bestimmungen

Quantitative Auswertungen des spezifischen IgE mit Hilfe eines extrapolierten Standards für das Gesamt-IgE wurden nicht in der sog. Tabelle B1 aufgeführt. Damit entfällt die Pflicht für Ringversuche zum externen QM. Die interne Qualitätssicherung wird mit Hilfe des sog. Quadratischen Mittelwertes der Messabweichung (QUAMM) vom Zielwert sichergestellt (Formel siehe RiLiBÄK). Diagnostikahersteller bieten Hilfestellung bei der Computer-gestützten Auswertung des QUAMM mit Hilfe vorkonfigurierter Tabellenkalkulationen (z. B. in MS Excel).

QM für qualitative Bestimmungen

Bei qualitativer Auswertung des spezifischen IgE (inkl. Angabe in Klassen, s. o.) wurden von den Allergiegesellschaften Vorschläge für das externe und interne Qualitätsmanagement gemacht (siehe unten), die unverändert in das Regelwerk übernommen worden sind. Allerdings bleibt so die paradoxe Situation, dass für die qualitativen Tests Ringversuche verpflichtend sind, nicht aber für quantitative IgE-Bestimmungen. Dort wären sie in gleicher Weise notwendig, um durch die regelmäßige Teilnahme in Verbindung mit einer Fehlervermeidung in den Labors eine bessere Qualität zu erzielen.

Vorschläge für die RiLiBÄK zur Handhabung qualitativer Tests auf allergenspezifisches IgE:
Tabelle B2-1 (Interne Qualitätssicherung)
57. Einzelallergentest: 1 ×/Woche
Methoden-spezifische Kontrolle im Rotationsverfahren mit einem Leitallergen
58. Mischallergentests streichen

Tabelle B2-2 (Externe Qualitätssicherung)
46. Einzelallergentest: 2 ×/Jahr
Methodenspezifische Kontrolle im Rotationsverfahren mit 6 Leitallergenen aus folgenden Gruppen: a) saisonales, b) ganzjähriges Inhalationsallergen, c) Nahrungsmittelallergen, d) Insektengiftallergen
47. Mischallergentests streichen

Neue Optionen durch synthetische Antikörper

Bisher werden für die Ringversuche Serumpools verwendet, die allergenspezifisches IgE unterschiedlicher Reaktivität und Höhe enthalten und deren Herstellung aufwendig ist. Zukünftig ist daher die Verwendung von Designer-Seren mit synthetischen IgE-Antikörpern mit definierten Reaktivitäten denkbar, um polyklonale IgE-Seren zu ersetzen. Allerdings müssten diese Designer-Seren diverse Bindungsstellen (Epitope) pro Allergenmolekül erkennen, um der Wirklichkeit einer polyklonen IgE-Antwort zu entsprechen und die willkürliche Bevorzugung bestimmter Epitope zu vermeiden.

Einsatz der Diagnostik auf spezifische IgE-Antikörper z. B. bei Nahrungsmittelallergie

Zwei Szenarien illustrieren den Stellenwert von spez. IgE-Bestimmungen:

  • Ausschluss einer Nahrungsmittelallergie

  • Nachweis einer Sensibilisierung auf Nahrungsmittelallergene

Zum Ausschluss einer IgE-vermittelten Nahrungsmittelallergie haben sich Screeningtests bewährt, bei denen eine Reihe von Nahrungsmitteln in einem Testlauf überprüft werden (z. B. Phadia fx5 auf häufige Nahrungsmittel im Säuglings- und Kindesalter, wie Kuhmilch, Hühnerei, Weizen, Soja, Erdnuss und Fisch). Bei positivem Ergebnis ist eine Differenzierung für die einzelnen Allergenquellen erforderlich.

Bei konkretem Verdacht macht die gezielte Bestimmung von spez. IgE mehr Sinn als die Verwendung von Gruppentests. Viele Gruppentests sind außerdem nicht systematisch evaluiert im Hinblick auf Testempfindlichkeit einzelner Allergenquellen, sodass inbesondere bei eher niedrigem Gesamt-IgE (< 25 kU/l) die Ergebnisse sorgfältig auf potenziell falsch negative Resultate interpretiert werden sollten.

Einzelallergene für die spezifische IgE-Bestimmung

In der Vergangenheit wurden im klinischen Alltag fast ausschließlich Allergenextrakte zur Diagnostik verwendet (Pricktests, spez. IgE-Bestimmung und Provokationstests mit Extrakten). Mittlerweile sind viele Allergene im engeren Sinne, d. h. die verantwortlichen Proteine, identifiziert worden (siehe www.allergen.org oder www.allergome.org). Sie stehen teilweise in rekombinanter oder gereinigter Form für die In-vitro-Diagnostik zur Verfügung.

Dadurch eröffnen sich neue Möglichkeiten für die Anwendung von Einzelallergenen:

  1. Anreichern („Spiken”) von Allergenextrakten, um die analytische Empfindlichkeit von spez. IgE-Tests zu erhöhen

  2. Bestimmung von spez. IgE gegen ausgewählte Allergene (Singleplex)

  3. Bestimmung von spez. IgE gegen zahlreiche Allergene in einem Testlauf (Multiplex)

Faustregeln für die Interpretation

Bei der Interpretation diagnostischer Resultate gelten für die Einzelallergene die gleichen Regeln wie für die Extrakt-Diagnostik:

  • Positives IgE entspricht einer allergischen Sensibilisierung/Kreuzreaktion.

  • Der Befund ist nur bei korrespondierenden Symptomen klinisch relevant.

  • Negatives IgE schließt eine allergische Sensibilisierung/Kreuzreaktion weitgehend aus, allerdings nur, wenn

  • das Gesamt-IgE hoch genug ist,

  • Allergen intakt, ausreichend vorhanden und

  • analytische Testempfindlichkeit optimiert ist (für viele einfache IgE-Tests und manche Komponenten im ImmunoCAP ISAC bisher nicht sichergestellt).

  • Der Allergologe ermittelt die klinische Relevanz einer allergischen Sensibilisierung/Kreuzreaktion, NICHT der Test.

Perspektiven der molekularen Allergologie

Die Erkenntnisse der molekularen Allergologie werden schrittweise unser Verständnis der verantwortlichen Allergene erweitern. Ihr diagnostischer Einsatz erlaubt die Differenzierung von (multiplen) Sensibilisierungen durch

  • Identifikation Spezies-spezifischer, genuiner Sensibilisierungen,

  • Aufdecken von Kreuzallergien sowie

  • Aufdecken bisher unentdeckter Sensibilisierungen gegen unterrepräsentierte Einzelallergene

Die Interpretation und Relevanzprüfung sind anspruchsvoll und Aufgabe des Arztes.

#

Diagnostik und Differenzialdiagnostik bei Histamin-vermittelten Hautkrankheiten

#

K. Jung

Als Auslöser und Ursachen für die verschiedenen Urtikaria-Typen kommen eine Vielzahl von Faktoren in Betracht: immunologisch vermittelte Reaktionen, IgE-vermittelte Reaktionen, Nahrungsmittel, Medikamente (z. B. Penicillin), Inhalationsallergene und Insektengifte. Die Diagnostik umfasst neben der wichtigen Anamnese die In-vitro-Diagnostik, außerdem Provokationstestungen bis hin zu Karenzdiäten. Gesamt-IgE und spezifisches IgE (Inhalationsallergene, Nahrungsmittel, Medikamente, z. B. Penicillin, Insektengifte) sind Standarduntersuchungen. Mit Blick auf mögliche mikrobielle Auslöser (Bakterien, Viren, Pilze, Parasiten) sind folgende Untersuchungen zu berücksichtigen: internistische Routine, C-reaktives Protein (CrP), Blutsenkungsreaktion (BSG), TPHA zum Syphilis-Ausschluss, Hepatitis-Serologie, Helicobacter pylori-Serologie im Blut und noch besser den Helicobacter pylori-Antigen-Nachweis im Stuhl, AST (Antistreptolysin-Titer), Stuhluntersuchungen auf Bakterien, Pilze und Parasiten sowie Wurmeier, Urinuntersuchung sowie Rachenabstrich und Fokussuche im HNO- und Stomatologie-Bereich.

Bei Intoleranzreaktionen bzw. Unverträglichkeiten gegen Schmerz- und Konservierungsmittel, Arzneimittel (Narkose), Acetylsalicylsäure, Tartrazin (Azo-Farbstoffe), Benzoesäure, Codein, Muskelrelaxantien und Alkohol steht bei der Diagnostik wiederum die Anamnese im Vordergrund, dazu kommen ggf. die sIgE-Testung, Hauttestung und insbesondere bei den Intoleranzreaktionen die orale Provokation.

Hereditäre Erkrankungen – hereditäres angioneurotisches Ödem (HANE), Komplement-Faktor-I-Mangel-Funktionsdefizit, familiäre Kälte-Urtikaria – sind eine besondere diagnostische Herausforderung für den Allergologen. Lieber einmal zu viel als zu wenig sollte an die Bestimmung des C1-Esterase-Inhibitors (im Zitratblut) gedacht werden!

Physikalische Auslöser der Urtikaria sind vielfältig, wobei einige Formen immunologisch vermittelt sind. Hierzu zählen urtikarieller Dermografismus (Urticaria factitia), thermisch ausgelöste Urtikaria, Licht-Urtikaria, Druck-ausgelöste Urtikaria, aquagene Urtikaria, lokale Hitze-Urtikaria und vibratorisches Angioödem. Basisdiagnostik hierbei ist die physikalische Testung.

Die Urticaria pigmentosa (Mastozytose) wird nicht selten klinisch „übersehen”. Neben der Bestimmung der Mastzell-Tryptase im Serum empfiehlt sich die histologische Sicherung der Diagnose. Der Normbereich der Mastzell-Tryptase liegt bei ≤ 12,5 µg/l. Indikationen für die Bestimmung der Tryptase sind Diagnostik und Verlaufskontrolle anaphylaktischer oder anaphylaktoider Reaktionen, okkulte Mastozytose, Hymenopterenstichreaktionen und systemische Nebenwirkungen während der subkutanen Hyposensibilisierung (SIT).

Zuletzt sei noch an die Autoimmunurtikaria erinnert, zur Diagnostik werden die AAK bestimmt: ANA, dsDNS, Schilddrüsen-AAK (TRAK), Pemphigus-/Pemphigoid-Antikörper in der indirekten Immunfluoreszenz, außerdem ggf. die IgE-Immunkomplexe. Am Ende steht der autologe Serumtest, der bei einigen wenigen Patienten zur Diagnose führt.

Bei der Diagnostik der unerkannten Histaminintoleranz, ein umstrittenes Krankheitsbild, kann die Bestimmung des Abbau-Enzyms Diaminoxidase (DAO, früher Histaminase) im Serum helfen. Der Referenzbereich der DAO liegt bei 6,7 – 22,9 IU/ml.

#

Welchen Nutzen hat die mykologische Diagnostik für die Therapie in der Praxis?

#

P. Nenoff

Mykologische Diagnostik zur Diagnosesicherung

Eine sachgerecht durchgeführte mykologische Labordiagnostik hat an erster Stelle den Sinn, die klinische Verdachtsdiagnose zu bestätigen bzw. morphologisch ähnlich imponierende, nicht-infektiöse und entzündliche Dermatosen differenzialdiagnostisch auszuschließen. Eine diagnostische Herausforderung ist für den Dermatologen, und erst Recht auch für Nicht-Dermatologen, die Onychomykose (OM). Die klinischen Formen der distolateralen subungualen OM, der proximalen subungualen OM, der weißen superfiziellen OM und der total dystrophischen OM sind zwar hinlänglich bekannt, können jedoch durchaus anderen Nagelveränderungen ähneln. Erst der Nachweis eines Dermatophyten aus Nagelspänen ist beweisend für eine Nagelmykose. Ursache der Onychia et Paronychia candidosa sind Candida albicans, Candida parapsilosis und Candida guilliermondii. Der mykologische Nachweis von Hefepilzen ist hierbei diagnoseweisend.

Mykologische Diagnostik zur Differenzialdiagnose von Nagelerkrankungen

Eine Vielzahl von infektiösen und nicht-infektiösen Nagelveränderungen ist differenzialdiagnostisch auszuschließen. Es gibt Angaben, dass 50 % aller Nagelveränderungen, die klinisch wie eine OM imponieren, anderer Genese sind. Nur der labordiagnostische Nachweis des Erregers mittels mykologischer Untersuchungstechniken liefert den Beweis einer OM. Eine europäische Studie hat gezeigt, dass lediglich 39,6 % der Dermatologen vor der antimykotischen Behandlung eine mykologische Diagnostik durchführen.

Differenzialdiagnosen der Onychomykose

Neben der Psoriasis unguium sind u. a. folgende Nagelerkrankungen differenzialdiagnostisch zu berücksichtigen ([Abb. 10] und [11]): Lichen ruber unguium, Ekzeme, Bacterid Andrew (psoriasiforme Nagelveränderungen, akrale Pustulosis), Acrodermatitis continua suppurativa Hallopeau als Sonderform der Psoriasis vulgaris, Yellow-nail-Syndrom (Syndrom der gelben Nägel), Twenty-nail-Syndrom (opal verfärbte Finger- und Zehennägel), Alopecia areata totalis (Tüpfelnägel), Leukonychia, Pseudo-Leukonychie, z. B. nach Ablösung von Kunstnägeln, Morbus Reiter, erworbene Onychodystrophie (posttraumatische Onychopathie, postinflammatorisch), angeborene Onychodystrophien (z. B. Pachyonychia congenita, ektodermale Dysplasie), Malignome der Nagelbettregion, z. B. Plattenepithelkarzinom, subunguales (akrolentiginöses) Melanom, benigne Tumoren und subunguale Hämatome.

Zoom Image

Abb. 10 Subunguale Hyperkeratose des Großzehennagels bei einem 35-jährigen Fliesenleger mit beruflich starker Druckbelastung der Zehen (Eisen-beschlagene Arbeitsschuhe). Für eine Psoriasis vulgaris fand sich kein Hinweis. Die mykologische Diagnostik zum Ausschluss einer Onychomykose war komplett negativ.

Zoom Image

Abb. 11 Braun-gelbe Hyperkeratosen der Zehennägel bei einem 18-jährigen Fußballspieler. Blancophor-Präparat auf Pilzelemente stark positiv (Hyphen und Arthrosporen), molekularbiologisch mittels Dermatophyten-PCR (Polymerasekettenreaktion) Trichophyton rubrum nachweisbar, was sich später auch kulturell bestätigen ließ. Die Diagnose einer distal-subungualen Tinea unguium konnte gestellt werden. Es wurde systemisch antimykotisch mit Terbinafin behandelt.

Nagelinfektionen durch gramnegative Bakterien („Green nails”)

Sekundäre bakterielle Infektionen des Nagels sind möglich, erkennbar an einer grünlich-schwärzlichen Verfärbung des Nagels. Eine Sonderform der Nagelinfektion der Fingernägel stellen die sog. Green nails dar, die durch gramnegative Bakterien, meist Pseudomonas aeruginosa, verursacht werden. Damit ist neben der mykologischen Diagnostik auch eine zusätzliche bakterielle Untersuchung des Nagelmaterials sinnvoll und sollte bedacht werden. Auf diese Weise ist eine gezielte topische oder auch systemische antibiotische Therapie möglich.

Mykologische Diagnostik zum gezielten Einsatz der Antimykotika

Vor dem Einsatz systemischer Antimykotika sollte die Diagnose einer Onychomykose bzw. einer Dermatomykose, einer Tinea corporis, insbesondere jedoch der Tinea capitis beim Kind, labordiagnostisch gesichert sein. Ein wesentlicher Grund dafür ist auch zu vermeiden, dass Antimykotika bei entzündlichen Dermatosen, die fälschlicherweise als Mykosen angesehen wurden, eingesetzt werden. Es ist letztlich auch ein Kostenfaktor, wenn man daran denkt, dass antimykotischer Nagellack oder Systemantimykotika wie Terbinafin, Fluconazol und Itraconazol bei z. B. Nageldystrophien oder Psoriasis unguium erfolglos über einen längeren Zeitraum gegeben werden. Die gleichzeitig nachgewiesene Tinea unguium bei Nagelpsoriasis ist dagegen durchaus möglich und stellt im Gegensatz zur reinen Psoriasis unguium eine Indikation zur lokalen und ggf. systemischen antimykotischen Therapie dar.

Mindestens der mikroskopische Pilznachweis mittels KOH-Präparat, besser noch mittels fluoreszenzoptischem Calcofluor- oder Blancophor-Präparat, sollte geführt worden sein. Eine alte Regel besagte, dass vor Beginn einer topischen Therapie Pilze mikroskopisch nachgewiesen sein sollten, systemisch antimykotisch sollte demnach erst nach Vorliegen eines positiven kulturellen Pilznachweises behandelt werden.

Tinea capitis gezielt behandeln

Die aktuelle Leitlinie Tinea capitis der European Society for Pediatric Dermatology ist eine wichtige Hilfe für die gezielte Therapie dieser problematischen Infektionen der Kopfhaut. Die Entscheidung für ein Antimykotikum basiert auf der Kenntnis des die Infektion verursachenden Dermatophyten.

Die Antimykotika Terbinafin, Itraconazol und Fluconazol (Empfehlungsgrad A; Evidenzgrad 1a) sind demzufolge ebenso wirksam und haben vergleichbare Nebenwirkungsraten bei Tinea capitis durch Trichophyton species bei Kindern wie Griseofulvin, jedoch ist die Therapiedauer deutlich kürzer. Griseofulvin ist dagegen das Mittel der Wahl bei durch Microsporum-Arten verursachter Tinea capitis. Es ist bei Microsporum-Arten wirksamer als Terbinafin (Empfehlungsgrad A; Evidenzgrad 1b). Bei Microsporum canis und anderen Microsporum-Arten kann bei Tinea capitis jedoch ebenso Fluconazol (Empfehlungsgrad A; Evidenzgrad 1b) oder Itraconazol (Empfehlungsgrad A; Evidenzgrad 1b) gegeben werden, diese haben dieselbe Wirksamkeit und Therapiedauer wie Griseofulvin, letzteres ist dagegen billiger.

Mykologische Diagnostik aus forensischen Gründen

Systemisch wirkende Antimykotika verfügen über ein nicht zu vernachlässigendes Nebenwirkungsprofil. Wesentliche Kontraindikationen für den Einsatz von Terbinafin – einem Allylamin-Antimykotikum, welches die Ergosterol-Biosynthese über die Squalenepoxidase hemmt – sind aufgrund seiner Hepatotoxizität akute und chronische Lebererkrankungen. Beschrieben sind Patienten mit einem Leberversagen unter einer Behandlung mit Terbinafin, so musste wegen einer primär cholestatischen Störung eine Lebertransplantation durchgeführt werden, trotzdem kam es zum letalen Ausgang der Erkrankung. Betroffen waren Patienten mit und ohne vorbestehende Lebererkrankungen. Neben der obligaten Untersuchung der Transaminasen vor Therapiebeginn mit Terbinafin ist man als Hautarzt auf der sicheren Seite, wenn die klinische Diagnose Onychomykose oder auch Tinea capitis durch mikroskopische und kulturelle mykologische Diagnostik gesichert ist.

Auch für Fluconazol ist Lebertoxizität bekannt, Leberzellversagen und Tod sind vor allem bei Patienten mit hepatischen Vorerkrankungen berichtet worden. Sehr selten sind während der Gabe von Itraconazol schwerwiegende Lebertoxizität und akutes Leberversagen aufgetreten, auch ohne dass die Patienten vorbestehende Leberschäden aufwiesen. Diese schwerwiegenden Nebenwirkungen traten manchmal im ersten Monat der Behandlung auf, auch schon in der ersten Woche. Hier gilt dasselbe wie für Terbinafin, die mikrobiologische Bestätigung der Verdachtsdiagnose ist für den Hautarzt obligat.

Prof. Dr. med. Pietro Nenoff

Haut- und Laborarzt/Allergologie, Andrologie
Labor für medizinische Mikrobiologie

Straße des Friedens 8
04579 Mölbis

Email: nenoff@mykologie-experten.de

Prof. Dr. med. Pietro Nenoff

Haut- und Laborarzt/Allergologie, Andrologie
Labor für medizinische Mikrobiologie

Straße des Friedens 8
04579 Mölbis

Email: nenoff@mykologie-experten.de

Zoom Image

Abb. 1 Referenten und Organisatoren der Leipziger Diagnostik-Tagung Dermatologie 2011 (von links nach rechts): Priv.-Doz. Jörg Kleine-Tebbe (Berlin), Prof. Pietro Nenoff (Mölbis), Dr. med. Andreas Schlüter (Sangerhausen), Dr. med. Steffen Gass (Günzburg), Dr. med. Gudrun Hamm (Halle/Saale), Priv.-Doz. Kirsten Jung (Erfurt), Prof. Uwe-Frithjof Haustein (Leipzig) und Prof. Dr. med. Gottfried Wozel (Dresden).

Zoom Image

Abb. 2 Referent (Prof. Nenoff) und Moderator (Prof. Haustein) bei der Leipziger Diagnostik-Tagung Dermatologie 2011.

Zoom Image

Abb. 3 Antigenstrukturen in der Epidermis (Desmosomen-Antigene/Strukturproteine) als Zielstrukturen für Autoantikörper (AAK) bei den Pemphigus-Erkrankungen.

Zoom Image

Abb. 4 Nachweis von Pemphigus-AK an Affenösophagus mittels indirekter Immunfluoreszenz (IIF).

Zoom Image

Abb. 5 Primäre Angiitis des ZNS (PACNS) bei einer 42-jährigen Patientin. Die BSG betrug 30/55 mm, im Liquor cerebrospinalis fand sich eine Monozytose. Die Immunfluoreszenz mit Hep-2-Zellen wies ein gepunktetes Muster auf. Zur Behandlung der Vaskulitis kamen Steroide und Cyclophosphamid zur Anwendung. Der Pfeil markiert eine fokale arterielle Gefäßengstellung in der Angiografie.

Zoom Image

Abb. 6 PACNS bei derselben Patientin wie in [Abb. 5]. Im MRT des Zentralnervensystems sieht man ein fokales Ödem der Hirnsubstanz.

Zoom Image

Abb. 7 Dapson (DDS, DADPS) – Strukturformel und Metabolisierung.

Zoom Image

Abb. 8 Dapson: Untersuchungen während Therapie.

Zoom Image

Abb. 9 Dapson: Sinnvolles und Unsinniges – Welche Fehlerquellen treten auf?

Zoom Image

Abb. 10 Subunguale Hyperkeratose des Großzehennagels bei einem 35-jährigen Fliesenleger mit beruflich starker Druckbelastung der Zehen (Eisen-beschlagene Arbeitsschuhe). Für eine Psoriasis vulgaris fand sich kein Hinweis. Die mykologische Diagnostik zum Ausschluss einer Onychomykose war komplett negativ.

Zoom Image

Abb. 11 Braun-gelbe Hyperkeratosen der Zehennägel bei einem 18-jährigen Fußballspieler. Blancophor-Präparat auf Pilzelemente stark positiv (Hyphen und Arthrosporen), molekularbiologisch mittels Dermatophyten-PCR (Polymerasekettenreaktion) Trichophyton rubrum nachweisbar, was sich später auch kulturell bestätigen ließ. Die Diagnose einer distal-subungualen Tinea unguium konnte gestellt werden. Es wurde systemisch antimykotisch mit Terbinafin behandelt.