Pneumologie 2011; 65(10): 631-632
DOI: 10.1055/s-0030-1256903
Leserbrief

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Prävention arbeitsbedingter obstruktiver Atemwegserkrankungen. Interdisziplinäre S1-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin

Prevention of Occupational Airway Diseases. Interdisciplinary Guideline of the German Society for Occupational and Environmental MedicineH.  Müsken
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Dr. med. Horst Müsken

Detmolder Str. 267
33175 Bad Lippspringe

Email: praxis@muesken.de

Publication History

Publication Date:
20 October 2011 (online)

Table of Contents #

Pneumologie 2011; 65: 263 – 282

Definitionsgemäß werden S1-Leitlinien von einer Expertengruppe in einem informellen Konsens erarbeitet. Inhalte von Leitlinien sind im Gegensatz zu Richtlinien nicht bindend. Die S1-Leitlinie stellt im Leitlinien-Kanon diejenige mit dem geringsten wissenschaftlichen Stellenwert dar. Dennoch sollte auch eine S1-Leitlinie – entsprechend ihrer Zielsetzung – geeignet sein, der Orientierung von Ärzten in derem diagnostischen und therapeutischen Vorgehen eine Unterstützung zu bieten. Dies setzt voraus, dass auch bei aller gebotenen Kürze, die Thematik möglichst lückenlos fokussiert werden sollte, insbesondere unter Miteinbeziehung wesentlicher Fakten.

Die vorliegende Leitlinie lässt bezüglich der Darstellungen zur Landwirtschaft erhebliche Lücken erkennen. Es entsteht der Eindruck, dass allergieauslösende Stoffe in der Landwirtschaft im Wesentlichen durch Rinder produziert werden. Dies ist nicht zutreffend.

Unter Zugrundelegung von Daten des statistischen Bundesamtes kann davon ausgegangen werden, dass 2008 in Deutschland 374 514 landwirtschaftliche Betriebe bewirtschaftet wurden. Für den Mai 2009 wurde statistisch bekannt, dass auf 183 000 Betrieben Rinder (einschließlich Milchkühe) gehalten wurden. Dies bedeutet – eine Varianz der Zahlen im weiteren Verlauf annehmend –, dass auf etwa jedem zweiten deutschen Bauernhof Rinder gehalten werden. Die Rückläufigkeit der Bauernhöfe mit Rinderhaltung in den letzten Jahren ist sicherlich auf den Sachverhalt zurückzuführen, dass auf immer weniger Höfen immer mehr Rinder gehalten werden, im Sinne einer Industrialisierung der Tierhaltung.

Die Leitlinie nennt die wesentlichen Allergene des landwirtschaftlichen Arbeitsbereiches, die Vorratsmilben, nur am Rande. Diesbezüglich findet sich nicht einmal eine Quellenangabe. Sachverhalt ist es, dass davon auszugehen ist, dass auf jedem landwirtschaftlichen Betrieb in Deutschland, mit oder ohne Tierhaltung, Vorratsmilben in erheblicher Zahl und Artenreichtum vorkommen. Unsere Arbeitsgruppe konnte in verschiedenen Untersuchungen darlegen, dass etwa 25 % symptomatischer Landwirte (Rhinitis und/oder Asthma) mit Vorratsmilbenallergenen sensibilisiert waren, etwa 10 % hiervon konnten mittels organbezogener Provokationstestungen als Allergiker identifiziert werden. Unsere Zahlen werden durch Untersuchungen der Arbeitsgruppe von Dr. Rolf Kroidl bestätigt. Eine wegweisende Publikation des leider vor kurzem verstorbenen Dr. Jörg-Thomas Franz zur Milbenfauna auf deutschen Bauerhöfen verdeutlicht, dass von einer ausgeprägten Artenvielfalt von über 40 Milbenspezies auszugehen ist. Diese befinden sich in allen Bereichen der landwirtschaftlichen Lagerung und in Viehställen, ihr „Import” in den landwirtschaftlichen Wohnbereich ist ebenfalls wissenschaftlich gut dokumentiert. Die Kontamination des Wohnhauses durch Allergene beschränkt sich somit nicht auf Rinderallergene.

Zahlreiche Untersuchungen aus Skandinavien führten zum Nachweis einer höheren Prävalenz von Sensibilisierungen der landwirtschaftlichen Bevölkerung gegen Vorratsmilben als gegen Rinderallergene oder auch Pollen.

Um Missverständnissen vorzubeugen:

Es geht hier nicht darum, wessen Allergene die wichtigsten sind, sondern welche. Aber auch diese Überlegung ist in medizinischer Hinsicht zu relativieren, gilt es doch, bei jedem einzelnen Patienten individuell seiner Erkrankung sowohl in der Diagnostik als auch in der Therapie gerecht zu werden.

Es ist sicherlich zutreffend, dass Rinder Produzenten zum Teil unterschiedlicher Allergene sind. Bezüglich der Vorratsmilben stellt sich die Problematik noch wesentlich diffiziler dar. Nach bisher vorliegendem Kenntnisstand besteht zwischen den einzelnen Vorratsmilbenarten eine zu vernachlässigende Kreuzreaktivität, sodass jede Vorratsmilbenspezies potenziell als spezifischer, charakteristischer Allergenproduzent zu betrachten ist. Dies und der Sachverhalt, dass nur ein minimales Allergenspektrum zur Diagnostik zur Verfügung steht, verdeutlicht die auf diesem Gebiet noch zu leistende wissenschaftliche Arbeit.

Ich gehe davon aus, dass z. B. auch auf dem Gebiet der alternativen Energiegewinnung, z. B. dort wo biologische Materialien verwendet werden, zukünftig eine zusätzliche Vorratsmilbenproblematik auftreten kann.

Die wesentliche Problematik bei der Diagnostik einer Allergie gegen Rinderallergene besteht lediglich im Sachverhalt, dass die kommerziellen Extrakte die relevanten Allergene nur zum Teil beinhalten und ihre Verwendung sehr oft zu falsch negativen Ergebnissen führt. Die Lösung dieses Problems wird seit Jahren propagiert, nämlich die Verwendung von Schnellextrakten aus mitgebrachten patienteneigenen Rinderhaaren.

Insgesamt würde ich es – als Mitglied der DGP und DGAUM – begrüßen, wenn bei einer Überarbeitung dieser S1-Leitlinie den allergologischen Gegebenheiten in der deutschen Landwirtschaft realitätsnah Rechnung getragen würde. Es handelt sich um eine S1-Leitlinie der DGAUM. Es ist sehr zu begrüßen, dass diese Leitlinie in der Pneumologie, dem Organ der DGP, publiziert wird. Umso erstaunlicher ist es, dass unter den angegebenen LINKS die DGP als Fachgesellschaft nicht aufgelistet ist.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. med. Horst Müsken

Detmolder Str. 267
33175 Bad Lippspringe

Email: praxis@muesken.de

Dr. med. Horst Müsken

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