Zeitschrift für Phytotherapie 2010; 31(4): 175
DOI: 10.1055/s-0030-1265827
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Phytotherapie bei Hauterkrankungen: Weit mehr als »Schmieren und Salben hilft allenthalben«

André-Michael Beer
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Priv.-Doz. Dr. med., M.Sc. André-Michael Beer

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Publication Date:
06 September 2010 (online)

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    Wir erleben derzeit eine drastische Zunahme von Hautkrankheiten, angefangen von den allergischen bis zu den berufbedingten: In den letzten 20 Jahren haben sich die Zahlen mehr als verdoppelt. Die Häufigkeit von Neurodermitis hat sich in den Industrienationen in den letzten 10 Jahren sogar verdreifacht. So sollen ca. 20 Millionen Bundesbürger im weiteren Sinne an Hauterkrankungen leiden. Dafür verantwortlich gemacht werden vor allem Stress, die Sonneneinstrahlungen und die Umweltbelastungen.

    Die Behandlung von Hauterkrankungen wird daher – so bitter dies klingen mag – Zukunft haben; nicht zuletzt auch deshalb, weil viele Dermatologen meist nicht über ihr »Schmieren und Salben hilft allenthalben« hinauskommen: Parenteral und oral werden Kortikosteroide wegen ihrer unspezifischen antientzündlichen, antiödematösen, antiallergischen und immunsuppressiven Wirkungen breit verordnet. Dabei kommt es häufig zu vielfältigen unerwünschten Wirkungen. Um nicht missverstanden zu werden: Kortikosteroide sind ein Segen der heutigen Medizin, werden aber erfahrungsgemäß zu oft und zu breit angewendet, weswegen die Patienten aus Angst vor den Nebenwirkungen Alternativen in der Naturheilkunde suchen, was wir täglich in Klinik und Praxis erleben.

    Bereits im beginnenden 20. Jahrhundert widmeten sich erstmals Ärzte an deutschen Kliniken umfassend den Naturheilverfahren. Bekannt geworden ist dabei vor allem der Dermatologe Ernst Schweninger (1850–1924), der Leibarzt Bismarcks. Er leitete von 1900–1906 das erste deutsche Naturheilkrankenhaus in Berlin-Lichterfelde. Er hatte nach der erfolgreichen Behandlung von Bismarck auch durch dessen Einfluss an der Universität Berlin den Lehrstuhl für Dermatologie erhalten, wo er mit Nachdruck durchaus naturheilkundliche Inhalte vertrat und neben physikalisch-diätetischen Maßnahmen auch Kräutertees und Hautöle verordnete. Heute werden täglich unzählige Patienten mit Hauterkrankungen ambulant und stationär behandelt – 7 Abteilungen für Naturheilkunde gibt es an deutschen Krankenhäusern. Der Zulauf ist gigantisch und erklärt sich aus dem oft eindimensionalen Vorgehen der Dermatologie.

    Trotz der jahrhundertelangen Erfahrungen mit dem Einsatz von pflanzlichen Heilmitteln haben bislang nur wenige eine Empfehlung durch die Kommission E für die innere Anwendung und einige wenige mehr als Externum bei dermatologischen Problemen erhalten. Bei einer Reihe von Indikationen können Phytopharmaka bzw. Naturstoffe im Sinne einer rationalen Dermatologie eingesetzt werden. Bestürzt hat mich die Negativ-Monografie von Sarsaparilla (Smilax), ist sie doch erfahrungsgemäß bei Psoriasis und anderen chronischen Hautleiden unentbehrlich: Es wird dringend Zeit, dass negativ monografierte Pflanzen neu bewertet werden!

    Bei vielen Heilpflanzen sind der Wirkmechanismus, die Wirkungen sowie die klinische Wirksamkeit und Sicherheit gut untersucht, um sie im Sinne der evidenzbasierten Medizin anwenden zu können. Aber auch Erfahrungswerte dürfen nicht zu kurz kommen: Aus naturheilkundlicher Sicht braucht jeder Hautpatient begleitend ein sog. »Lebermittel«, beispielsweise ein Mariendistelpräparat. Diese alte Empfehlung wird heute durch modernste dermatologische Forschungsergebnisse bestätigt, die die Stoffwechselvorgänge in der Leber ursächlich für Hauterkrankungen verantwortlich macht. Wir, und vor allem unser Patienten, können und wollen nicht warten, bis die Forschung unsere Erfahrungen belegt hat, denn wir wissen längst, wie therapeutisch wertvoll pflanzliche Dermatologica sind.

    Priv.-Doz. Dr. med., M.Sc. André-Michael Beer

    Priv.-Doz. Dr. med., M.Sc. André-Michael Beer

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