Dialyse aktuell 2010; 14(9): 530-532
DOI: 10.1055/s-0030-1268390
Forum der Industrie

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart ˙ New York

Bisphenol A – Ein ernstzunehmendes Risiko für dialysepflichtige Patienten?

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Publication Date:
15 November 2010 (online)

 
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Eine der weltweit am häufigsten eingesetzten chemischen Stoffe steht im Verdacht, die Ursache für Veränderungen des Nerven- und Hormonsystems, für Entwicklungs- und Verhaltensstörungen und für eine verringerte Fruchtbarkeit zu sein. Darüber hinaus wurde er in zahlreichen Untersuchungen mit einer diabetesauslösenden [1], erbgutschädigenden und krebsfördernden Wirkung in Verbindung gebracht.

Diese Substanz trägt die Bezeichnung Bisphenol A (BPA). Die britischen Biochemiker Edward Charles Dodds und Wilfried Lawson [2] suchten 1936 nach einer Chemikalie, die natürliches Östrogen als Therapeutikum ersetzen sollte, da dies bis dahin aufwendig aus dem Urin schwangerer Stuten aufbereitet werden musste. In Tierversuchen mit Ratten, deren Eierstöcke entfernt wurden, identifizierten sie Bisphenol A als Substanz mit östrogener Aktivität (diese Versuche werden heute noch so ähnlich durchgeführt). Da die gleichen Forscher bald darauf potentere, synthetische Östrogene identifizierten, blieb Bisphenol A eine Laufbahn in der Pharmazie verwehrt.

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Vor allem in Plastikverpackungen, aber auch bei Dialysatoren genutzt

Als Arzneimittel verschmäht, gelang Bisphenol A jedoch eine alternative und äußerst erfolgreiche Karriere als Industriechemikalie, der man sich heutzutage nicht mehr entziehen kann (der Infokasten auf der nächsten Seite erläutert die Chemie, Verarbeitung und Herstellung von Bisphenol A). Im Jahre 2006 produzierte die chemische Industrie weltweit 3,8 Millionen Tonnen Bisphenol A [1], eine schier unglaubliche Menge.

Verwendung findet Bisphenol A vor allem bei der Herstellung von Plastikverpackungen aller Art. So ist BPA in zahlreichen Umverpackungen von Nahrungsmitteln und Getränken, Beschichtungen von Konservendosen und Folienverpackungen enthalten. BPA dient dabei vor allem als Stoff zur Synthese von polymeren Kunststoffen auf der Basis von Polyestern, Polysulfonen, Polykarbonaten und Epoxidharzen.

Ins Rampenlicht geriet BPA im Oktober 2009, als die gefährliche Chemikalie im Rahmen einer Untersuchung der Umweltschutzorganisation BUND in Schnullern und Säuglingsflaschen nachgewiesen werden konnte [3]. In allen 10 stichprobenartig ausgewählten Latex- und Silikonsaugern war die Substanz enthalten. Da der hormonähnlich wirkende Stoff unter anderem im Verdacht steht, die Gehirnentwicklung zu behindern, haben die meisten Hersteller positiv reagiert und inzwischen auf Polykarbonat bei der Herstellung von Schnullern verzichtet. In vielen Staaten, wie zum Beispiel Kanada, Frankreich, Dänemark und Teilen der USA, ist Bisphenol A in bestimmten Produkten für Kleinkinder bereits gesetzlich verboten.

Polysulfone und Polykarbonate werden auch bei der Produktion von Dialysatoren eingesetzt. Polykarbonate insbesondere bei der Herstellung des Dialysatorgehäuses, Polysulfone hingegen als Basis vieler synthetischer Dialysemembranen.

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Studien deuten gesundheitsgefährdendes Potenzial von Bisphenol A an

Über mögliche gesundheitliche Folgen der starken Verbreitung von BPA wurde in der Vergangenheit viel und oft diskutiert. Insgesamt erschienen bis September 2008 217 Untersuchungen an Tieren, die sensibel auf BPA reagieren können. 206 Studien wurden öffentlich finanziert, 11 von der Industrie. Nahezu ausnahmslos weisen die öffentlich finanzierten Studien auf Schädigungen hin. Die von der Industrie geförderten hingegen tun dies in keinem einzigen Fall.

Interessante Ergebnisse liefert eine Studie, die Daten aus dem US-amerikanischen NHANES[1] [1] analysiert hat. Die Untersuchung schloss 1455 Erwachsene im Alter zwischen 18 und 74 Jahren ein. Von allen Probanden lagen Daten zur Bisphenolkonzentration im Urin vor. Verglichen wurde die durchschnittliche Höhe der BPA-Spiegel mit dem Vorliegen von Krankheiten wie Herz-Kreislauf-Problemen und Diabetes.

Nach der Elimination möglicher Einflussfaktoren wie Alter, Geschlecht, ethnischer Zugehörigkeit, Bildung, Einkommen, Rauchen, Body-mass-Index, Taillenumfang und Urin-Kreatinin-Konzentration kam die Untersuchung zu folgendem Ergebnis: Pro Anstieg der BPA-Konzentration um eine Standardabweichung erhöhte sich die Wahrscheinlichkeit für eine Herz-Kreislauf-Erkrankung und für Diabetes um jeweils 39 % (p < 0,001). Ebenso zeigten Personen mit höheren Bisphenolkonzentrationen im Urin häufiger Leberenzymstörungen (Anstieg von Gamma-Glutamyltransferase und alkalischer Phosphatase). Wurden die gemessenen Durchschnitts-BPA-Konzentrationen in Quartile ("Viertel") aufgeteilt, ergab sich für Erwachsene mit BPA-Spiegeln im obersten Viertel eine Erhöhung des Herz-Kreislauf-Risikos um fast das 3-Fache im Vergleich zu Personen mit BPA-Konzentrationen im niedrigsten Viertel. Entsprechend war das Risiko beim Diabetes um das 2,4-Fache erhöht.

Die Untersuchung zeigt, dass eine verstärkte Bisphenol-A-Exposition möglicherweise mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit für Herz-Kreislauf-Krankheiten und Diabetes einhergeht. Ob es tatsächlich einen ursächlichen Zusammenhang zwischen der Chemikalie und einem erhöhten Erkrankungsrisiko gibt, muss in weiteren wissenschaftlichen Untersuchungen und in Langzeitstudien geklärt werden. Erst, wenn zusätzliche Daten vorliegen, kann man endgültige Schlussfolgerungen ziehen.

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Weitere Studien zum Risiko für Dialysepatienten sind notwendig

Hinsichtlich der Belastung terminal niereninsuffizienter Patienten, einerseits durch die Exposition mit Bisphenol-A-haltigen Dialysatoren und andererseits durch die ungenügende oder nicht mehr vorhandene renale Ausscheidung von Bisphenol A (Molekulargewicht 228,3 Da), ist die Datenlage bis dato noch unbefriedigend.

In einer 2007 veröffentlichen Studie [4] wurde geprüft, welchen Einfluss unterschiedliche Dialysatormemmbrantypen auf die Serumkonzentration von BPA bei Dialysepatienten haben.

Die höchsten BPA-Konzentrationen nach der Dialyse konnten bei Polysulfonmembranen (PS) und Membranen des Typs Polyester Polymer Alloy (PEPA) nachgewiesen werden.

In einer Cross-over-Untersuchung [4] von polysulfon- und zellulosebasierten Dialysatormembranen fiel die Serumkonzentration vor der Dialyse nach dem Wechsel von Polysulfon zu Zellullose ab. Bei einem Wechsel von Zellulose zurück zu Polysulfon stieg sie wieder an. Die Ergebnisse dieser Studie sind zumindest beunruhigend und zeigen, dass weitere Untersuchungen zwingend erforderlich sind. Weitere Informationen und Links zum Thema Bisphenol A finden Sie auf der Homepage http://www.nephro-medical.de.

Gerd Breuch, Brüssel

Dieser Artikel entstand mit freundlicher Unterstützung der Nephro-Medical GmbH, Hamburg.

Die Beitragsinhalte beruhen auf Unternehmensinformationen.

Der Autor ist "Director Renal Product Development" der Nipro Europe N. V., Brüssel.

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Die Chemie von Bisphenol A

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Herstellungsprozess:
Herstellung durch Kondensation von 2 Teilen Phenol mit einem Teil Azeton. Kommerziell vertriebenes Bisphenol A enthält bis zu 16 verschiedene Verunreinigungen mit Phenolstruktur. Bei einer Gesamtproduktion in der EU von etwa 1,15 Millionen Tonnen im Jahr bedeutet dies circa 10 000 Tonnen Verunreinigungen.

Chemischer Name:
2,2-Bis-(4-hydroxyphenyl)-propan oder 4,4‘-Isopropylidendiphenol

Summenformel:
C15H16O2, CAS-Nr.: 80-05-7

Weiterverarbeitung:
Als Zwischenprodukt: Polymerisierung zu Polykarbonatkunststoff und Epoxidharzen. Bei diesem Prozess wird Bisphenol A chemisch zu einem Polymer (einem Kunststoff oder einem Epoxidharz) umgesetzt und dabei fest in die Polymermatrix eingebunden. Als Chemikalie: Verwendung als Stabilisator und Farbentwicklungskomponente. Im Falle dieser Verwendung wird Bisphenol A in unveränderter Form eingesetzt und behält diese auch im fertigen Produkt bei.

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Literatur

  • 01 Lang I A, Galloway T X, Scarlett A , et al . Association of urinary bisphenol A concentration with medical disorders and laboratory abnormalities in adults.  JAMA. 2008;  300 1303-1310
  • 02 Bisphenol A . Massenchemikalie mit unerwünschten Nebenwirkungen. Umweltbundesamt; 31.05.2010
  • 03 Bisphenol A . Beispiel einer verfehlten Chemikalienpolitik. Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e. V.; Februar 2008
  • 04 Murakami K , Chashi A , Hori H , et al . Accumulation of bisphenol A in hemodialysis patients.  Blood Purif. 2007;  25 290-294

01 National Health and Nutrition Examination Survey

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Literatur

  • 01 Lang I A, Galloway T X, Scarlett A , et al . Association of urinary bisphenol A concentration with medical disorders and laboratory abnormalities in adults.  JAMA. 2008;  300 1303-1310
  • 02 Bisphenol A . Massenchemikalie mit unerwünschten Nebenwirkungen. Umweltbundesamt; 31.05.2010
  • 03 Bisphenol A . Beispiel einer verfehlten Chemikalienpolitik. Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e. V.; Februar 2008
  • 04 Murakami K , Chashi A , Hori H , et al . Accumulation of bisphenol A in hemodialysis patients.  Blood Purif. 2007;  25 290-294

01 National Health and Nutrition Examination Survey

 
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