Die Studie zeigt überraschenderweise, dass die korrekte Rekonstruktion der mechanischen
Achse auf 0° ± 3° keinen relevanten Einfluss auf die Revisionshäufigkeit oder das
Langzeitüberleben bis 15 Jahre nach Knieendoprothesen-Implantation hat. Damit ist
der aktuellen Diskussion um die Notwendigkeit der Navigation in der Knieendoprothetik,
die ihren Benefit in der genaueren Einstellung der Beinachse sieht, neuer Stoff gegeben.
Allerdings muss in diesem Zusammenhang auf die Limitationen der Studie eingegangen
werden. Beispielsweise wurde das Kollektiv streng dichotom betrachtet und eine theoretisch
zulässige Abweichung von ± 3° zur mechanischen Achse festgesetzt. Die Autoren merken
an, dass evtl. bereits dieses Referenzintervall zu weit gewählt ist, um signifikante
Unterschiede feststellen zu können. Oder es ist gar eine individuelle Beinachseinstellung
notwendig. Methodisch bleibt zu kritisieren, dass die verwendete Achsbestimmung anhand
der a.-p. Röntgenaufnahmen nicht zuletzt durch die Rotation einer signifikanten Fehlerquelle
unterworfen ist, was hier nicht ausreichend berücksichtig wurde.
Ebenso fließen keinerlei klinische Daten der Patienten in die Studie ein. So bleibt
die Frage offen, ob die mechanisch korrekte Beinachse eine bessere Funktion oder einen
zufriedeneren Patienten ergibt.
Zusammenfassend scheint die korrekte Rekonstruktion der mechanischen Tragachse nicht
das entscheidende Kriterium für eine lange Prothesenstandzeit zu sein. Nichtsdestotrotz
ist der Umkehrschluss, dass die Beinachse keinerlei Einfluss auf die Prothesenfunktion
hat, aus diesen Daten sicher nicht herzuleiten. In der Knieendoprothetik besteht nicht
zuletzt aufgrund der biomechanischen Forschung weiterhin die Empfehlung, eine neutrale
mechanische Beinachse einzustellen.
Weitere Forschung sollte ihren Fokus auf die tolerable Abweichung zu diesem theoretischen
Wert legen.
Dr. med. Tilman Calliess