ergopraxis 2011; 4(1): 13
DOI: 10.1055/s-0030-1270548
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Zwanghaftes Horten – Behandlungskonzepte noch in den Kinderschuhen

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Publication Date:
07 January 2011 (online)

 
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Zwanghaftes Horten stellt ein Problemverhalten dar, das Merkmale eines eigenständigen Krankheitsbildes aufweist. Das belegt die Übersichtsarbeit von Dr. med. Astrid Müller und Prof. Dr. med. Martina de Zwaan aus der psychosomatischen und psychotherapeutischen Abteilung des Universitätsklinikums in Erlangen.

Die Forscher recherchierten anhand von Pubmed, Google und relevanten Literaturverzeichnissen, um den aktuellen Erkenntnisstand abzubilden. Demnach ist zwanghaftes Horten dadurch charakterisiert, dass Menschen obsessiv wertlose Dinge erwerben und nicht wieder entsorgen können. Der Wohnraum vermüllt zusehends, und die Betroffenen können ihn nicht mehr adäquat nutzen. Als Folge entsteht ein starker Leidensdruck, der ihre sozialen Beziehungen beeinträchtigt. In manchen Fällen hängt das Problemverhalten mit neurobiologischen Besonderheiten zusammen, die zum Beispiel nach traumatischen Hirnläsionen auftreten. Neuropsychologische Studien belegen zudem, dass zwanghaftes Horten mit verminderten kognitiven Fertigkeiten einhergeht. So haben betroffene Menschen häufig Probleme damit, Entscheidungen zu treffen oder ihr Vorgehen angemessen zu strukturieren. Die Symptome treten oftmals familiär gehäuft auf, was auf eine genetische Disposition schließen lässt. Trotz der eigenständigen Krankheitsmerkmale behandelt das Diagnostische und Statistische Handbuch Psychischer Störungen (DSM-IV) das zwanghafte Horten bisher nur als diagnostisches Kriterium, das auf eine zwanghafte Persönlichkeitsstörung hinweist. Das kognitiv-behaviorale Modell von Frost und Hartl liefert erste Ansätze, um das zwanghafte Horten zu diagnostizieren und zu therapieren. Außerdem existieren verschiedene Befundinstrumente wie der Messie-House-Index, anhand derer man den vorhandenen Aktionsraum in der Wohnung beurteilen kann.

Da sich die Behandlungskonzepte noch im Anfangsstadium befinden, besteht nach Ansicht der Wissenschaftler weiterer Forschungsbedarf. Entsprechende Projekte sollten sich auch auf die Frage beziehen, inwieweit es sich beim zwanghaften Horten um ein eigenständiges Krankheitsbild handelt.

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Kommentar

Wer kennt das nicht? Der Kleiderschrank quillt über, da man gerade das 25. Oberteil in der Stadt erworben hat. Und das, obwohl der Bedarf an Kleidung eigentlich schon lange gedeckt ist. Geschieht dies aus dem Wunsch heraus, sich dem neusten Trend anzupassen, könnte man den Verstand des Käufers zwar anzweifeln, als Krankheit würde solch ein Verhalten aber wohl niemand bezeichnen.

Nun gibt es aber auch Menschen, die keine Kleidungsstücke sammeln, sondern Altpapier, Abfälle oder sogar Haustiere. Dabei erkennen sie nicht, dass diese Dinge ihnen den Platz zum Leben und schließlich ihre soziale Freiheit rauben. Diese Menschen sind in unserer Gesellschaft kaum sichtbar. Grund dafür ist ihre selbst gewählte Isolation, die oft aus Scham und Schuldgefühlen resultiert. Es ist bemerkenswert, dass dieses Phänomen auch unser klinisches Bewusstsein bislang nur gestreift hat. Außerdem taucht es in Klassifikationssystemen nur als Randerscheinung von Zwangsstörungen auf. Vielleicht ja gerade, weil uns allen das Sammeln von Gegenständen nicht so fremd ist.

Studien wie diese bieten erste Ansätze, damit sich dieses Bewusstsein ändern kann. Zu Recht fordern die Wissenschaftler weitere Untersuchungen, um betroffenen Menschen in ihrer Isolation helfen zu können.

Daniela Wolter, Ergotherapeutin BSc

Psychiat Prax 2010; 37: 167–174