Der Klinikarzt 2011; 40(2): 62-64
DOI: 10.1055/s-0031-1274166
Medizin & Management

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart ˙ New York

Entwicklung einer berufsgruppenübergreifenden Verantwortungskultur

Ein Beispiel am Klinikum der Universität München (KUM)
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Publication Date:
04 March 2011 (online)

 
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Spätestens im letzten Jahrzehnt hat sich die Erkenntnis verbreitet, dass Meister des Beziehungsmanagements im professionellen Kontext langfristig gute Ergebnisse erwirtschaften. Solche Führungskräfte fördern Teamgeist und Visionen, schaffen ein kreatives Klima und können ihre Mitarbeiter für den Einsatz für eine Sache begeistern. Dazu übertragen Führungskräfte Verantwortung an die Mitarbeiter, welche wiederum die Verantwortung übernehmen. Diese klare Übergabe der "Verantwortungsstaffel" und Kommunikation der Legitimation sind zentrale Erfolgsfaktoren, die durch den jeweiligen Vorgesetzten auf den Weg gebracht werden müssen. Für die sorgfältige und wirksame Gestaltung der Beziehungen in einem Verantwortungssystem ist ein kontinuierlicher Dialog zum Thema Verantwortung, Ziele und Ergebnisse notwendig. Zur Entwicklung einer Verantwortungskultur im Krankenhaus ist es daher erforderlich, die primär dort tätigen Berufsgruppen in der gemeinsamen Verantwortung für die Patientenversorgung zu koordinieren.

In der Mitarbeiterführung im Krankenhaus stellt der situative Ansatz der emotionalen Führung [1] gegenüber der gewohnten Tradition einen radikalen Wechsel des Führungsstils und der damit verbundenen Unternehmenskultur dar [2]. Dabei hat sich spätestens im letzten Jahrzehnt die Erkenntnis verbreitet, dass Meister des Beziehungsmanagements im professionellen Kontext langfristig gute Ergebnisse erwirtschaften[1]. Diese Führungskräfte fördern Teamgeist und Visionen, schaffen ein kreatives Klima, können ihre Mitarbeiter für den Einsatz für eine Sache begeistern und e-MOTION-alisieren. Sie sind in der Lage, ihre eigenen Emotionen wahrzunehmen und konstruktiv zu steuern. Damit decken sie einen bedeutenden Aspekt von Führungsverantwortung ab. Denn Verantwortung darf im Führungskontext nicht nur bezogen auf die einzelnen Personen und ihre Funktionen betrachtet, sondern muss als komplementäres, aufeinander bezogenes Gesamtsystem gestaltet werden [3]. Ver-ANTWORT-ung ist, dem Wortstamm entsprechend, keine einseitige Angelegenheit, sondern sie muss sowohl explizit übernommen als auch klar übergeben werden. Formalen Niederschlag findet die Führungsverantwortung im Organigramm. Übertragung von Verantwortung ist also mehr als Delegation; es ist ein Einschnitt in die bestehende Organisationsstruktur.

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Verantwortung übertragen

Wichtig ist zunächst, eine Person auszuwählen, die mit ihren persönlichen Ressourcen in der Lage ist, die verbundenen Erwartungen zu erfüllen. Zuständigkeiten müssen stets von oben nach unten definiert und autorisiert werden. Die Kommunikation der Legitimation an alle Betroffenen und die klare Übergabe der "Verantwortungsstaffel" sind zentrale Erfolgsfaktoren, die durch den jeweiligen Vorgesetzten auf den Weg gebracht werden müssen. Ab diesem Zeitpunkt ist die Verantwortung formell geklärt. Nun gilt es, Unsicherheit zu vermeiden, die dadurch entsteht, dass Menschen informell agieren oder Verantwortung an der falschen Stelle übernehmen.

Für Vorgesetzte im traditionell-patriarchalischen Krankenhaussystem erfordert es Disziplin, sich darauf zu begrenzen, benötigte Entscheidungen herbeizuführen und sich sonst aus dem Arbeitsprozess herauszunehmen und der nächsten Führungsebene die "Staffel" zu überlassen. Dies setzt eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den nächsten Mitarbeitern und eine gute Kommunikation der eigenen Zielvorstellungen voraus. Den Mitarbeiter in seiner Vorgehensweise gewähren zu lassen und ihn an seinem Ergebnis zu bewerten, bedeutet vielleicht sich das ein oder andere Mal im Beisein Dritter auf die Zunge zu beißen. Am Ende ist der Erfolg ein gemeinsamer: ein Organisations-/Managementerfolg des Managementverantwortlichen und der Führungserfolg des Chefarztes bzw. Pflegedirektors. Umgekehrt muss sich die übergeordnete Ebene auch Misserfolge in der Führung zurechnen lassen, wenn sie nicht rechtzeitig eingegriffen hat.

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Quelle: iStock

Im ersten Moment fordert die Übergabe von Verantwortung intensive Abstimmungsgespräche zwischen Vorgesetztem und Managementverantwortlichem. Auf Dauer aber kann sich der Einsatz des Vorgesetzten mehr als auszahlen: z. B. durch den geschaffenen Freiraum, sich anderer strategischer Führungsaufgaben widmen zu können und eine Vertrauensperson an seiner Seite aufgebaut zu haben.

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Verantwortung übernehmen

Alleine durch den kommunizierten Willen der Führungskraft, Verantwortung zu übertragen und dies in der Organisationsstruktur zu manifestieren, wird Verantwortung noch nicht selbstverständlich übernommen. Hier kommt es darauf an, dass die ausgewählte Person fachlich und persönlich in der Lage ist, das übertragene Anliegen zu ihrem Ziel zu machen und es auch explizit tut. Der Wille, Verantwortung wahrzunehmen, hängt sehr stark vom Wertempfinden und zentralen Gestaltungsinteressen des Mitarbeiters ab sowie von seiner Selbstverpflichtung[2] [3].

Wenn die mit einer Funktion verbundene Verantwortung in einem System nicht wahrgenommen und dies vom Vorgesetzten zugelassen wird, entstehen leicht sogenannte dysfunktionale symbiotische Beziehungen [5]. Häufig äußern sie sich in einer der folgenden Formen [3]:

  • Nichts-Tun, das von anderen informell kompensiert wird

  • Nichtverantwortungsübernahme wird verdeckt, indem Notstand demonstriert wird, warum es unmöglich war, der Verantwortung gerecht zu werden

  • Der Verantwortung ausweichen und in operativer Hektik vergraben (Agitation)

  • Übernahme "falscher" Verantwortung, da keine genaue Zielklärung stattgefunden hat.

Führungskräfte auf der mittleren Ebene, die Bestandteil einer Verantwortungskultur sein möchten, können selbst einen entscheidenden Beitrag leisten und solche dysfunktionale Symbiosen nicht respektieren. Stattdessen sollten sie ein loyales konstruktives Verhältnis zum unmittelbaren Vorgesetzten aufbauen und so gemeinsam in die Verantwortung im eigenen Zuständigkeitsbereich hineinwachsen.

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Berufsgruppenübergreifende Verantwortungssysteme

Verantwortungsklärung stellt bereits in der Linie einen komplexen Vorgang dar. Für die sorgfältige und wirksame Gestaltung der Beziehungen in einem Verantwortungssystem ist ein kontinuierlicher Dialog zum Thema Verantwortung, Ziele und Ergebnisse erforderlich. Nun ist ein Krankenhaus neben disziplinarischen Beziehungen durch das Zusammenspiel der verschiedenen Berufsgruppen geprägt. Zur Entwicklung einer Verantwortungskultur auf Station ist es daher erforderlich, die primär dort tätigen Berufsgruppen in der gemeinsamen Verantwortung für die Patientenversorgung zu koordinieren. Wie dies in einem von ZeQ im Februar bis September 2010 extern begleiteten Pilotprojekt am Klinikum der Universität München (KUM) mit der Implementierung von Managementteams gelungen ist, skizziert folgendes Projektbeispiel.

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Projektbeispiel

Auf Initiative des Pflegedirektors, Herrn Jacobs, wurde in der Neurologie des KUM unter Leitung von Frau Prof. Dr. Dieterich ein Projekt zur Weichenstellung für das weitere Abteilungswachstum pilotiert. Dieses soll durch Effizienzsteigerung in den abteilungsinternen Prozessabläufen erreicht werden. Zentraler Erfolgsfaktor für das zügige Vorankommen im Pilotprojekt war die Zusammensetzung und Entscheidungsfähigkeit der Lenkungsgruppe, in der u. a. die Chefärztin und der Pflegedirektor gemeinsam berufsgruppenübergreifend wichtige Entscheidungen für das Projekt herbeiführten. Mit dem Pflegebereichsleiter, Herrn Holderied, und dem internen Projektleiter, Oberarzt PD Dr. Jahn, waren seitens des Pflegedirektors sowie der Chefärztin Führungskräfte der nächsten Führungsebene Mitglieder im Lenkungsausschuss. Beide bewiesen im Projekt gerade auch in kritischen Phasen des Veränderungsprojekts, dass ihre jeweiligen Vorgesetzten in Bezug auf ihre Eignung zur Verantwortungsübernahme zu Recht auf sie gesetzt hatten.

Eine Organisationserhebung zu Beginn führte zu enorm motivierten Rückmeldungen der Mitarbeiter, die durch die Lenkungsgruppe im Detail bearbeitet wurden. Zentrale Schlussfolgerung war es, die berufsgruppenübergreifende Zusammenarbeit in der Klinik zu verbessern und die Organisationsverantwortung auf den neurologischen Stationen an Managementteams zu übertragen. Diese Managementteams setzen sich aus dem organisationsverantwortlichen Oberarzt und der pflegerischen Stationsleitung zusammen. Diese sind gemeinsam für einen reibungslosen organisatorischen Ablauf auf Station verantwortlich. Durch ein klares Organisationskonzept und eine Regelkommunikation auf Ebene der Managementteams sollen entsprechende Führungskräfte gefördert und mit Kompetenzen zur kurzfristigen Handlungsfähigkeit und Steuerung innerhalb des eigenen Bereichs ausgestattet werden. Problemstellungen, die innerhalb der Station berufsgruppenübergreifend auftauchen, können im Managementteam gemeinsam reflektiert und gelöst werden. Problemstellungen, die über die eigenen Bereichsgrenzen hinausreichen, können unmittelbar der nächsten Führungsebene vorgetragen werden. Was daraus resultiert, ist ein schnelleres, systematisches Meldesystem von der Basis durch die Führungsebenen.

Umgekehrt sollen über die Führungskaskade künftig Informationen und Änderungen in der Abteilung durch die mittlere Führungsebene unmittelbarer an alle 180 Mitarbeiter, die entweder dem ärztlichen oder dem pflegerischen Bereich disziplinarisch zugeordnet sind, erreichen. Die Lenkungsgruppe selbst war v. a. durch eine wertschätzende berufsgruppenübergreifende Zusammenarbeit geprägt. Die gegenseitige Ergänzung und das Miteinander der Berufsgruppen auf Augenhöhe ist es, was über die Ebene der Stationen durch den projektleitenden Oberarzt und den Pflegebereichsleiter weiter getragen wurde.

Die Stärkung der Verantwortungskultur über die verschiedenen Hierarchieebenen soll gelingen, wenn alle Berufsgruppen einbezogen sind - einschließlich der Verwaltung. In Zeiten knapper Ressourcen, bei demografisch bedingter zunehmender Inanspruchnahme von Krankenhausdienstleistungen, gewinnt das finanzielle Leistungsgeschehen vorrangige Beachtung. Wenn negative Entwicklungen im Leistungsgeschehen beim Finanzvorstand auf Gesamtklinikumsebene in die Diskussion kommen, dann steckt ein Bereich bereits schon mitten in der Krise. Der Seismograf für die Entwicklung ist das aktuelle Geschehen auf Station. Diesem Gedanken einer schnellen Handlungsfähigkeit folgend, ist es unumgänglich, die Stationsebene mit in die Ergebnisverantwortung zu nehmen. Dafür müssen das gemeinsame Ziel klar benannt und an messbaren Kriterien operationalisiert werden sowie eine kontinuierliche Ergebnistransparenz gewährleistet sein. Zur Unterstützung der Verantwortungsübernahme auf den Stationen wurde ein monatliches Stationsberichtswesen konzipiert, das 2011 - begleitet durch entsprechende Qualifizierungen der Managementverantwortlichen - eingeführt wird. Der Klinikcontroller wird dabei eng in den monatlichen Prozess eingebunden. Das Berichtswesen beinhaltet Kennzahlen, die, heruntergebrochen auf Stationsebene und im gegenseitigen Zusammenhang interpretiert, aktuelle Entwicklungstendenzen auf Station abbilden:

  • Leistungsbericht mit zentralen Informationen zu Belegung und mittlerer Verweildauer auf der Station

  • Verweildauersteuerung im DRG-Vergleich

  • Erlösbericht mit Entwicklung des Casemixes und des Casemixindizes aller Patienten mit Stationskontakt

  • Direkte Personal- und Sachkosten auf Station sowie ILV-Kennzahlen (ILV = Innerbetriebliche Leistungsverrechnung).

Die Daten sind alle mit Stationsbezug hinterlegt. Sämtlichen kumulierten Monatsdaten werden Orientierungsgrößen gegenübergestellt - das sind Planwerte, kumulierte Vorjahresvergleiche und ein geeigneter Ausblick auf die Jahresergebnisprognose.

Effektivität und Effizienz der Prozesse auf Station stehen und fallen am Ende damit, inwieweit es gelingt, ein funktionsfähiges Managementteam aus Arzt und Pflege auszumachen, das gemeinsam Verantwortung für die Station insgesamt und für die Einbindung der Mitarbeiter übernimmt. Emotionale Führung von oben nach unten ist aus unserer Sicht Voraussetzung für den Aufbau einer funktionsfähigen Verantwortungskultur, in der Menschen auf allen Ebenen durch Einbindung motiviert sind, sich einzubringen und die nötige Verantwortung zu übernehmen.

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Korrespondenz

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M. Dietrich

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P. Jacobs

Prof. Dr. Marianne Dieterich
Peter Jacobs
Ludwig-Maximilians-Universität München
Marchioninistraße 15
81377 München
Email: marianne.dieterich@med.uni-muenchen.de
Email: Peter.Jacobs@med.uni-muenchen.de

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E. Eberts

Dr. Elke Eberts
ZeQ AG
Beratung im Gesundheitswesen
Am Oberen Luisenpark 7
68165 Mannheim
Tel.: 0621/328850-0
Fax: 0621/328850-50
Email: elke.eberts@zeq.de

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Literatur

  • 1 Goleman D, Boyazis R, McKee A. Emotionale Führung. München: Econ Verlag; 2002
  • 2 Ruhl S, Tunder R. Emotionale Führung - Ein Königsweg für Chefärzte?.  klinikarzt. 2011;  40 10-11
  • 3 Schmid B, Messmer A. Auf dem Weg zu einer Verantwortungskultur im Unternehmen, Systemische Personal-, Organisations- und Kulturentwicklung, Konzepte und Perspektiven. Bergisch Gladbach: EHP-Verlag; 2005. 2. Auflage, Band III, 2
  • 4 Rentsch J R, Steel R P. Testing the Durability of Job Characteristics as Predictors of Absenteeism over a six-year period, Personnel Psychology.  1998;  51 165-190
  • 5 Schiff J L, et al. Cathexis reader. New York: Harper & Row; 1975. 1975

1 Firmen, in denen Frauen führende Positionen einnehmen, erwirtschaften eine bis zu 53 % höhere Eigenkapitalrentabilität. Dies ergaben z. B. Untersuchungen der 500 größten Aktiengesellschaften Amerikas durch die US-Frauenorganisation Catalyst ebenso wie Studien von McKinsey (vgl. Welt am Sonntag 1/2009: 22-23). Das indirekte Differenzierungsmerkmal "weibliche Führungskräfte" liefert jedoch keine dahinterstehende Kausalerklärung, was diese anders als typische männliche Kollegen bewirken. Emotionale Führung kann ein Erklärungsansatz sein. Untersuchungen hierzu sind uns nicht bekannt.

2 Interessanterweise zeigen arbeitspsychologische Studien, dass eine einzige Variable einen signifikanten Einfluss auf die Ausfallquote hat - die Stellenbeschreibung, gemessen an der Breite des Zuständigkeits-/Verantwortungsbereichs des Mitarbeiters. Sie belegen damit die Job-characteristics-Theorie von Hackman/Odlham [4].

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Literatur

  • 1 Goleman D, Boyazis R, McKee A. Emotionale Führung. München: Econ Verlag; 2002
  • 2 Ruhl S, Tunder R. Emotionale Führung - Ein Königsweg für Chefärzte?.  klinikarzt. 2011;  40 10-11
  • 3 Schmid B, Messmer A. Auf dem Weg zu einer Verantwortungskultur im Unternehmen, Systemische Personal-, Organisations- und Kulturentwicklung, Konzepte und Perspektiven. Bergisch Gladbach: EHP-Verlag; 2005. 2. Auflage, Band III, 2
  • 4 Rentsch J R, Steel R P. Testing the Durability of Job Characteristics as Predictors of Absenteeism over a six-year period, Personnel Psychology.  1998;  51 165-190
  • 5 Schiff J L, et al. Cathexis reader. New York: Harper & Row; 1975. 1975

1 Firmen, in denen Frauen führende Positionen einnehmen, erwirtschaften eine bis zu 53 % höhere Eigenkapitalrentabilität. Dies ergaben z. B. Untersuchungen der 500 größten Aktiengesellschaften Amerikas durch die US-Frauenorganisation Catalyst ebenso wie Studien von McKinsey (vgl. Welt am Sonntag 1/2009: 22-23). Das indirekte Differenzierungsmerkmal "weibliche Führungskräfte" liefert jedoch keine dahinterstehende Kausalerklärung, was diese anders als typische männliche Kollegen bewirken. Emotionale Führung kann ein Erklärungsansatz sein. Untersuchungen hierzu sind uns nicht bekannt.

2 Interessanterweise zeigen arbeitspsychologische Studien, dass eine einzige Variable einen signifikanten Einfluss auf die Ausfallquote hat - die Stellenbeschreibung, gemessen an der Breite des Zuständigkeits-/Verantwortungsbereichs des Mitarbeiters. Sie belegen damit die Job-characteristics-Theorie von Hackman/Odlham [4].

 
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E. Eberts