Rofo 2012; 184(4): 385-387
DOI: 10.1055/s-0031-1274809
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Wettbewerbsverbote in Gemeinschafts-praxisverträgen – Unter welchen Voraussetzungen sind diese zulässig?

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Publication Date:
22 March 2012 (online)

Table of Contents #

Ausgangslage der Interessen

Es ist der Regelfall, dass Gesellschafter einer radiologischen Gemeinschaftspraxis oder eines Medizinischen Versorgungszentrums untereinander ein Wettbewerbsverbot für den Fall des Ausscheidens eines Gesellschafters vereinbaren. Regelmäßig soll ein Wettbewerbsverbot im Falle des Ausscheidens eines Gesellschafters den Erhalt des immateriellen Wertes einer radiologischen Praxis sichern. Der immaterielle Wert einer radiologischen Praxis besteht im Wesentlichen zumeist aus dem Patientenstamm. Verlässt ein Gesellschafter, der über eine Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung verfügt, die Praxis, so steht dieser vor dem Problem, dass er seinen Vertragsarztsitz nur innerhalb des Planungsbezirks verlegen kann, für den er die vertragsärztliche Zulassung erhalten hatte. Das Versorgungsstrukturgesetz hat daran nichts geändert. Verlässt ein Vertragsarzt den Planungsbezirk, für den er über eine Zulassung verfügt und lässt sich in einem anderen Planungsbezirk nieder, endet nach § 95 Abs. 7 SGB V die vertragsärztliche Zulassung. Er hat daher ein erhebliches Interesse, dass er sich innerhalb des Planungsbezirks niederlassen kann, in dem er bereits zuvor tätig war. Die verbleibenden Gesellschafter haben ein großes Interessen den bisherigen Patientenstamm zu erhalten, und der ausgeschiedene Radiologe hat ein diametral entgegengesetztes Interesse an eigenen Patienten. Diese Interessenlage sollen Wettbewerbsverbote regeln, die jedoch in der Praxis häufig scheitern.

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Rechtlicher Rahmen eines Wettbewerbsverbots

Grundsätzlich sind Wettbewerbsverbote nichts Ungewöhnliches. Dennoch finden sich nur einige gesetzliche Regelungen im Handelsgesetzbuch zum Handelsvertreterrecht. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind nachvertragliche Wettbewerbsbeschränkungen nur dann wirksam, wenn sie in räumlicher, gegenständlicher und zeitlicher Hinsicht das notwendige Maß nicht überschreiten (Urteil vom 18.07.2005, Az.: II ZR 159/03). Die Prüfung eines Wettbewerbsverbots betrifft zunächst die zeitliche, räumliche und gegenständliche Grenze des Wettbewerbsverbots. Daneben kann eine Gesamtbetrachtung insbesondere in Hinblick auf eine korrelierende Abfindungsklausel zu einer Unwirksamkeit des Wettbewerbsverbots aufgrund einer Übersicherung eines der Vertragspartner führen. Grundsätzlich ist zu prüfen, ob die jeweilige Interessenlage die jeweiligen Grenzen nachvollziehbar und angemessen begründet. Gerade bei der Aufnahme eines Juniorpartners haben die Seniorpartner ein besonderes tatsächliches oder gefühltes Sicherungsbedürfnis. Letztere haben die – keinesfalls unberechtigte – Sorge, dass der neue Gesellschafter sie um die Früchte jahrelanger Arbeit und die Amortisierung von langfristigen Investitionen bringen könnte, wenn dieser frühzeitig die radiologische Gemeinschaftspraxis verlässt. Diese Sorge führt häufig zu einem überzogenen Sicherheitsbedürfnis und schnell zu einer Übersicherung des Altgesellschafters. So nachvollziehbar dieses Bedürfnis auch sein mag, im Hinblick auf eine Wettbewerbsklausel kann das die fatale Folge nach sich ziehen, dass das gesamte Wettbewerbsverbot hinfällig ist. Die Gerichte haben zwar grundsätzlich die Möglichkeit, überzogene vertragliche Regelungen auf ein angemessenes Maß zurückzuführen, im Hinblick auf ein Wettbewerbsverbot gilt dies nur für die zeitlichen Grenzen. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (NJW 1997, 3089) ist angesichts des die Berufsausübung betreffenden Schutzbereiches im Sinne von Art. 12 Abs. 1 des Grundgesetzes (Grundrecht auf Berufsfreiheit), dessen Wirkungen bei der Auslegung von zivilrechtlichen Generalklauseln zu beachten ist, eine Wettbewerbsbeschränkung nur dann zulässig, wenn sie örtlich, zeitlich und gegenständlich das notwendige Maß nicht überschreitet. Dabei ist zu beachten, dass über Art. 12 Abs. 1 des Grundgesetzes auch das Interesse des in der Gemeinschaftspraxis verbleibenden Radiologen an der Fortführung seiner Praxis geschützt ist. Dem gegenüber steht das Berufsausübungsrecht des ausscheidenden Radiologen gleichwertig gegenüber. In diesem Fall der sog. praktischen Konkordanz müssen die insofern widerstreitenden Rechtspositionen einem möglichst schonenden Ausgleich zugeführt werden. Insofern dürfen Wettbewerbsbeschränkungen nicht über das hinausgehen, was dem anerkennenswerten Schutz und Bestreben eines Begünstigten, sich vor der illoyalen Verwertung der Erfolge seiner Arbeit oder missbräuchlichem Verhalten in sonstiger Weise zu schützen, hinausgeht.

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Zeitliche Grenze

Die am leichtesten zu wahrende Anforderung findet sich bei der zeitlichen Grenze eines Wettbewerbsverbots. In Anlehnung an Vorschriften des Handelsgesetzbuches ist ein Zeitraum von 2 Jahren gerechtfertigt. Darüber hinaus gehende Wettbewerbsverbote wurden vom Bundesgerichtshof als unwirksam angesehen (NJW 2004, 66). Frühere Entscheidungen von Land- und Oberlandesgerichten hielten längere Zeiträume für zulässig, nach den Entscheidungen des Bundesgerichtshofes dürfte diese Rechtsprechung keinen Bestand mehr haben. Ein Wettbewerbsverbot, dass die zeitliche Grenze überschreitet, kann in dem Fall, dass ausschließlich diese Grenze überschritten wird, auf das zulässige, tolerable Maß reduziert werden (NJW 2000, 2584), sodass es in der Praxis nicht alleine auf einen Verstoß gegen die zeitlich zulässige Grenze ankommt.

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Räumliche Grenze

Schwieriger als die zeitliche Grenze ist die räumliche Grenze gerichtsfest zu gestalten. Hier gilt, dass sich Zurückhaltung auszahlt und die Wahrscheinlichkeit eines gerichtsfesten Wettbewerbsverbots deutlich erhöht. In einem frühen Fall einer tierärztlichen, in einem ländlichen Gebiet gelegenen Gemeinschaftspraxis hatte der Bundesgerichtshof (NJW 1997, 3089) über ein Wettbewerbsverbot zu entscheiden, dass einen Radius von 30 km um den Praxisstandort vorsah. Dieser weite Radius war nach dem Bundesgerichtshof unwirksam. Im Fall einer neurologischen-radiologischen Facharztpraxis zweier Ärzte entschied das Oberlandesgericht Köln (OLG-Report 1996, 247), dass ein Wettbewerbsverbot, dass einen 25 km-Umkreis vorsieht, unwirksam ist. Einen nur wesentlich geringeren Umkreis von 10 km in einem ländlichen Gebiet ließ das Landgericht Limburg im Jahre 1997 (MedR 1997, 221) zu. In einem der letzten Fälle, die der Bundesgerichtshof zu entscheiden hatte, betrug ein Wettbewerbsverbot für einen Nephrologen 20 km. Aufgrund der kostenintensiven Ausstattung und des nachweisbar weiten Einzugsgebiets der Praxis hielt der Bundesgerichtshof den Umkreis für angemessen. Ein besonderes Problem besteht in den Fällen, in denen das Wettbewerbsverbot einen ganzen oder wesentlichen Teil eines Planungsbezirks umfasst. Sofern die angrenzenden Planungsbezirke für Neuzulassungen auf absehbare Zeit gesperrt sind, kommt ein solches Wettbewerbsverbot einem Berufsausübungsverbot bedenklich nahe und ist in aller Regel sittenwidrig und damit unwirksam.

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Gegenständliche Grenze

Auf den 1. Blick erscheint die gegenständliche Grenze bei Radiologen leicht zu ziehen zu sein und doch handelt es sich dabei um einen äußerst trügerischen Schluss. Eine häufiger vorkommende Variante eines Wettbewerbsverbots untersagt einem Radiologen – als ausgeschiedenen Gesellschafter, sich generell als Arzt niederzulassen. Eine solche Untersagung ist sachlich nicht zu rechtfertigen. Zum einen besteht bei einer radiologischen Gemeinschaftspraxis, die keine Leistungen eines Krankenhauses übernommen hat, kein Bedarf, dem ausgeschiedenen Radiologen eine Tätigkeit als Radiologe an einem Krankenhaus zu untersagen, weil es an einer generell schützenswerten Konkurrenzsituation mangelt. Zum anderen erscheint eine solche Regelung fast unsinnig, weil sich die Frage aufdrängt, warum einem Radiologen jede ambulante und stationäre Tätigkeit als Arzt und nicht nur als Radiologe untersagt werden sollte. Die Antwort könnte sein, dass diese Konstellation unwahrscheinlich ist, aber bei dieser Antwort wird der Prüfungsansatz verfehlt. Die Prüfung eines Wettbewerbsverbots erfolgt abstrakt und ein Ausschluss jeder Tätigkeit als Arzt ist, nicht zu rechtfertigen. Ein ebenfalls nicht seltener Verstoß besteht darin, dass das Wettbewerbsverbot sich nicht nur auf frühere Patienten der Gemeinschaftspraxis bezieht, sondern generell auf Patienten eines bestimmten Umkreises um den Praxisstandort (BGH NJW 1997, 3089). Eine Begründung, warum ein ausgeschiedener Gesellschafter aber keine Patienten untersuchen oder behandeln darf, kann jedenfalls in dem berechtigten Schutz der illoyalen Verwertung des gemeinsamen Erfolgs der Arbeit, sprich dem Patientenstamm nicht gefunden werden. Praktikabilitätsgründe stehen dabei im Vordergrund, weil es den zurückbleibenden Gesellschaftern kaum möglich ist, zu prüfen, ob sich der ausgeschiedene Radiologe an diese Vereinbarung hält. Im Zusammenhang mit einem vertragsärztlich tätigen Radiologen bestimmt aber § 76 Abs. 1 Satz 1 SGB V, dass ein gesetzlich Krankenversicherter das Recht auf freie Arztwahl hat. Eine Wettbewerbsklausel würde daher das Recht des Versicherten auf freie Arztwahl erheblich einschränken – was unzulässig sein dürfte. Durch eine solche Wettbewerbsklausel wird vielmehr der vollständige Wettbewerb zwischen der alten Gemeinschaftspraxis und dem ausgeschiedenen Radiologen einseitig zum Nachteil des ausgeschiedenen Radiologen geregelt. Eine solche Regelung erweist sich vor dem Hintergrund sich gleichwertig gegenüberstehender Rechte der Gemeinschaftspraxis und des ausgeschiedenen Radiologen als sittenwidrig. Einzig in dem Fall, dass der ausgeschiedene Radiologe nur für kurze Zeit in der Gemeinschaftspraxis tätig war, kann er weniger schutzwürdig sein. Nach dem Bundesgerichtshof (Urteil vom 22.07.2002, Az.: II ZR 265/00) ist eine gesellschaftsvertragliche Regelung, die dem neu eingetretenen Vertragsarzt für den Fall, dass er freiwillig aus der Gemeinschaftspraxis ausscheidet, die Pflicht auferlegt, einen Antrag auf Ausschreibung des vakant werdenden Vertragsarztsitzes zu stellen, jedenfalls dann nicht sittenwidrig, und verstößt nicht gegen das Grundrecht auf Berufsausübungsfreiheit, wenn der Ausscheidende wegen der relativ kurzen Zeit seiner Mitarbeit die Gemeinschaftspraxis noch nicht entscheidend mitprägen konnte. Stärker als das Wettbewerbsverbot wirkt sich die Pflicht zur Durchführung eines Nachbesetzungsverfahrens zugunsten der verbliebenen Gesellschafter für den ausgeschiedenen Radiologen aus. Prägte aber der ausgeschiedene Radiologe die Gemeinschaftspraxis, so stoßen Regelungen, die in den Wettbewerb eingreifen, schnell an die rechtliche Zulässigkeit.

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Geltungserhaltende Reduktion

Eine Rückführung der vertraglichen Vereinbarungen auf das zulässige Maß, um den Einklang mit der Rechtsordnung herzustellen, würde ein rechtsgestaltendes Eingreifen eines Gerichts auf den übrigen Inhalt eines sittenwidrigen Rechtsgeschäfts bedeuten. Dies überschreitet nicht nur den richterlichen Gestaltungsspielraum, sondern widerspricht dem mit der Regelung des § 138 Bürgerlichen Gesetzbuches verfolgten Zweck, den Betroffenen das Risiko zuzuweisen, dass eine zwischen ihnen getroffene Vereinbarung sittenwidrig und somit nichtig ist (OLG Düsseldorf Urteil vom 19.03.2007, Az.: I-9 U 46/07). Die regelmäßig in Gesellschaftsverträgen vorgesehene Regelung, dass vertragliche Regelungen, die unwirksam sind, durch solche zu ersetzen sind, die der unwirksamen Regelung möglichst nahekommen sollen, bietet keine Lösung. Zwar hat der Bundesgerichtshof bisher nicht über diese Rechtsfrage entschieden, doch würde die seitens des Bundesgerichtshofes vorgenommene Risikozuweisung im Hinblick auf die Sittenwidrigkeit einer gesellschaftsvertraglichen Regelung umgangen. Daneben dürfte die Frage berechtigt sein, ob die Gerichte soweit in die Vertragshoheit der Gesellschafter eingreifen dürfen oder sollen, um eine Regelung vor ihrer Unwirksamkeit zu bewahren. Dieser gestaltende Eingriff in die Vertragshoheit der Parteien würde nicht bei den Wettbewerbsverboten enden müssen, sondern könnte vertragliche Regelungen zum Urlaub bis hin zur Gewinnbeteiligung und Abfindung betreffen. Die vertraglichen Regelungen sollten daher von den Beteiligten bestimmt werden, weil sie die Interessen am besten beurteilen können und von den rechtlichen Folgen selbst betroffen sind. Mit dieser Freiheit geht das Risiko einer unwirksamen Regelung zwingend einher.

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Fazit

Das wesentliche Problem eines Wettbewerbsverbots besteht darin, dass dieses, wenn es sich als ungemessen und daher überzogen darstellt, mit Ausnahme einer Überschreitung der zeitlichen Grenze vollständig unwirksam ist. Wer ein Wettbewerbsverbot für unausweichlich erachtet, der sollte daher Zurückhaltung walten lassen und sich nicht davon ablenken lassen, dass ein Juniorpartner bei einem Vertragsschluss selten einen Einwand gegen ein solches Verbot – und sei es noch überzogen – erheben wird. Zum Zeitpunkt des Eintritts in eine Gesellschaft denken die wenigstens Gesellschafter an den Austritt und sind aus diesem Grund selbst unter schwierigsten Kündigungsbedingungen bereit, der Gesellschaft beizutreten. Die Konflikte entstehen schließlich erst später und zu dem Zeitpunkt des Ausscheidens, weil sich die Interessenlage der Partner geändert hat. Wenn z. B. der neuhinzutretende Radiologe keine Einlage erbringen muss und er keinen Vertragsarztsitz einbringt, dann kann in der Kennenlernphase vereinbart werden, dass im Falle eines Ausscheidens des neuen Radiologen dieser ein Nachbesetzungsverfahren zugunsten der verbleibenden Gesellschafter durchführen muss. Wenn dem eintretenden Radiologen schlicht das Kapital für eine Einlage fehlt, dann können die bisherigen Gesellschafter diesem ggf. ein Darlehen gewähren und auf diese Weise ihn zu einem gleichberechtigten Gesellschafter machen. Mit großem Augenmaß muss die Bestimmung des Wettbewerbsverbots daher gefasst werden. Die räumliche Grenze muss sich nach den örtlichen Gegebenheiten richten. In ländlichen Gebieten sind grundsätzlich größere Radien zulässig als in städtischen Gebieten. Ein gesamter Planungsbezirk darf allerdings bei zulassungsbeschränkten Fachärzten, wie den Radiologen, keinesfalls von einem Wettbewerbsverbot umfasst werden. Genauso wenig wird eine Verdrängung des ausgeschiedenen Radiologen in die Randgebiete eines Planungsbezirks zulässig sein. Die Kasuistik zu den Wettbewerbsverboten ist umfangreich und ist geprägt von den Besonderheiten der einzelnen Facharztgruppen. Die Prüfung eines Wettbewerbsverbots verlangt profunde Rechtskenntnisse, und eine Missachtung der Rechtsprechung führt zunächst zu einem unwirksamen Wettbewerbsverbot, aber was viel wichtiger ist: zu einem unmittelbaren Konkurrenten.

René T. Steinhäuser
Rechtsanwalt

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