Der Klinikarzt 2011; 40(2): 68-69
DOI: 10.1055/s-0031-1275187
Medizin & Management

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Patientenvertretungen in Europa

Intransparente Verquickung mit der Industrie
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Petra Spielberg

Fachjournalistin für Gesundheits- und Sozialpolitik

Köln/Brüssel

Christian-Gau-Straße 24

50933 Köln

Fax: 0221/97763151

eMail: p.spielberg@t-online.de

Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
04. März 2011 (online)

 
Inhaltsübersicht

Europäische Patientenverbände haben einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf gesundheitspolitische Entscheidungsprozesse in Brüssel. Mit Stellungnahmen, Pressemitteilungen und Konferenzen bringen sich die Interessenvertreter in die Diskussionen ein. Einige Patientengruppen arbeiten sogar eng mit europäischen Institutionen wie der EU-Kommission und der für die EU-weite Arzneimittelzulassung und -überwachung zuständigen Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) in London zusammen. Als problematisch erweist sich dabei, dass viele der Vereinigungen ihren Haushalt mit Mitteln aus der Industrie bestreiten, dies aber nicht immer ausreichend transparent machen. Politiker fordern daher strengere Regeln für die Finanzierung und eine stärkere Unterstützung von Patientenvereinigungen durch öffentliche Stellen.

Patientenorganisationen spielen auf europäischer Ebene eine immer wichtigere Rolle. Das zeigt sich schon daran, dass sich auf dem Brüsseler Parkett eine Vielzahl von Verbänden und Vereinen tummeln, um die Interessen der unterschiedlichsten Patientengruppen zu vertreten. Darunter finden sich Vertretungen für Brustkrebspatientinnen, Selbsthilfegruppen für Krebskranke oder Patienten mit Herzkreislauferkrankungen, Demenz oder seltenen Krankheitsbildern, aber auch übergeordnete europäische Organisationen, wie das European Patients' Forum (EPF), dem 44 Patientenorganisationen angehören und das nach eigenen Angaben die Interessen von rund 150 Millionen Patienten in Europa vertritt.

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Klingt erfreulich: Politiker hören auf Patientenorganisationen

Mit Positionspapieren, Pressemitteilungen und Konferenzen versuchen die Interessenvertreter die Entwicklung von Therapiekonzepten, gesundheitspolitische Initiativen und Strategien sowie Gesetzgebungsprozesse zu beeinflussen. "Politiker hören auf sie, weil sie denken, man müsste die Perspektive der Patienten berücksichtigen", so die Journalisten Caroline Walter und Alexander Kobylinski in ihrem Werk "Patient im Visier: Die neuen Strategien der Pharmakonzerne" [1].

Doch so erfreulich dies auch klingen mag. Leider vertreten die Lobbyvereinigungen nicht immer nur die Interessen der Patienten, sondern mitunter auch die ihrer Finanzgeber aus der Industrie. Dies zeigt sich nach den Erfahrungen der ehemaligen SPD-Europaabgeordneten Karin Jöns zum Beispiel daran, dass die großen europäischen Patientenorganisationen nie die hohen Medikamentenpreise der Hersteller kritisieren oder sich für sinnvolle Behandlungsalternativen ohne Medikamente engagieren. "Sie fordern immer nur schnellen Zugang zu neuen Arzneien - ganz im Interesse der Industrie."

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Quelle: CreativCollection

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Kritik: Patientenverbände erhalten Gelder von Pharmafirmen

Auch Walter und Koblynski kritisieren: "Sie [gemeint sind Patientenorganisationen auf EU-Ebene, die Red.] sitzen bei wichtigen Diskussionen mit am Tisch, springen der Industrie oft kritiklos bei und sind in vielen Fällen alles andere als unabhängig." Weiter merken die beiden Autoren an: "Dass die Patientenorganisationen weitestgehend ein Sprachrohr der Pharmasponsoren und keine eigene kritische Stimme sind, wird nicht wahrgenommen. Man lässt sich dadurch blenden, dass die meisten Patientenverbände inzwischen ihre Sponsorensummen mehr oder weniger offen legen."

Wie hoch die Summen sind, die die Industrie Patientenverbänden für ihre Lobbyarbeit zur Verfügung stellen, belegen Recherchen des internationalen Gesundheitsnetzwerks Health Action International (HAI). HAI zufolge erhielten zwischen 2006 und 2008 zwei Drittel der Patientenorganisationen, die mit der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) in London zusammenarbeiten, Gelder von Pharmaunternehmen. Schwerpunkt der Kooperation bilden Aktivitäten in den für die Beurteilung von Humanarzneimitteln eingerichteten wissenschaftlichen Ausschüssen und Arbeitsgruppen.

Die Zuschüsse der Industrie machten zwischen 2 und 99 % der gesamten Finanzierung der jeweiligen Interessenvertretung aus. Dabei stieg der Anteil der Sponsorengelder von Jahr zu Jahr. Lagen die Zuschüsse 2006 noch bei durchschnittlich 185 500 Euro, betrugen sie 2008 bereits 321 230 Euro. Für seine Recherchen hatte HAI 23 Organisationen befragt und im Internet recherchiert.

Untersuchungen des europäischen Analyseinstituts Corporate Europe Observatory (CEO) stützen die These, dass sich viele EU-weit tätige Patientenorganisationen zu großen Teilen über die Industrie finanzieren. So erhält die International Alliance of Patients Organizations (IAPO) 97% ihrer Mittel von Pharmakonzernen und Unternehmen aus der Gesundheitswirtschaft.

Das European Patients' Forum (EPF) wiederum bestreitet der CEO-Studie zufolge 88 % seiner Einnahmen über die Industrie. Das EPF ist der Hauptansprechpartner der EU-Kommission bei der Entwicklung von gesundheitspolitischen Initiativen.

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Transparenz über Einnahmen ist nicht immer gewährleistet

Leider scheinen es einige Organisationen mit der Transparenz über ihre Einnahmen nicht allzu genau zu nehmen. So legten weniger als die Hälfte der 23 Verbände, die regelmäßig mit der EMA zusammenarbeiten, ausreichend dar, von wem sie zwischen 2006 und 2008 Mittel in welcher Höhe erhalten haben, wie die Studie von HAI ergab.

Ein Beispiel für die intransparente Interessenverquickung von Patienteninteressen und der Industrie ist die europäische Brustkrebsvereinigung Europa Donna. Die in zahlreichen Ländern aktive Organisation finanziert ihre Lobbyarbeit fast ausschließlich mit Geldern großer Pharmakonzerne wie Novartis, Hoffmann-La-Roche, GlaxoSmithKline oder Schering. Im Jahr 2007 leisteten der Dachorganisation gleich 9 Unternehmen finanziellen Beistand. Im Jahr davor waren es 5. Dies geht aus den Geschäftsberichten von Europa Donna hervor.

Die SPD-Politikerin Jöns hatte die europäische Vereinigung eine Zeit lang geleitet und sich als Abgeordnete des Europaparlaments vehement für eine bessere Brustkrebsversorgung in der EU eingesetzt. Als Parlamentarierin boxte sie beispielsweise einen europäischen Brustkrebsbericht samt Vorgaben für eine qualitätsgesicherte Arbeit von nationalen Brustkrebszentren durch. Darüber hinaus richtete sie eine fraktionsübergreifende Arbeitsgruppe zum Thema Brustkrebs im Europäischen Parlament ein.

2006 kam dann eine Diskussion über den Einfluss der Pharmaindustrie auf die Arbeit von europäischen Patientengruppen auf. Jöns berichtet, der Vorstand von Europa Donna habe jahrelang behauptet, dass die Vereinigung zu lediglich 30 % von Pharmafirmen finanziert worden sei. Als die SPD-Frau dann die Geschäftsberichte für die Jahre 2006 bis 2008 erhielt, sei sie schockiert gewesen, schreiben Walter und Kobylinski. Demnach wurden zwischen 86 bis über 90 % des Haushalts von Europa Donna durch Pharmagelder bestritten.

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Strengere Regeln zur Finanzierung von Interessenvertretungen

"Wir müssen in Europa noch stärker als in Deutschland darauf achten, dass Patientenselbsthilfegruppen wirklich für die Betroffenen sprechen", kommentiert der gesundheitspolitische Sprecher der größten Fraktion im Europäischen Parlament Dr. Peter Liese das Finanzierungsgebaren der Organisationen. "Denn", so Liese, "wess Brot ich es, des Lied ich sing." Der CDU-Politiker fordert daher eine stärkere Unterstützung von Patientenvereinigungen durch öffentliche Stellen und strenge Regeln für die Finanzierung der Interessenvertretungen durch die pharmazeutische Industrie.

Auch die Europäische Kommission weiß um das Problem. In einer Mitteilung zur Gesundheits- und Konsumentenschutzstrategie für die Jahre 2007 bis 2013 heißt es: "Patientengruppen und Nicht-Regierungs-Organisationen (NROs) im Gesundheitsbereich können aufgrund unzureichender Mittel aktuelle Schwierigkeiten haben, Initiativen auf europäischem Niveau zu entwickeln und ihre Organisationen zu stärken. [...] Die Kommission schlägt deshalb Organisationszuschüsse ebenso wie projektgebundene Mittel vor, um Grundfinanzierungen für bestimmte NROs, darunter Patientengruppen, bereitzustellen, damit sie ihre Organisationskapazitäten entwickeln und sich auf eine gesicherte Grundlage stellen können."

Gleichwohl fließen aus dem EU-Haushalt die Mittel bislang nur recht spärlich. Gelder in nennenswerter Höhe haben in den Jahren 2008 und 2009 nur 3 europaweit tätige Organisationen von der Europäischen Kommission erhalten. Dies waren die Europäische Multiple Sklerose Plattform, Alzheimer Europe und Eurodis, eine europäische Selbsthilfeorganisation für Patienten mit seltenen Erkrankungen.

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Unabhängiges, transparentes Auftreten für mehr Glaubwürdigkeit

Den Patientenvertretungen ist dabei durchaus bewusst, dass sie bei ihren Kontakten mit der Gesundheitsindustrie unabhängig und transparent auftreten müssen, um glaubwürdig zu bleiben. 16 auf der EU-Ebene tätige Interessenvertretungen haben sich daher Ende 2009 einen Kodex für den Umgang mit der Gesundheitsindustrie auferlegt.

Den Regeln zufolge verpflichten sich die Organisationen, ihre Geldquellen offenzulegen und der Öffentlichkeit jederzeit Zugang zu entsprechenden Dokumenten, wie Geschäftsberichte oder online-Informationen, zu gewähren. Ferner sollen die jeweiligen Anteile der Sponsoren am gesamten Finanzierungsaufkommen transparent gemacht werden. Um einseitige Abhängigkeiten zu vermeiden, sollen die Selbsthilfegruppen möglichst mehrere Finanzierungsquellen haben, betont François Houyez, Direktor Gesundheitspolitik bei Eurodis.

Auch die Europäische Arzneimittelagentur in London fordert, dass die Organisationen, die mit ihr zusammenarbeiten, ihre Finanzierung offenlegen und jede Verbindung zu Sponsoren aus der Industrie klar und deutlich kenntlich machen. So sehen es von der Agentur festgelegte Verfahrensregeln aus dem Jahr 2005 vor. Das Transparenzgebot betrifft sowohl die Nennung der Finanzierungsquellen als auch Angaben über die Höhe der gesponserten Gelder sowie deren Anteil am gesamten Finanzierungsvolumen. Jeder Interessenkonflikt mit der Industrie solle darüber hinaus der EMA offengelegt werden.

Doch auch die EMA scheint ihre eigenen Verfahrensregeln nicht wirklich ernst zu nehmen. Jedenfalls dürfen die Selbsthilfegruppen, die ihre Finanzierungsquellen nur unzureichend offengelegt haben, bislang weiter an Sitzungen der Agentur teilnehmen.

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Literatur

  • 1 Walter C, Kobylinski A. Patient im Visier: Die neuen Strategien der Pharmakonzerne. Hamburg: Hoffmann und Campe; 2010
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  • 1 Walter C, Kobylinski A. Patient im Visier: Die neuen Strategien der Pharmakonzerne. Hamburg: Hoffmann und Campe; 2010
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Quelle: CreativCollection

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