Mit modernen Antimykotika ist es heute möglich, invasive Mykosen rechtzeitig und effektiv
zu behandeln. Schwer kranke Patienten in der Hämatologie / Onkologie und in der Intensivmedizin
tragen grundsätzlich ein hohes Risiko, zusätzlich zu ihrer Grunderkrankung eine Pilzinfektion
zu entwickeln. Da typische Symptome meist fehlen, ist es wichtig, bei der mikrobiologischen
Diagnostik nicht nur auf die Suche nach Bakterien zu gehen, sondern unbedingt auch
nach Pilzen zu suchen. Wir sprachen mit Prof. Markus Ruhnke, Charité Berlin, über
den Umgang mit Mykosen und den lebensrettenden Fortschritt in der antimykotischen
Therapie.
? Haben Aspergillosen in den vergangen 20 Jahren zugenommen oder werden sie häufiger
entdeckt?
Prof. Ruhnke: Sicher ist es so, dass Aspergillosen heute aufgrund der allgemeinen Aufmerksamkeit
für Mykosen häufiger diagnostiziert werden, weil man bei Risikopatienten schon von
vornherein daran denkt und bestrebt ist, frühzeitig therapeutisch einzugreifen. Da
es in Deutschland keine Meldepflicht für Mykosen gibt, stehen keine aussagekräftigen
Daten zur Verfügung. Es sind eher "gefühlte" Daten, die darauf hinweisen, dass der
Schwerpunkt der Inzidenz von Mykosen bei den hämatoonkologischen und Intensivpatienten
liegt.
? Schimmelpilzinfektionen wie Aspergillosen haben noch immer eine hohe Letalitätsrate.
Gibt es Möglichkeiten, um das Risiko im Vorfeld einzuschätzen und ihm entgegenzutreten?
Prof. Ruhnke: Bei Patienten mit akuter Leukämie wird vielfach eine antimykotische Prophylaxe eingesetzt.
Entsprechende Studien haben diese Vorgehensweise bestätigt, was jedoch auch zu einer
gewissen Sorglosigkeit und weniger Diagnostik führt.
? Die Diagnostik von Schimmelpilzinfektionen wie Aspergillosen gestaltet sich immer
noch schwierig. Was wird im Verdachtsfall unternommen?
Prof. Ruhnke: Die Mikrobiologie ist zunächst die Grundlage, um einen Erreger zu identifizieren.
Dazu gehören der kulturelle Nachweis aus Sputum und Bronchiallavage sowie gleichzeitig
ein Aspergillus-Galaktomannan-Test. Dies gilt insbesondere für hämatoonkologische
Patienten, immunsupprimierte Transplantationspatienten und Intensivpatienten. Zusätzliche
Unterstützung bieten die bildgebenden Verfahren, sodass der Nachweis einer Aspergillusinfektion
relativ rasch vorliegt.
? Wie rechtzeitig muss eine Therapie sein, um die Infektion erfolgreich zu bremsen?
Prof. Ruhnke: Bei den hämatoonkologischen Patienten ist die leitlinienkonforme Vorgehensweise etabliert,
bei unklarer Lungenentzündung und Granulozytopenie von vornherein Voriconazol zu geben.
Damit ist eine frühe präemptive Therapie mit einem Breitspektrumantimykotikum sichergestellt.
In anderen Bereichen wird meist erst nach dem Erregernachweis mit der antimykotischen
Therapie begonnen.
? Wann und wie kommt es zu den sogenannten Durchbruchsinfektionen?
Prof. Ruhnke: Eindeutig ist diese Frage nicht zu beantworten. Zu vermuten sind mangelnde Erregerempfindlichkeit,
Resistenzen oder schwere Immunsuppression des Patienten. In diesem Fall müsste ggf.
die Substanzklasse geändert oder die Therapie eskaliert werden.
? Vor 9 Jahren wurde das Azolantimykotikum Voriconazol eingeführt und hat sich rasch
als der neuer Goldstandard etabliert. Hat sich der Umgang mit Aspergillosen seither
verändert und was bedeutet dies für die Patienten?
Prof. Ruhnke: Aufgrund seiner guten Verträglichkeit wird Voriconazol heute breit und viel früher
eingesetzt. Solange es nur Amphotericin B gab, war man mit der antimykotischen Therapie
aufgrund der erheblichen Nebenwirkungen sehr zögerlich. Seitdem es Voriconazol gibt,
ist die Zahl der Patienten, die eine Aspergillose überleben, deutlich gestiegen. Dies
konnten retrospektive Analysen aus zahlreichen Kliniken in Europa und USA nachweisen.
So hat sich beispielsweise die Prognose von stammzelltransplantierten Patienten signifikant
verbessert, wenn die antimykotische Therapie mit Voriconazol erfolgte.
? Gibt es heute Alternativen zu Voriconazol?
Prof. Ruhnke: Was die Wirksamkeit betrifft ist Posaconazol sicher ähnlich. Es gibt aber keine entsprechenden
Studien dazu, wie sie für Voriconazol vorliegen. Nur hier konnte der Nachweis zur
überlegenen Wirksamkeit eindeutig erbracht werden. Darüber hinaus ist Voriconazol
sowohl oral als auch parenteral verfügbar und somit auch bei schwerkranken Patienten
und bei Intensivpatienten, problemlos einsetzbar.
? Sie waren von 2005 bis 2008 Vorsitzender der Deutschsprachigen Mykologischen Gesellschaft
(DMykG e. V.). Was war aus Ihrer Sicht der wichtigste Meilenstein in der antimykotischen
Therapie in der letzten Dekade?
Prof. Ruhnke: In diesem Zeitraum war es eindeutig die Einführung neuer antimykotischer Substanzen,
die die therapeutischen Möglichkeiten bahnbrechend verändert haben. Dazu gehören die
Azole und die Echinocandine. Davor waren wir überwiegend damit beschäftigt die Toxizität
von Amphotericin B in Grenzen zu halten, was u. a. zur Entwicklung von liposomal verkapseltem
Amphotericin B geführt hat.
? 2010 wurden Sie mit dem Wissenschaftspreis / Forschungsförderpreis der DMykG ausgezeichnet.
Können Sie kurz beschreiben, welche wissenschaftliche Arbeit dem zugrunde liegt?
Prof. Ruhnke: Der Preis bezieht sich nicht auf eine Arbeit, sondern auf eine ganze Sammlung von
Forschungsarbeiten in Bezug auf Candida-Infektionen. Mein besonderes Anliegen ist
die interdisziplinäre Zusammenarbeit mit anderen medizinischen Fachbereichen, wie
sie vermutlich in wenigen anderen wissenschaftlichen Fachgesellschaften möglich und
auch erforderlich ist. Der Erreger sucht sich nicht nur eine Erkrankung aus, deshalb
müssen gemeinsame Konzepte entwickelt werden und darin sehe ich die wesentliche Aufgabe.
! Herr Professor Ruhnke, vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Gabriele Henning-Wrobel, Erwitte