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DOI: 10.1055/s-0031-1277626
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart ˙ New York
Fachtagung Kreuzfahrtmedizin, 9. Oktober 2010 – Erste Erfahrungen mit der Hamburger Seafarers' Lounge
Publication History
Publication Date:
21 April 2011 (online)
- Zwei Welten auf einem Schiff
- Traumjob auf Traumschiff?
- Erfahrungen in der Seafarers' Lounge
- Angebote für seelisches Wohlbefinden
- Positive Resonanz im ersten Jahr
- Ausbau des Angebots
Die Lebens- und Arbeitsbedingungen auf einem Kreuzfahrtschiff sind heute teilweise öffentlich. Es gibt immer wieder Reportagen im Fernsehen und Artikel darüber, wie es hinter der Fassade der Passagierwelt aussieht. Trotzdem lebt das Geschäft davon, einen Traum zu verkaufen, der noch nicht einmal für die Passagiere Realität ist. Die mehr oder weniger luxuriöse Welt der Passagiere wird von der harten Arbeitsrealität der Mitarbeiter strikt getrennt.
#Zwei Welten auf einem Schiff
Meine Kontakte auf Kreuzfahrtschiffen gestalten sich äußerst mühsam. Meine erste Hürde ist, dass mich der Agent des Schiffes auf die Gästeliste setzt. Die Hälfte meiner Besuche scheitert dann trotzdem an der Wache der Gangway, die mich wegen zu hoher Arbeitsbelastung nicht mit der Crew sprechen lässt. Wenn ich es zu den Seeleuten in die Messe schaffe, kommen Gespräche eher schwer zustande: Das hat mich einige Zeit gewundert. Inzwischen weiß ich, dass die Mitarbeiter mancher Schiffe in ihrem Arbeitsvertrag zur Verschwiegenheit verpflichtet werden.
Es gibt durchaus Kreuzfahrtfirmen, die einiges für das Wohl ihrer Arbeitskräfte tun. Positiv ist zurzeit der hohe Bedarf an Mitarbeitern auf immer größer werdenden Schiffen. Auch wächst bei den Firmen die Einsicht, dass sie selbst mit zufriedenem, langfristig gebundenem und qualifiziertem Personal am besten dran sind. Mittlerweile basieren viele Verträge auf den Richtlinien der Internationalen Transportarbeitergewerkschaft (ITF).
Die ITF hat in den letzten Jahren eine Verbesserung auf vielen Schiffen festgestellt. Demnach gilt häufig noch, was eine Studie zu Arbeitsbedingungen auf Kreuzfahrtschiffen "Sweatships - what it is like to work on board cruise ships" (Celia Mather für ITF, 2002) feststellte: "Below decks on many cruise ships is a hidden world of long hours, low pay, insecurity and exploitation."
Die beabsichtigte und funktionierende Trennung der Welten auf einem Schiff bewirkt, dass auch wir, die Mitarbeiter der Seemannsmission, nur einen begrenzten Einblick in die Arbeitsbedingungen haben. Deshalb beziehe ich mich im Folgenden auch auf Informationen aus Studien.
#Traumjob auf Traumschiff?
Die Kreuzfahrtwirtschaft erfreut sich großer Zuwachsraten. Zwischen 1980 und 2000 stieg die Zahl der Passagiere um 800 % an. Im Jahr 2010 gab es in Hamburg cirka 100 Anläufe mit rund 240 000 Passagieren und etwa 50 000 bis 60 000 Besatzungsmitgliedern. Von diesen sind im Schnitt 20 % Seeleute im technischen Sinn. Die restlichen 80 % gehören zum Bereich Service. Über 50 verschiedene Nationen können auf einem Schiff vertreten sein. Die größeren Gruppen haben manchmal eigene Sprecher gegenüber der Leitung.
Die Studien thematisieren häufig den hierarchischen und von der Herkunft abhängigen Charakter der Arbeitsbedingungen. Passagiere, die zu 85 % aus Nordamerika und Europa stammen, werden von Mitarbeitern bedient, die zu 80 % aus sich entwickelnden Ländern kommen.
Die Seeleute aus Europa und Nordamerika begründen ihre Wahl des Arbeitsplatzes in Interviews mit Interesse an fremden Ländern und dem Erwerb von Qualifikationen. Andere Nationalitäten nennen dagegen die Notwendigkeit, Geld zum Überleben zu verdienen. In vielen Ländern ruhen die Hoffnungen einer ganzen Großfamilie auf diesen jungen Leuten, sie aus der Armut zu bringen. Wenn nötig, nehmen sie zum Start der Seefahrtkarriere einen Kredit auf oder verschulden sich bei den Arbeitsvermittlern: Die Seeleute müssen manchmal einige Monate nur für deren Gebühren und ihr Flugticket zum Schiff arbeiten, sich anpassen und alle Missstände ertragen.
"Thanks for putting a store in hamburg passenger terminal. It really helps us filipino seamen to feel very much happy because we know, if there is seamen's mission you are safe", einer der ersten Einträge in das Gästebuch der Seafarers' Lounge, 2010. |
"There is something very old-fashioned, colonial even, about the way that cruise ships are organised. Or perhaps, it is simply a microcosm of the world economy today", aus ITF-Studie. |
Die hierarchisch geprägten Arbeitsbedingungen haben weitere Nachteile für die Seeleute:
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Offiziere und andere leitende Mitarbeiter erhalten nach etwa 4 Monaten Urlaub. Die Seeleute niedrigeren Ranges hingegen, meist aus ärmeren Ländern, arbeiten im Schnitt 9 Monate am Stück und haben in der Urlaubszeit anschließend keine vertragliche Bindung an das Unternehmen: Das bedeutet weder Urlaubsgeld, noch Krankenversicherung oder einen gesicherten Anschlussvertrag.
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Die ITF forderte 2003 für jeden Seefahrer mindestens 10 arbeitsfreie Stunden in einem Zeitraum von 24 Stunden. Das zeigt, dass "nur" 14 Stunden Arbeit pro Tag bereits ein Fortschritt wären.
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Etwa 95 % der Beschäftigten arbeiten 7 Tage die Woche.
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Die Mindeststandards - zum Beispiel für Kabinengröße und -ausstattung - im Seearbeitsübereinkommen des "International Labour Office (ILO)" gelten nicht für Passagierschiffe: Die meisten teilen sich eine Kabine mit 2 oder 3 Kollegen, während Seeleute auf Frachtschiffen heute normalerweise eine Einzelkabine haben.
Erfahrungen in der Seafarers' Lounge
Das Motto der Deutschen Seemannsmission lautet: "support of seafarers' dignity" - Unterstützung der Würde der Seeleute. Wir wollen damit deutlich machen, dass für uns und bei uns die Seeleute einmal nicht als Wirtschaftsfaktor angesehen werden. Wir möchten ihm oder ihr als Person begegnen. Es sind Menschen mit einer eigenen Geschichte, einer Familie und Freunden im Heimatland und mit Träumen, Hoffnungen oder Ängsten. Als Vertreter der Deutschen Seemannsmission sind uns Menschen aus allen Kulturen willkommen.
Auch in der Menschenmenge eines Kreuzfahrtschiffes gibt es Einsamkeit, das wissen wir mittlerweile aus vielen Gesprächen. Manchmal bilden sich innerhalb der Nationalitäten auch gute Kollegialität oder sogar Freundschaften aus. Bei schwierigen Gruppendynamiken gibt es jedoch nur wenige Ausweichmöglichkeiten. Unsere Kollegen der Seemannsmission in Venedig, die schon lange Erfahrungen mit Kreuzfahrtschiffen haben, berichten, dass es immer wieder Fälle von sexuellen Übergriffen auf Frauen gibt.
Es ist für Seeleute sehr schwierig, bei Missständen ihre Rechte einzufordern. Wer selbstbewusst auftritt und die Dinge offen legt, könnte sich schon bald ohne Anschlussvertrag zu Hause wiederfinden. Außerdem ist es schwer, Verantwortliche heranzuziehen. Für solche Fälle sind wir Ansprechpartner. Wo wir nicht weiterhelfen können, vermitteln wir auf Wunsch einen Kontakt zu den zuständigen Fachleuten. Unsere Angebote sind leicht zugänglich und entsprechen vielen Bedürfnissen der Seeleute.
#Angebote für seelisches Wohlbefinden
Seit Februar 2010 bieten wir auf den wenigen Quadratmetern eines Containers im Hamburger Kreuzfahrtterminal vor allem Kommunikationsmöglichkeiten für die Seeleute. Es gibt 3 Computer, mit denen sie kostenlos ins Internet gehen und E-Mails versenden können. Ein WLAN-Netz ermöglicht ihnen fast im ganzen Terminal, für eine geringe Gebühr online zu gehen. Im Container und in vielen Ecken des Terminals sieht man Seeleute ins Gespräch mit ihren Lieben zuhause vertieft, über Skype auch mit Blickkontakt. Dazu kommen sehr preiswerte Telefonverbindungen in viele Länder der Welt. Im kleinen Shop bieten wir Dinge günstig an, die Seeleute brauchen und an Bord nicht oder nur sehr teuer erwerben können, wie zum Beispiel Drogerieartikel. Vor allem aber versuchen wir, ihnen etwas zu bieten, das zum seelischen Wohlbefinden beiträgt, wie bestimmte Snacks oder liebe Dinge aus der Heimat. Wenn Schiffe häufig anlegen, besorgen wir auch gerne Gewünschtes auf Bestellung. Und natürlich und vor allem stehen unsere haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeiter als Ansprechpartner zur Verfügung.
#Positive Resonanz im ersten Jahr
Die Besucherzahlen der Seafarers' Lounge zeigen, dass es angenommen wird. Im Schnitt besuchten in der ersten Saison 20 % der Besatzungsmitglieder eines Schiffes diese Anlaufstelle. Dazu kommen noch Touristen, die auch willkommen sind, und Terminal-Mitarbeiter.
Für uns ist die Seafarers' Lounge ein Pilotprojekt. Bisher gibt es weltweit nur wenige Einrichtungen der Seemannsmission speziell für Seeleute von Kreuzfahrtschiffen. Meistens ist sie im Frachthafen vertreten, weit weg von den eher stadtnah gelegenen Terminals für Passagierschiffe. Aufgrund des Arbeitsdrucks in den Häfen können Seeleute diese Einrichtungen nur nutzen, wenn sie nahe beim Schiff liegen. Außerdem gab es auch bei unseren Mitarbeitern vorher die Vorstellung, das Leben auf Kreuzfahrtschiffen sei so angenehm, dass wir dort nicht gebraucht würden.
Die erste Saison hat gezeigt, dass ein großer Bedarf an Kommunikations- und Einkaufsmöglichkeiten besteht. Vor allem aber ist es wichtig, dass in der Lounge nicht die Bord-Hierarchie herrscht: Hier stehen die Seeleute im Mittelpunkt und sind willkommene Gäste der Stadt Hamburg. Kommen sie regelmäßig, kann ein Vertrauensverhältnis zu den Mitarbeitern der Lounge entstehen, das tiefer gehende Gespräche möglich macht.
#Ausbau des Angebots
Auch von Vertretern der Stadt und der hiesigen Kreuzfahrtwirtschaft wird der positive Beitrag der Seafarers' Lounge mittlerweile anerkannt. Wir hoffen deshalb, dass wir auf längere Sicht die nötige Unterstützung bekommen, um diese Arbeit aufrechtzuerhalten und auf das zweite Kreuzfahrt-Terminal auszudehnen.
Im Seemannsclub Duckdalben bietet das Porth Health Center unter Leitung von Frau Dr. Schlaich einmal in der Woche eine Sprechstunde für Seeleute an. Dort können sie sich vertraulich beraten lassen. Wir denken, dass so ein Angebot für die Seeleute von Kreuzfahrtschiffen auch sehr nötig wäre und hoffen, dass es sich dort irgendwann wird einrichten lassen.


Pastorin Heike Spiegelberg
Seemannspfarramt der Nordelbischen Ev.-Luth. Kirche, Hamburg
Email: nordelbien@seemannsmission.org


Pastorin Heike Spiegelberg