Der Klinikarzt 2011; 40(04): 209
DOI: 10.1055/s-0031-1279930
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Die Notwendigkeit der antibiotischen Vielfalt – Welche therapeutischen Optionen bietet Tigecyclin?

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Publikationsdatum:
16. Mai 2011 (online)

 
 
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    Priv.-Doz. Dr. Christian Eckmann

    Nosokomiale Infektionen erhöhen die Morbidität und Mortalität, verlängern den Klinikaufenthalt und sind mit Mehrkosten verbunden. Dabei gilt die wachsende Zahl multiresistenter Erreger als Hauptursache für Therapieversagen bei schweren Infektionen. Innovative Antibiotika werden dringend benötigt, wie Priv.-Doz. Dr. Christian Eckmann, Chefarzt der Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Thoraxchirurgie, Klinikum Peine, betont.

    ? Herr Privat-Dozent Dr. Eckmann, welche Erreger sind es, die die Antibiotikatherapie erschweren, und welchen Stellenwert haben diese Erreger bei Ihren Patienten?

    PD Dr. Eckmann: Im chirurgischen Krankengut sind es speziell Patienten mit schweren intraabdominellen Infektionen, bei denen die adäquate chirurgische Versorgung und die frühzeitig einsetzende, kalkulierte Antibiotikatherapie für das Überleben der Patienten entscheidend ist. Vor allem Patienten mit postoperativer oder tertiärer Peritonitis, die bereits im Vorfeld mit Antibiotika behandelt wurden, haben ein erhöhtes Risiko der Infektion durch resistente Erreger. Bei den grampositiven Bakterien bereiten Enterokokken mit oder ohne Vancomycin-Resistenz (VRE) besondere Therapieprobleme. Besorgniserregend ist weiterhin die Zunahme der Multiresistenz bei gramnegativen Erregern durch ESBL-bildende Enterobacteriaceae. Diese sind mittlerweile ubiquitär und nicht nur in Universitätskliniken zu finden. Darüber hinaus ist es auch in Deutschland schon zu Ausbrüchen von Infektionen gekommen, die durch Carbapenem-resistente Erreger verursacht wurden.

    ? Welche geeigneten Therapieoptionen existieren und wie sollten diese eingesetzt werden?

    Eckmann: Bei intraabdominellen Infektionen verfügt Tigecyclin über eine gute Wirksamkeit bei Enterokokken inklusive VRE. Bei Infektionen durch ESBL-Bildner werden häufig Carbapeneme eingesetzt. Der Einsatz von Tigecyclin im Wechsel mit Carbapenemen (sog. Mixing-Strategie oder "antibiotische Vielfalt") bei ESBL-Patienten soll den Selektionsdruck für Carbapenem-resistente Erreger verringern. Das Prinzip der antibiotischen Vielfalt ist einer von vielen Einzelschritten eines als "Antibiotic Stewardship" bezeichneten evidenzbasierten Maßnahmenbündels, das uns die noch wirk-samen Antibiotika längerfristig erhalten soll. Denn insbesondere zur Behandlung von Infektionen, die durch resistente gramnegative Erreger ausgelöst werden, werden auf absehbare Zeit keine neuen Antibiotika zugelassen werden.

    ? Wie bewerten Sie die kürzlich erfolgten Stellungnahmen von FDA und EMA?

    Eckmann: Die Stellungnahmen beruhen auf der Auswertung von 13 klinischen Studien in zugelassenen und nicht zugelassenen Indikationen, die eine erhöhte Gesamtmortalität von 4 % bei den mit Tigecyclin behandelten Patienten im Vergleich zu 3 % bei den Vergleichsantibiotika ergab. Es sollte betont werden, dass es bei den in Deutschland für Tigecyclin zugelassenen Indikationen der komplizierten intra-abdominellen (cIAI) Infektionen sowie Haut- und Weichgewebsinfektionen (cSSTI) keinen signifikanten Unterschied in der Gesamtsterblichkeit gab.Die europäische Arzneimittelbehörde EMA schlussfolgert, dass der Nutzen von Tigecyclin weiterhin größer ist als die Risiken. Die Ärzte werden darauf hingewiesen, dass Tigecyclin nur in den zugelassenen Indikationen (cIAI und cSSTI) anzuwenden ist und auch nur, wenn andere Medikamente "not suitable" (nicht verfügbar, nicht angemessen) sind. Eine Aussage über eine generelle Aufforderung zur "second line"-Therapie ist hieraus nicht zu entnehmen.

    ? Wie sind Ihre eigenen Erfahrungen zum Einsatz von Tigecyclin bei Patienten mit schweren nosokomialen Infektionen?

    Eckmann: Dr. K.-F. Bodmann, Prof. W. R. Heizmann und ich haben eine prospektive Beobachtungsstudie zur Behandlung schwerer Infektionen mit Tigecyclin geleitet. In einer mittlerweile publizierten Auswertung von 656 Patienten, deren mittlerer APACHE-II-Score mit 19 sehr hoch lag, konnten klinische Erfolgsraten von fast 80 % erreicht werden, was bei dem Schweregrad der Infektionen ein sehr guter Wert ist. Bei 50 % der Patienten wurde eine Kombinationstherapie von Tigecyclin mit einem anderen Antibiotikum durchgeführt. Wegen der Wirklücke gegenüber Pseudomonaden wurde Tigecyclin meist mit einem gegen Pseudomonas spp. wirksamen Medikament kombiniert.

    ? Wann und bei welchen Patienten sollten Antibiotika wie Tigecyclin aus Sicht des Chirurgen eingesetzt werden?

    Eckmann: Die Frage des "wann" ist einfach zu beantworten: so früh wie möglich. Bei Patienten mit septischem Schock, welcher vielen Statistiken zufolge zu ca. 30 % durch cIAI ausgelöst wird, steigt die Letalität bei Verzögerung einer adäquaten Antibiotikatherapie stündlich an. Es sind vor allem Patienten mit postoperativer (z. B. Nahtinsuffizienz nach Rektumresektion) oder tertiärer Peritonitis (z. B. persistierende Infektion der Peritonealhöhle trotz Herdsanierung), die von einer Therapie mit Antibiotika profitieren, deren Spektrum auch resistente Erreger mit einschließt. Carbapeneme und Tigecyclin sind daher Medikamente, die in den unlängst publizierten Empfehlungen der Paul-Ehrlich-Gesellschaft genau bei diesen intraabdominellen Krankheitsbildern zur empirischen Therapie empfohlen werden. Bakterien sind klein, aber nicht dumm, wie kürzlich in einem Übersichtsbeitrag zu Recht betont wurde. Infektionen, die durch resistente Erreger verursacht sind, werden in den nächsten Jahren weiter ansteigen. Wir brauchen Substanzen wie Tigecyclin, um diesen "intelligenten" Gegnern etwas entgegen setzen zu können.

    ! Herr Dr. Eckmann, wir bedanken uns für das Gespräch.


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    Priv.-Doz. Dr. Christian Eckmann