physiopraxis 2011; 9(5): 14-15
DOI: 10.1055/s-0031-1280575
physiowissenschaft

Wissenschaft Kommentiert – Kopfschmerzen: Test entlarvt zervikale Ursache

Andreas GattermeierRudolf Raschhofer
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Publication Date:
20 May 2011 (online)

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Haben Patienten zervikogene Kopf schmerzen, ist auch ihre HWS-Rotation eingeschränkt. Das bestätigt eine Studie. Die Physiotherapeuten Andreas Gattermeier und Rudolf Raschhofer meinen: diese Untersuchung ist hochwertig und praxisrelevant.

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Physiotherapeutischer Hintergrund

Unter Kopfschmerzen leidet ein großer Teil der Bevölkerung. Es gibt viele verschiedene Formen, unter anderem den zervikogenen. Dieser ist exakt definiert und hat seinen Ursprung im muskuloskeletalen System. Die Prävalenz liegt zwischen 2,5 und 4 % [1].

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Fragestellung

Toby Hall und Kollegen un tersuchen primär, ob es einen Zusammenhang gibt zwischen dem Auftreten und der Inten sität zervikogener Kopfschmerzen und einer Rotationseinschränkung der Kopfgelenke, gemessen mit dem FlexionRotationsTest (FRT) (Abb.). Normal sind 45° Rotation beidseits.

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Flexions-Rotations-Test entlarvt Rotationsdefizit: Der Therapeut beugt die HWS maximal und rotiert den Kopf dann passiv zu beiden Seiten. (Foto: MCTA)

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Einschlusskriterien

Die Probanden muss ten die Kriterien von Sjaastad und Kollegen [2] für zervikogenen Kopfschmerz erfüllen:

  • > unilaterale Kopfschmerzen

  • > dazu Nackenschmerzen mittlerer Intensität

  • > Schmerzen intermittierend und immer auf derselben Seite

  • > HWS-Bewegungen beeinflussen Symptome

  • > Symptome seit mehr als 3 Monaten, wenigstens eine Kopfschmerzepisode pro Woche

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Ausschlusskriterien

Patienten konnten nicht an der Studie teilnehmen, wenn ihre Symptome nach den Kriterien der Internatio nal Headache Society einer anderen Kopf schmerzform zugeordnet werden konnten. Ausgeschlossen wurden sie auch, wenn sie aufgrund von Sprachproblemen nicht in der Lage waren, zu kommunizieren, oder wenn man bei ihnen den FRT nicht durchführen konnte.

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Studiendesign

Empirische Studie, der Untersucher war verblindet.

Kommentar

Lange bezweifelten vor allem die Neurologen, dass Funktionsstörungen der HWS zu Kopf schmerzen führen können [1]. Die Diagnose „zervikogener Kopfschmerz“ ist aufgrund der heterogenen Pathophysiologie schwierig zu stellen und basiert vor allem auf klinischen Symptomen. Da zudem viele Patienten gleich zeitig unter verschiedenen Kopfschmerzfor men leiden, ist eine korrekte Klassifizierung schwierig [1]. Erst Sjaastad legte den Grund stein für eine verlässliche Eingruppierung.

Manuelle Therapie hat hohen Stellenwert > Funktionsstörungen in der HWS–vor allem der oberen–können zu Kopfschmerzen führen. Als Grund dafür vermutet man die Konvergenztheorie. Sie geht davon aus, dass muskuloskeletale Störungen nozizeptive Afferenzen in den Nervenwurzeln C 1-C 3 aus lösen, mit denen auch der spinale Kern des N. trigeminus verbunden ist. Da somit beide Afferenzen auf gleicher Höhe in der HWS kon vergieren, ist die anatomische Grundlage für einen weitergeleiteten Schmerz gegeben. Der Kopfschmerz ist also ein weitergeleiteter Schmerz aus der HWS. Damit erklärt man sich auch die Wirksamkeit manualtherapeutischer Techniken, die bei zervikogenen Kopfschmer zen zum Einsatz kommen. Dass die Manuelle Therapie in deren Diagnostik und Behandlung einen hohen, evidenzbasierten Stellenwert hat, ist unter anderem dem Studienautor Toby Hall zu verdanken, der bereits mehrere Stu dien zu diesem Thema publiziert hat.

Flexions-Rotations-Test ist einfach und spezifisch > Man geht davon aus, dass man mit dem FRT zuverlässig die Mobilität zwi schen Atlas und Axis messen kann [1]. Die Au toren dieser Studie haben nun versucht, die Intensität der Kopfschmerzen in Zusammen hang mit dem FRT zu bringen. Die Ergebnisse weisen klar darauf hin, dass eine solche Ver bindung existieren könnte. Der FRT eignet sich damit sowohl zur Dokumentation des Behandlungsverlaufs als auch zur Differenzial diagnostik zwischen zervikogenem Kopf schmerz, anderen Kopfschmerzformen wie Mi gräne und asymptomatischen Probanden [2].

In ihrer Diskussion führen die Autoren jedoch an, dass immerhin 22 % der Teilnehmer keine Bewegungseinschränkung beim FRT hatten. Daher stellt sich die Frage, ob der Test tatsächlich nur die hochzervikale Rotation misst oder ob der gemessene Bewegungsaus schlag auch zusätzlich Segmenten der unteren HWS zugeordnet werden kann. Das könnte die fehlende Bewegungseinschränkung erklä ren. Denn nach gängiger Meinung von Fach leuten [2, 3, 4] ist eine maximale Rotation zwi schen C 1 und C 2 nur möglich, wenn durch eine Seitneigung von C 0/C 1 zur Gegenseite die Alarligamente entspannt werden. Das müsste nach unserer Meinung unbedingt be rücksichtigt werden, um die Spezifität des FRT zu gewährleisten. Auch eine Untersuchung an Gruppen mit unterschiedlichen Kopfschmerz formen sollte durchgeführt werden, bevor der FRT als Referenztest für zervikogenen Kopf schmerz eingeführt wird. Ebenso muss die Validität der diagnostischen Kriterien der International Headache Society (IHS) für die Subklassifikation „Cervicogenic Headache“ noch weiter untersucht werden.

Fazit: sehr gute, praxisnahe Studie > Hall und Kollegen haben eine sauber doku mentierte und qualitativ hochwertige Stu die zu einem sehr wichtigem Thema publi ziert. Sie liefert interessante, praxisrelevante Ergebnisse und bietet zudem die Möglich keit, bisherige Strategien in der Behandlung von Kopfschmerzen zu hinterfragen.

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Andreas Gattermeier ist Instruktor im KalternbornEvjenth Konzept, Abteilungsleiter Therapie in der Rehaklinik Rosen hof in Bad Birnbach/Deutschland und hat die fachwissen schaftliche Leitung beim Masterstudiengang „Musculoskele tal Physiotherapy“ an der DonauUni Krems (Österreich).

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Rudolf Raschhofer, MSc, ist leitender Physiotherapeut am Institut für Physikalische Medizin und Reha AKH in Linz, Österreich, und Instruktor im KaltenbornEvjenthKonzept.

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Intervention

An der Studie nahmen 72 Pa tienten mit zervikogenen Kopfschmerzen und 20 Gesunde teil. Die Kopfschmerzintensität wurde mittels eines Fragebogens zu Schmerz stärke, Dauer, Frequenz und weiteren Anam nesedaten gemessen und anhand eines Index von 0–100 notiert. Bei allen Probanden führte ein Untersucher den FRT in Rückenlage zwei mal durch. Beim ersten Mal schätzte er das Bewegungsausmaß, beim zweiten Mal maß er es mithilfe eines „FloatingKompass“. Litt einer der Teilnehmer während des ersten Un tersuchungstermins unter Kopfschmerzen, so testete man ihn zu einem späteren, schmerz freien Zeitpunkt noch einmal.

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Ergebnisparameter

Die primären Ergeb nisparameter waren, ob und inwieweit die Intensität der Kopfschmerzen und das Bewe gungsausmaß beim FRT zusammenhängen.

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Ergebnisse

Das Bewegungsausmaß beim FRT war in der Kopfschmerzgruppe auf der symptomatischen Seite geringer als in der Kontrollgruppe. Das Rotationsausmaß, nor malerweise rund 45° pro Seite, war auf der be troffenen Seite deutlich kleiner, wenn die Pa tienten während des Tests unter Kopfschmer zen litten. Je größer die Schmerzen waren, desto geringer war das Bewegungsausmaß. Bei dieser Stichprobe hatte der Test eine Sensi tivität von 0,78 und eine Spezifität von 0,85.

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Schlussfolgerung

Intensität und Dauer zer vikogener Kopfschmerzen beeinflussen das Be wegungsausmaß der HWS signifikant. Mit dem FRT lassen sich Therapieergebnisse bei Patien ten mit zervikogenem Kopfschmerz prüfen.

Hall TM, Briffa K et al. The relationship between cervicogenic headache and impairment determined by the flexion-rotation test. J Manipulative Physiol Ther 2010; 33: 666–671

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Flexions-Rotations-Test entlarvt Rotationsdefizit: Der Therapeut beugt die HWS maximal und rotiert den Kopf dann passiv zu beiden Seiten. (Foto: MCTA)

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Andreas Gattermeier ist Instruktor im KalternbornEvjenth Konzept, Abteilungsleiter Therapie in der Rehaklinik Rosen hof in Bad Birnbach/Deutschland und hat die fachwissen schaftliche Leitung beim Masterstudiengang „Musculoskele tal Physiotherapy“ an der DonauUni Krems (Österreich).

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Rudolf Raschhofer, MSc, ist leitender Physiotherapeut am Institut für Physikalische Medizin und Reha AKH in Linz, Österreich, und Instruktor im KaltenbornEvjenthKonzept.