physiopraxis 2011; 9(5): 36-39
DOI: 10.1055/s-0031-1280587
physiotherapie

Inlineskates in der Physiotherapie – Rollen und Gleiten

Astrid Nedbal
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Publication Date:
20 May 2011 (online)

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Wer denkt, Inlineskating ist nur ein Freizeitvergnügen, der irrt. Auf den Skates lassen sich Ausdauer, Koordination und Rückenmuskulatur effektiv und abwechslungsreich trainieren – draußen wie drinnen. Das macht Spaß und motiviert.

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Astrid Nedbal ist Physiotherapeutin und gehört seit 2011 zum Team von physiopraxis. Sie selbst hat Inlineskating in der Trainingstherapie bei Dirk Scharler kennengelernt und danach in der Rehabilitation von Patienten eingesetzt. Sie hat erlebt, wie viel Spaß und Abwechslung es bringt, die Skates therapeutisch zu nutzen.

Montagmorgen. Alfons Maier schnappt seine Inlineskates und macht sich gespannt und gut gelaunt auf den Weg zu seiner Physiotherapeutin Susanne. Sie hat von seinem Hobby Inlineskating erfahren und will mit ihm nun koordinativ auf vier Rollen trainieren. Vor acht Wochen riss er sich das vordere Kreuzband beim Sport. Niemals hätte er gedacht, dass er seine Skates so schnell nach der Operation aus dem Keller holen kann. Vielmehr war er darauf eingestellt, sich monatelang nicht beim Sport an der frischen Luft auspowern zu können – die Höchststrafe für den sportbegeisterten Alfons Maier.

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Beinachsentraining auf Rollen

In Deutschland betreiben einige Millionen Menschen Inlineskating als Freizeitsport. Vielen wird es wie Herrn Maier gehen, wenn sie durch eine Verletzung sportlich eingeschränkt sind und zur Reha müssen: Für sie ist ein muskuläres Aufbautraining an Geräten meist langweilig und wenig motivierend. Inlineskates hingegen bieten ihnen eine willkommene Abwechslung. Diese lassen sich wunderbar in der Therapie einsetzen – in den Praxisräumen und der Natur. Zu Beginn der Heilungsphase darf sich der Patient zwar noch nicht darauf austoben, doch er bekommt so das Gefühl, auf einem guten Weg zu sein.

Inlineskates können die physiotherapeutische Behandlung nach nahezu sämtlichen Verletzungen und operativen Eingriffen an der unteren Extremität, die mit einer Instabilität und Muskelschwäche einhergehen, ergänzen und unterstützen. Sie eignen sich hervorragend, um die Koordination zu verbessern und die Beinachse zu stabilisieren. Ähnlich wie ein Wackelbrett oder ein Therapiekreisel bieten Skates einen instabilen Untergrund, haben jedoch den großen Vorteil, dass man vom statischen Einbeinstand bis zum einbeinigen Gleiten trainieren kann. Sie ermöglichen somit eine zunehmende Dynamisierung im geschlossenen System. Um koordinativ mit Inlineskates zu trainieren, braucht es lediglich zwei Voraussetzungen: einen glatten Boden und einige Meter Platz.

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Dynamisch koordinieren

Da das Training im Inlineskate eine wirklich wacklige Angelegenheit ist, empfiehlt es sich, dass der Patient den Skate nur am betroffenen Bein anzieht und der Therapeut sichernd dabeibleibt. Mit einem Inlineskate kann das neuromuskuläre System auf unterschiedlichste Art und Weise gefordert werden – beispielsweise im Einbeinstand. Zum Einstieg eignet sich ein Untergrund mit hohem Rollwiderstand, zum Beispiel eine dünne Matte. Gelingt es dem Patienten, sicher im Skate zu stehen und die Beinachse zu stabilisieren, erhöht der Therapeut das Niveau: Er verzichtet auf die Matte, lässt die Augen schließen oder den Schuh lockern. Sind die statischen Übungen keine Herausforderung mehr, schaffen dynamische neue: Einbeinig das Knie beugen und im Raum gleiten ist eine ganz schön knifflige Sache.

Eine etwas umständlichere Art, den Schwierigkeitsgrad zu verändern, stellt die Wahl der Rollengröße dar. Kleinere Rollen von 60–65 mm verlagern den Körperschwerpunkt näher zum Boden, wodurch der Stand stabiler wird. Will man das Training erschweren, wählt man 78–82 mm große Rollen.

Der Vorteil von Inlineskates: Sie ermöglichen eine zunehmende Dynamisierung im geschlossenen System. #

Eine wacklige Angelegenheit an der Beinpresse

Alfons Maier freut sich, dass Physiotherapeutin Susanne die Inlineskates in seine Rehabilitation einbezieht. Den Skate ans operierte Bein geschnallt, geht?s an die Beinpresse. Dort drückt er einbeinig das Gewicht weg und achtet dabei konzentriert darauf, die korrekte Stellung des Beins im wackligen Schuh zu halten. So können Patienten ein Krafttraining mit propriozeptiven Übungen kombinieren. Das Bewegungsausmaß, in dem sie trainieren, richtet sich nach der Art der Verletzung und dem Heilungsstadium. Ist die Bodenplatte der Beinpresse verstellbar, kann der Therapeut bestimmte Muskelgruppen betonen. So profitiert beispielsweise der am vorderen Kreuzband operierte Alfons Maier von einer eher flach eingestellten Bodenplatte. Denn dadurch erhöht sich die Rolltendenz des Inlineskates nach ventral, und die dorsale Muskelkette muss stabilisierend dagegenhalten.

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Abb. 1Vielseitig einsetzbar: Inlineskating trainiert unter anderem die Ausdauer. Teleskopstöcke bringen dabei das Herz-Kreislauf-System zusätzlich auf Trab. (Alle Fotos des Artikels: S. Oldenburg)

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Abb. 2Gut fürs Kreuz: Skates eignen sich auch für ein Rückentraining. Ist die Rückenmuskulatur noch schwach, kann die Patientin sie entlasten – durch eine aufrechte Oberkörperposition oder Teleskopstöcke.

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Abb. 3Vorneige: Eine starke Rückenmuskulatur erlaubt es, mit der Zeit den Oberkörper immer weiter zu neigen und dabei die Wirbelsäule zu stabilisieren.

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Abb. 4Letzte Stufe: Ist der Rücken gut trainiert, verzichtet die Patientin auf die Stöcke und skatet wie ein Eisläufer.

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Abb. 5 Der Einbeinstand auf einer Matte fällt im geschlossenen Skate noch recht leicht. Um die Übung zu erschweren, kann die Patientin die Augen schließen, einbeinig Kniebeugen durchführen, den Schuh öffnen oder ohne Matte trainieren.

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Abb. 6 Je weiter der Inlineskate geöffnet ist, umso schwieriger ist es, die Beinachse zu stabilisieren. Anfangs hilft ein Stab dabei, das Gleichgewicht zu halten.

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Abb. 7 Sind die ersten Übungsstufen gemeistert, wartet die nächste Herausforderung: einbeinig durch den Raum gleiten.

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Abb. 8 An der Beinpresse trainiert die Patientin Kraft und Koordination zugleich: Beim Beugen und Strecken des Kniegelenks muss sie gleichzeitig die Fußposition halten.

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Den Skilangläufern abgeschaut

Je stabiler das Bein von Alfons Maier wird, desto mehr zieht es ihn wieder nach draußen. Das Verlangen, seinen Kreislauf mal wieder richtig zu fordern, ist groß. Am Ende seiner Reha bietet Therapeutin Susanne ihm deshalb ein Ausdauertraining in einer Inlineskate-Gruppe an.

Menschen, die sich in einer späten Rehabilitationsphase befinden oder die ihr Herz-Kreislauf-System in Schwung bringen wollen, können dafür ebenfalls die Inlineskates nutzen. Ausgerüstet mit Gelenkschützern, Teleskopstöcken und Helm kann es mit dem Skaten im Freien losgehen: Zuerst wärmen sich die Teilnehmer mit koordinativen Übungen auf, damit sie später beim schnellen Skaten die Beinachse kontrollieren können. Dazu gleiten sie einbeinig, schnüren den Schuh immer weiter auf und üben den Stockeinsatz. Klappt es, die Arm- und Beinbewegungen zu koordinieren, geht es mit dem Training los. Falls es für die Teilnehmer unterwegs zu anstrengend wird, unterbrechen sie den Stockeinsatz einfach für ein paar Minuten.

Skaten wie ein Eisschnellläufer trainiert die Rückenstrecker in höchstem Maße. #

Starker Rücken bei flottem Tempo

Udo Schmitt hat keine Probleme mit seiner Beinachse und Ausdauer, sondern leidet unter Rückenschmerzen. Das stundenlange Sitzen im Büro und die fehlende Bewegung machen ihm zu schaffen. Gerne würde er sich an der frischen Luft bewegen und so einen Ausgleich haben. Auch er kann vom Inlineskating profitieren: Zu Beginn des Rückentrainings skatet er in aufrechter Haltung mit langen Teleskop stöcken, die mindestens bis zur Achsel reichen. Das macht er so lange, bis es ihm gelingt, seine Wirbelsäule in physiologischer Mittelposition zu halten. Ist dies der Fall, bringt er seinen Rumpf immer mehr in Vorneige und kann allmählich auf die Stöcke verzichten. In einer Position wie beim Eisschnelllaufen angelangt, sind seine Rückenstrecker ziemlich gefordert, um die Wirbelsäule zu stabilisieren. Will er zudem die seitlichen Rumpfmuskeln wie den M. latissimus dorsi stärken, ereicht er dies durch einen intensiven Stockeinsatz in halbhoher Position.

Inlineskates bringen nicht nur Abwechslung in den therapeutischen Alltag. Mit ihnen zu trainieren macht auch Spaß und motiviert Patienten. Beachtet man einschränkende Faktoren wie Schmerzen und die Belastungsfähigkeit der verschiedenen Gewebe, ist Inlineskating ideal, um Hobby und Therapie zu vereinen.

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Astrid Nedbal ist Physiotherapeutin und gehört seit 2011 zum Team von physiopraxis. Sie selbst hat Inlineskating in der Trainingstherapie bei Dirk Scharler kennengelernt und danach in der Rehabilitation von Patienten eingesetzt. Sie hat erlebt, wie viel Spaß und Abwechslung es bringt, die Skates therapeutisch zu nutzen.

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Abb. 1Vielseitig einsetzbar: Inlineskating trainiert unter anderem die Ausdauer. Teleskopstöcke bringen dabei das Herz-Kreislauf-System zusätzlich auf Trab. (Alle Fotos des Artikels: S. Oldenburg)

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Abb. 2Gut fürs Kreuz: Skates eignen sich auch für ein Rückentraining. Ist die Rückenmuskulatur noch schwach, kann die Patientin sie entlasten – durch eine aufrechte Oberkörperposition oder Teleskopstöcke.

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Abb. 3Vorneige: Eine starke Rückenmuskulatur erlaubt es, mit der Zeit den Oberkörper immer weiter zu neigen und dabei die Wirbelsäule zu stabilisieren.

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Abb. 4Letzte Stufe: Ist der Rücken gut trainiert, verzichtet die Patientin auf die Stöcke und skatet wie ein Eisläufer.

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Abb. 5 Der Einbeinstand auf einer Matte fällt im geschlossenen Skate noch recht leicht. Um die Übung zu erschweren, kann die Patientin die Augen schließen, einbeinig Kniebeugen durchführen, den Schuh öffnen oder ohne Matte trainieren.

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Abb. 6 Je weiter der Inlineskate geöffnet ist, umso schwieriger ist es, die Beinachse zu stabilisieren. Anfangs hilft ein Stab dabei, das Gleichgewicht zu halten.

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Abb. 7 Sind die ersten Übungsstufen gemeistert, wartet die nächste Herausforderung: einbeinig durch den Raum gleiten.

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Abb. 8 An der Beinpresse trainiert die Patientin Kraft und Koordination zugleich: Beim Beugen und Strecken des Kniegelenks muss sie gleichzeitig die Fußposition halten.