tk 2011; 7(04): 92-96
DOI: 10.1055/s-0031-1280611
Fachartikel
© Enke Verlag in MVS Medizinverlage Stuttgart GmbH & Co. KG

Einsatz von Arzneimitteln, Futterzusatzstoffen und Futtermitteln bei Angstproblemen

Wirkstoffe, Wirkungen und Einsatzgebiete bei Hund und Katze
Celina del Amo

Subject Editor:
Further Information

Publication History

Publication Date:
19 December 2011 (online)

 

In der Verhaltenstherapie für Hund und Katze können bestimmte Wirkstoffe die Therapie sinnvoll unterstützen bzw. ermöglichen. Wir nehmen für Sie passende Wirkstoffe und Indikationen näher unter die Lupe.


#
Zoom Image

In bestimmten Situationen bereiten Hunde und Katzen ihren Haltern mitunter Last durch Verhaltensauffälligkeiten. Oft werden sie dann in der Praxis vorgestellt mit dem Wunsch, dem Tier zu helfen und sein Verhalten zu beeinflussen.

Grundsätze der Verhaltenstherapie

Die fachgerechte Herangehensweise bei Fragestellungen zum Thema Verhaltensproblematik ist grundsätzlich wie folgt:

Schritt 1: Gründliche allgemeine klinische Abklärung des Tieres, um eine gesundheitliche Ursache (z.B. Schmerzen, Infektionen, hormonelle Imbalanzen) für die Verhaltensänderung sicher ausschließen zu können.

Schritt 2: Verhaltensmedizinische Abklärung des Tieres durch auf diesem Gebiet ausgebildete Personen (inkl. der Beurteilung des Ausdrucksverhaltens, der Kontrolle der Haltungsbedingungen, des täglichen Beschäftigungslevels und des Umgangs mit dem Tier sowie der Einschätzung des Gefahrenpotentials). Anhand der erhobenen Daten wird dann ein individueller Therapieplan erstellt, der sowohl Anteile der klinischen Behandlung (Einsatz von Medikamenten zur Heilung/Linderung einer körperlichen Erkrankung, hormoneller Imbalanz oder Störung im Neurotransmitterhaushalt), verhaltenstherapeutische Übungen, Managementmaßnahmen als auch generelle Umstellungen in Bezug auf die Haltung, Beschäftigung oder Umgangsform mit dem Tier umfassen kann.


#

Therapie von Angstpatienten

Bei der Therapie von Angstproblemen ist die Kombination verhaltenstherapeutischer Maßnahmen mit einer gezielten Pharmakotherapie dann sinnvoll bzw. notwendig, wenn die verhaltenstherapeutischen Maßnahmen (inkl. Management) alleine nicht ausreichen, um das Problem zu lösen.

Das häufige Erleben von Angst stellt eine schwerwiegende psychische Belastung des Tieres dar und erfüllt den Zustand des Leidens. Therapiemaßnahmen, die nicht innerhalb weniger Wochen zu einer deutlichen Linderung der Angst führen sowie Haltungsformen, in denen schwere oder besonders häufig Angst ausgelöst wird, sind als tierschutzrelevant zu betrachten.

Ziel der Therapie ist die Linderung des Angstgefühls (Anxiolyse). Zur Auswahl stehen angstlösende Beruhigungsmittel (Anxiolytika) und Psychopharmaka sowie weitere Substanzen wie z. B. Nahrungsergänzungen, Futtermittel und Pheromone (s.u.).

ACHTUNG: Da jede Form der Anxiolyse auch zu enthemmtem Verhalten führen kann, ist im Einzelfall sorgfältig zu prüfen, ob dadurch nicht evtl. Gefahren entstehen können.

Neuroleptika (z.B. Acepromazin) sind in einer Angstsituation nicht Mittel der Wahl! Diese Medikamente gehören zu einer anderen Wirkstoffgruppe als die Anxiolytika und wirken hauptsächlich muskelrelaxierend (muskelentspannend). Neuroleptika legen das Tier „lahm“, bewirken jedoch nicht den Zustand von psychischem Wohlbefinden. Konkret bedeutet dies für das Tier: Es hat unter Umständen weiterhin (starke) Angst und wirkt nur deshalb ruhig, da es sich aufgrund der Medikamentenwirkung nicht mehr (gut) bewegen kann. Dies führt auf lange Sicht (z.B. beim wiederholten Einsatz bei Geräuschängsten) zu einer Verschlechterung der Ausgangslage, weil das Tier dem Angstereignis mangels Training schutzlos und durch die Medikamentenwirkung zudem handlungsunfähig gegenüber steht.


#

Arzneimittel für den Angstpatienten

Für den Einsatz im Rahmen der tiermedizinischen Verhaltenstherapie stehen 2 erprobte Wirkstoffgruppen zur Verfügung: Benzodiazepine und Psychopharmaka. Bei beiden Medikamenten ist zu beachten, dass ältere Patienten weniger Medikamente benötigen und dass diese nur bei ausreichender Leber- und Nierenfunktion gegeben werden dürfen.

Benzodiazepine

Diazepam

Mittel der Wahl für Hund und Katze vor einem kurzen vorhersehbaren Angstereignis. Die Verabreichung sollte in Ruhe bzw. ruhiger Umgebung erfolgen, der volle Wirkungseintritt wird innerhalb der ersten 15-45 Minuten erreicht und hält für ca. 3-4 Stunden an. Nachdosierungen sind möglich, es besteht jedoch bei adipösen Patienten die Gefahr der Kumulation, d.h. das Medikament sammelt sich im Fettgewebe an, wird langsam abgebaut und die Wirkung hält länger an. Diazepam ist aufgrund der kurzen Wirkdauer nicht für einen therapiebegleitenden Einsatz geeignet.

Unerwünschte Nebenwirkungen in Bezug auf das Verhalten: Torkeln, Müdigkeit, Appetitsteigerung, Lerneinbußen, Orientierungsschwächen, Unzuverlässigkeit im Gehorsam (d.h. kein Freigang oder Freilauf während des Behandlungszeitraumes!).

Dosierung Hund: 0,5-2,0 mg/kg KGW

Dosierung Katze: 0,1-1,0 mg/kg KGW

Spezieller Hinweis: Für Diazepam sind bei der Katze als seltene Nebenwirkung spontane Lebernekrosen (Absterben von Leberzellen) beschrieben.

Alprazolam

Alprazolam ist das Mittel der Wahl vor einem vorhersehbaren länger andauernden Angstereignis und direkt nach einem Angstereignis.

Alprazolam ist ein sehr potentes Anxiolytikum, daher muss bei längerer therapiebegleitender Gabe auf ein besonders langsames Ausschleichen geachtet werden, um ein erneutes Aufkommen der Ängste nach Abschluss der Therapie zu vermeiden. Beim Einsatz nach einem Angstereignis spielt die Zeitspanne zwischen dem Angstereignis und der Verabreichung des Arzneimittels die entscheidende Rolle: je kürzer umso besser. Beim Einsatz nach einem angstauslösenden Ereignis bewirkt Alprazolam, dass Informationen nicht in gewohnter Art und Weise abgespeichert werden und eine Art retrograde Amnesie entsteht, d.h. ein Zustand mit einem temporären Gedächtnisverlust für zurückliegende Ereignisse.

Alprazolam kann in niedrigen Dosierungen auch zu Beginn einer Therapie eingesetzt werden, wenn die Ängste sehr stark sind und auf keinem anderen Weg Zugang zum Patienten gefunden werden kann.

Alprazolam macht Hunde und Katzen sehr „albern“, d.h. die Tiere verhalten sich dadurch ungehemmter und man sollte ihnen Freigang oder Freilauf aus Sicherheitsgründen verwehren. Alprazolam führt zu einer deutlichen Appetitsteigerung und kann daher in Einzelfällen aggressives Verhalten in Bezug auf Futterressourcen auslösen.

Dosierung Hund: 0,02-0,2 mg/kg KGW (bei längerem Einsatz alle 8 Stunden) Dosierung Katze: 0,0125-0,2 mg/kg KGW (bei längerem Einsatz alle 8 Stunden)

Zoom Image
Abb. 1 Deutlich erkennbare ängstliche Anspannung beim Hund.

#

Psychopharmaka

Die beiden für Hunde zugelassenen Wirkstoffe Clomipramin und Selegilin sind ausschließlich für die Verwendung in Kombination mit einer Verhaltenstherapie konzipiert und eignen sich nicht zum kurzfristigen, alleinigen Einsatz. Die Auswahl und der Einsatz als therapiebegleitende pharmakologische Unterstützung gehört unbedingt in die Hände erfahrener Fachleute.

Die gleichzeitige Gabe von Clomipramin und Selegelin ist strengstens kontraindiziert, weil beide Medikamente an verschiedenen Stellen im ZNS ansetzen und bei gleichzeitigem Einsatz unvorhersehbar negative Wirkungen entstehen können.

Praxisbeispiel zur Therapie der Geräuschangst
  • A) Ein Tier ist als geräuschempfindlich bekannt und wird vor einem definierten Geräuschereignis (z.B. einem Feuerwerk) vorgestellt.

    Therapiemaßnahmen: Einsatz eines Benzodiazepins + Umsetzung von gezielten Managementmaßnahmen für die Situation.

  • B) Ein Tier wird ohne Zusammenhang zu einer akuten oder lange Zeit vor einer bevorstehenden Geräuschangst-Situation vorgestellt und als geräuschempfindlich beschrieben.

    Therapiemaßnahmen: Verhaltenstherapeutische Übungen, ggf. therapiebegleitender Einsatz eines Psychopharmakons sowie in der akuten Situation ggf. in Kombination mit einem Benzodiazepin + Managementmaßnahmen.

Managementmaßnahmen für Angstprobleme können auf der Homepage der Autorin unter www.lupologic.de heruntergeladen werden.

Tab. 1

Vergleich anxiolytisch wirksamer Arzneimittel

Benzodiazepine

Psychopharmaka

Haupteinsatzgebiet

akute starke Angst, vorhersehbares Angstereignis (z. B. Silvester)

generalisierte Ängstlichkeit, langfristige Therapiebegleitung bei schweren Angststörungen

Wirkungseintritt

sehr schnell

mehrwöchige Anflutungszeit

Wirkungsstärke

stark/sehr stark

gering/mittel

Wirkungsmechanismus

Bindung an hemmenden Rezeptor im Zentralnervensystem

je nach Präparat unterschiedliche Ansatzpunkte im Bereich der Neurotransmitter (Botenstoffe zw. den Nervenenden)

Nebenwirkungen

- Sedation (dosierungsabhängig)
- Appetitsteigerung
- Lerneinschränkungen

- abhängig vom Präparat, z. B. vorübergehende Appetitlosigkeit

Suchtpotential

hoch

je nach Präparat +/-

Ausschleichen erforderlich

bei einem Behandlungszeitraum von mehr als 3 Tagen ja, ggf. über einen sehr langen Zeitraum (bis zu 10 Wochen!); bei einem zu schnellen Absetzen können starke und nachhaltige Ängste ausgelöst werden

je nach Präparat +/-
Ausschleichen über 7-14 Tage ist in aller Regel ausreichend

Besonderheiten

paradoxe (widersprüchliche) Erregung möglich; beim therapiebegleitenden Einsatz Kombination mit verhaltenstherapeutischen Übungen erforderlich

als alleinige Maßnahme nicht zur Problemlösung geeignet (Kombination mit Übungen zwingend erforderlich)

Clomipramin

Clomipramin kann bei schweren Ängsten als begleitende Maßnahme zur Verhaltenstherapie eingesetzt werden. Die Anflutungszeit beträgt 4-6 Wochen, d. h. nach 4-6 Wochen wirkt das Medikament erst in vollem Umfang.

Die Behandlungsdauer umfasst mehrere Monate und ein ausschleichendes Absetzen ist empfehlenswert.

Dosierung Hund: 1-3 mg/kg KGW 2 x tägl.

Clomipramin ist für die Katze nicht zugelassen, kann jedoch in Einzelfällen eingesetzt werden (Dosierung bei der Autorin zu erfragen).

Spezielle Hinweise: Zu Beginn der Therapie sind Sedation und Appetiteinbußen möglich, häufig werden außerdem gastrointestinale Nebenwirkungen beobachtet. In schweren Angstfällen ist die vorübergehende Kombination mit einem Benzodiazepin möglich.

Selegilin

Einsatzgebiet für Selegilin sind ebenfalls schwere Ängste. Dosierung Hund: 0,5 (-1) mg/kg KGW 1 x tägl. Die Anflutungszeit beträgt 4-6 Wochen.

Selegelin ist bei der Katze nicht zugelassen, kann jedoch in Einzelfällen eingesetzt werden (Dosierung bei der Autorin zu erfragen).

Spezielle Hinweise: Das Medikament ist in den meisten Fällen gut verträglich, jedoch sehr bitter. Da der Behandlungszeitraum oft viele Monate umfasst, sollte darauf geachtet werden, die Tabletten gut in Futter versteckt zu verabreichen, um eine höhere Akzeptanz zu erreichen. Beim Absetzen ist kein Ausschleichen erforderlich. Bei schweren Ängsten sind Kombinationen mit Benzodiazepinen möglich.


#
#

Nahrungsergänzungen

Auch natürliche Stoffe können angstlösende Wirkung haben, die Effekte sind jedoch deutlich milder als beim Einsatz von Medikamenten und reichen als alleiniges Therapeutikum meist nur bei leichten Angst- und Stresszuständen aus.

α-Casozepin

Der Wirkstoff α-Casozepin (ein Milcheiweißbaustein) bindet sich an bestimmte Rezeptoren im ZNS und wirkt dadurch anxiolytisch. Der Wirkungseintritt wird schnell erzielt, jedoch sind die Veränderungen eher subtil, sodass eine erkennbare Wirkung in Form einer milden Anxiolyse und einer hierdurch allgemein etwas höheren Stressstabilität oft erst nach 10-14 Tagen auffällt.

α-Casozepin hat kein Suchtpotential und die Gefahr einer unerwünschten Enthemmung mit nachfolgender Aggression ist extrem gering.

Dosierung für Hunde und Katzen (z.B. Zylkene®): 15 mg/kg

KGW, 1 x tägl.

Besonders günstig ist der Einsatz vor (milden) vorhersehbaren Stresszuständen wie z.B. Silvester (bei mäßiger Aufregung), vor einem Umzug oder der Unterbringung in einer Pension. Obwohl α-Casozepin langfristig eingesetzt werden kann, ist es sinnvoller, den Wirkstoff bei länger dauerndem Einsatz mit Verhaltenstherapie und anderen Maßnahmen zu kombinieren.

L-Tryptophan

L-Tryptophan ist als essentielle Aminosäure (muss mit Nahrung zugeführt werden) ein wichtiger Baustein des Neurotransmitters Serotonin.

Serotonin ist der wichtigste Neurotransmitter in der Großhirnrinde des Stirnhirns. Dieser Teil des Gehirns ist für „kluges, planvolles Handeln“ und alle intensiven Denkprozesse und somit auch für das Lernen von neuen Informationen erforderlich. Für den Einbau dieses Nahrungsbestandteils in den Neurotransmitter muss jedoch ein striktes Fütterungsregime eingehalten werden: Unter Alltagsbedingungen ist diese Art der konsequenten Fütterung sehr schwierig, sodass es meist einfacher ist, eine Kombination von L-Tryptophan mit Vitamin B6 als Tablette (z.B. Relaxan®) zu verabreichen. Beim Einsatz dieses Produktes ist darauf zu achten, dass es zusammen mit leichtverdaulichen Kohlenhydraten (z.B. Nudeln, Reis, Kartoffeln) gegeben wird, um eine optimale Wirkung zu erzielen. So wird ausreichend L-Tryptophan bei gleichzeitigem Verzicht auf die Zuführung von Tyrosin (Mais) gefüttert. Die Dosierung erfolgt nach Packungsangabe des Herstellers.


#

Futtermittel

α-Casozepin und L-Tryptophan sind als Kombination in einem speziellen Alleinfuttermittel für erwachsene Katzen und Hunde bis 15 kg erhältlich (z.B. Calm®). Als therapieunterstützende Maßnahme ist eine Fütterung über mehrere Monate (ggf. auch länger) sinnvoll, als alleinige Therapiemaßnahme bei schweren Angstproblemen ist es anxiolytisch jedoch nicht ausreichend wirksam.


#

Pheromone

Pheromone spielen bei Tieren in der innerartlichen Kommunikation häufig eine wichtige Rolle und können als nebenwirkungsfreie therapiebegleitende Maßnahmen in der Verhaltensmedizin eingesetzt werden. Einsatzgebiete für Hunde- und Katzenpheromone sind Unsicherheit und Stress.

Für Hunde gibt es die synthetische Formulierung des Dog Appeasing Pheromons (kurz D.A.P.), das in speziellen Drüsen in der Zitzenumgebung gebildet wird. Beim Saugen an der Milchbar der Mutterhündin werden die Welpen ständig mit diesem „Duftstoff“ konfrontiert. In den ersten 5 Lebenswochen (der Kernphase des Säugens) stehen Welpen unter dem vorherrschenden Einfluss des Parasympathikus, der als Anteil des vegetativen Nervensystems für Ruhe und Entspannung verantwortlich ist. Das Pheromon ist daher für alle Hunde, die in den ersten 5 Wochen gesäugt wurden, ein sogenannter Geborgenheitsreiz, der auch später im Leben eine Erinnerung an den Zustand von Wohlbefinden auslöst.

Für Katzen ist ein Produkt auf dem Markt, das in synthetischer Form 4 Komponenten des Pheromons enthält, das Katzen in speziellen Drüsen im Wangenbereich bilden und diesen „Duftstoff“ im Rahmen ihres Markierverhaltens (sog. „Köpfchengeben“) einsetzen. Dieses Verhalten zeigen Katzen nur im Zustand von Wohlbefinden. Sie markieren mit diesem Pheromon z.B. Gegenstände in ihrem Kernrevier - also dem Teil ihres Reviers, in dem sie sich sicher und geborgen fühlen. Durch die Anwendung im Wohnbereich wird das Sicherheitsgefühl der Katze unterstützt.

Online zu finden unter:

http://dx.doi.org/10.1055/s-0031-1280611


#
#

Anschrift der Autorin:

Celina del Amo
Lupologic GmbH - Zentrum
für angewandte Kynologie und
klinische Ethologie

www.lupologic.de

Zoom Image
Zoom Image
Abb. 1 Deutlich erkennbare ängstliche Anspannung beim Hund.