Pneumologie 2011; 65(08): 454-456
DOI: 10.1055/s-0031-1283298
Pneumo-Fokus
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Lungenheilkunde in Berlin-Buch - Vom Tuberkulose-Forschungsinstitut zur Evangelischen Lungenklinik

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Publication Date:
10 August 2011 (online)

 
 

Seit 1950 stehen in Berlin-Buch Patienten mit Lungenkrank-heiten im Fokus: Das ehemalige Tuberkulose-Forschungs-institut (FLT), heute Evangelische Lungenklinik (ELK), blickt auf 60 Jahre erfolgreiche Arbeit zurück.

Vor 60 Jahren wurde das Tuberkulose-Forschungsinstitut (FLT) in Berlin-Buch gegründet und Dr. Paul Steinbrück zum Direktor des Institutes berufen. Grund für die Einrichtung eines zentralen Instituts für die Tuberkulosebekämpfung war die epidemiologische Situation nach Ende des Zweiten Weltkrieg , die sich trotz des aufopferungsvollen Einsatzes der Tuberkulose-Ärzte nicht in dem Maße verbessert hatte, wie erwartet. Zwar hatten der Befehl 297 der Sowjetische Militäradministration in Deutschland (SMAD) vom 03.10.1946 und die darauf basierenden gesetzlichen Maßnahmen der Landesregierungen zu einer Reduzierung der Todesfälle an Tuberkulose geführt, doch konnte von einer entscheidenden Einflussnahme auf die epidemiologische Entwicklung nicht die Rede sein. Im Gründungsjahr der DDR 1949 wurden noch 107 227 Neuerkrankungen an Tuberkulose registriert, das entsprach einer Inzidenz von 537 auf 100 000 Einwohner. Die Zahl der Todesfälle war mit 106,9 auf 100 000 erheblich höher als im Deutschen Reich im Jahre 1938 (62/100 000).

Die Gründung des Instituts erfolgte, unter dem Eindruck dieser alarmierenden Zahlen, im Zusammenhang mit der Umgestaltung und Verstaatlichung des Gesundheitswesens. Nach längerer Standortsuche entschied man sich für den Wiederaufbau der im Krieg zerstörten Häuser auf dem Gelände des Hufeland-Komplexes in Berlin-Buch. An das neu errichtete Institut wurde die bereits bestehende städtische Tuberkulose-Klinik angeschlossen, sodass im klinischen Bereich insgesamt 250 Betten für die konservative und chirurgische Behandlung der Tuberkulose zur Verfügung standen. Der Forschungs- und Laborbereich bestand aus den Abteilungen Bakteriologie, Pathophysiologie, Pathologie, Biochemie und Biophysik. Für die Tuberkulose-Surveillance wurde eine Abteilung für Statistik, Epidemiologie und Meldewesen etabliert. Später wurde auch eine Arbeitsgruppe zur Raucherprävention ins Leben gerufen. Für alle Bereiche des Instituts konnten von Beginn an erfahrene Ärzte und Wissenschaftler gewonnen werden, die in gemeinsamer Arbeit das Ziel verfolgten, die Tuberkulose als Volkskrankheit zu beseitigen.

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Die Evangelische Lungenklinik in Berlin-Buch: Moderne Lungenheilkunde in historischen Gebäuden (Bild: privat/Wiesner).

Verbindung von Klinik und Wissenschaft bewährt sich

Das Leitinstitut für die Tuberkulose-Bekämpfung in der DDR hatte die Aufgabe, die Tuberkulose-Epidemiologie zu überwachen und die Bekämpfungsmaßnahmen in den verschiedenen Ebenen zu kontrollieren. Es war für die Organisation und die Bewertung der BCG-Impfaktionen (Impfungen mit dem Lebendimpfstoff Bacille Calmette-Guérin; bereits 1958 wurden 88,2 % aller Neugeborenen geimpft) und der Röntgen-Reihenuntersuchungen zuständig und war später in die von der International Union Against Tubercolosis (IUAT) eingeleiteten Chemotherapiestudien eingebunden. Dabei hat sich die unmittelbare Verbindung von Klinik und wissenschaftlichen Abteilungen hervorragend bewährt. Besondere Beachtung fanden die Arbeiten zur Bakteriologie der Tuberkulose, die Untersuchungen zur Biotransformation der antituberkulotischen Chemotherapeutika und zu deren Nebenwirkungen sowie die Untersuchungen zur Epidemiologie nicht tuberkulöser Lungenkrankheiten (MOTT).

Im klinischen Bereich wurden neue Medikamente unter strengster Überwachung eingesetzt und alle damals noch üblichen lokalen Behandlungsmethoden der Lungentuberkulose durchgeführt. Das hier entwickelte Beatmungsbronchoskop (H. Friedel / H. Becker) stellte mit den darauf aufbauenden Diagnostik- und Behandlungsmethoden eine neue Dimension in der Bronchologie dar. Nach der Entwicklung der Glasfasertechnik in der Endoskopie standen frühzeitig Importgeräte zur Verfügung, die anfangs besonderen Krankheitszuständen vorbehalten waren. Depositionsuntersuchungen von Aerosolen führten zu Empfehlungen für die Herstellung neuer Systeme. Alle Forschungsaufgaben des Fachgebiets waren im Forschungsprojekt Lungenkrankheiten gebündelt, das vom Institut geleitet wurde.

Die Ergebnisse der einzelnen Bereiche des Institutes, wurden auch auf internationalen Kongressen präsentiert. Aufgrund ihrer wissenschaftlichen Leistungen wurden Mitarbeitern des Instituts auch die Mitgliedschaft und die direkte Mitarbeit in internationalen Gesellschaften und in der IUAT ermöglicht.

Mit dem Rückgang der Tuberkulose traten die nicht spezifischen chronischen Lungenkrankheiten und das Lungenkarzinom in den Vordergrund. Besondere Aufmerksamkeit wurde den chronisch-entzündlichen Lungenkrankheiten, den Lungenfibrosen und arbeitsmedizinischen Fragestellungen gewidmet. Die Änderung der Prioritäten in den Aufgaben führte zur Änderung des Namens in "Forschungsinstitut für Tuberkulose und Lungenkrankheiten", später dann in "Forschungsinstitut für Lungenkrankheiten und Tuberkulose" (FLT), unter dem es weithin bekannt war. Die Aufgaben der Tuberkulose-Überwachung blieben dabei weiter im Institut verankert.

Das Institut wurde bis 1979 von Paul Steinbrück geleitet. Er schied dann aus Altersgründen aus und übergab die Leitung an Walter Schilling. Unter dessen Leitung blieb das Konzept des Instituts weitestgehend erhalten. Die inhaltliche Aufgabenstellung wurde entsprechend der Situation in der Epidemiologie der Lungenkrankheiten und der Entwicklung der Diagnostik und Behandlung aktualisiert und erweitert. Das erforderte eine Modernisierung und Erweiterung der Methoden und Techniken und führte zur Etablierung neuer Abteilungen und Arbeitsgruppen wie Immunologie/Allergologie und pulmonale Hämodynamik. In diesem Zusammenhang konnte auch die Langzeit-Sauerstoff-Therapie bei Patienten mit COPD und Lungenfibrosen durch die neu entwickelten Sauerstoffkonzentratoren (die anfangs noch importiert werden mussten) verbessert und nach und nach in die Hän-de der ambulant tätigen Pneumologen gelegt werden.

Die jahrelange enge Zusammenarbeit mit der IUAT führte zur Etablierung des Büros der Europäischen Region der IUAT am Institut. Damit wurden die ausgezeichneten Leistungen im Kampf gegen die Tuberkulose und Lungenkrankheiten, die hier erbracht wurden, noch einmal besonders gewürdigt. Die Tuberkulose-Inzidenz betrug im Jahre 1990 nur noch 15,2/100 000 Einwohner, die Zahl der Todesfälle lag bei 0,9/100 000. Für viele wurde das Institut der Ausgangspunkt für eine erfolgreiche Tätigkeit in anderen Klinken und Einrichtungen des Fachgebiets Lungenkrankheiten und Tuberkulose.


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Neuorganisation nach der Wende

Mit der Wiedervereinigung wurde die Existenz des Instituts in der bestehenden Form trotz der jahrelangen erfolgreichen Arbeit in Frage gestellt. Nach einer kurzen Überbrückungszeit wurde die bestehende Einrichtung in eine Klinik umgewandelt, und die Forschungsabteilungen wurden verselbständigt oder ausgelagert. In der schwierigen Übergangsphase war von 1990 bis Ende 1991 Udo Smidt als Sprecher des Vorstandes beratend und überaus hilfsbereit tätig. Mit einem umfassenden Umbau und einer neuen Ausstattung wurde die Klinik modernisiert und als Fachkrankenhaus für Lungenheilkunde und Thoraxchirurgie (FLT) unter diakoni-scher Trägerschaft weitergeführt. 1992 übernahm Jürgen Lichey die Leitung der Klinik für Pneumologie und Claus Engelmann war als Leiter der Klinik für Thoraxchirurgie und Ärztlicher Direktor bis zu seinem Ausscheiden 2003 tätig.

In diesen Zeitraum fällt die Neuorientierung der Lungenklinik als Zentrum für thorakale Tumoren, welches u. a. durch die Zertifizierung als Lungenkrebszentrum der Deutschen Krebshilfe 2009 anerkannt wurde. Gunda Leschber leitet seit 2004 die Klinik für Thoraxchirurgie und setzte als besonderen Schwerpunkt der Klinik den Einsatz von videoassistierten Verfahren in der thoraxchirurgischen Diagnostik und Therapie um. Als eines der ersten 3 Zentren in Deutschland wurde die Klinik für Thoraxchirurgie 2008 als Thoraxchirurgisches Zentrum der Deutschen Gesellschaft für Thoraxchirurgie zertifiziert. Die chirurgische Expertise in der Lungenklinik erfährt internationale Wertschätzung und Frau Leschber amtiert von 2010 bis 2011 als erste Präsidentin der Europäischen Thoraxchirurgischen Gesellschaft.

2006 wurde die Klinik in Evangelische Lungenklinik (ELK) umbenannt. Der zunehmenden Bedeutung der Behandlung der schwergradigen respiratorischen Insuffizienz im stationären Bereich und der nicht invasiven Beatmungsverfahren wurde im selben Jahr durch die Gründung eines Weaning-Zentrums Rechnung getragen. Heute stellt die Diagnostik und Behandlung von Patienten mit schwerer respiratorischer Insuffizienz eine wesentliche Säule der Patienten-Versorgung dar. Ergänzt wird die kontinuierliche Betreuung der Patienten mit obstruktiven Atemwegserkrankungen seit 1989 durch ein Alpha-1-Antitrypsin-Zentrum. Mit Beginn der Tätigkeit von Christian Grohé 2007 in der Klinik für Pneumologie setzt sich die ELK neben den o. g. aus insgesamt 4 Abteilungen zusammen (Radiologie, Leitung: Dag Wormanns; Anästhesie, Leitung: Hartmut Brestrich). Gemeinsam wurde in den letzten Jahren der Notwendigkeit Rechnung getragen, dass eine kompetente klinische Ausbildung auf eine breit angelegte und relevante Erforschung der Atemwegserkrankungen mittels eines Studiensekretariats zurückgreifen muss.


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Poliklinisches Konzept

Der demografische Wandel wird kunftig eine starke Zunahme von Atemwegserkrankungen verzeichnen. Die Behandlung der Patienten erfordert eine weitere Verzahnung der ambulanten und stationaren, teilweise palliativen Betreuung der Patienten, z.B. in der speziellen ambulanten Palliativversorgung (SAPV). Dieser Blick in die Zukunft ist auch ein Blick zuruck und erinnert an das poliklinische Konzept der Lungenklinik, welches sich heute in der engen Kooperation mit den niedergelassenen Kollegen in naherer und weiterer Entfernung wiederfindet. Lungenheilkunde heute wie gestern erfordert ein stetiges Hinterfragen der Sinnhaftigkeit des arztlichen Handelns; in diesem Sinne soll den Bedurfnissen unserer Patienten immer Rechnung getragen werden. Vorraussetzung fur dieses Handeln und 60 Jahre erfolgreiche Arbeit und in der Zukunft ist ein kollegiales Miteinander und Austausch - allen Mitarbeitern sei Dank.

Prof. Christian Grohe, Berlin
PD Dr. Bernhard Wiesner, Bad Berka


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Die Evangelische Lungenklinik in Berlin-Buch: Moderne Lungenheilkunde in historischen Gebäuden (Bild: privat/Wiesner).