Dialyse aktuell 2011; 15(06): 318-322
DOI: 10.1055/s-0031-1284776
Magazin
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Patientenberatung – 7. Expertenseminar für Pflegekräfte in der Peritonealdialyse

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Korrespondenz

Christa Tast
PHV-Der Dialysepartner Dialysezentrum Stuttgart-RoBoKH
Auerbachstraße 110
70376 Stuttgart-RoBoKH

Publication History

Publication Date:
25 July 2011 (online)

 
 

Im Jahr 2010 fand zum siebten Mal ein Expertenseminar für Pflegekräfte in der Peritonealdialyse statt. In 5 Städten wurde das gleiche Thema mit verschiedenen Referenten behandelt.

Besonderheiten der Beratung aus Sicht erfahrener Pflegekräfte

Eines der Themen war "Besonderheiten der Beratung aus Sicht erfahrener Pflegekräfte". Die Teilnehmer aus Bielefeld, Hamburg, Leipzig, Limburg und Stuttgart haben hierzu ein gemeinsames Papier verabschiedet, welches als Grundlage für die präterminale Beratung dienen soll. Alle Seminarteilnehmer hatten langjährige Erfahrungen mit der Peritonealdialyse und waren in die Beratung von Patienten eingebunden. Herzlichen Dank an die Kollegen für die konstruktive Mitarbeit. Folgende Themen wurden diskutiert:

  • Gedanken und Überlegungen zu den Hintergründen und dem Umgang mit chronisch nierenkranken Menschen

  • Anforderungen an die Pflegekraft

  • organisatorische Aspekte

  • Stolperfallen in der Beratung

  • Basis einer guten Beratung

  • Checkliste der Beratung (Abb. [1])

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Abb. 1 Checkliste der Beratung und Themen der präterminalen Beratung über PD.

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Überlegungen zum Umgang mit chronisch Nierenkranken

Im Umgang mit Patienten ist es hilfreich, die folgenden Hintergründe zu bedenken. Diese treten in der Beratung nicht immer offen zutage, bestimmen aber das Geschehen mit.

  • Die chronische Nierenerkrankung hat Auswirkungen auf alle Lebensbereiche der betroffenen Menschen. Hierzu gehören die Familie, das soziale Umfeld, die Berufstätigkeit, Freizeitaktivitäten etc. Ob die Auswirkungen als belastend empfunden werden, ist ein individuelles Erleben der Betroffenen.

  • Für die Betroffenen besteht die Notwendigkeit, sich zwischen 2 Therapien entscheiden zu müssen – eigentlich möchten sie nur gesund sein (Entscheidung zwischen "Pest und Cholera").

  • Endgültigkeit der Entscheidung (Dialysepflicht): Die emotionalen Folgen und Gefühlszustände, die dieser Erkenntnis folgen, können mit denen eines sterbenden Menschen verglichen werden. Kurz gesagt: Hier stirbt ein Teil des Menschen. Die Patienten sind von vielfältigen Verlusterlebnissen betroffen, zum Beispiel dem Verlust von Vitalität, Leistungsfähigkeit, der Fähigkeit, unbeschwert essen und trinken zu können etc.

  • Patienten wissen in der Regel nicht, dass ein Wechsel der Behandlungsverfahren möglich ist. Das heißt, selbst wenn sie mit der HD (Hämodialyse) beginnen, so ist ein Wechsel zur PD (Peritonealdialyse) oder von der PD zur HD jederzeit möglich. Eine Information hierüber kann die Entscheidung für ein Verfahren erleichtern. Den Betroffenen ist dann bewusst, dass es auch dann noch Alternativen gibt.

  • In der Begleitung ist es wichtig, dass Patienten "ihr Gesicht wahren" können. Unter Umständen kann dies bedeuten, dass man bestimmte Themen bei diesem Patienten nicht ansprechen kann und einen Kollegen bitten muss, das Gespräch zu übernehmen. Ist ein männlicher Patient beispielsweise im selben Alter wie die behandelnde weibliche Pflegekraft, kann es je nach Beziehung ungünstig sein, wenn sie ihn auf Beziehungsschwierigkeiten oder eine erektile Dysfunktion anspricht. Hier wäre es sinnvoll eine dritte Person einzuschalten (weitere Beispiele: Hilfsbedürftigkeit, Schwäche, Mann/Frau sein, stark und autark sein).

  • Versteht mich mein Gegenüber? Es ist sinnvoll, sich immer wieder rückzuversichern, dass der Patient einen verstanden hat. Gerade solche Informationen, die für einen selbst zum Alltagsgeschäft gehören und völlig selbstverständlich erscheinen, verleiten zu schnellen Darstellungen.

  • Ist die Heimdialyse in den Tagesablauf einplanbar? Ist das ohne Einbußen und Veränderungen möglich? Was bedeuten die strukturellen Veränderungen für die Betroffenen? Erfragen Sie immer wieder, wie der Patient zu den notwendigen Änderungen steht.

  • ästhetisches Problem: Sexualität, Attraktivität (akzeptiert der Partner den "Schlauch"?)

  • Es geht nicht nur um medizinische Fakten, sondern um die Bedeutung der Therapie auf das Leben des Patienten. Hier ist es zum Beispiel nicht wichtig, dass eine Patientin ganz genau versteht, wie die Dialyse über das Bauchfell funktioniert. Aber es ist wichtig zu wissen, dass der Beutelwechsel meistens 4-mal täglich erfolgen muss.

  • Existenzielle Sorgen dominieren ein Gespräch: Hat der Patient Angst vor sozialem Abstieg, Arbeitslosigkeit und Armut, so prägen diese Sorgen das Gespräch und haben Vorrang vor anderen Themen.


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Anforderungen an die Pflegekraft

Folgende Anforderungen werden an eine Pflegekraft gestellt:

  • Jedes Gespräch mit einem Patienten oder Angehörigen ist ein professionelles Gespräch!

  • Entscheidung ermöglichen versus Entscheidung treffen: Jeder Mensch hat seine eigenen Werte und darf seine eigenen Entscheidungen treffen. In der Beratung zu Behandlungsverfahren kann es sinnvoll sein, dass man als Pflegekraft seine Eindrücke und seine Meinung einbringt. Entscheidend ist, dass man deutlich macht, was der persönliche Eindruck ist und dass der Patient sich zu jeder Zeit anders entscheiden darf. Hilfreich ist es für Patienten häufig, wenn ich aus meiner Erfahrung heraus Angebote mache und diese dann mit der Individualität des Betroffenen verknüpfe, zum Beispiel: "Sie haben mir … von sich erzählt. Aus meiner Erfahrung heraus und wenn ich das mit dem, was Sie gesagt haben, verknüpfe, würde ich Ihnen folgendes vorschlagen… . Es bleibt Ihnen aber unbenommen, sich anders zu entscheiden und Sie müssen auch keine Bedenken haben, dass ich Ihnen das übel nehmen würde. Da dürfen Sie ganz sicher sein."

  • Beratung durch erfahrene Patienten anbieten und fördern

  • Angehörige einbeziehen: Die Befürchtungen der Familienmitglieder sollten in der Begleitung sehr ernst genommen werden. Ist beispielsweise die Ehefrau der Meinung, dass das ganze Material keinen Platz in der Wohnung hat, so muss dieses Thema angesprochen werden. Es geht um ein Abwägen der Pros und Contras.

  • Beratungsgespräche: Stellen Sie sich dem Patienten vor, erklären Sie, was geplant ist, fragen Sie, ob dies gewünscht wird, laden Sie die Angehörigen ein, legen Sie den Termin und den Zeitrahmen fest und erstellen Sie ein Protokoll.

  • Inhalt der Beratung festlegen (Checkliste erstellen)

  • Fachkompetenz der beratenden Pflegekraft ist notwendig, aber Sie müssen nicht alles wissen! In der Vorbereitung auf ein Beratungsgespräch lesen Sie die Akte und frischen Ihre Kenntnisse über die Grunderkrankung etc. auf.

  • Empathie, Ehrlichkeit und Humor sind wertvolle Charaktereigenschaften einer beratenden Pflegekraft.

  • Achtsamkeit: Konzentration der beratenden Pflegekraft auf das Hier und Jetzt: Der Patient und seine Angehörigen sind im Fokus der Aufmerksamkeit. Ablenkungen und Störungen müssen so gut wie möglich vermieden werden.

  • Alter, Verständnisschwierigkeiten und Sprachprobleme der Patienten berücksichtigen

  • Setting (Lebenswelten) der Patienten kennenlernen: Familie, Religion, Beruf, Sport, Reisen und häusliche Umgebung bei einer Empfehlung berücksichtigen

  • Empfehlung an Patienten im Vorfeld mit Empfehlung des Arztes absprechen – unterschiedliche Empfehlungen sind kontraproduktiv und müssen verhindert werden.


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Organisatorische Aspekte

Die Organisation einer Patientenberatung umfasst Folgendes:

  • Zeitrahmen für Planung und Durchführung der Beratung festlegen

  • Die Akzeptanz der Leitung und Kollegen für die Beratungszeit ist notwendig.

  • geeignete Räumlichkeiten (heller, freundlicher, ungestörter Raum)


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Stolperfallen in einer Beratung

Stolperfallen in einer Beratung sind:

  • trösten

  • beruhigen

  • "schönreden"

  • Ängste der Patienten negieren

  • zu viel selbst reden

  • auf andere verweisen, denen es (noch) schlechter geht

  • belehren, Appelle aussprechen ("Aber Frau X, Sie müssen doch jetzt …")

Besser ist es, Folgendes zu tun:

  • offene Fragen stellen und zuhören

  • Verständnis äußern ("Ich kann Sie verstehen")

  • "Das ist so." (Punkt setzen)

  • das Problem ernst nehmen und akzeptieren, dass es ein Problem ist

  • Fantasien der Patienten erfragen


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Basis einer guten Beratung

Für eine gute Beratung sind folgende Dinge notwendig:

  • "Wenn es schwierig wird in der Kommunikation, dann sag einfach, was mit Dir ist." (Ruth Cohn)
    Beispiel Umstellung PD auf HD: "Ich verstehe Ihre Sorgen, dass Sie mit der Hämodialyse nicht klar kommen werden. Meine Angst ist, dass Ihr Bauchfell nicht mehr lange arbeitet und wir dann notfallmäßig …".

  • Versichern Sie sich immer wieder, dass die Patienten alles verstanden haben und dass sie Ihnen im Gespräch noch folgen. Oft bleiben die Betroffenen bei einer Information hängen und hören dann das, was danach gesagt wurde, nicht mehr.
    Beispiel: TX-Patienten wurde erklärt, dass morgens und abends pünktlich um 8 und 22 Uhr die Medikamente eingenommen werden müssen. Danach folgen Informationen zu Wirkung, Nebenwirkungen etc. Unser junger Patient schläft aber jeden Tag bis 11 Uhr und blieb bei der Ankündigung "8 Uhr Medikamenteneinnahme" bereits hängen. Alles, was danach gesagt wurde, hat er nicht mehr aufgenommen.

  • Meistens bleiben in einem Gespräch nicht mehr als 3–4 Informationen hängen. Daher sollte die Pflegekraft sich versichern und die wirklich wichtigen Informationen herausstellen und wiederholen. Merke: Weniger ist mehr.

  • Gespräch vorbereiten und Krankengeschichte lesen

  • präterminale Beratung über HD/PD für mehrere Patienten anbieten: Diese können sich gegenseitig unterstützen.
    Jeder traut sich, etwas anderes zu fragen und alle können voneinander profitieren.

  • Finden Sie heraus, welche Fantasien Patienten über Auswirkungen der Krankheit und über die Wahrnehmungen der Partner haben.

  • Patienten bei der Entscheidung helfen, authentisch und ehrlich sein: "Wenn Sie meine Mutter, mein Vater wären, würde ich Ihnen …. empfehlen." Dies muss auf den Patienten individuell abgestimmt sein. Er muss aber die Freiheit spüren, sich anders entscheiden zu dürfen. Dies muss akzeptiert werden.
    Beispiel: "Wenn ich mein Auto reparieren lasse oder neue Fenster einbauen möchte, dann verlasse ich mich bei der Entscheidung auf den Berater."

  • Humor hilft: Gemeinsam lachen heißt Vertrauen schaffen.

  • viele Sinne reizen: Werbematerial, praktische Schulung, Video/DVD, schriftliche Unterlagen zum Nachlesen

  • Eine Entscheidungsunfähigkeit der Patienten hängt sicher auch damit zusammen, dass beide Lösungen nicht die gewünschte Lösung sind. Eigentlich möchte man gar nicht dialysieren, sondern gesund sein.

  • Die eigene Empfehlung zum Verfahren darf nicht von der Empfehlung des Arztes abweichen. Unstimmigkeiten sollte man hier im Vorfeld mit dem Arzt klären.

  • Bei einer Entscheidung ist es wichtig, dass ein Wechsel des Verfahrens in den meisten Fällen möglich ist. Dies sollte kommuniziert werden.

  • Geben Sie Beispiele von anderen Patienten zu Themen, die Fragen aufwerfen oder Ängste erzeugen.

Weitere Infos

Adresse für berufstätige Patienten, um Unterstützung zum Erhalt der Berufstätigkeit zu bekommen:

http://www.integrationsaemter.de, weiter unter "Kontakt".

Die Integrationsämter erhalten die Ausgleichszahlung von den Firmen, die keine behinderten Menschen beschäftigen. Dieses Geld muss dann wieder für die Beschäftigung schwerbehinderter Menschen ausgegeben werden. Beispiele sind die Einrichtung von PD-Räumen, Lohnkostenzuschuss, Zuschuss für eine Probebeschäftigung etc.


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  • Lieteratur

  • 1 Weisbach CR, Sonne-Neubacher P. Professionelle Gesprächsführung: Ein praxisnahes Lese- und Übungsbuch. 7. Aufl. München: Deutscher Taschenbuch Verlag; 2008
  • 2 Prior M. MiniMax-Interventionen. Heidelberg: Carl Auer; 2006

Korrespondenz

Christa Tast
PHV-Der Dialysepartner Dialysezentrum Stuttgart-RoBoKH
Auerbachstraße 110
70376 Stuttgart-RoBoKH

  • Lieteratur

  • 1 Weisbach CR, Sonne-Neubacher P. Professionelle Gesprächsführung: Ein praxisnahes Lese- und Übungsbuch. 7. Aufl. München: Deutscher Taschenbuch Verlag; 2008
  • 2 Prior M. MiniMax-Interventionen. Heidelberg: Carl Auer; 2006

 
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Abb. 1 Checkliste der Beratung und Themen der präterminalen Beratung über PD.