Dialyse aktuell 2011; 15(6): 303
DOI: 10.1055/s-0031-1286005
Editorial
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

EHEC & Co.

Christian Schäfer
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Publication Date:
22 August 2011 (online)

EHEC – diese zuvor der breiten Øffentlichkeit unbekannte 4-Buchstaben-Kombination erlangte im Frühling und Frühsommer eine traurige Berühmtheit. Die Bakterien mit der (gegenwärtigen) Bezeichnung EHEC O104:H4 (enterohämorrhagische Escherichia coli vom Stamm O104:H4) suchten nicht nur Deutschland heim, sondern auch viele andere europäische Länder waren betroffen und sogar die USA und Kanada verzeichneten Infektionsfälle.

Was macht dieses Bakterium so speziell? Wie sich bei der Analyse des Genoms des Bakteriums zeigte, ist es eine Mischform – es enthält zusätzlich zu den O104:H4-typischen Merkmalen Anteile von sogenannten enteroaggregativen E. coli. Das Bakterium kann sich daher besser an die Darmzellen anheften und deutlich länger im Dickdarm verweilen. Diese Merkmalskombination macht das Bakterium wohl so gefährlich: Es löst in vielen Fällen eine schwere und untypische Verlaufsform des HUS (hämolytisch-urämisches Syndrom) mit blutigem Durchfall aus.

Hierbei setzen die am Darm angehefteten, vom Immunsystem zerstörten Bakterien Toxine frei, welche die Darmwand und gleichzeitig die dort liegenden Blutgefäße schädigen. Dann ist der Weg in die Blutbahn offen – und nun wird es richtig gefährlich. Denn die Toxine gelangen über das Blut auch in die Nieren. Dort sind die Nierenkörperchen besonders gefährdet: Die Toxine zerstören deren empfindliche Blutgefäße und somit ist ein Nierenversagen wahrscheinlich.

Das war der Grund für die vielen, kurzfristig notwendigen Blutwäschen, die so manches Klinikum und die darin arbeitenden Ærzte und Pflegekräfte an den Rand des Machbaren trieben. Im Angesicht des sowieso schon herrschenden Fachkräftemangels war dies kritisch. Denn die Patienten schwebten durchaus in Lebensgefahr. Als wäre dies nicht genug, sind bei dieser Form des HUS auch noch neurologische Störungen möglich, denn die Toxine greifen auch Nervenzellen an.

Beispielhaft sei in diesem Zusammenhang der lobenswerte kurzfristige Wechsel von 5 Pflegekräften vom Heidelberger Universitätsklinikum ans Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf Anfang Juni erwähnt. Sie verstärkten das dort völlig überlastete Team, das vorübergehend bis zu 90 HUS-Patienten gleichzeitig zu versorgen hatte. So lobenswert das ist – eigentlich sollten Krankenhäuser auch Notsituationen dieser Art stemmen können, und das geht nur mit ausreichend Personal. Wieder einmal zeigt sich, dass – an der falschen Stelle gespart – bei unvorhergesehenen Situationen (aufgrund der starken Häufung der HUS-Fälle spricht man hier von einer Epidemie) schnell alles aus dem Ruder laufen kann.

Zum Anfang der Nachforschungen Mitte Mai und auch noch bis weit in den Juni hinein war völlig unklar, woher das Bakterium kam – spanische Gurken waren im Verdacht, generell warnte Bundesverbraucherschutzministerin Ilse Aigner (CSU) vor dem Verzehr von ungekochtem Gemüse. Auch hatten die Fälle zunächst immer einen Bezug zu Norddeutschland. Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) machte allerdings schon im Mai darauf aufmerksam, dass Sprossen die Infektionsquelle sein könnten – vergangene Epidemien, etwa 1996 in Japan, hatten ihren Anfang hierin.

BfR, BVL (Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit) und RKI (Robert Koch-Institut) warnten am 10. Juni schließlich in einer gemeinsamen Pressemitteilung vor dem Verzehr von Sprossen. Inzwischen gelten Sprossen aus Ægypten als Quelle des Erregers. Insgesamt wirkte neben dieser Pressemitteilung die Koordinierung der Nachrichten, die aus den einzelnen Instituten und Æmtern kamen, bzw. die Art und Weise, wie alles kommuniziert wurde, des Øfteren unkoordiniert und nicht immer angebracht. Eine zentrale Stelle wie etwa die CDC (”Centers for Disease Control and Prevention“) in den USA oder zumindest eine bessere Kommunikationsstrategie wären hier Verbesserungsmöglichkeiten für die Zukunft.

In dieser Ausgabe der Dialyse aktuell behandelt der wissenschaftliche Schwerpunkt zwar kein EHEC, aber ebenfalls unangenehme Zeitgenossen wie MRSA & Co. (die übrigens auch mit 4 Buchstaben abgekürzt werden).

Ich wünsche Ihnen eine angenehme Lektüre.