(Bild: Creativ Collection)
Für die Problemhypnose gibt es keinen ICD-Schlüssel und auch als offizielles Krankheitsbild
ist sie nicht anerkannt. Dabei trifft man sie gerade in Kliniken recht häufig. Zurück
geht sie auf eine stark problemorientierte Kommunikation. Im Führungsalltag kann diese
Art der Kommunikation unerwünschte Folgen haben. In scheinbar endlosen Runden werden
Probleme von allen Seiten beleuchtet und diskutiert – bis sie zuschnappt: die Problemhypnose.
Die Symptome sind leicht zu erkennen, man wird von der Last der Probleme geradezu
in den Stuhl gedrückt, fühlt sich müde und überfordert. Angesichts der Problemfülle
entsteht ein Gefühl der Hoffnungslosigkeit. In einer Art problemhypnotischer Amnesie
scheinen die Beteiligten zu vergessen, wo ihre Stärken liegen und was sie schon an
Lösungen auf den Weg gebracht haben. Max Frisch hat es anders ausgedrückt: "Menschen
leiden nicht an ihrem Leben, sondern unter den Geschichten, die sie über ihr Leben
erzählen." Und so lohnt es sich für eine Führungskraft, zuzuhören, welche Geschichten
in ihrer Abteilung erzählt werden. Sollten die Mitarbeiter eher zur Inszenierung von
Dramen neigen, wird es Zeit, durch ein bisschen Zauber der lösungsorientierten Fragen
das Scheinwerferlicht auf die Erfolgsgeschichten zu lenken [1]
. Dafür die richtigen Impulse zu setzen, ist Aufgabe des Vorgesetzten.
Fragen als Instrument der empathischen Führung
Fragen als Instrument der empathischen Führung
Betrachten wir zuerst die Frage als Führungsinstrument [2]. Für viele ist die Frage nur ein Werkzeug, um gezielt Informationen zu gewinnen.
Doch Fragen können viel mehr, als nur unser Wissen zu erweitern. Fragen führen, indem
sie die Aufmerksamkeit des Gegenübers in eine bestimmte Richtung einladen. Jede Frage,
die gestellt wird, regt den Adressaten an, seine Gedanken auf den Inhalt der Frage
zu richten. Damit hat der Fragensteller die Möglichkeit, neue Perspektiven zu eröffnen
und Einfluss auf die Gedanken des Gegenübers zu nehmen. Zudem signalisieren Fragen
dem Gesprächspartner Interesse an seiner Meinung und schaffen eine Vertrauensbasis.
Wer fragt, der führt, wusste daher schon Sokrates.
Und doch zeigt die Erfahrung, dass z. B. bei Mitarbeitergesprächen dreiviertel der
Redezeit eher auf den Chef als auf den Mitarbeiter entfällt. Gute Fragen zu stellen
ist jedoch auch eine Kunst, die gelernt sein will. Zudem spielt die innere Haltung
eine wichtige Rolle [3]. Nicht umsonst sind Fragen ein Instrument der empathischen Führung. Eine gute Frage
setzt eine innere Haltung der Neugier, Offenheit und Bewertungsfreiheit voraus. Man
muss bereit sein, sich auf den anderen einzustimmen und zuzuhören.
Problemlösung ohne Ursachenforschung
Problemlösung ohne Ursachenforschung
In Organisationen gilt oft der Grundsatz "aus Fehlern lernen" und die Idee, dass man
Probleme auch lösen kann, ohne ihre Ursachen zu kennen, ist nicht weit verbreitet
in der Führungspraxis. Im Klinikalltag, wo Diagnose und Ursachenforschung oder Qualitäts-
und Risikomanagement fest verankerte Instrumente sind, gilt das vielleicht noch ein
wenig mehr. Daher kann es insbesondere auf der Ebene der Führung wichtig sein, ergänzende
Ansätze zu kennen und diese situativ anzuwenden.
Konzentration auf Ziele statt auf Probleme
Konzentration auf Ziele statt auf Probleme
Impulse hierzu gibt z. B. die "lösungsorientierte Kurzzeittherapie". Steve de Shazer
(Amerikanischer Psychotherapeut, 1940–2004) hat diese Therapieform zusammen mit seiner
Frau Kim Berg 1982 entwickelt [4]. In ihrem neuen Therapieansatz folgten die beiden der Annahme, dass es hilfreicher
ist, sich auf Wünsche, Ziele, Ressourcen und Problemausnahmen zu konzentrieren anstatt
auf das Problem und seine Entstehung. So hat de Shazer viele Menschen mit der lösungsorientierten
Kurzzeittherapie behandelt, ohne jemals über ihr Problem gesprochen zu haben. Er umschreibt
dies wie folgt: "Wenn ich in einem Hochhaus bin und es brennt, hilft es relativ wenig,
wenn ich frage: wie ist der Brand entstanden? und relativ viel, wenn ich frage: wo
ist der Notausgang?"
In der lösungsorientierten Kurzzeittherapie arbeitete de Shazer mit seiner sogenannten
Wunderfrage. Diese sieht in der Ausgestaltung in etwa wie folgt aus: "Stellen Sie
sich vor, unsere Sitzung wäre zu Ende und Sie fahren nach Hause, verrichten noch die
Dinge, die Sie heute verrichten wollen. Irgendwann werden Sie Abend essen, noch ein
wenig aufräumen, entspannen und dann beschließen ins Bett zu gehen. Sie gehen in Ihr
Schlafzimmer, legen sich in Ihr Bett und schlafen ein. Während Sie schlafen, geschieht
ein Wunder. Am nächsten Morgen wachen Sie auf und wissen nicht, dass das Wunder geschehen
ist. Das Wunder besteht darin, dass das Problem, wegen dem Sie hier sind, nicht mehr
existiert. Woran würde Sie es als erstes merken, dass das Problem sich aufgelöst hat?"
Wunderfrage im klinischen Alltag
Wunderfrage im klinischen Alltag
Es würde sicher etwas seltsam anmuten, die Wunderfrage für den klinischen Alltag zu
übernehmen. In abgewandter Form lässt sie sich jedoch gut integrieren. Zu Beginn eines
Projektes z. B.: "Stellen Sie sich vor, wir hätten das Projekt gemeinsam durchgeführt.
Wir würden nun schon auf einige Wochen gemeinsame Projektarbeit zurückblicken. Jetzt
stünden wir am Ende unseres Projektes und sie würden sagen, es war gut, dass wir dieses
Projekt durchgeführt haben. Woran würden Sie merken, dass wir das Projekt erfolgreich
beendet haben? Was wäre dann anders?" Es geht also darum, die Gedanken der Mitarbeiter
in Richtung des Ziels zu lenken bzw. auf die Dinge, die in den Augen der Mitarbeiter
erreicht werden sollen.
Bei den Antworten auf diese Frage gilt es etwas genauer hinzuhören und zu präzisieren,
damit aussagekräftige Bilder entstehen. So sind z. B. Pauschalierungen zu hinterfragen:
Ein "dann wären wir zufriedener" sagt noch nichts über die genaue Ausgestaltung des
Zielzustandes aus, auch fühlt sich Zufriedenheit für jeden anders an. Möglichkeiten,
gezielter nachzufragen, bieten die folgenden Formulierungen:
Gleiches gilt für negative Formulierungen: Ein "dann hätten wir nicht mehr so viel
Stress", lässt sich durch die einfache Frage "was stattdessen" in eine positive Zustandsbeschreibung
umformulieren.
Oft neigen Mitarbeiter auch dazu, den Fokus auf andere Bereiche oder Personen zu verlagern.
Mögliche Antworten sind z. B. "Dann würde die Abteilung xy besser mitarbeiten." Auch
hier ist es wichtig, die Perspektive zu wechseln und wieder in die eigene Abteilung
zu verlagern. Dies gelingt durch ein "Auf welches Verhalten/ Veränderung von uns würde
das zurückgehen?" Die hier aufgezählten Beispiele geben eine Idee dafür, wie wichtig
es ist, sich bei der Frage auf die Mitarbeiter einzustimmen und genau zuzuhören. Viel
zu oft lassen sich Führungskräfte mit einer Pauschalierung zufriedenstellen, anstelle
in der neugierigen Haltung weiter zu fragen, bis wirklich klare Bilder entstanden
sind.
In Ergänzung zur Wunderfrage nutzte de Shazer die Ausnahmefrage, um vorhandene Ressourcen
zu mobilisieren: "Wann in letzter Zeit war es schon mal ein bisschen so wie nach dem
Wunder?" Und in der Folge: "Was waren damals die Konditionen, dass es anders sein
konnte, und was war Ihr Beitrag dazu?"
Nachdem die erste Frage also den Blick in die Zukunft lenkt und einen möglichen "Lösungszustand"
vorweg nimmt, richtet die zweite Frage die Gedanken auf die vorhanden Ressourcen,
Lösungsansätze und schon verbuchte Erfolge. Es wird klar, was für Bedingungen für
die Erfolge nötig waren bzw. was die handelnden Personen dazu beigetragen haben. Damit
werden gleichzeitig Schlüsselfaktoren für die Veränderung identifiziert.
Weitere lösungsorientierte Fragemodelle
Weitere lösungsorientierte Fragemodelle
Abgesehen von der Wunderfrage, die sicherlich in ihrer Anwendung etwas gewöhnungsbedürftig
ist, gibt es noch weitere lösungsorientierte Fragemodelle, die sich einfacher in den
Führungsalltag integrieren lassen. Eine davon ist die Skalierungsfrage [5]. Sie hat den Vorteil, dass sie Zwischenräume erzeugt. So relativiert die Frage,
"auf einer Skala von 1 bis 10, wobei 1 ‘ganz schlecht und nicht auszuhalten‘ bedeutet
und 10 für ‘sehr gut und nicht zu verbessern‘ steht, wie bewerten Sie die aktuelle
Situation?" Anhand dieser Bewertung zeigt sich, dass die Situation oft gar nicht so
fürchterlich ist und eher selten eine 1 vergeben wird. Legt der Mitarbeiter sich z.
B. auf eine 3 fest, kann eine Folgefrage lauten, "Was müssen wir tun, um zu einer
3,5 zu gelangen?" Man lädt die Mitarbeiter zum Nachdenken ein und eröffnet gleichzeitig
den Raum für kleinere Verbesserungsschritte. Damit werden auch Blockaden wie "wir
können ja eh nichts ändern" geweitet und Perspektiven angeboten.
Ein anderes Instrument ist die hypothetische Frage [6]. Sie hilft Raum für Optionen zu schaffen und den Mitarbeitern ein Gefühl von Gestaltbarkeit
zu vermitteln. Dabei ist es wichtig zu bedenken, dass diese Fragen Prozesse in Gang
bringen sollen und es weniger darum geht, die geschaffenen Optionen auch tatsächlich
zu verwirklichen. Hypothetische Fragen beginnen mit "Angenommen Sie würden...". Es
wird etwas hypothetisch angeboten und anschließend hinterfragt, was sich dadurch ändern
würde. Also, "Angenommen Sie würden xyz machen – würde das für Sie etwas ändern und
wenn ja, was genau würde sich ändern?" Auf diese Weise lassen sich verschiedene Szenarien
durchspielen und man kann die Resonanz darauf prüfen. Gerade in Situationen, wo die
Mitarbeiter das Gefühl haben, sie können doch nichts ändern oder bewegen, schaffen
hypothetische Fragen einen optionalen Raum von "ich kann doch noch aktiv sein" und
damit eine Atmosphäre der Selbstwirksamkeit – eine der Voraussetzungen dafür sich
auf den Weg in die Veränderung zu machen.
Fazit
Die hier angeführten Beispiele geben eine kleine Skriptanweisung, wie Führungskräfte
die Perspektiven ihrer Mitarbeiter vom Problem hin zur Lösung lenken können. Das setzt
voraus, dass sie rechtzeitig die Gefahren der Problemhypnose erkennen und eine lösungsorientierte
Kommunikation anwenden. Nicht zuletzt verlangt die Fragetechnik auch eine Abkehr von
den oft hierarchisch gestalteten Strukturen von Kliniken, in denen das Prinzip "der
Chef hat das Sagen" vorherrscht.