ergopraxis 2011; 4(9): 15
DOI: 10.1055/s-0031-1287751
wissenschaft

Handlungstheorie – Wörter sind an Erfahrungen geknüpft

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Publication Date:
02 September 2011 (online)

 
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Die Sprache eines Menschen und sein Handlungsengagement hängen eng miteinander zusammen. Zu diesem Ergebnis gelangen die beiden Ergotherapeutinnen Sook-Lei Liew und Lisa Aziz-Zadeh von der University of South California, USA.

Die Forscherinnen untersuchten auf der Grundlage neurowissenschaftlicher Studien, inwieweit Sprache die Handlungsperfor-manz eines Menschen beeinflusst. Nach aktuellem Kenntnisstand besteht eine wechselseitige Beziehung zwischen diesen beiden Ausdrucksformen. Wörter rufen im Gehirn nicht nur die abstrakte linguistische Repräsentation hervor, sondern auch die damit verbundene konkrete Erfahrung. Gesprächsanalysen zeigen außerdem, dass Menschen ihre Handlungsidentität gegenüber anderen Menschen verbal kommunizieren. Das heißt: Durch Sprache kann sich ein Mensch in einem sozialen Kontext positionieren und zeigen, dass er einer bestimmten Gruppe angehört. Sprache kann aber auch das Handlungsengagement eines anderen Menschen beeinflussen, indem sie ihn beispielsweise zu einer bestimmten Handlung ermutigt. Daher stellt sie in der Behandlung ein wichtiges Medium dar, um den Therapieprozess gemeinsam mit dem Klienten zu gestalten. Außerdem trägt Sprache zur Identitätsbildung bei, da sie die eigene Lebensgeschichte konstruiert und in einen narrativen Zusammenhang bringt.

Die Auseinandersetzung mit Sprache ermöglicht ein umfassenderes Verständnis davon, wie und warum Menschen handeln.

fk

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Kommentar

Sprache beeinflusst unser Handeln in entscheidendem Maße. So wichtig diese Erkenntnis auch sein mag, ganz neu ist sie für die Ergotherapie nicht. Das Model of Human Occupation (MOHO) betont beispielsweise die Bedeutung des Narrativen für den therapeutischen Prozess und stellt verschiedene Interview-Verfahren zur Verfügung, um die konstruierte Handlungsgeschichte eines Menschen nachzuvoll-ziehen. Das narrative Reasoning ermöglicht es Ergotherapeuten zudem, die erzählten Sinn- und Lebenszusammenhänge eines Menschen in den therapeutischen Prozess einzubeziehen.

Interessant ist allerdings die Annahme, dass Wörter an die zerebrale Repräsentanz konkreter Erfahrungen geknüpft sind. Somit weisen die Worte eines Klienten darauf hin, wie er die Qualität einer Handlung erlebt hat. Auch könnte das verbalisierte Hand-lungsbewusstsein beeinflussen, wie er seine zukünftige Handlungsperformanz erfährt.

Vor diesem Hintergrund sollten wir genau hinhören, wie Klienten ihre Handlungserfahrungen und -bedürfnisse beschreiben.

Florence Kranz, Ergotherapeutin BcOT, cand. M.A. Gesundheitsmanagement

JOS 2011; 18: 97–114